Protokoll der Sitzung vom 06.04.2011

Ich komme zum Eingangsstatement zurück. Die Ministerin hat entsprechend der Möglichkeiten die Fahne der Justiz hochgehalten, ist aber trotzdem der Verantwortung des Gesamthaushalts gerecht geworden. Dafür danke ich und hoffe auf Zustimmung zu diesem Haushalt.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Herr Kollege Radwan, bleiben Sie bitte am Rednerpult. Wir haben eine Zwischenintervention von Frau Kollegin Claudia Stamm. Bitte schön.

Ich habe eine Nachfrage, nachdem Sie meine Frage nicht beantwortet haben. Ich habe nicht gefragt, ob wegen Gablingen PPP-Projekte für immer beerdigt sind. Meine Frage war, ob wir im gleichen Ausschuss sind, in dem ein eindeutiger Beschluss gefasst wurde, dass kein einziges PPPProjekt vonseiten der CSU-Fraktion angedacht wird, bis der Evaluationsbericht der Obersten Baubehörde vorliegt. Das soll im Jahr 2014 sein. Ich habe Sie dahingehend verstanden, dass Sie über neue PPP-Projekte sprechen, aber man aus den Fehlern der alten PPP-Projekte lernen müsse. Ich meine, der Bericht wird völlig ignoriert, wenn Sie jetzt schon wieder über solche Projekte reden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Radwan, Sie haben das Wort.

Die erste Frage kann ich kurz und knapp mit ja beantworten. Wir sind im selben Ausschuss. Das war die erste Frage.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Ha, ha, ha! Christa Naaß (SPD): Wie witzig!)

Zweitens. Ich weiß gar nicht, weshalb Sie zu diesem Bereich so emotional reagieren, wenn ich sage -

(Christine Stahl (GRÜNE): Das war nicht emotional, das war engagiert!)

- Das kam nicht von mir, sondern aus Ihren Reihen. Frau Kollegin, ich habe nicht "emotional" gesagt.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Wir haben das doch alle gehört!)

- Meinetwegen.

Ich habe gesagt, wir sollen von den Problemen aus PPP lernen. Deshalb will ich ansehen, woran Gablingen gescheitert ist. Zum Beispiel waren das die Finanzierungskosten. Gablingen ist unter anderem gescheitert, weil die Finanzierungskosten überproportional hoch waren. Bei konventionellem Bauen wäre PPP konkurrenzfähig gewesen. Die Struktur war so angelegt, dass PPP nicht realisiert werden konnte. Deshalb ist es legitim, über Konsequenzen nachzudenken, ohne ein weiteres, konkretes Projekt zu haben.

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Streibl für die Fraktion der FREIEN WÄHLER. - Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorgelegte Haushalt ist nicht bärenstark, wie der Ministerpräsident gestern gesagt hat, sondern er ist äußerst schwach. Er ist nur ein gewöhnlicher Sparhaushalt zulasten der Justiz als der dritten Gewalt im Staat. Hier muss man mit dem griechischen Dichter Äsop sagen: Gewohnheit macht selbst schlimme Dinge erträglich. Sie macht sie leider nur für die Koalition, aber nicht für uns erträglich. Wir halten das für unerträglich.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, Gewaltenteilung ist nicht nur ein Wort, sondern sie ist das Grundprinzip jeglicher rechtsstaatlichen Demokratie. Daher treten wir FREIEN WÄHLER für eine unabhängige, wohnortnahe und finanziell wie personell gut ausgestattete Justiz ein. Die Justiz in Bayern ist si

cherlich noch effektiv und leistungsstark - das aber dank der 2.581 Richter und Staatsanwälte sowie der unzähligen Menschen, die sonst noch in der Justiz beschäftigt sind und sich das Äußerste abverlangen, ja abringen, damit dieser Apparat - noch - funktionieren kann. Diesen Menschen gelten ausdrücklich unser Dank und unsere Hochachtung. Ihnen muss aber geholfen werden; denn die Justiz ist das System, das noch funktioniert, in das die Bürgerinnen und Bürger in Bayern noch Vertrauen haben. Wir müssen hier Einrichtungen und die Personaldecke schaffen, damit dies weiterhin möglich ist.

Für uns steht die Unabhängigkeit der Richter außer Frage. Aber auch insoweit kann man noch nachbessern. Wir müssen darauf hinwirken, dass die Staatsanwälte weisungsungebunden handeln können, das heißt, nicht den Weisungen externer Stellen unterliegen, und dass die Besetzungen aufgrund von Ausschreibungen erfolgen.

Die vielen Sparrunden der vergangenen Jahre haben dem Personalkörper der Justiz schwer geschadet. Beispielhaft dafür ist der Zusammenbruch der Strafabteilung am Amtsgericht Augsburg. Ein solcher Zusammenbruch kann in Bayern jederzeit an jedem Gericht passieren. Augsburg ist kein Einzelfall, sondern Augsburg ist überall. Der Einzelplan, der hier vorgelegt wird, bringt keine Linderung der Personalnot in der Justiz.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Die PEBB§Y-Studie zeigt, dass bei Richtern und Staatsanwälten über 400 Stellen fehlen. Hier müssen wir nachbessern, damit der Justizkörper wieder gut arbeiten kann.

