Offenbar wurde auch das Fehlen von Prävention und die Notwendigkeit eines Systems der Begleitung, das diese Betroffenen einerseits schützt und ihnen andererseits Hilfe anbietet, mit den Folgen der erlittenen sexuellen Gewalt fertig zu werden; denn diese Opfer das ist ein Merkmal - haben sich in der Regel alleingelassen gefühlt und niemanden gesehen, an den sie sich mit ihrer Not wenden konnten.
Kinder und Jugendliche - Frau Kollegin Gottstein hat darauf hingewiesen - sind Schutzbefohlene der gesamten Gesellschaft und des Staates. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass seit Januar 2010 offenbar wurde, dass Lücken auch im System staatlicher Verantwortung bestehen, und dass diese Lücken heute im BayEUG geschlossen werden sollen. Dies begrüßen wir.
Aber man muss sich schon fragen, warum Schulen in freier und kirchlicher Trägerschaft bisher von der Verantwortung ausgenommen waren, die Gefährdung und Beeinträchtigung des Wohls ihrer Schülerinnen und Schüler dem Jugendamt zu melden, und warum Schulen in freier und kirchlicher Trägerschaft von der Verpflichtung ausgenommen waren, von ihren Mitarbeitern ein erweitertes Führungszeugnis zu verlangen. Auch muss man sich fragen, warum es so lange
gedauert hat, diese Lücken zu schließen; denn bereits im April 2010 hat die Kultusministerkonferenz in ihren Handlungsanweisungen gefordert, das erweiterte Führungszeugnis von allen Personen, die im kinderund jugendnahen Bereich sowie in Schulen arbeiten, zu verlangen. Erst jetzt, eineinhalb Jahre später, kommen Sie mit dieser Novelle.
Generell stellt sich für mich über dieses Gesetz hinaus die Frage nach der Rolle und den Möglichkeiten staatlicher Schulaufsicht bezüglich der Schulen in freier und kirchlicher Trägerschaft. Um es klarzustellen: Meine Fraktion und ich stehen zu den Schulen in freier Trägerschaft. Sie sind ein wichtiger Bestandteil unseres Schulwesens und durch die Verfassung, nämlich durch Artikel 7 des Grundgesetzes, garantiert. Das machen wir hier an dieser Stelle immer wieder deutlich, wenn wir uns etwa für eine bessere Finanzierung einsetzen. Denn es gibt eine Verantwortung des Staates für diese Schulen als Teil des öffentlichen Schulwesens. Aber es gibt auch eine Verantwortung dieser Schulen für ihre Schülerinnen und Schüler, und es gibt wiederum die Verantwortung des Staates für die Schülerinnen und Schüler dieser Schulen. Das muss gegenüber diesen Institutionen geleistet werden.
Die Betroffenen haben sich oft erst nach Jahren, nachdem sie die Misshandlung, den Missbrauch erlitten haben, an die Öffentlichkeit gewandt. Die Fälle sind nicht dadurch offenbar geworden, dass die Schulaufsicht eingegriffen hätte. Es ist auch kein Fall bekannt geworden, bei dem sich jemand vertrauensvoll an die Schulaufsicht gewandt hat und diese dann reagiert hat. Wir müssen schon darüber reden, wie wir eine Schulaufsicht zum Schutz der Kinder und Jugendlichen an Schulen in freier und kirchlicher Trägerschaft einrichten können. Denn das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, damit das System der freien und kirchlichen Trägerschaft auch in Zukunft arbeiten kann.
Neben dem überfälligen Regelungsbedarf für diese Novelle, der wir zustimmen, müssen wir des Weiteren darüber reden, dass wir Ansprechpartner für die Betroffenen außerhalb der Schulfamilie schaffen, an die sie sich wenden können. So haben wir etwa den Antrag für eine Telefonhotline eingebracht. Nach langer Wartezeit bei der Vorsitzenden des Sozialausschusses kommt er jetzt offensichtlich irgendwann einmal zur Beratung.
