Protokoll der Sitzung vom 29.02.2012

dert. Wir sind durchaus der Meinung, dass Integration heute mehr denn je Thema ist und dass es deshalb eine große Bedeutung in Bayern haben muss. Wir haben aber Bedenken, viele Einzelregelungen, viele einzelne Themen in die Verfassung aufzunehmen. Es gibt, überspitzt ausgedrückt, fast eine kleine Inflation von Forderungen, bestimmte Themen in die Verfassung aufzunehmen: Kinderrechte, Tierschutz, Integration, Klimaschutz - ohne Wertung. Das sind alles extrem wichtige Themen, aber ich glaube, die Väter der Verfassung haben extra hohe Hürden eingebaut, damit die Verfassung nur sehr schwer, nämlich nur mit einer Zweidrittelmehrheit, geändert werden kann. Sie wollten nicht, dass die Verfassung Zeitströmungen folgend häufig geändert wird.

Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ablehnen, wenngleich wir anerkennen, dass man anhand des Integrationsthemas überlegen sollte, ob die Verfassung nicht einmal grundsätzlich überdacht werden sollte, nämlich unter Einbeziehung all der Themen, die durch den gesellschaftlichen Wandel, der sich in Bayern im Laufe der Jahrzehnte vollzogen hat, wichtig geworden sind. Da kann es zum Beispiel darum gehen, die Verfassung zu entschlacken von Dingen, die jetzt überflüssig geworden sind. Es kann aber auch darum gehen, neue Themen, neue Inhalte aufzunehmen, die bei der Erstfassung der Verfassung noch nicht so ins Auge gesprungen sind, noch nicht so wichtig waren. Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, dass man einen Verfassungskonvent einberuft unter Beteiligung von Kirchen, Gewerkschaften, Umweltverbänden und anderen Gruppen der Zivilgesellschaft, der sich Gedanken darüber macht, ob die Verfassung und gegebenenfalls wie sie neu überarbeitet werden sollte.

Nun zum Integrationsgesetz. Es wurde, wie ich eingangs schon sagte, wortreich erklärt, wie gut Bayern ist, wie weit die Integration in Bayern schon fortgeschritten ist. Ich weiß nicht, manchmal denke ich, ich lebe vielleicht nicht in der Welt, in der Sie leben. Denn ich habe andere Erfahrungen und andere Wahrnehmungen. Und nicht nur ich. Wenn Sie die Zahlen in Ihrem eigenen Sozialbericht anschauen, dann sagt dieser Bericht beredt, dass in Bayern Integration noch weit entfernt davon ist, verwirklicht zu werden und dass die Migrantinnen und Migranten, die unter uns leben, noch einen weiten Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe an unserer Gesellschaft haben: Menschen mit Migrationshintergrund sind in Bayern doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Das Einkommen von Menschen mit Migrationshintergrund ist in Bayern um 20 % niedriger als das von Menschen ohne Migrationshintergrund. Das Armutsrisiko von Menschen mit Migrationshintergrund liegt bei 23,3 %. Bei bayerischen Bürgern liegt dieses Risiko bei

11,2 %. 12,2 % der Migrantinnen und Migranten leben in Armut gegenüber 3,9 % der bayerischen "Ureinwohner". Die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren mit Migrationshintergrund liegt bei 12 %, nur halb so viel wie bei anderen bayerischen Kindern. Ich hätte noch viel mehr Zahlen. Mit Blick auf die Uhr kann ich Ihnen die restlichen Zahlen, wenn es Sie interessiert, unter vier Augen nennen. Es ist jedenfalls verheerend, wenn man sieht, wie benachteiligt Migrantinnen und Migranten in Bayern derzeit noch sind.

(Alexander König (CSU): Sie haben noch über drei Minuten, Frau Kollegin! - Weitere Zurufe Glocke der Präsidentin)

Umso absurder mutet es an, wenn Sie, Frau Guttenberger, sagen, wir sind ein weltoffenes Land, es ist alles schon verwirklicht.

Wir haben Defizite aufzuholen. Wir befinden uns auf einem Weg, der noch lange nicht zu Ende ist. Zu diesem Weg würde ein Integrationsgesetz sehr gut passen. Ministerpräsident Seehofer verspricht, die Integration in die Verfassung aufnehmen zu wollen. Ich vermute, er hat dabei den Hintergedanken, die Migranten zu zwingen, bestimmte Integrationsleistungen, die Sie noch vermissen, zu vollbringen, weniger, um ihnen die gleichberechtigte Teilhabe zu gewähren. Aber Sie können uns ja eines Besseren belehren. Wenn der Ministerpräsident das verspricht, zeigt er damit, wie wichtig er es nimmt. Damit ist es die logische Folge, ein Integrationsgesetz auf den Weg zu bringen.

Frau Kollegin, der Kollege Steiner möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?