Der Umstand, dass viele Richterinnen und Richter in absehbarer Zeit die Altersgrenze erreichen werden, wird die Justiz weiter belasten. Das Arbeitspensum wird immer weiter steigen. Es wird sich so drastisch erhöhen, dass die Justiz "am Anschlag" tätig ist.

Wir müssen einen neuen Weg einschlagen. Der falsche Weg ist der, den die Staatsregierung einschlägt; sie verlangt nämlich eine Wiederbesetzungssperre von zwölf Monaten. Dadurch werden noch mehr Stellen nicht besetzt. Eine effektive Rechtspflege ist dann nicht mehr möglich. Hinzu kommt, dass die Steuereinnahmen im vergangenen Jahr deutlich höher waren, als vermutet worden war. Auch für die Jahre 2011 und 2012 sind mehr Steuereinnahmen zu erwarten. Angesichts dessen kann eine Wiederbesetzungssperre nur als Hohn verstanden werden. Letztlich ist sie ein Schlag in das Gesicht der Justitia.

Gegen diese Wiederbesetzungssperre haben wir auch grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken. Im Jahr 1985 gab es sie schon einmal, allerdings nur für sechs Monate. Davon waren ungefähr 17,8 % der Stellen in der Justiz betroffen. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat geurteilt, dass das gerade noch hinnehmbar sei. Von der nunmehr vorgesehenen zwölfmonatigen Wiederbesetzungssperre wären ungefähr 52 % der Stellen betroffen. Das kann nicht mehr hinnehmbar sein. Damit wird der Grundsatz des gesetzlichen Richters ausgehebelt. Der rechtsuchende Bürger wird im Grunde im Stich gelassen. Auch hier muss nachgebessert werden.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Wenn man die vorherige Rede gehört hat, könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich Justiz in manchen Augen auf Strafverfolgung und Strafvollzug, das heißt auf den Sicherheitsaspekt, beschränke. Justiz ist aber mehr; das zeigt schon der große Komplex der Zivilgerichtsbarkeit. Der normale rechtsuchende Bürger, der effektiven Rechtsschutz braucht, muss diesen in angemessener Zeit erlangen können. Hierzu brauchen wir das entsprechende Personal.

Deswegen fordern wir mehr Stellen für Richter und Staatsanwälte. Wir verlangen aber auch mehr Stellen für Gerichtsvollzieher. Es gibt 110 Personen, die entsprechend geprüft sind und seit Jahren ihren Dienst tun, die aber - wohl aus Spargründen; etwas anderes kann man sich nicht vorstellen - noch nicht zum Gerichtsvollzieher ernannt worden sind.

Ähnlich stellt sich die Beförderungssituation bei Justizfachwirten dar. Diese muss verbessert werden. Dazu haben wir entsprechende Anträge gestellt.

Im bayerischen Justizvollzug fehlen insgesamt 800 Bedienstete, davon 650 im allgemeinen Vollzugsdienst. Die Überbelegung der JVAs und die Zunahme der Aufgaben im Justizvollzug müssen ihren Niederschlag auch in der Personalausstattung finden. Geschieht dies nicht, können wir uns einen sicheren Justizvollzug "abschminken".

Hinzu kommt die hohe Arbeitsbelastung der Justizwachtmeister. Wir fordern zwar mehr Sicherheit in Gerichtssälen, aber das Personal, das dafür sorgen soll, fehlt. Mindestens 100 Planstellen sind zu schaffen, damit die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Gerichtssälen während der Verhandlungen möglich ist.

Wir fordern 40 zusätzliche Stellen für Rechtspflegeranwärter. Auch dieser Berufszweig ist mit dem Problem der Überalterung konfrontiert, und es herrscht ge

nerell ein Mangel an Rechtspflegern. Wir müssen schon bei den Anwärtern beginnen, das heißt, es müssen genug Nachwuchskräfte ausgebildet werden, damit sie in ein paar Jahren nachrücken können. Im vergangenen Doppelhaushalt war dafür jedoch keine einzige Stelle vorgesehen.

Des Weiteren fordern wir eine unabhängige Justiz, die das Gut der Rechtsprechung absolut sichert. Deswegen sind, wie ich vorhin schon sagte, alle Stellen in der Justiz auszuschreiben, auch die der Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Generalstaatsanwalts. Dort sollen keine politischen Besetzungen stattfinden.

