Protokoll der Sitzung vom 20.10.2011

Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Menschen fragt, stößt man auf einen weiteren Missstand, den letzten Endes niemand zufriedenstellend erklären kann. Warum, so frage ich Sie und mich, beteiligen sich gerade die Besser- und die Bestverdienenden nicht direkt am solidarischen Ausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung?

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Warum müssen die gesetzlich Versicherten die finanziell Schwächeren mitversorgen, die Besserverdienenden aber nicht, weil die sich privat versichern? Das ist den Leuten völlig unverständlich und mir auch. Das kann nicht sein. Auch hier müsste man, wenn man einmal über den Tellerrand hinausblickt, handeln.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Das duale System, also die Aufteilung in die private und die gesetzliche Krankenversicherung muss endlich abgeschafft werden. Bei einem so wichtigen Gut wie der Gesundheit darf der Geldbeutel keine entscheidende Rolle spielen, meine Damen und Herren! Im Übrigen ist Deutschland das einzige Land auf der Welt, in der es diese Dualität von gesetzlicher und privater Krankenversicherung in dieser Form gibt.

(Dr. Thomas Zimmermann (CSU): Das ist ein furchtbarer Kas, den du da redest, Charly!)

Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nur der solidarische Ausgleich, der unter dieser Dualität der Krankenversicherung leidet, sondern dadurch bekommen wir auch eine Zwei-Klassen-Medizin. Das ist leider Realität. Wir haben in Deutschland mittlerweile eine ZweiKlassen-Medizin. Gesetzlich Versicherte müssen nicht nur länger auf einen Termin beim Arzt warten; ich weiß aus meiner persönlichen Erfahrung als niedergelassener Orthopäde in Cham auch, dass es manchmal ausgesprochen schwierig war, einem gesetzlich versicherten Patienten einen zeitnahen Termin bei einem Spezialisten, beispielsweise für eine besondere Operation, zu besorgen. Herr Zimmermann, bei diesem Ösophagus-Spezialisten aus München, den ich nicht kenne, müssen Sie die gesetzlich Versicherten erst einmal unterbringen können. Wir können uns einmal darüber unterhalten, ich werde es demnächst versuchen und bin gespannt, ob das funktioniert. Wobei ich betone, dass ich den Kollegen nicht kenne.

(Dr. Thomas Zimmermann (CSU): Ruf mich an, ich mache einen Termin aus!)

Ich habe mit den Kollegen dann immer selbst telefoniert, und dann ging es irgendwie. Glauben Sie mir,

das war nicht immer einfach. Das darf auf Dauer aber nicht sein.

Kolleginnen und Kollegen, auch die Menschen in Bayern wollen eine Zukunftsperspektive. Sie wollen, dass sich etwas bewegt, dass Missstände gesehen und beseitigt werden. Dann wächst auch wieder das Vertrauen in die Politik. Was wir in Bayern wirklich bräuchten, das ist ein Konzept für die Zukunft, wie wir die Gesundheitsversorgung für alle Menschen - ich betone: für alle Menschen - gleichermaßen sicherstellen können. Ein solches existiert vonseiten der Staatsregierung aber leider nicht. Das hat auch die Beantwortung unserer Interpellation zur medizinischen Versorgung in Bayern gezeigt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Wir haben die Interpellation vor über einem Jahr eingereicht -

(Sabine Dittmar (SPD): Eineinhalb Jahre!)

- Vor eineinhalb Jahren schon. Ihre Behandlung ist jetzt um zwei bis drei Wochen verschoben worden, und zwar bis zum Dienstag kommender Woche. Was macht der Minister heute? - Er bringt genau dieses Thema in einer Regierungserklärung. Tja. Auf der anderen Seite freue ich mich, dass er mir die Gelegenheit gibt, die grundsätzlichen Positionen der FREIEN WÄHLER vorzustellen. Nächste Woche können wir dann noch weiter ins Detail gehen.

(Dr. Thomas Zimmermann (CSU): Die sind aber sehr dünn! - Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Die stimmen, die funktionieren!)

Wir haben zu dieser Interpellation einen breit angelegten Fragenkatalog angefertigt, den die Staatsregierung ausgesprochen knapp und teilweise am Thema vorbei beantwortet hat. Das werden wir nächsten Dienstag sehen. Ich freue mich schon auf die Diskussion im Plenum in der kommenden Woche. Gerade die grundsätzlichen Fragen nach den Zukunftsvorstellungen des Gesundheitskonzepts wurden umgangen und nur mit einer Darstellung der gegenwärtigen Rechtslage beantwortet. Die Staatsregierung beschränkt sich auf kleinere Änderungen, für die sie sich im Rahmen des Versorgungsgesetzes stark gemacht hat, beispielsweise bei der Bedarfsplanung. Das ist fraglos ein Schritt in die richtige Richtung. Die Staatsregierung verweist auf die Honorierung der Leistungserbringer. Auch das sind sicherlich sinnvolle Punkte. Wie Sie, Herr Staatsminister Söder, im Gesundheitsausschuss aber selbst festgestellt haben, sind es Kompromisse zwischen den Bundesländern. Meine Damen und Herren, gerade das ist die Crux. Gesundheitspolitik in Deutschland basiert auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Bundesländern.