Auch haben wir gefordert, geschlechtsspezifische Beratungsangebote gerade für Jungen und Opfer des sexuellen Missbrauchs einzurichten. Auch diesen Antrag haben Sie mit Mehrheit abgelehnt. Das Kultusministerium verweist zwar auf seiner Homepage auf
kibs, die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle für männliche Opfer sexueller Gewalt, aber man muss schon dazu sagen, dass diese Einrichtung aus Spenden, aus Stiftungen und von der Stadt München finanziert wird. Vom Land stammen 19.500 Euro für die Notrufe, die von außerhalb Münchens kommen. Aber dieses Geld reicht für ein flächendeckendes Angebot nicht aus.
Deswegen: Angesichts der großen Herausforderungen an Prävention und an Aufarbeitung sollten wir nicht glauben, dass wir uns mit dieser begrüßenswerten Novelle unserer Aufgabe und Sie sich als Regierung Ihrer Aufgabe und Ihrer Verantwortung für die Schutzbefohlenen schon entledigt haben.
Danke schön, Herr Kollege Gehring. - Als Nächste hat Frau Kollegin Renate Will das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Frühjahr 2010 mussten wir beinahe täglich Schlagzeilen über Missbrauchsfälle in Internaten und anderen schulischen und kirchlichen Einrichtungen lesen. Wir alle waren schockiert von den sexuellen Übergriffen und Fällen körperlicher Züchtigung, die sich teilweise systematisch über Jahre und Jahrzehnte hinweg erstreckt haben.
Die Bayerische Staatsregierung hat deshalb unverzüglich reagiert und im April 2010 das Forum zur Aufarbeitung der Gewalt- und Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen in Bayern eingerichtet. An diesem Forum nahmen alle teil: Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche, Träger von Erziehungseinrichtungen und der Jugendarbeit, Vertreter von Opferhilfeeinrichtungen sowie Sachverständige und Verbände, Repräsentanten aus den Bayerischen Staatsministerien für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, für Unterricht und Kultus, für Umwelt und Gesundheit sowie des Bayerischen Staatsministeriums des Innern. Auch Betroffene saßen mit am Tisch.
Ziel des Forums war erstens die konsequente Aufarbeitung der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle. Alle Fälle müssen lückenlos aufgeklärt und strafrechtlich verfolgt werden.
Insbesondere die Schulträger, kirchlich oder privat, stehen in der Verantwortung, transparent und vorbehaltlos mitzuwirken. Das sind wir den Opfern schuldig.
Zweites Ziel des Forums war die Entwicklung eines konkreten Frühwarnsystems, um systematischen Missbrauch, sexuelle Übergriffe und körperliche Gewalt im Schulsystem zukünftig zu verhindern. Einige der dafür erarbeiteten Maßnahmen wurden bereits umgesetzt. Für andere müssen wir nun die gesetzlichen Rahmenbedingungen neu festlegen, um Kindern und Jugendlichen einen verbesserten Schutz zu ermöglichen. Das haben wir getan. Wir haben dabei im Rahmen einer Verbandsanhörung alle beteiligten Gruppen einbezogen. Das Ergebnis der Verbandsanhörung zeigt deutlich, dass die Änderungen des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes in fast allen Stellungnahmen vorbehaltlos unterstützt werden. Dies ist eindeutig positiv zu bewerten. Wenn sich alle einig sind, ist dies die beste Voraussetzung, um diese wichtigen gesetzlichen Änderungen auf den Weg zu bringen.
Um es deutlich zu sagen: Allein die Änderung eines Gesetzes führt nicht zu Verbesserungen. Mir geht es vor allem darum, das Bewusstsein zu schärfen. Alle Mitglieder der Schulfamilie müssen rechtzeitig aufmerksam werden: Hinschauen statt wegschauen und schweigen. Ob auf Klassenfahrten, im Sportunterricht, in der Pause oder im Unterricht, Lehrerinnen und Lehrer müssen Alarmsignale des Missbrauchs rechtzeitig erkennen. - Und eben nicht nur diese: Alle im Schulumfeld tätigen Personen wie zum Beispiel Heilpädagogen, Pflegekräfte, aber auch Werkmeister und Sonstige müssen dafür geschult und sensibilisiert werden.
Was die Politik aber tun kann und muss, das ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so zu fassen, dass alles getan werden kann, um Kinder und jugendliche Schutzbefohlene zu schützen.
