Protokoll der Sitzung vom 29.03.2017

Kolleginnen und Kollegen, die Zeit ist um. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte, die Stimmkarten draußen auszuzählen. Wir geben dann das Ergebnis bekannt.

Wir fahren fort mit einer weiteren namentlichen Abstimmung. Jetzt geht es um den Antrag der SPDFraktion, Drucksache 17/16153. Die Urnen stehen wieder bereit. Ich eröffne die Abstimmung. Drei Minuten, bitte.

(Namentliche Abstimmung von 15.32 bis 15.35 Uhr)

Drei Minuten sind vorüber. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Stimmkarten draußen auszuzählen. Das Ergebnis geben wir dann bekannt.

Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, die Plätze wieder einzunehmen, damit wir in der Sitzung fortfahren können.

(Unruhe)

Ich bitte, die Plätze einzunehmen.

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verfolgten (Drs. 17/16137)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Josef Zellmeier, Petra Guttenberger u. a. und Fraktion (CSU) Rehabilitierung Homosexueller Gesetzentwurf der Bundesregierung konstruktiv begleiten (Drs. 17/16154)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und darf als Erstem für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Kollegen Hartmann das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

"Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft." – Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, das ist der Wortlaut des § 175 Absatz 1 des Strafgesetzbuches, wie er bis in das Jahr 1969 und in abgeschwächter Form bis 1994 in Deutschland gültig war. Im Jahr 2004 wurde der letzte Häftling, der nach § 175 verurteilt worden war, aus der Haft entlassen – nach 10 Jahren Knast für eine Handlung, die zwischen Mann und Frau straffrei war. Er hatte als 30Jähriger einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit einem 17-Jährigen.

Während die einen oder anderen, auch aus der CSUFraktion, bereits auf dem CSD tanzten und Ihr Parteifreund "Seppi" Schmid sich gern für seine Weltoffenheit feiern ließ, saßen andere noch im Knast.

(Josef Zellmeier (CSU): Das ist die Vielfalt unserer Partei!)

Wir sprechen heute also wieder einmal über die jüngste deutsche Vergangenheit. Diese ist eigentlich unbegreiflich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte mit einem Zitat fortfahren:

Ausgeprägter als in anderen Bereichen hat die Rechtsordnung gegenüber der männlichen Homosexualität die Aufgabe, durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde.

Das klingt nach Nationalsozialismus. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, aufgepasst! Das ist ein Auszug aus dem Regierungsentwurf des Kabinetts Adenauer von1962.

Es geht noch weiter – Zitat –:

Wo die gleichgeschlechtliche Unzucht um sich gegriffen und großen Umfang angenommen hat, war die Entartung des Volkes und der Verfall seiner sittlichen Kräfte die Folge.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist doch himmelschreiend, wie sich konservative Kreise in Deutschland über Jahrzehnte an der Diskriminierung und strafrechtlichen Verfolgung von schwulen Männern festgehalten haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Verachtung der gleichen Liebe ging weit über den schwulenfeindlichen Kern der CSU und der CDU hinaus.

(Josef Zellmeier (CSU): Böse Unterstellung!)

Blicken wir kurz zurück in das Wendejahr 1989: Die GRÜNEN-Bundestagsfraktion hatte einen Gesetzentwurf zur ersatzlosen Streichung des § 175 eingebracht. Die damalige Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP, leider auch die SPD, lehnte dies damals ab. Das gehört zur Wahrheit, die heute hier gesagt werden muss. Das ist ein zutiefst trauriger Teil unserer Geschichte im Nachkriegsdeutschland.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Übrigens: In der DDR war Homosexualität zu jenem Zeitpunkt bereits straffrei. Die Straffreiheit in ganz Deutschland wurde erst im Zuge der Angleichung der Rechtssysteme im Jahr 1994 vollzogen. Verdammt spät, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Wochen – deshalb unser Dringlichkeitsantrag – haben wir endlich die große Chance, diesen Schandfleck unseres Rechtsstaates endgültig zu beseitigen; denn die Abschaffung des § 175 allein, die 1994 vollzogen worden ist, hat den Betroffenen nicht wirklich geholfen. Wir hatten 50.000 Urteile seit Kriegsende. Das heißt, dass wir jetzt eine Rehabilitierung dieser Menschen brauchen. Bereits vor 17 Jahren hat der Deutsche Bundestag einstimmig eine Resolution angenommen, in der ganz klar gesagt worden ist, dass der § 175 homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt hat. Das war das Mindeste, was man damals tun konnte. Im Jahr 2002 wurden die unter der Nazi-Diktatur nach § 175 Verurteilten rehabilitiert. Die Aufhebung der strafrechtlichen Urteile nach 1945 für alle 50.000 Verurteilten, von denen ich vorher gesprochen habe, steht bis heute aus, erst recht deren Entschädigung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt gibt es endlich einen Gesetzentwurf der Bundesregierung. Sie gehören der Bundesregierung an. Das möchte ich einmal ganz deutlich sagen.