Das kann, das darf nicht sein, das muss man immer wieder klar ansprechen!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Ein Satz zur Telemedizin: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, toll. Aber dafür brauchen Sie auch schnelle Internetleitungen, und ich kann nur hoffen, dass die in den nächsten Jahren endlich geschaffen werden.

(Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer (FREIE WÄH- LER): Genau! Das ist mit einem Bit unmöglich!)

Um eine MR-Tomographie oder ein Röntgenbild übertragen zu können, reichen ein bis zwei Megabit in der Sekunde nicht aus, liebe Staatsregierung. Da müssen Sie wesentlich mehr Kapazität haben. Auch das wäre nach meiner Auffassung eine Aufgabe der Bayerischen Staatsregierung!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Ich rede nicht alles schlecht, aber Missstände müssen angesprochen werden; dafür sind wir als Opposition da. So haben wir mittlerweile in bestimmten Bereichen nicht mehr nur eine Zwei-Klassen-Medizin, sondern eine Drei-Klassen-Medizin. Die Differenzierung erfolgt nämlich nicht mehr nur zwischen gesetzlich und privat versicherten Patienten, sondern auch zwischen in der Stadt und auf dem Land lebenden Menschen. Auch wenn die Staatsregierung und Sie, Herr Zimmermann, es beschönigt haben: Es zeichnet sich schon heute ab, dass die Wege zum Facharzt und sogar zum Hausarzt immer länger werden. Das kann insbesondere für ältere Menschen problematisch sein.

Es ist richtig: Rein statistisch lässt sich anhand der Zahlen der KVB zur Versorgungsdichte in den Planungsbereichen keine Unterversorgung feststellen. Aber das täuscht. Die irreführenden Angaben resultieren aus dem Zuschnitt der Planungsbereiche - ein Problem, das gerade im ländlichen Raum endlich angepackt werden muss. Wir fordern das seit Langem.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Das Versorgungsgesetz wird hoffentlich erste Abhilfe schaffen; es reicht jedoch nicht aus.

Meine Damen und Herren! Es muss sichergestellt werden, dass auch in Zukunft eine ausreichende Zahl an Haus- und an Fachärzten nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum Bayerns zur Verfügung steht. Dies setzt eine entsprechende Anzahl an Lehrstühlen an bayerischen Hochschulen voraus. Für Allgemeinmedizin gibt es bisher nur einen; an der Universität Erlangen-Nürnberg soll - Gott sei Dank! - ein

zweiter eingerichtet werden. Ich habe wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die Bayerische Staatsregierung so etwas plant. Dennoch stehen die Ausbildungskapazitäten noch in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Hausärzte im Gesundheitssystem. Die Hausärzte sind erste Anlaufstellen für die Patienten; das heben wir immer wieder hervor. Herr Söder, auch diesbezüglich hätten Sie schon lange mehr tun können. Ich hoffe, dass das endlich geschieht.

Kolleginnen und Kollegen, nicht nur aus der Sicht der Patienten, sondern auch aus der Sicht der anderen Beteiligten zeigen sich Missstände in unserem Gesundheitssystem. Kleine Krankenhäuser, die bisher die medizinische Versorgung im ländlichen Raum sichern, werden sukzessive, peu à peu von größeren Klinikkonzernen übernommen. Wollen wir wirklich, dass sich diese Tendenz fortsetzt? Wollen wir, dass die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in die Hände naturgemäß gewinnorientierter Klinikketten gelegt wird? Wollen wir, dass im Gesundheitssystem irgendwann Verhältnisse wie im Finanzsystem herrschen? Will die Politik auch im Gesundheitsbereich erst dann handeln, wenn es zu spät ist? Müssen wir nicht vielmehr anerkennen, dass die Gesundheit, das wichtigste Gut eines Menschen, kein normales Wirtschaftsgut ist?

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Übrigens hat die kürzlich veröffentlichte Studie zum Glücklichsein ergeben - wir alle haben davon in der Presse gelesen -, dass sehr gute Gesundheit an oberster Stelle der Werteskala steht, wenn es um das Glücksempfinden des Menschen geht.

Meine Damen und Herren! Nicht nur im Hinblick auf die Patienten und den Krankenhausbereich gibt es viel Verbesserungspotenzial im Gesundheitsbereich; auch die Ärzte, sowohl Hausärzte als auch Fachärzte, sehen sich mit Problemen konfrontiert. Das Honorierungssystem ist extrem komplex und durch verschiedene Kostendämpfungsmaßnahmen der vergangenen Jahrzehnte geprägt. Der Grundsatz "Wer viel und gut arbeitet, wird auch entsprechend bezahlt" gilt nicht mehr. Das kann nicht sein. Aufgrund von Deckelungsmaßnahmen lohnt sich die Arbeit der Ärzte manchmal nicht mehr. Hinzu kommen verschiedene Regressmöglichkeiten, gegen die sich die Ärzte zwar wehren können, was jedoch eine detaillierte Auflistung von Praxisbesonderheiten erforderlich macht. Die Zeit, die dafür aufgewendet werden muss, sollten die Ärzte eigentlich beim Patienten verbringen. An Bürokratie und Verwaltungsaufwand mangelt es in deutschen Arztpraxen fürwahr nicht. Oft wird der Regress lieber hingenommen, weil der Arzt einfach nicht die Zeit hat, sich intensiv mit dem Widerspruch zu beschäftigen.