Nein, ich habe nur noch zwei Minuten Redezeit. Hinterher gern.

In diesem von der SPD eingebrachten Gesetzentwurf gibt es einige Dinge, die wir etwas anders sehen, etwa bei den Artikeln über die Bildung. Wir sind, wie Sie sicherlich alle wissen, gegen das letzte kostenfreie Kindergartenjahr. Außerdem möchten wir nicht, dass Migrantenkinder, die die deutsche Sprache noch nicht beherrschen, außerhalb der Klasse unterrichtet werden. Das läuft aus unserer Sicht der Integration zuwider, und deshalb haben wir auch hier eine andere Auffassung.

Wir möchten auch den Integrationsbeauftragten, dessen Stellung wir genauso wie Sie stärken wollen, nicht beim Landtag angesiedelt sehen, sondern hauptamtlich mit Budget und entsprechenden Befugnissen ausgestattet bei der Staatskanzlei. Immerhin hat er eine

Querschnittsaufgabe, wozu er ein eigenes Budget braucht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich glaube, all das sind Dinge, über die man reden kann und bei denen wir nicht allzu weit auseinander liegen. Weit auseinander liegen wir leider mit den Parteien und Gruppierungen des Hohen Hauses, die uns heute wortreich erklärt haben, weshalb Bayern offensichtlich kein Integrationsgesetz braucht. Wir begrüßen bei allen Meinungsunterschieden diesen Gesetzentwurf und werden deshalb zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Ackermann. Bitte bleiben Sie gleich am Pult. Herr Kollege Steiner hat das Wort zu seiner Zwischenfrage. Bitte sehr.

Frau Kollegin, Sie stimmen mir sicher zu, dass das Erlernen der deutschen Sprache der Schlüssel für die Integration schlechthin ist. Können Sie mir erklären, warum Ihre Partei noch vor wenigen Jahren hier im Bayerischen Landtag Forderungen des damaligen Innenministers Günther Beckstein nach dem Erlernen der deutschen Sprache als dumpfe Deutschtümelei abgetan hat?

(Beifall des Abgeordneten Alexander König (CSU))

Sie haben dadurch eine wesentliche Zeitspanne zugunsten der Integration der Zuwanderer versäumt und im Gegenteil sogar Hindernisse aufgebaut.

(Beifall bei der CSU)

Frau Kollegin Ackermann.

Unsere Partei hat nicht verkannt, dass das Erlernen der deutschen Sprache wichtig ist. Wir haben aber gleichzeitig betont, dass der muttersprachliche Unterricht gleichermaßen wichtig ist. Es ist wichtig für diese Kinder, zunächst ihre eigene Sprache gut zu kennen, um dann Deutsch gut lernen zu können.

Sie waren dagegen. Ich meine, diesen Zusammenhang muss man sehen. Sie haben sich geweigert, das im Zusammenhang zu sehen. Deshalb kamen die Differenzen. Gegen das Erlernen der deutschen Sprache waren die GRÜNEN nie.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. Nächste Wortmeldung für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Fischer. Bitte sehr.

Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bayern ist nicht nur weltoffen, vielfältig und bunt, Bayern ist auch attraktiv für Neubürger, und zwar nicht nur für Neubürgerinnen und Neubürger aus anderen Teilen Deutschlands, sondern auch für Neubürgerinnen und Neubürger aus der ganzen Welt. Fazit: Bayern ist ein Einwanderungsland.

Deswegen ist Integration eine zentrale Herausforderung für unsere Gesellschaft. Es gilt, die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen und dafür zu sorgen, dass sich die Menschen in unsere Gesellschaft mit allen unterschiedlichen Hintergründen im Rahmen unserer gemeinsamen Werte einbringen können.

Die Integrationspolitik steht für uns Liberale unter dem Leitsatz: Fördern und fordern. Eine pluralistische Gesellschaft braucht gemeinsame Regeln und Werte, ohne die ein friedliches und kooperatives Zusammenleben nicht möglich ist. Realität ist, dass Bayern wirtschaftlich und sozial erfolgreich ist. Realität ist auch, dass die Menschen in Bayern besser leben als überall sonst in dieser Republik. Das gilt genauso für die Migrantinnen und Migranten.

Kollegin Ackermann, Sie haben die Situation von Migrantinnen und Migranten mit der anderer Menschen in Bayern verglichen. Das ist durchaus berechtigt. Es ist aber auch berechtigt, die Situation von Migrantinnen und Migranten in Bayern mit der in anderen Bundesländern zu vergleichen. Und da braucht sich Bayern nicht zu verstecken.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Ale- xander König (CSU))

Eine gelungene Integration ist der Gleichklang von Anerkennen, Fördern und Fordern. Das gilt insbesondere auch für die Sprachkenntnisse; denn die Sprachkenntnisse sind die Voraussetzung für die Teilhabe am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Ohne Sprache kann es keine Integration geben.