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): Ach ja?)

Das ist ein Gesetzentwurf, der diese Schandurteile pauschal aufheben soll. Den Opfern, soweit sie noch leben, steht eine Entschädigung für das erlittene Unrecht zu. Dieser Gesetzentwurf bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Die Zeit drängt, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen; denn die Mehrzahl der Betroffenen dürfte schon heute posthum rehabilitiert und damit nicht mehr entschädigt werden. Das bedauern wir sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie erinnern sich sicherlich noch an den Sommer 2016. Es war im Juli hier in diesem Hohen Haus. Wir haben fraktionsübergreifend – da danke ich wirklich den Kollegen der CSU, die sich damals dafür entschieden haben – die Staatsregierung aufgefordert, die Rehabilitierung Homosexueller verfassungsrechtlich sorgfältig zu prüfen. Genau das hat die Bundesregierung getan. Die Bundesregierung hat einen Weg aufgezeigt, wie wir das machen können, inklusive einer Wiedergutmachung. Deshalb bin ich über Ihren nachgezogenen Dringlichkeitsantrag erstaunt, in dem Sie von "konstruktiv begleiten" sprechen. Was heißt das eigentlich? Bei dieser Sache gibt es eigentlich nur ganz klare Zustimmung, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der CSU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der § 175 in unserem Strafgesetzbuch war ein Schandfleck und hat einen dunklen Schatten auf unseren Rechtsstaat geworfen. Die Folgen der teils existenzvernichtenden Urteile müssen wiedergutgemacht werden. Das ist unsere Verantwortung,

(Beifall bei den GRÜNEN)

und nicht nur das, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen. Unsere Verfassung hat ein ganz klares Menschenbild mit gleichen Rechten für alle, egal, wen und wie sie lieben. Deshalb muss nach der Wiedergutmachung des Unrechts, soweit dies überhaupt möglich ist, der nächste Schritt folgen. Das ist die Öffnung der Ehe für alle.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, ich fordere Sie auf, bei der Linie zu bleiben, die Sie vor einem halben Jahr beschritten haben, und davon nicht abzuweichen. Stimmen Sie heute unserem Antrag zu, damit es im Bundesrat zügig vorangeht. Lassen Sie uns dann gemeinsam den nächsten Schritt machen, nämlich die Öffnung der Ehe für alle. Dann können wir beim nächsten CSD gemeinsam tanzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die CSU-Fraktion: Herr Kollege Heike. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen, liebe Kollegen von den GRÜNEN! Ich muss schon fragen, wie weit Sie eigentlich gesunken sind, Kollege Hartmann, dass Sie hier in der Diskussion, in der wir im Jahr 2017 sind, Zitate aus dem Jahr 1962 heranziehen müssen, um überhaupt irgendwo etwas zu finden,

(Zuruf von den GRÜNEN)

damit Sie diesen Dringlichkeitsantrag noch als dringlich bezeichnen können.

(Beifall bei der CSU – Ludwig Hartmann (GRÜNE): Weil es der richtige Zeitpunkt ist!)

Wir sind heute im Jahr 2017. Wen wollen Sie mit diesem Antrag heute eigentlich zur Diskussion bringen? Es gibt niemanden – jedenfalls weiß ich aus unserer Fraktion niemanden, und wohl auch keinen aus den anderen Fraktionen –, der sich gegen das Ziel der Rehabilitierung ausgesprochen hat. Sie haben aus gutem Grund auch niemanden angesprochen. Wichtig ist: Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung, der

übrigens von CDU, CSU und SPD einvernehmlich beschlossen worden ist, ist auf dem Weg. Er ist zügig auf dem Weg.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Warum stimmen Sie denn dann nicht zu?)