Protokoll der Sitzung vom 15.03.2012

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Danke schön, Kollege Eisenreich. Nächster Redner ist Kollege Felbinger. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Herr Eisenreich, für diese Ausführungen, denen ich eines entnommen habe: Sie haben die Erkenntnis gewonnen: Fördern und Fordern statt Überfordern. Damit sind wir an einem ganz wesentlichen Punkt des G 8 angekommen.

Warum kommt denn das G 8 seit seiner Einführung vor neun Jahren nicht mehr aus den Schlagzeilen heraus? Zunächst ist über viele Jahre alle Kritik an Ihnen abgeprallt, jegliche Vorschläge sind unter den Teppich gekehrt worden. Es vergeht keine Woche, in der nicht in den Medien darüber diskutiert wird. Es geht um Lehrermangel an den Gymnasien, um Stundenausfall, um gewachsenen Leistungsdruck. Zu Recht, muss ich leider sagen; denn wenn diese Diskussion immer wieder aufflammt, dann ist da etwas dran.

Nachdem der erste G-8-Jahrgang mit den Spaenleschen Zaubertricks quasi mit dem Abitur belohnt wurde und damit zwar die Akutsymptome behandelt,

aber die Ursachen des enormen Leistungsdrucks nach wie vor nicht behoben wurden, ist es gut, dass diese Situation jetzt wieder aufgeflammt ist. Denn nach wie vor ist der Lehrplan übervoll, den man einst mit einer Rasenmähermethode um ein Neuntel vom G-9-Lehrplan auf den G-8-Lehrplan gestutzt hat, um sein Gewissen zu beruhigen. Andererseits hat man unter dem Stichwort Kompetenzorientierung den Lehrplan in verpflichtende und fakultative Inhalte aufgesplittet, was durchaus richtig ist, setzt aber diese fakultativen Inhalte weiter als Abiturstoff voraus, sattelt also drauf. Dies hat zu einer zusätzlichen Belastung Kollege Güll hat es vorhin bereits ausgeführt - in der Mittelstufe geführt mit dem bekannten Ergebnis, dass wir sehr viele Rückläufer in den 8. und 9. Jahrgangsstufen verzeichnen.

Somit wurde der G-8-Lehrplan letztendlich aufgesattelt, verstärkt und ist für die Schülerinnen und Schüler zu einem sehr großen Risiko geworden.

(Zuruf von der CSU: Wo waren Sie denn da?)

Wenn man einer Umfrage von Verwaltungsangestellten Glauben schenken darf, sind noch nie so viele Abiturientinnen und Abiturienten nach dem G-8-Jahrgang in eine Warteschleife gegangen und haben ein Jahr Auszeit genommen, wie nach dem G 8. Da muss man fragen: Warum? Weil diese Stofffülle und der damit verbundene Leistungsdruck die Schülerinnen und Schüler einfach ausgebrannt hat.

Ein anderes Stichwort ist ebenfalls bereits gefallen: die freie Zeit. Ich möchte daran erinnern: Es gibt eine ganz klare Statistik, dass auch das ehrenamtliche Wirken der Schüler im G 8 deutlich nachgelassen hat.

Woran müssen wir bei alledem denken, und woran wurde bei der G-8-Reform nicht gedacht? - An die Ressource Kind. Ein Jahr jünger beim Abitur heißt auch: ein Jahr weniger Reife. Meine Damen und Herren, vor allem auf dieser Seite: Wir brauchen dringend Verbesserungen am G 8, um den Leistungsdruck zu minimieren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Dabei dürfen Gedanken an andere verträgliche Konzepte erlaubt sein, wenngleich wir - das betone ich ausdrücklich - keine strukturellen Veränderungen wollen. Wir brauchen eine inhaltliche Korrektur.

(Beifall bei Abgeordneten der FREIEN WÄHLER)

Dazu muss vor allem und zuallererst am Lehrplan der Mittelstufe angesetzt und dieser "mit der Mistgabel durchforstet" werden, sodass den Schülerinnen und Schülern endlich auch Zeit zum Atmen bleibt.

