Protokoll der Sitzung vom 20.10.2011

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Kollege?

Wenn wir schon dabei sind.

Sehr gut. Bitte schön.

Herr Kollege Vetter, ich stelle fest, dass Sie mir keine klare Antwort auf meine Frage gegeben haben und nicht einmal wissen, wer für die Wahrnehmung des Sicherstellungsauftrags in Bayern verantwortlich ist.

(Beifall bei der CSU)

Frau Stewens, ich habe schon im Ausschuss ein paar Mal versucht, Ihnen das zu erklären. Natürlich hat die Kassenärztliche Vereinigung, haben die Kassenärzte zusammen den Sicherstellungsauftrag. Sie müssen die Hausarztverträge aushandeln - keine Frage. Ich erwarte jedoch vom bayerischen Gesundheitsminister, dass er zumindest moderierend eingreift.

Zur Anfrage von Hubert Aiwanger nach der Prognose für die Zukunft der Hausarztpraxen in Bayern wurde lapidar geschrieben: "Eine Prognose können wir nicht abgeben." So wird in Bayern Gesundheitspolitik gemacht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

In diesem Zusammenhang darf ich noch auf § 73 b der Neufassung des SGB V hinweisen, der die Hausarztverträge mittelfristig ad absurdum führen wird. Kurz gesagt, Kolleginnen und Kollegen, müssen Hausarztverträge hiernach durch anderweitige Einsparungen, etwa bei den Arzneimitteln, finanziert werden. Also: Ich sitze hier als Arzt, mir gegenüber sitzt der Patient, dazwischen steht der Tisch. Ich habe den Patienten untersucht und bin später einmal als Arzt in der Verantwortung zu sagen, wenn ich mir die Therapie überlege: Das ist zum Beispiel ein sehr teures Medikament. Wenn ich dieses teure Medikament verschreibe, dann betrifft das mein Honorar oder umgekehrt. Das kann man unseren Ärzten nicht zumuten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Es gibt im Arzneimittelbereich aus meiner Sicht kein hinreichendes Einsparpotenzial. Aus diesem Grund werden wir von den FREIEN WÄHLERN einen Antrag

stellen, dass diese Änderung des § 73 b rückgängig gemacht werden muss.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Frau Stewens, Herr Staatsminister, Ihre Frage habe ich vorhin noch nicht ganz beantwortet. Ich nenne nur ein Beispiel. Ich möchte einen Blick auf eine ähnliche Situation wie bei der Verhandlung der Hausarztverträge in Bayern werfen - in einem ganz anderen Kontext, das gebe ich zu -, nämlich auf den Fluglotsenstreik letzte Woche. Wir haben es alle mitbekommen: Die deutschen Fluglotsen haben das letzte Kompromissangebot der Arbeitgeberseite als unzureichend zurückgewiesen. Ein Streik war für vergangenen Freitag angekündigt mit all den unschönen Folgen für Reisende und Wirtschaft. Und was ist passiert? Daraufhin hat sich der deutsche Verkehrsminister Ramsauer eingeschaltet und gehandelt - nicht nach Wochen oder Monaten, sondern er hat die Parteien an einen Tisch gebracht. Die Verhandlungen sind wieder aufgenommen worden, der Streik ist vom Tisch. So kann das aussehen, Herr Söder.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Ich fasse zusammen. Wir FREIEN WÄHLER stehen für ein Gesundheitssystem, in dem Eigenverantwortung und Solidarität gleichrangig nebeneinanderstehen; denn Eigenverantwortung ohne Solidarität funktioniert auf Dauer genauso wenig wie Solidarität ohne Eigenverantwortung - auch nicht im Gesundheitswesen. Jeder Mensch hat das gleiche Anrecht auf eine gute Gesundheit. Alte Menschen dürfen nicht anders behandelt werden als junge, privat Versicherte nicht besser als gesetzlich Versicherte, die Menschen auf dem Land nicht anders als jene in der Stadt. Die flächendeckende Versorgung mit Haus- und Fachärzten sowie mit Krankenhäusern ist entscheidend für gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern, die wir alle ständig einfordern. Dafür stehen wir FREIEN WÄHLER, meine Damen und Herren. Wir FREIEN WÄHLER wünschen uns einen Gesundheitsminister, der Zusammenhänge erkennt, der auch unabhängig vom Alltagsgeschäft zumindest kleine Visionen entwickelt und endlich handelt; denn, Herr Söder, wenn Sie sonst schon keinem Argument zugänglich sind: Das Wahljahr 2013 steht vor der Tür, und Sie wissen ja: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - oder der bayerische Wähler.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege. - Als Nächste hat Frau Kollegin Schopper das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Staatsminister, nun ist schon länger nichts mehr aus Ihrem Ministerium gekommen. Es ist etwas ruhig geworden. Der Watschenmann in Berlin ist Ihnen mit Philipp Rösler ebenfalls abhandengekommen. Dem Neuen, so habe ich das Gefühl, stehen Sie ein wenig näher. Dort existiert weniger Reibungsfläche, da er vieles auf die lange Bank schiebt. Die FDP hat die Palliativstation schon im Ministerium aufgemacht, und auch bei den Pressemitteilungen, die wir in den letzten Monaten durchgeschaut haben, gab es keine üppige Ausbeute.