Nach den Änderungen im Bayerischen Erziehungsund Unterrichtsgesetz sollen nicht nur öffentliche, sondern auch private - ich sage dazu: auch kirchliche - Schulen jeden Verdachtsfall eines Missbrauchs dem Jugendamt melden müssen. Dies betrifft sowohl Ersatz- als auch Ergänzungsschulen. In dieser Verantwortung steht der Staat, meine Damen und Herren.
Zudem werden gesetzliche Beschäftigungsverbote verhindern, dass vorbestrafte Sexualstraftäter an Schulen tätig sein können. Die Anforderungen an die persönliche Eignung der Lehrkräfte werden auf Beschäftigte oder sonstige schulische Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter, die mit erzieherischen oder pflegerischen Aufgaben betraut sind, ausgedehnt.
Mit den Änderungen im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz setzen wir die Erkenntnisse und Lösungsansätze aus dem Forum für Sexualdelikte optimal um.
Danke schön, Frau Kollegin. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze (Drs. 16/9583) - Erste Lesung
Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Staatsregierung begründet. Das Wort hat Frau Staatsministerin Dr. Beate Merk. Bitte schön, Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, Hohes Haus! Klimaschutz ist eine der bedeutendsten Aufgaben unserer Zeit, Energie zu sparen das Gebot der Stunde. Einen besonders wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet dabei die energetische Sanierung von Gebäuden. Über ein Viertel des weltweiten CO²-Ausstoßes sind der Immobiliennutzung zuzuordnen. Durch eine Verbesserung der Wärmedämmung älterer Gebäude kann der Energieverbrauch und damit der CO²-Ausstoß zumeist erheblich gesenkt werden. Es besteht jedoch noch großer Sanierungsbedarf.
Daher müssen wir energetischen Sanierungen rechtlich den Weg ebnen. Die jüngst beschlossene Änderung des Baugesetzbuchs trägt hierzu entscheidend bei. Der sanierungswillige Eigentümer eines Gebäudes kann derzeit aber immer noch am Widerstand des Nachbarn scheitern, nämlich dann, wenn nachträglich eine Außendämmung an einem Gebäude aufgebracht werden soll und das Gebäude unmittelbar an oder auf der Grundstücksgrenze liegt. Das bedeutet, dass die Außendämmung zwangsläufig zu einem Überbau, das heißt, einem Eingriff in das Nachbargrundstück, führt. Diesen Übergriff auf sein Eigentum muss der Nachbar nach der heutigen Rechtslage grundsätzlich nicht hinnehmen. Er kann vielmehr seine Zustimmung
Leider lässt sich nicht immer eine einvernehmliche Lösung finden. Deshalb soll im Gesetz zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs - AGBGB - sichergestellt werden, dass eine Außenwärmedämmung im Einzelfall auch ohne die nachbarliche Zustimmung aufgebracht werden kann, dass der Nachbar den Überbau also dulden muss. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind dafür die Voraussetzungen sehr eng gefasst. Eine Duldungspflicht besteht nur, wenn der Überbau die Benutzung des Nachbargrundstücks nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt, wenn der Überbau öffentlich-rechtlichen, insbesondere baurechtlichen Vorschriften nicht widerspricht und eine vergleichbare Wärmedämmung mit vertretbarem Aufwand nicht auf andere Weise - etwa auf dem eigenen Grundstück - zu erreichen ist. Im Gegenzug für die Duldung erhält der Nachbar eine finanzielle Entschädigung in Form einer Überbaurente.
Damit komme ich zur zweiten Regelung des Gesetzentwurfs, die nicht nur, aber auch der Durchführung energetischer Sanierungen zugutekommt. Sie befasst sich mit dem sogenannten Hammerschlags- und Leiterrecht, also dem Recht, das Nachbargrundstück zur Durchführung von Bauarbeiten vorübergehend zu betreten und es auch zu benutzen. Dieses Recht besteht heute schon, es ist aber anders als in anderen Ländern in Bayern nicht gesetzlich geregelt. Durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung wird jetzt Rechtssicherheit geschaffen und Streit vermieden. In der Verbandsanhörung wurde die vorgeschlagene Kodifizierung daher allgemein begrüßt. Wir sollten die Änderung daher wie dargestellt beschließen.