Nun haben Sie, Herr Spaenle, Einsicht gezeigt und das Intensivierungsjahr geschaffen, nachdem wir FREIEN WÄHLER bereits vor zwei Jahren ein Brückenjahr gefordert haben, um den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler besser gerecht zu werden. Sie haben es jedoch damals abgelehnt. Aber kein Mensch weiß, was Sie damit verbinden bzw. darunter verstehen, und ich sage ganz bewusst: was Sie darunter verstehen; denn wir haben schon oft genug erlebt, dass Ihre großen Ankündigungen letztendlich wie Seifenblasen zerplatzt sind. Als Beispiel nenne ich nur die zusätzlichen Maßnahmen für individuelle Förderungen.

Wir brauchen endlich ein klares Bekenntnis zum Gymnasium und zur Ganztagsschule. Wir brauchen eine Initiative des Kultusministeriums für neue Unterrichtsformen und pädagogischen Freiraum. Senden Sie, Herr Dr. Spaenle, endlich einen Impuls nach draußen, dass Sie ein verändertes Gymnasium wollen!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Danke schön, Kollege Felbinger. Die nächste Wortmeldung kommt vom Kollegen Gehring. Bitte sehr.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das G 8 ist als Großversuch, in dem die Schülerinnen und Schüler Versuchskaninchen sind, noch nicht abgeschlossen. Erstens ist die nächste Schülergeneration bereits in diesem Großversuch, und zweitens sind wir gerade dabei, Bilanz zu ziehen. Wir führen eine Anhörung im Ausschuss durch, die gesamten Lehrpläne werden ausgewertet, die Ergebnisse liegen noch nicht vor. "Abgeschlossen" kann man also noch nicht sagen. Aber unser Kultusminister Spaenle weiß schon alles. Kaum ist der Bericht des Staatsministeriums im fernen Oettingen verlesen worden, kam fast zeitgleich die Pressemitteilung aus dem Kultusministerium, in der es hieß, dass G 8 die individuelle Förderung verbessere und die Studierfähigkeit sichere.

Nachdem die ersten Absolventen jetzt gerade ein Semester studiert haben, schon vom "Erfolg der Studierfähigkeit" zu sprechen, halte ich für sehr verwegen. Die ersten Meldungen über die Abbrecher- und Durchfallerquoten dieser Klausuren sind erschreckend, also keine Erfolgsmeldungen. Das Staatsministerium hat selbst eingestanden, dass es Probleme gibt. Das wird dann im Bericht als "Handlungsfelder" bezeichnet, aber es sind einige dieser Problemfelder, die das G 8 hat: Es sind die unzureichenden Ganztagsangebote, die Probleme in der Mittelstufe, die Zer

splitterung der Fächer, die Ungereimtheiten im Lehrplan, die Lehrerversorgung und der Unterrichtsausfall, der doppelt so hoch wie an allen anderen Schularten ist.

In dieser Situation halte ich es für durchaus legitim und nachvollziehbar, wenn über die Rückkehr zum G 9 nachgedacht wird. Man hört diese Stimmen auch an den Schulen, auch von Lehrerinnen und Lehrern, die am Anfang für G 8 waren. Aber unser Kultusminister kanzelt alle diese Überlegungen als "Rolle rückwärts" ab, insbesondere, wenn sie vom Münchner OB und künftigen Ministerpräsidenten kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich muss sagen, Ludwig Spaenle und Georg Eisenreich sind bei diesem Thema eher als Münchener Straßenwahlkämpfer und weniger als Bildungspolitiker unterwegs.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