Dann kam die Kampagne zur - ich hätte fast gesagt: Männerfreundschaft - Männergesundheit. Ich habe mir den Spot angeschaut und musste wirklich lachen, da ich dachte, es ist die alte "Paulaner"-Werbung, nur, dass dem Waldi Hartmann der Olli Kahn abhandengekommen ist. Ansonsten war es das Gleiche wie sonst.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Aber das Thema ist wichtig, darin gebe ich Ihnen recht. Ich habe jedoch auch ein wenig über Ihren Aplomb schmunzeln müssen: "Licht aus, Spot an - Markus Söder im Visier". Das ist die Leitlinie dessen, was wichtig ist. Karl Vetter sagte bereits, das mit Europa sei schwierig. Dies ist auch verständlich, da der Gipfel noch entsprechende Schatten voraussenden und hinterherwerfen wird, die man mit einplanen muss. Dass jedoch die Regierungserklärung gerade zum Thema Gesundheitspolitik gegeben wird und wir in der nächsten Woche das Gleiche in der Interpellation haben, scheint mir tatsächlich der Punkt zu sein - im Ältestenrat ist es angesprochen worden: Man hat versucht, möglichst geschwind einen eigenen Originalstempel auf alles aufzubringen, und will das Ganze weniger in Form einer Interpellation diskutieren.

Dennoch wurden wichtige Themen in der Regierungserklärung angesprochen, beispielsweise das Thema "Welche Rezepte haben wir für den ländlichen Raum, gerade angesichts der Entwicklung des demografischen Wandels?" Dass wir alle älter werden, wissen wir, und dass wir auf manchen Gebieten auch sehr viel weniger werden, wissen wir ebenfalls. Aber ich finde es wichtig, dass Sie heute gesagt haben: Wir haben auf vielen Gebieten und in Bayern insgesamt noch keine Unterversorgung; denn wenn man das oft in Schlagzeilen liest, hat man das Gefühl, wir hätten ganze Landstriche, in denen kein Arzt erreichbar wäre. Ich denke, das ist nicht richtig. Wir müssen dennoch heute schon vorsorgen, damit wir der Altersstruktur innerhalb der Hausärzteschaft, vor allem aber auch verzögert in der Fachärzteschaft, entsprechend vorbeugen können.

Ein Punkt ist: Der Generationswechsel bei den Hausärzten steht an. Zurzeit werden sie aber nicht ausgebildet, und wir werden dort eine Lücke vorfinden. Das ist bedauerlich, weil wir vonseiten der GRÜNEN aus das Primärarztsystem sehr befördern und es in der Ausbildung viele Studenten gibt, die nicht Hausarzt werden wollen. Zu dem Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, den im Übrigen die Ärzteschaft noch selbst finanziert hat - das geht bei Herrn Heubisch nicht aus der Kasse - bekommen wir noch einen zweiten hinzu. Aber damit sind wir schon in vielen Dingen hinten dran. Da müssen wir noch einmal richtig Gas geben.

