Protokoll der Sitzung vom 06.04.2011

Mehr als 7 % der Schüler eines Jahrgangs verlassen die Schule in Bayern ganz ohne Abschluss. Diese Feststellung stammt nicht von mir, sondern steht in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, welche vor Kurzem in einer süddeutschen Tageszeitung veröffentlicht wurde.

Lassen Sie mich einiges Grundsätzliche zum Haushalt und zur Finanzierung unseres Bildungssystems sagen. Wie es ausschaut, wird es mit dieser Koalition nur langsam, wenn überhaupt, spürbare Verbesserungen im Bildungsbereich geben. Der uns vorgelegte Doppelhaushalt 2011/12 ändert trotz geringfügiger Erhöhung - sie ist wirklich äußerst geringfügig - nichts

daran. In der Mitte der Legislaturperiode 2008 bis 2013 zeigt sich, dass Sie den bildungspolitischen Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen sind. Diese Koalition ist weder bereit, die Bildungspolitik in den Mittelpunkt der Regierungsarbeit zu rücken, noch bereit, Finanzmittel bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen.

Das Schlimme ist: Wir könnten mehr finanzieren, wenn der Staat nicht Klientelpolitik betreiben und stattdessen seine Einnahmemöglichkeiten ausschöpfen würde. Es werden Steuergeschenke gemacht. Der Aufschwung Kärnten wird finanziert. Und Steuerprüfer werden nicht eingestellt.

Dieter Ondratschek von der Steuergewerkschaft spricht hier von einer bewussten politischen Entscheidung, die Steuerfahndung schwach zu halten. Es ist in der Tat so: Schwarz-Gelb verzichtet bewusst auf Einnahmemöglichkeiten. Würde das nicht getan, könnten wir viel mehr Geld in die Bildung stecken und vor allem für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen. Wenn wir dies nicht tun, versündigen wir uns an der Zukunft unserer Kinder.

Gestern haben wir gehört, dass der Ministerpräsident gesagt hat: Bildung ist die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts. Das sollten wir ernst nehmen und auch etwas dafür tun.

Meine Damen und Herren von der CSU und der FDP, wenn Sie nicht bereit sind, schnellstmöglich umzudenken, laufen wir Gefahr, manche Entwicklung zu verschlafen. Vor allem ist es notwendig, dafür zu sorgen, dass mehr Geld bei den Schülerinnen und Schülern ankommt. Die Etatsteigerung, die ich schon angesprochen habe, ist doch mit darauf zurückzuführen, dass an Mitteln für Versorgung und Beihilfen einiges draufgeht. Vom Versorgungsfonds möchte ich gar nicht sprechen.

Die Probleme sind nach wie vor gleich, obwohl uns jeden Tag etwas Neues verkündet wird. Es wäre notwendig, Kindergarten und Grundschule besser zu verzahnen. Das Ganze ist verbesserungsbedürftig. Ich erinnere an den Übertrittsdruck, an die frühe Selektion, an Leistungsstress, an Schulangst, an Nachhilfe. Man muss sich fragen, ob vielleicht auch bei uns der Satz des Fachbuchautors und Kinderarztes Remo Largo zutrifft, der gesagt hat: Die Schule ist mit Prüfungen und Noten zur Treibjagd verkommen.

Schlimm ist, dass viele Eltern viel Geld für Nachhilfe ausgeben müssen. 58 % der Nachhilfeanbieter sagen, dass die Nachfrage in den vergangenen fünf Jahren sprunghaft oder stetig gestiegen ist, hauptsächlich wegen des G 8. 17 % der Nachhilfeschüler besuchen die Grundschule.

Wir haben nach wie vor zu große Klassen an den Gymnasien oder Realschulen, zum Beispiel Klassen mit über 30 Schülern. Es gibt eine katastrophale Einstellungssituation im Bereich der Grundschule. Es gibt Unterrichtsausfall an Gymnasien usw.

