Protokoll der Sitzung vom 25.04.2017

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 102. Vollsit zung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmege nehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben und eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 10. April verstarb im Alter von 84 Jahren Herr Willi Kaiser. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1974 bis 1990 an und vertrat für die SPD über drei Legislaturperioden hinweg den Wahlkreis Oberfran ken und eine Legislaturperiode lang den Stimmkreis HofWest. Während seiner Parlamentszugehörigkeit war er Mitglied des Ausschusses für Landesentwick lung und Umweltfragen, des Ausschusses für Ernäh rung und Landwirtschaft sowie Mitglied und zuletzt stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Sozial, Gesundheits und Familienpolitik. Darüber hinaus brachte er seine Fachkompetenz und seine Er fahrungen von 1986 bis 1990 ins Landtagspräsidium ein.

Von Arbeiterbewegung und Gewerkschaft geprägt, war ihm die Umsetzung einer sozialen Politik zentra les Anliegen. Dabei hatte er einen sicheren Blick für das Notwendige und stets ein offenes Ohr für die Nöte der Menschen. Neben seinem landespolitischen En gagement war Herr Willi Kaiser über viele Jahre hin weg auch auf kommunaler Ebene tätig, wo er sich im Stadtrat und im Kreistag von Naila sowie später im Kreistag von Hof mit viel Herzblut für die Belange der Bürgerinnen und Bürger vor Ort einsetzte. Sein Wir ken wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bayerischen Verdienstorden. Der Bayerische Landtag trauert mit den Angehörigen und wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. –

Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch einige Glückwünsche aussprechen. Am 8. April feierte Herr Kollege Horst Arnold einen halbrunden Geburts tag. Am 13. April feierte Herr Kollege Joachim Unter länder einen runden Geburtstag, und ebenso einen runden Geburtstag konnte Herr Kollege Martin Schöf fel begehen, der am 21. April Geburtstag hatte. Heute hat Herr Vizepräsident Peter Meyer Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen allen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei Ihren parlamentarischen Aufgaben.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Wälder, Wiesen und Felder schützen - Zügellosen Flächenverbrauch in Bayern stoppen!"

Die Regeln für die Aktuelle Stunde sind Ihnen be kannt. Die fraktionslose Abgeordnete Claudia Stamm kann bis zu zwei Minuten sprechen. Ergreift ein Mit glied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrech nung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu spre chen. – Erster Redner ist der Kollege Hartmann von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Kollege, Sie haben das Wort. Bitte schön.

(Vom Redner nicht au torisiert) Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang aus einer Rede zitieren, die hier im Hohen Hause gehalten worden ist:

… ein oft unterschätztes Thema ist der Flächen verbrauch. Wir wollen den Flächenverbrauch ver mindern. Ich weiß, das ist leichter gefordert als vor Ort umgesetzt. Wir brauchen in Bayern, aber auch in Deutschland, für Infrastruktur und ande re Baumaßnahmen viel zu viel Lebensraum, viel zu viele Flächen. Meine Damen und Herren, da müssen wir bescheidener und zurückhaltender werden!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das stammt aus der Regierungserklärung des – nicht anwesenden – Ministerpräsidenten Seehofer vom De zember 2008. Das sind seine Worte. Aber acht Jahre ist in diesem Bereich gar nichts passiert. Wo stehen wir heute? Was hat die CSURegierung getan? Was hat der Ministerpräsident getan, um den Flächenfraß in den Griff zu bekommen? Es geht hier um unsere Heimat, und ich würde gerne wissen, wie Sie sie in Zukunft schützen möchten. Sie haben wirklich gar nichts getan.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber blicken wir nicht nur nach hinten, sondern auch nach vorne. Es ist für den Landschafts und Umwelt schutz eigentlich schon schlimm genug, dass jahre lang gar nichts getan worden ist. Der Ministerpräsi dent pfeift auf seine eigenen Worte. Statt den Flächenfraß endlich einzudämmen, öffnet er die

Schleusen für noch mehr Beton und Asphalt auf unse ren Wiesen und Äckern. Statt den Flächenverbrauch endlich einzudämmen, weicht er das Anbindegebot auf, das dem Flächenverbrauch wenigstens etwas Einhalt geboten hat. Die CSURegierung und sicher ganz vorneweg auch der Heimatzerstörer Markus Söder haben die Landesplanung in Bayern zu einem Freibrief zum Betonieren und zum Plattmachen unse rer bayerischen Heimat gemacht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich das anhand eines Bereichs deutlich machen. Söder schreckt ja nicht einmal davor zurück, eine strenge Naturschutzvorschrift in der Alpenschutz zone im Allgäu am Riedberger Horn mit einem Feder strich auszuradieren, damit dort eine landschaftszers törende Skilifttrasse gebaut werden kann. Ich weiß, die Wahrheit tut weh; aber genau so ist es.