Auf der anderen Seite muss aber auch als Teil der Wahrheit gesagt werden: Was heute bereits die Nachfolge in vielen Bereichen schwierig macht, ist der gerechnete Kauf, bei dem der Arzt abgekauft wird. Diese Geldsumme, dieses Risiko wollen viele junge Ärztinnen und Ärzte nicht mehr auf sich nehmen. Bei den Ablösesummen gibt es für die Praxen einen erheblichen Investitionsstau. Wenn sie neu starten, müssen sie dort noch einmal erheblich investieren. Viele Medizinerinnen und Mediziner sagen: Ich packe mir nicht den Rucksack voller Schulden und gehe in die Selbstständigkeit. Das scheuen viele Mediziner. Man muss fragen: Wie kann man vom Versorgungsgesetz her entsprechend gegensteuern? Ein Angestelltenverhältnis ist auch in der niedergelassenen Praxis möglich; das gibt es schon länger. Das ist ein wichtiger Punkt. Auch dass die Residenzpflicht aufgehoben worden ist, ist ein wichtiger Punkt, ebenso die Regionalisierung der Bedarfsplanung.

Sehr viel Hoffnung wird auf den Geldbeutel als Anreiz für die Medizinerinnen und Mediziner gesetzt. Er soll künftig der Aspekt sein, der in den ländlichen Raum führt. Bei allem, was man dabei an Geldern mit auf den Weg gibt, würde ich zu einer gewissen Vorsicht raten und fragen, ob das wirklich der Weg ist, der die Mediziner ins Land führt. Ein gewisser Mitnahmeeffekt ist wohl dabei, dem wir gegensteuern müssen. Schließlich stehen hierbei die Gelder der Versicherten im Feuer. Wir müssen in Bayern verantwortlich handeln, damit keine Mitnahmeeffekte generiert werden und das Geld nicht durch den Kamin geblasen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Landesärztekammer sagt selbst, auch bei den Einzelmaßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Sie erwähnt haben, dass der ärztliche Nachwuchs nur in die ländlichen Regionen geht, wenn die Infrastruktur dort stimmt. Dafür können nicht Sie allein nur etwas, Herr Staatsminister, das möchte ich Ihnen gern attestieren. Demografischer Wandel ist eine Querschnittaufgabe; aber ich denke, infolge der Infrastruktur der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

wird der Beruf weiblich; das ist immer gesagt worden. Ich finde das gut so. Es ist auch eine logische Folge dessen, dass die Mädchen besser in der Schule sind und das bessere Abitur machen. Heuer ist es mit einem Durchschnitt von 1,0 vielleicht gar nicht möglich, ein Medizinstudium aufzunehmen. Das finde ich nicht richtig. Gleichzeitig finde ich aber auch gut - Kollege Heubisch ist jetzt wieder da, deshalb kann ich ihm noch mit auf den Weg geben - und wichtig, unabhängig ob Bube oder Mädel, Frau oder Mann, dass wir die Auswahlgespräche an den Medizinischen Fakultäten in Bayern mehr etablieren. Es gibt an anderen Universitäten, besonders was die Auswahl der Medizinstudentinnen und -studenten anbelangt, eine viel größere Akzeptanz. Dort führt man diese Gespräche. Die Auswahl läuft an den medizinischen Fakultäten in Bayern fast ganz über den NC. Ich glaube, damit müssen Sie sich auch noch einmal befassen.

(Zuruf von der CSU)

Ich finde es richtig, dass nicht nur der Abiturdurchschnitt die Messlatte dafür ist, ob man heute ein solches Studium ergreifen kann oder nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CSU: Sehr richtig!)

Ich möchte zu meinen Ausführungen zurückkommen, wollte das aber sagen, weil Herr Heubisch gerade hereingekommen ist und es mir wichtig war, ihm das noch mitzugeben.