In der letzten Woche haben die Kolleginnen und Kollegen der CSU im Ausschuss noch hochfahrend alle Überlegungen zur Flexibilisierung des G 8 als Rolle rückwärts abgelehnt. Aber einen Tag später macht dann der Staatsminister selbst eine Rolle rückwärts. Es war eine umgekippte Rolle, und herausgekommen ist: achteinhalb. Die Welt sieht diese Rolle und fragt sich: Wohin rollt sie? Was gibt es jetzt? Sitzen bleiben, sozusagen eine Ehrenrunde gratis? Intensivierungsjahr? Es ist doch nichts anderes als ein Eingeständnis, dass es Probleme mit dem G 8 gibt und viele Schülerinnen und Schüler mit diesem Tempo, vor allem in der Mittelstufe, nicht mitkommen. Aber was tun Sie? Sie fügen den anderen Baustellen beim G 8 eine weitere ungeklärte Baustelle hinzu. Nichts anderes ist es.

Der Reformbedarf ist offenkundig. Wir halten eine generelle Rückkehr zum G 9 für nicht machbar, für einen Schulentwicklungsprozess, der alle überfordern würde. Wir haben den Vorschlag gemacht, eine Oberstufe in zwei Geschwindigkeiten zu schaffen. Dies muss sorgfältig überlegt und entwickelt werden; aber diese Diskussionen über das G 9 und vor allem die Rolle des Staatsministers dürfen nicht von den Problemen ablenken, die wir im G 8 haben, und dem Reformbedarf, den wir danach haben werden: der Zersplitterung der Fächer, dem hohen Unterrichtsausfall, dem Leistungsdruck sowie der Tatsache, dass viele Schülerinnen und Schüler nicht mitkommen.

Deswegen schlagen wir den Ausbau der Ganztagsangebote vor. Wir haben bei der Einführung des G 8 gesagt, dass G 8 nur als Ganztagsschule funktioniert. Die Ankündigungen des Staatsministers kommen

reichlich spät. Außerdem müssen wir an die Lehrpläne heran, den Stoff reduzieren und der Fächervielfalt fächerübergreifendes Lernen entgegensetzen. Dazu muss man den Schulen die Freiheit geben, dies zu organisieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen nachhaltiges Lernen statt Lernen in Häppchen und Lernen auf Druck mit anschließendem Vergessen - so ist es oft in dieser Situation. Wir müssen dann auch die Prüfungen und die Leistungsrückmeldungen ändern. Schaffen Sie doch endlich diese Extemporalien ab und ersetzen Sie sie durch individuelle Leistungsrückmeldungen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen nachhaltiges Lernen. Sie müssen das Können der Schülerinnen und Schüler belohnen und nicht Angst vor dem Nichtkönnen machen. Das A und O ist: Wir brauchen eine bessere Lehrerversorgung. Wir brauchen eine integrierte Lehrerreserve, die den hohen Unterrichtsausfall reduziert.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Das Gymnasium ist noch nicht in ruhigen Gewässern, weil der Kurs nicht stimmt. Dieser Kurs muss in Richtung individuelle Förderung und nachhaltiges Lernen korrigiert werden. Wir haben die Vorschläge dazu. Das Gymnasium muss einen anderen, einen besseren Kurs aufnehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Will. Bitte sehr.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Güll, auch ich, wie Kollege Eisenreich vorhin bereits betont hat, schätze Sie und Ihre kompetente Art, den Ausschuss zu führen, sehr. Aber ich bin trotzdem sehr überrascht, dass Sie die Blase, die Herr Ude losgetreten hat - zurück zum G 9 -, sofort aufgefangen haben, obwohl wir alle wussten, dass eine Anhörung bevorsteht.

Wir alle sind uns einig, dass das G 8 nicht optimal eingeführt wurde. Auch der Herr Minister ist sich darüber im Klaren. Darüber brauchen wir nicht mehr zu diskutieren. Wir brauchen auch nicht darüber zu diskutieren, dass sich seitdem etwas verändert hat und das Monitoring eingeführt wurde.

Wir stehen nicht schlecht da. Bevor die SPD nach neuen Konzepten für das Gymnasium ruft, sollte sie lieber genau hinschauen, wie es um das derzeitige Konzept bestellt ist. Die SPD meint, man könne das Ross austauschen, ohne den Reiter zu fragen. Dabei wird übersehen, dass das bayerische Pferd bereits ganz vorn mittrabt. Der in dieser Woche veröffentlichte "Chancenspiegel" hat noch einmal klargemacht, dass wir ganz vorn mitspielen.