Danke schön, Frau Staatsministerin. Als Nächste hat Frau Kollegin Annette Karl das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Staatsregierung hat nach Fukushima einen bemerkenswerten Turnaround in ihrer Energiepolitik hingelegt. War sie vorher noch eine der glühenden Verfechterinnen der Verlängerung der AKW-Laufzeiten, so hat sich die Staatsregierung jetzt an die Spitze derjenigen gesetzt, denen es nicht schnell genug gehen kann bei der Wende in der Energiepolitik - frei nach dem Motto: Immer an der Spitze, die Richtung ist dabei nebensächlich.
Aber was ist seitdem geschehen? - Nicht viel, außer der Festlegung einer Jahreszahl und der Gründung der Energieagentur Bayern. Außerdem gab es viel
heiße Luft und Wind vom Lebensminister. Aber jetzt wird ein Gesetz vorgelegt, das immerhin einen ersten, wenn auch sehr kleinen Schritt in die richtige Richtung darstellt. Das Gesetz, das die Herstellung einer Außendämmung erleichtert, wird zwar in Bayern als drittletztem Bundesland von allen in dieser Form verabschiedet, aber immerhin; wir sind mittlerweile für jede Aktion dankbar, die die Energiewende voranbringt.
Man muss sich das so vorstellen: Der sprichwörtliche Frosch im Glas auf der Suche nach Sonne erklimmt mühselig die erste Leiterstufe. Wir stehen bei der Energiewende vor großen Herausforderungen. Sie muss auf der einen Seite sozial verträglich gestaltet sein und darf auf der anderen Seite die Wirtschaft nicht über Gebühr belasten. All das geht nur, wenn wir uns an den energetischen Dreisprung halten: Energieeinsparung, Energieeffizienz und Umstellung auf erneuerbare Energien.
Der Gebäudedämmung kommt dabei große Bedeutung zu. Sie ermöglicht es, über 50 % Wärmeenergie einzusparen. Nun kann man Häuser auch von innen dämmen, aber das hat sich als schwierig und nicht effizient erwiesen; so bleibt die Außendämmung das Gebot der Stunde.
Das Gesetz, das jetzt vorgelegt wird, halten wir für eine pragmatische Lösung unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Wir werden ihm vorbehaltlich der Beratungen in den Ausschüssen zustimmen.
Wie gesagt, nach dem ersten kleinen Schritt wünschen und fordern wir weitere, in sich logische Schritte auf dem Weg hin zu einem AKW-freien Bayern. Leider gibt es das nicht, ganz im Gegenteil: Je nachdem, welcher Minister zu dem Thema redet, hören wir völlig unterschiedliche Signale. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Minister Söder möchte die Genehmigungsvorschriften für Windräder ändern, um den Umstieg auf erneuerbare Energien zu erleichtern. Andererseits wird im Entwurf des neuen Landesplanungsgesetzes, für welches das Wirtschaftsministerium federführend ist, das Instrument der Eignungsgebiete herausgestrichen, was aber genau das Instrument wäre, um hier bei einer vernünftigen Ansiedlungspolitik für Anlagen für erneuerbare Energien weiterzukommen.
Daher stellt sich die Frage: Wollen wir den Ausbau befördern, oder wollen wir ihn behindern? Es wäre schön, wenn sich die Staatsregierung hier irgendwann einig wäre.
Das Gleiche gilt für die Frage, wie wir die Energiewende organisieren wollen, ob nun zentral mit riesigen Anlagen, am besten in der Nordsee, mit riesigen Leitungen und riesigen Wertschöpfungen für die Großkonzerne, oder dezentral mit regionaler Wertschöpfung, damit auch den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort etwas in der Tasche bleibt.
Wir wünschen uns Antworten auf die Frage, wie wir die Energiewende sozial verträglich gestalten können. Wer soll denn die Dämmung in den Mietshäusern bezahlen, in denen die Mieter teilweise Probleme damit haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten? Wir wollen auch eine Antwort auf die Frage, was aus dem lauen bayerischen Lüftchen Elektromobilität wird, wo der einzige Konsens darin zu liegen scheint, dass der Strom aus der Steckdose kommt.
Wie gesagt, es gibt viele Fragen. Bayern wartet auf die Antworten. Ich wünsche mir von der Staatsregierung bei der Beantwortung dieser Fragen mehr Energie, mehr Tatkraft und mehr Einigkeit.