Wichtig ist mir, dass wir in der Infrastruktur im ländlichen Raum schauen müssen - jenseits der Elternzeitvertretung von sechs Monaten, die im Versorgungsstrukturgesetz geregelt wird -, was sozusagen die Aufgaben im medizinischen Bereich sind. Wir brauchen dort einfach mehr Kinderkrippen, mehr Kindergärten und mehr Schulen. Wir brauchen lebendige Dörfer und lebendige Städte, weil ansonsten der Ärztenachwuchs gar nicht dorthin geht. Bei allen Mitnahmeeffekten, die man vielleicht noch generiert, werden wir keine Wanderungsbewegung der Ärzteschaft in den ländlichen Raum finden, außer vielleicht den Arzt, der sowieso dorthin geht, weil er von dort kommt.

Eines will ich auch noch einmal deutlich sagen: Charly Vetter hat gerade wie im alten ideologischen Kreuzzug gegen die MVZs, die Medizinischen Versorgungszentren, gewettert. Ich glaube zwar nicht, dass auch im ländlichen Raum MVZs in Zukunft zur Regel werden,

(Beifall bei den GRÜNEN)

aber sie werden ein Bestandteil der medizinischen Versorgung sein. Damit, dass Sie hier im Haus - auch

zu Beginn der Koalitionsverhandlungen war es so immer so tun, als würden die Ärzte in den MVZs die ethischen und verantwortungsvollen Grundsätze an der Eingangstür abgeben und anscheinend nur noch mit dem Dollarzeichen durch die Arztpraxis wandern, tun Sie diesen Ärztinnen und Ärzten Unrecht. Ich finde, das musste hier einmal gesagt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CSU)

Sie werden ein wichtiger Pfeiler in der Versorgung sein. Die Kommunen gründen immer mehr MVZs, weil sie ansonsten die ärztliche Versorgung nicht sicherstellen können.

(Simone Tolle (GRÜNE): Genau!)

Wir brauchen die Aufhebung der Grenze zwischen ambulant und stationär. Dorthin muss der Weg gehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt in Sachen demografischer Wandel keinen Königsweg. Es sind immer kleine Bausteine, die den Grundstein für den Erfolg legen. Besonders in der Telemedizin sind wir in Bayern auf einem guten Weg, auch wenn sie in der Regelversorgung noch nicht enthalten ist. Aber man muss im Vergleich zu anderen Bundesländern sehen, dass wir diesbezüglich weit voraus sind. Das muss an dieser Stelle auch gesagt werden.

Was mir fehlt - das haben Sie, Herr Minister, in Ihrer Rede überhaupt nicht erwähnt -, ist die Aufhebung der Sektorengrenzen, aber auch das, was Kollege Zimmermann angesprochen hat, die Aufhebung der Grenzen zwischen den einzelnen Aufgaben: Was machen die Ärzte? Was machen die Pflegekräfte? Wo kann eine Entlastung stattfinden? Auch das betrifft die Zukunft des ländlichen Raums.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist wichtig, dass wir zum Beispiel bei Programmen wie AGnES oder VERAH etc. nicht nur in der Diskussion vorankommen, sondern dass wir auch mit der Ärzteschaft - früher auch vielfach gegen die Ärzteschaft - handeln. Manchmal muss man halt gegen den Willen eines anderen sprechen und sagen: Nein, das müssen wir anders machen.

Diesbezüglich fehlt mir manchmal ein wenig - so gern Sie ansonsten auf den Tisch hauen -, die geballte Faust, die in dem Bereich irgendwo abhandengekommen zu sein scheint.

Die brauchen wir auch unter einem anderen Aspekt, und zwar geht es um die Pflegekräfte, die schon

heute teilweise Mangelware sind. Heute gab es wieder eine große Schlagzeile in einer Münchner Boulevardzeitung. Allein wenn Sie sich den Sozialbericht bis zum Jahr 2020 anschauen, stellen Sie fest, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in Bayern voraussichtlich um weitere 115.000 Personen anwachsen wird. Da in Zukunft immer weniger Angehörige für die Pflege zur Verfügung stehen, wird sich die Anzahl der professionellen Pflegekräfte mehr als verdoppeln. Dazu müssen wir aber die Pflegekräfte erst einmal ausbilden. Das ist zwar kein Thema Ihres Ressorts deshalb ein kurzer Seitenhieb -, aber es muss gesagt werden, dass wir die Finanzierung der Ausbildung der Altenpfleger nach wie vor noch nicht geregelt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)