Ebenso gibt es klare rechtstaatliche Prinzipien, die für alle gleich gelten müssen. Jeder, der hier leben will, muss Meinungs- und Religionsfreiheit achten. Toleranz endet dort, wo Grundrechte verletzt werden.

(Beifall bei der FDP)

Ohne Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Werteordnung kann es ebenfalls keine Integration geben. Deswegen stehen wir jetzt vor der Frage: Was tragen die uns heute vorliegenden Gesetzentwürfe dazu bei?

Das eine ist die Frage, ob man Integration isoliert in der Verfassung verankern sollte. Ich habe es in anderem Zusammenhang häufig gesagt. Die Verfassungsänderung ist ein aufwendiges und teures Verfahren. Der Volksentscheid allein zum Rauchverbot kostete 13 Millionen Euro. So viel war im Haushalt veranschlagt. Und es gibt eine ganze Reihe von Themen, die man isoliert durchaus in die Verfassung schreiben kann, aber nicht muss, weil das rechtlich keine Änderung bewirkte. Wir meinen, dass ein solcher Diskussionsprozess nicht isoliert geführt werden sollte; eine solche Diskussion muss alle Themen umfassen. Deshalb werden wir einer isolierten Aufnahme des Themas Integration in die Verfassung nicht zustimmen.

Das andere ist das Thema Integrationsgesetz. Hier möchte ich eines betonen: Es geht hier beileibe nicht um die Frage, ob wir ein Integrationsgesetz wollen oder nicht. Es geht vielmehr um die Frage, ob wir dieses Integrationsgesetz wollen oder nicht. Bei diesem Integrationsgesetz sage ich: So, wie Sie es vorgelegt haben, wollen wir es nicht.

(Beifall bei der FDP)

Der Hintergrund, warum wir diese Fassung nicht wollen, besteht darin, dass es in vielen Bereichen Bürokratie aufbaut, dass es zwar den Grundsatz des Förderns einschließt, dem Grundsatz des Forderns aber nicht genügt.

Auch lehnen wir einzelne, detaillierte Regelungen dieses Gesetzentwurfes ab, wie beispielsweise den zwingenden Besuch einer Kindertagesstätte vor Beginn der Schulpflicht. Das ist wenig hilfreich. Denn zunächst müssen die Möglichkeiten des Besuchs einer Kindertagesstätte überhaupt erst geschaffen werden. Hier ist der Zwang also fraglich.

Für noch problematischer halte ich die Überlegung, Kommunen ab einer bestimmten Größe zur Einrichtung von Integrationsbeiräten zu verpflichten. Einen solchen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung halte ich nicht für notwendig. Eine Gemeinde sollte selbst vor Ort entscheiden können, ob dieser Bedarf besteht. Eine solche Frage kann man am besten vor Ort beantworten.

Es gibt noch eine weitere Reihe von Detailpunkten, die wir nicht mittragen können. Trotzdem möchte ich betonen, dass sich die FDP-Fraktion dem Dialog um ein Integrationsgesetz nicht verschließt. Wir halten ein

Integrationsgesetz im Hinblick auf die gesellschaftliche Realität in unserem Land mittelfristig für sinnvoll und hoffen, gemeinsam ein Integrationsgesetz erarbeiten zu können, das diesen Ansprüchen gerecht wird. Dann werden wir einem solchen Integrationsgesetz auch zustimmen. Ihre heutigen Entwürfe lehnen wir ab.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. Nächste Wortmeldung für die Fraktion der FREIEN WÄHLER Kollege Streibl. Bitte sehr.

(Tobias Thalhammer (FDP): Die Messlatte ist nun sehr hoch, Kollege!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 2. August 1976 hat das Magazin "Der Spiegel" auf Seite 64 getitelt: Mist vom Limes Sind bayrische Politiker die Nachfahren syrischer Haarauszupfer und irakischer Bauchtänzerinnen?

(Heiterkeit - Markus Rinderspacher (SPD): Sehr gut recherchiert!)

In dem Artikel wird dann darauf eingegangen, dass gerade im bayerischen Kabinett eine gelungene Integration stattgefunden habe.

Meine Damen und Herren, Bayern bzw. Altbayern war über 500 Jahre römische Provinz. Bayern im Herzen Europas war schon immer das Land der Integration. Alle, die wir hier sitzen, sind das Ergebnis einer großen geschichtlichen und historischen Integration. Das macht uns aus. Wir können auf die Vielfalt stolz sein, die wir hier haben.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der SPD)

Wir meinen, dass Integration als gesellschaftliche Aufgabe in Bayern sehr wichtig ist. Bayern hat sozusagen von sich aus die Kraft zur Integration. Wir sind das Land der Integration, weil wir unsere Mitmenschen respektieren und achten. Gerade diese Achtung und Achtsamkeit, mit der man aufeinander zugeht, sind Voraussetzungen für Integration.