Wir haben zu wenig Lehrer. Mit den Lehrerzahlen gibt es ja auch Tricksereien. Wir haben eine Überalterung der Lehrkräfte. Vor einiger Zeit habe ich im "Nordbayerischen Kurier" gelesen, dass eine Kollegin von Ihnen die Wirklichkeitsferne der Ministerialbürokratie in Spaenles Kultusministerium kritisiert und gesagt hat, der Wasserkopf des Ministeriums sei ein derart großes Einsparpotenzial, dass allein dadurch tausend Lehrer bezahlt werden könnten. Ich kann das nicht beurteilen; ich habe diese Aussage nur zitiert.

Vorhin ist die hohe Prozentzahl von Schulabgängern ohne Abschluss angesprochen worden. Ich darf daran erinnern, dass wir in Bayern Städte haben, in denen es bis zu 15 % Kinder ohne Schulabschluss gibt. Diese Zahl ist viel zu hoch. Wie schon gesagt, können wir uns das nicht leisten. Es geht nicht an, diese Kinder ohne Schulabschluss in ihre Zukunft und in das Berufsleben zu schicken.

(Beifall bei der SPD)

Zum Thema Ganztagsschulen. Die Mittelschule und die Schulverbünde lösen das Problem nicht.

Ich nenne auch das Thema Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter. Von Ihrer Seite gibt es den Trick zu sagen, Jugendsozialarbeit sollten die Kommunen machen. Aber wir brauchen Schulsozialarbeiter.

Ich nenne ganz bewusst auch das Thema "Verwaltungskräfte an Schulen". Denn hier kommen mehr Aufgaben nicht nur auf die Schulleitungen zu, sondern auch auf die Verwaltungskräfte, die nicht besonders hoch bezahlt sind. Sie haben oft nur einen Jahresvertrag und fallen immer wieder hinten hinunter. Es muss wirklich noch etwas getan werden. Ich erinnere an den doppelten Abiturjahrgang. Zusammen mit der Aussetzung der Wehrpflicht drängen da zusätzlich circa. 5.500 Studierende an die Hochschulen.

Blicken wir noch einmal kurz zurück. Im Herbst 2008 kam die FDP in den Landtag. Sie hatte damals noch mehr eigene Vorstellungen beispielsweise von einer längeren gemeinsamen Schulzeit, von kleineren Klassen, mehr Selbstständigkeit und anderem. Davon ist wenig übrig geblieben.

Ich muss nun ein paar Themen überspringen, weil ich nur noch vier Minuten Redezeit habe. Die Probleme häufen sich in Bayern so an, dass man viel mehr Zeit bräuchte, um alles aufzuzählen. Wir haben mehrere

Anträge zum Einzelplan 05 eingereicht und unter anderem gefordert, die kw-Vermerke bei den Stellen zu streichen. Damit würden im Doppelhaushalt dann zusätzlich 2.500 Stellen für Lehrkräfte zur Verfügung stehen.

Der Bildungshaushalt darf nicht zur Sparbüchse des Finanzministers werden. Wir bedauern, dass in bisher nicht bekanntem Ausmaß Stellen wegfallen sollen.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, die Lehrer, die wir jetzt nicht einstellen, fehlen uns in der Zukunft. Dies ist für die jungen Menschen, die den Lehrerberuf ergreifen wollen, ein verheerendes Signal. Deshalb ist es notwendig, die Lehrer einzustellen. Das, was bisher mit den Lehramtsanwärtern, den Referendarinnen und Referendaren gemacht wird, ist wirklich nicht vom Feinsten.

Ein paar Worte noch zum Thema Gemeinschaftsschule. Meine Damen und Herren der Mehrheitsfraktionen, Sie sind auf dem besten Weg, zu Dinosauriern der Bildungspolitik zu werden.