Damit ich nicht wieder falsch interpretiert werde: Das soll nicht heißen, dass Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht erforderlich seien. In ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung kann man sie jedoch nur als bürokratischen Wahnsinn bezeichnen. Herr Söder, auch dagegen müssen Sie etwas tun.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der GRÜNEN)

Ein weiterer Aspekt: Die Ärzte wissen im Vorfeld nicht, was sie verdienen werden. Das Honorar hängt vom Punktwert ab, der jedoch erst Monate später, manchmal sogar erst ein halbes Jahr später festgelegt wird. In welcher anderen Berufsgruppe gibt es so etwas? Auch das kann nicht sein. Hier müssen Sie handeln.

Herr Staatsminister, mit diesem Tun scheinen Sie jedoch Probleme zu haben. Das beste Beispiel sind die diesjährigen Verhandlungen über die Hausarztverträge zwischen der AOK Bayern und dem Bayerischen Hausärzteverband. Im vergangenen Jahr wurde das schon thematisiert. Im Januar rief der Herr Staatsminister zu einem Hausärzte-Hearing hier im Landtag. Wie immer wurden medienwirksam große Versprechungen gemacht. Was ist danach passiert? Nichts! Die Verhandlungen stagnieren nach wie vor.

Erst nachdem wir als FREIE-WÄHLER-Fraktion am 30. Juni den Antrag gestellt hatten, dass Sie Ihrer Rolle als Moderator nachkommen sollen, riefen Sie die Parteien an einen Tisch. An dem Tag, an dem die entsprechende Sitzung des Umwelt- und Gesundheitsausschusses stattfand, kam es zum ersten Mal zu einem Gespräch unter sechs Augen zwischen Herrn Geis, Herrn Platzer und Ihnen, Herr Minister Söder. Das haben Sie mir im Gesundheitsausschuss selbst gesagt. Sie hätten über ein Jahr dazu Zeit gehabt.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Was passiert jetzt? Wieder nichts! Selbst die Einleitung des Schiedsverfahrens zögert sich hinaus. Das Ministerium hat wiederum - warum wohl? - Wochen gebraucht, um eine Schiedsperson zu bestellen. Ein Hausärztevertrag ist immer noch nicht geschlossen worden.

Herr Staatsminister, ich weiß schon, was Sie einwenden werden - das kommt von Ihnen immer -: Ich kann da nichts tun; ich darf nur Termine anregen; ich habe nur die Rechtsaufsicht. Das ist eine Aufgabe, die im Rahmen der Selbstverwaltung zwischen Kassen und Ärzten zu lösen ist.

Ich frage Sie: Wozu brauchen wir einen bayerischen Gesundheitsminister, der von sich selbst sagt, er könne nichts tun, wenn es um gesetzlich vorgeschriebene Hausarztverträge geht?

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der GRÜNEN)

Der Gesetzgeber wollte, dass die Verträge im Interesse einer besseren medizinischen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten abgeschlossen werden. Aber unseren Gesundheitsminister kümmert das Ganze nicht besonders.

Ein weiteres Beispiel ist die Anfrage unseres Kollegen Hubert Aiwanger, die letzte Woche im Plenum behandelt wurde. Das Staatsministerium sollte uns bitte sagen, welche Zahlen über Hausarztpraxen in Bayern vorliegen. Antwort: Die Staatsregierung hat keine Daten über Hausarztpraxen in Bayern. Die Daten mussten Sie sich erst von der KVB besorgen; zum Plenum lagen sie nicht rechtzeitig vor. Entscheidend ist doch, wie der Hausarzt für die Versorgung der Patienten zur Verfügung steht: Hält er von 8 Uhr morgens bis 5 Uhr abends seine Sprechstunde ab, oder arbeitet er in Teilzeit? Wir müssen wissen, wie viele Arztpraxen es gibt, die für die volle Versorgung der Patienten zur Verfügung stehen. Diese Daten hat das bayerische Gesundheitsministerium nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Stewens?

Ja.

Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Kollege Vetter, können Sie mir bitte klar und deutlich sagen, wer in Bayern den Auftrag hat, die medizinische Versorgung sicherzustellen?

Das wissen Sie genauso gut wie ich, Frau Stewens. Ich habe es Ihnen gerade gesagt. Damit sind wir wieder bei der Begründung des Herrn Minister für sein Nichthandeln: Ich bin zwar bayerischer Gesundheitsminister und als solcher zuständig für die ärztliche Versorgung der Menschen in Bayern sowie für die Rechtsaufsicht über die Krankenkassen, kann aber letztlich nichts tun. - Das ist mir zu wenig, das ist mir zu dünn, Frau Stewens.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Kollege?