Dass wir gegebenenfalls noch Veränderungen herbeiführen müssen, ist doch offensichtlich. Aber warum sollen wir nicht die Anhörung abwarten und danach versuchen, das bestehende Konzept nachzujustieren, statt ein völlig neues Konzept zu entwickeln?

Vertreter aller Fraktionen waren in Oettingen mit dabei. Dort haben wir gesehen, dass schon vieles möglich ist. Wir konnten uns vor Ort überzeugen, wie die Inhalte des bayerischen Gymnasiums auch in verkürzter Form schülergerecht vermittelt werden können, zum Beispiel durch Lernwelten statt Sitzreihen und Teamwork statt Lehrermonolog.

Wir Liberalen sagen immer: Auch wenn etwas gut ist, kann es immer noch besser gemacht werden. Wir wollen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern das bayerische Gymnasium und das bayerische Schulsystem insgesamt konsequent weiterentwickeln.

Dazu gehören selbstverständlich Ganztagsschulen; das haben wir von Anfang an gesagt. Erste Ganztagsangebote gibt es. Ganztagsschulen ermöglichen rhythmisierten Unterricht, die Vernetzung von Fächern, die Einführung neuer Lernformen und Lehrmethoden und damit nachhaltiges Lernen. Oettingen zeigt uns das. Dazu brauchen wir eigenverantwortliche Schulen, die die Freiheit haben, Zielvereinbarungen mit der Schulfamilie zu treffen und auch individuell umzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben nachjustiert, um dem Lehrermangel zu begegnen. Wir wissen, dass wir zusätzliche Lehrerstellen brauchen, und haben entsprechend reagiert. Die mobile Lehrerreserve wird aufgestockt; ich verweise auf den Nachtragshaushalt. Zudem prüfen wir, inwieweit eine integrierte Lehrerreserve an Schulen funktioniert. Wir beobachten und begleiten den gesellschaftlichen Wandlungsprozess. Dort, wo es noch Schwächen gibt, justieren wir nach.

Wir brauchen an den Schulen mehr Medienkompetenz und bessere Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung, damit am Ende der Schulzeit die Studierfähigkeit tatsächlich gegeben und die Fähigkeit zum Lernen in Eigenverantwortlichkeit entwickelt ist.

Wir befragen regelmäßig Vertreter von Schulen, Eltern und Verbänden und passen dementsprechend die Lehrpläne an. Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen unter seinem Direktor Professor Dr. Köller unterstützt seit 2008 alle 16 Bundesländer bei der Weiterentwicklung des Schulsystems. Da alle Bundesländer beteiligt sind, ist einerseits eine gewisse Vergleichbarkeit gegeben, andererseits werden die Unterschiede deutlich.

Wir sind dabei, gemeinsame Standards zu entwickeln, um die Vergleichbarkeit des Abiturs zu verbessern. Das halte ich für eine Notwendigkeit, es darf nicht länger aufgeschoben werden. Soviel ich weiß, ist der Minister vorne dabei, wenn es um die Umsetzung dieses Vorhabens geht.

Ich fasse zusammen: Wir brauchen mehr Ganztagsklassen, damit rhythmisierter Unterricht abgehalten werden kann. Wir brauchen noch mehr Qualität an den Schulen, damit die Schülerinnen und Schüler die Unterrichtsinhalte auch vertiefen können. Intensivierungsstunden sind auch in den Kernfächern zu nutzen, damit Doppelstunden verstärkt möglich sind. Das freiwillige zusätzliche Jahr gibt den Schülerinnen und Schülern, die es brauchen, die notwendige Zeit. Wir vollziehen nicht eine Rolle rückwärts und denken nicht darüber nach, irgendwann zum G 9 zurückzukehren. Das würde Chaos verursachen. Das wollen wir nicht.