(Harald Güller (SPD): Sie sind es schon! - Widerspruch bei der CSU)

Überall - ich sage das jetzt auch für die Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne - zwischen Finnland und Portugal, zwischen Schweden und Italien gibt es längere gemeinsame Schulzeiten, nur hier in Bayern nicht. Auch viele deutsche Bundesländer sind schon auf dem Weg hin zu Gemeinschaftsschulen, weil sie sagen, das ist die Schule, die wir in unserem Land brauchen. Auch die Eltern wollen solche Schulen ebenso wie viele CDU-Bürgermeister sich diese wünschen. Ich frage mich, warum man in Bayern nicht bereit ist, auch hier solche Schularten zuzulassen.

Ein Wort noch zur Jugendarbeit und zum Sport. Für unseren Änderungsantrag zum vereinseigenen Sportstättenbau haben wir bereits namentliche Abstimmung beantragt wie auch zur Erhöhung der Vereinspauschale. Mir ist bekannt, dass der Landessportbeirat beispielsweise auf seiner Sitzung im November einstimmig den Beschluss gefasst hat, die vom Landessportbeirat angestrebte Wartezeit von drei Jahren zu erreichen sowie eine Erhöhung der Haushaltsmittel auf zwei Millionen anzustreben. Ich weiß, dass zwei Kollegen aus dem Hohen Hause in diesem Beirat vertreten sind.

(Harald Güller (SPD): Wägemann und Kränzle!)

Ich bin neugierig, wie sie hier heute abstimmen werden.

(Harald Güller (SPD): Ich bin gespannt, ob die nur im Sportbeirat reden oder hier richtig abstimmen!)

Und nun noch ein Wort zum Jugendring. Aus der Art und Weise, wie Sie hier mit dem Bayerischen Jugendring umgesprungen sind, meine Damen und Herren wir haben viele Petitionen bekommen -, wird deutlich, dass Sie die Jugendarbeit nicht ernst nehmen. Die Jugendarbeit ist für mich nach wie vor eine sehr wichtige Geschichte. Der Bayerische Jugendring und die Jugendverbände leisten eine gute und wichtige Arbeit und müssen deshalb entsprechend unterstützt werden.

Gott sei Dank ist nun noch eine Tischvorlage gekommen, sodass die Mittel für 2011 erhöht werden. Wie es aber 2012 aussieht, wissen wir nicht. Ich darf Sie heute schon auffordern, für 2012 entsprechende Vorschläge auf den Tisch zu legen. Jugendarbeit ist wichtig, denn sie bedeutet außerschulische Bildung. Deshalb ist es wichtig, Geld zur Verfügung zu stellen. Nicht zuletzt gilt das für internationale Begegnungen, denn wenn sich junge Menschen kennenlernen, ist das die beste Friedenspolitik, die wir in unserem Lande betreiben können.

Erlauben Sie mir abschließend noch ein Wort zur Erwachsenenbildung. Auch dies ist ein wichtiger Bereich. Dass Sie vor ein paar Jahren die Mittel für die Erwachsenenbildung ganz streichen wollten, zeigt, dass Sie immer noch nicht begriffen haben, wie wichtig die Erwachsenenbildung ist, wie wichtig es ist, auch im Erwachsenenalter immer noch dazuzulernen. Da kann ich Sie nur bitten, ebenfalls dazuzulernen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Strobl. Als Nächste hat das Wort die Frau Kollegin Eva Gottstein. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrter Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen! In seiner gestrigen Grundsatzrede hat unser Ministerpräsident wichtige Worte zur Bildung gesprochen. Er hat folgenden Satz geprägt bzw. zitiert: Bildung ist die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts, weil sie Chancengerechtigkeit liefert und weil sie Partizipation für alle an der Gesellschaft bedeutet.

Wie wahr ist dieser Satz! Wie recht hat er damit. Er hat einen weiteren Satz geprägt: Bayern ist das Bildungsland per se. Bayern ist Bildungsland Nummer eins.

(Demonstrativer Beifall bei der CSU)

Wie unwahr ist dieser Satz! Dieser Satz stimmt nicht, außer man würde ihn nur an der Pisa-Studie messen. Die stellen Sie aber sonst auch in Zweifel und da haben Sie recht, denn Pisa kann nicht die Messlatte sein.