Wenn gesagt wird - Herr Schindler, Sie haben es vorhin so schön formuliert -, die Justizministerin sei sozusagen Staatssekretärin bzw. Erfüllungsgehilfin des Finanzministers, dann muss man sich die Frage stellen, ob sich die Justiz nicht besser selbst verwalten würde. Wenn sie die Mittelhoheit hätte und ihre Verwaltung selbst in die Hand nehmen könnte, könnte sie auch eigenständig agieren.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat am 30.09.2009 dazu aufgefordert, in Europa ein System der Selbstverwaltung der Justiz zu schaffen. Was das angeht, hinken wir in Deutschland hinterher. Im ENCJ, einem Netzwerk von Justizverwaltungsinstitutionen der EU-Mitgliedsländer, ist Deutschland nur als Beobachter vertreten, weil es hier in den Augen der anderen keine selbstständige Justiz gibt. Von daher gibt es durchaus Ansprüche und Forderungen, denen wir uns auch stellen müssen. Es wäre interessant, darüber nachzudenken, ob wir die Autonomie hinsichtlich der Mittelverwaltung und der Verantwortung nicht direkt bei der Justiz ansiedeln sollten.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Nach unserer Meinung ist eine selbstverwaltete Justiz eine Bereicherung für die Unabhängigkeit der Justiz und letztlich für die demokratische Rechtsstaatlichkeit.

Man muss auch in diesem Haushalt feststellen: Die Justiz in Bayern ist nicht gut aufgestellt. Das müssen wir ändern. Das ist unsere Pflicht als Legislative. Wir müssen das fordern, damit wir wieder mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Bayern haben. Wir wollen uns nicht - in den Worten Martin Luthers - vorwerfen lassen: "Ein Jurist - ein schlechter Christ".

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege Streibl. - Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Stahl. Bitte schön, Frau Kollegin.

"Auf hoher See und vor Gericht sind wir allein in Gottes Hand." Diesen Satz, sehr geehrter Herr Präsident, meine Herren und Damen, konnte ich, ehrlich gesagt, noch nie leiden. Diesem Satz wohnt keinerlei Gestaltungswille inne. Er verlagert die Verantwortung für das Hier und Jetzt auf eine Meta-Ebene und impliziert, dass Gerechtigkeit eher etwas Zufälliges sei. Das Justizministerium zeigt bei seinem Haushalt im Übrigen sehr viel dieses Gottvertrauens. Ich glaube, wir dürfen nicht zulassen, Frau Justizministerin, dass Rechtsetzung und Rechtsumsetzung davon abhängen, ob der Himmel gerade gut gelaunt ist und ob wir in einem Bundesland leben, das, wie Kollege Schindler es schon angesprochen hat, mehr für die Justiz ausgibt.

Ich stelle einen kurzen Vergleich an. In Bayern werden 4,28 % des Gesamthaushalts für die Justiz ausgegeben. Zu schwarzen Zeiten waren es in Nordrhein-Westfalen 6,5 % und in Rheinland-Pfalz zu ebenfalls schwarzen Zeiten 5,28 %.

Sie rühmen sich in Bayern einer durchschnittlich kurzen Verfahrensdauer. Man mag glauben, dass Bayern tatsächlich niemals Entschädigungszahlungen an die Bürger wegen überlanger Verfahren wird leisten müssen, zumal das Gesetz so ausgestaltet ist, dass kaum jemand in diesen Genuss kommen wird.

Aus meiner Sicht ist es so, dass es zuvorderst gar nicht um Entschädigungszahlungen gehen wird, sondern dass die Probleme in Bayern viel früher beginnen.

Ich gehe jetzt einmal von einem Fall aus, der zugegebenermaßen sehr extrem ist, von dem ich aber glaube, dass sich in ihm außerordentlich viel kumuliert hat. Wie ist bitte schön zu erklären, dass vier erwachsene Menschen ein Geständnis für einen Mord ablegen, den sie nie begangen haben? Angeblich wurde ein Familienangehöriger zerteilt und an die Hofhunde verfüttert. Dann hat man aber plötzlich seine Leiche in einem Fluss aus einem Mercedes gezogen.

Diese vier erwachsenen Menschen haben über fünf Jahre im bayerischen Strafvollzug verbracht. Natürlich erlaube ich mir da die Frage: Wie kann so ein Fehlurteil zustande kommen? Hat es im Vorfeld lediglich falsche Ermittlungen gegeben? Oder haben sich hier, wie von mir befürchtet - aber ich harre da Ihres Antwortschreibens -, Dinge im Vorfeld kumuliert, die zu einem solchen Exzess geführt haben?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kann es vielleicht sein, dass die personelle und finanzielle Ausstattung bei den mittleren Behörden nicht ausreicht und dass der Zeitdruck, unter dem die Ermittler stehen, und der öffentliche Druck, den es auch gibt, zusammen dazu geführt haben, dass Tatverdächtige unter Druck gesetzt wurden? War es unter Umständen so, dass Zeuginnen und Zeugen für so etwas gibt es ja Belege - aus Kostengründen oder wegen eines Zeitdrucks nicht vernommen worden sind?

Diese armen Menschen haben einen Freispruch zweiter Klasse erhalten, im Übrigen aber keine Haftentschädigung. Sie würden auch wegen überlanger Verfahren keine Entschädigung bekommen. Aber sie saßen über fünf Jahre unschuldig in Haft. Sie saßen in einem Strafvollzug, in dem es an rund 650 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie an zusätzlicher Betreuung fehlt, die kaum stattfindet. Sechs Stellen für Anstaltsärzte sind nicht besetzt. Zur Durchführung der Sozialtherapie fehlt es an den baulichen Voraussetzungen.