Die Begründung unseres Ministerpräsidenten und der Koalition lautet, in diesem kommenden Bildungshaushalt gebe es mehr Lehrer als je zuvor. Dabei ist das Rechenproblem mangels Masse aber noch nicht gelöst. Denn der Opposition konnte die Zahl der Intensivierungsstunden bisher immer noch nicht bekanntgegeben werden, die der Herr Minister versprochen hatte, damit man ihn versteht. Wir wollten seine Rechnung nachvollziehen. Inzwischen ist aber völlig egal, was hier gerechnet wird, denn entscheidend ist - das sehen Kinder, Lehrer und Eltern ebenso -, dass draußen zu wenig Personal vorhanden ist. Da können Sie rechnen, was Sie wollen; es ist zu wenig Personal da. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Sie begründen Ihre These vom Bildungsland Bayern auch damit, dass mehr Investitionen als je in die Bildung geflossen seien. Sie unterschlagen hierbei jedoch, dass sämtliche Versorgungsleistungen in diesem Einzelplan verankert sind und somit die Rechnung auch hier nicht stimmt.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Das Hauptproblem in Ihren Behauptungen zum Bildungshaushalt ist, dass Sie bei solchen Aussagen inzwischen völlig den Wandel der Bildungslandschaft ignorieren. Sie tun so, als hätten wir noch die gleiche Relation von Lehrern zu Schülern wie vor 40 Jahren.

Ich habe 1972 in einer privaten klösterlichen Schule mit einer Mädchenklasse mit 42 Schülerinnen begonnen. Damals unterrichtete ein Lehrer 42 Schülerinnen. So kann man das heute nicht mehr rechnen. Wenn Sie allerdings auf dieser Basis rechnen, kommen Sie zu Ihren Thesen. Es wird aber sicherlich heute jeder einsehen, dass man nicht mehr auf das Jahr 1972 zurückgehen kann.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Die Bildungslandschaft ist heute eine andere. Wir haben andere Lehrer, es sind oft Lehrer mit einem Burn-out Syndrom. Fragen Sie die Ärzte. Diese gehen nicht davon aus, dass die Lehrer simulieren. Wir haben Lehrer, denen Sie in der letzten Zeit sehr viel zugemutet haben. Sie haben Ihnen ein Arbeitszeitkonto aufgedrückt und vergessen, dass es möglicher

weise bei der Auflösung Probleme geben könnte. Sie muten dem Lehrerpersonal jetzt zu, ohne Gehaltserhöhung weiterzuarbeiten, immer nach dem Motto: Rein in die Bütt, raus aus der Bütt. Dass die Lehrer dann nicht so motiviert sind, wie sie sein sollten, steht außer Frage.

Wir haben heute andere Schüler. Sie haben Legasthenie oder ADHS, sind hochbegabt oder vernachlässigt, kommen aus schwierigen Familien. Das können wir doch nicht ändern. Natürlich, Herr Kollege Pachner, sind die "bösen" Mütter schuld, die sich auf einmal selbst verwirklichen wollen und nun anscheinend auf diese Idee gekommen sind. Aber wir haben das doch als Fakt zu nehmen. Die Kinder in der Schule sind heute andere als früher, und diese Kinder müssen wir anders beschulen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Auch die Eltern sind anders. Man kann natürlich der Vergangenheit nachtrauern und fragen, wo das klassische Familienbild geblieben ist. Aber heutzutage ist nun einmal ein großer Teil der Eltern alleinerziehend, getrennt lebend, es gibt Patchwork-Familien. Es besteht das Problem der Überbemutterung. Früher war nicht bekannt, dass ein Kind von den mütterlichen, oft auch väterlichen Ansprüchen fast erdrückt wurde. Auf der anderen Seite gibt es die Vernachlässigung von Kindern. Es gibt eine Medienwelt, die in diesen Familien Platz genommen hat. Das war früher nicht so. Die Schule muss darauf reagieren und kann das nicht ignorieren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)