Jetzt schon fallen 13 Hektar Wiesen, Wälder und Äcker dem Bagger zum Opfer – nicht im Monat, nicht in der Woche, sondern täglich. Täglich werden 13 Hektar bayerische Kultur und Naturlandschaft ein fach zubetoniert. Statt Kartoffeln, Rüben und Kohl wachsen dort Logistikzentren, riesige LkwParkplätze an unseren Autobahnen und Aldi, Lidl und Co. an meist sinnlosen Umgehungsstraßen. Meine sehr ge ehrten Kolleginnen und Kollegen, seit der letzten Ple narsitzung vor Ostern ist in Bayern die Fläche der Os terseen einfach zubetoniert worden. Man muss ganz deutlich sagen: Über die Osterferien ist einmal die Fläche der Osterseen in Bayern verbraucht worden. Das ist Ihre Landesplanung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihre Landesplanung und Ihr Flächenfraß vernichten täglich ein Stück Heimat – für noch mehr Straßen und noch mehr Gewerbegebiete. Da bitte ich Sie wirklich – Herr Huber, in Niederbayern ist das wirklich angesagt –, sich in Ihrer Region umzuschauen. Schauen Sie in die Region, aus der Sie kommen!

(Erwin Huber (CSU): Die kenne ich besser als Sie!)

Denken Sie an Ihre Kindheit, denken Sie an Ihre Ju gend zurück! Wo sich früher ein Bach durch die Wie sen schlängelte, steht heute ein Baumarkt. Wo Sie früher mit Ihren Kumpels auf dem Rasen gekickt haben, steht heute vielleicht der Textildiscounter KiK. Wo Sie mit den Eltern den Sonntagsspaziergang ge macht haben, ist heute sicher eine Umgehungsstraße. Sie sind im Begriff, unser Land in ein Gewerbegebiet mit Autobahnanschluss zu verwandeln. Das lassen wir nicht zu.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bayern ist zu schön, um es der Landesplanung der CSU zu überlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Land schaft verändert sich. Das sehen wir GRÜNE auch so. Wenn neue Wohnungen entstehen, wenn neue Windräder gebaut werden, wenn ein Unternehmen neue Arbeitsplätze schafft, wenn eine neue Schule entsteht, dann macht das das Leben der Menschen besser. Was aber nicht so weitergehen darf, ist Wachstum um des Wachstums willen, Flächenfraß ohne Maß und Ziel. Genau das aber betreiben Sie in unserem schönen Bayern seit Jahren. Genau deshalb ist es an der Zeit, ein unübersehbares Stoppschild aufzustellen: Stopp dem wuchernden Flächenfraß! Stopp dem Ausverkauf unserer Heimat! Stopp der As phaltlawine, die sich über unsere Landschaft ergießt und immer mehr Tier und Pflanzenarten unter sich begräbt!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 63 % der Menschen in Bayern lehnen Gewerbegebiete auf der grünen Wiese ab – übrigens 58 % der CSUWähler. Der BUND Naturschutz fordert ein Ende des ungezü gelten Flächenfraßes, und auch der Bauernverband kämpft gegen die Flächenvernichtung in Bayern, die Ackerland zu einem lohnenden Spekulationsobjekt gemacht hat.

Die Menschen in Bayern leiden unter diesem Flä chenverbrauch. Sie haben es satt, dass ständig Ge werbegebiete und Straßen entstehen und zeitgleich ihre Ortskerne aussterben. Ich verstehe es gut, wenn die achtzigjährige Frau verärgert ist, die immer zum Bäcker und zum Metzger im Ortszentrum gegangen ist. Bäcker und Metzger sind jetzt leider fort, da sie sich gegen die Konkurrenz an der Umgehungsstraße nicht behaupten konnten. Diese bringt der achtzigjäh rigen Frau aber gar nichts; denn ohne Auto kommt sie dort meist nicht hin. Ich verstehe die Eltern, die ihre Kinder nicht mehr allein zum Einkaufen schicken, weil das Überqueren der Umgehungsstraße lebensgefähr lich geworden ist.

Das gilt auch für die regionale Wirtschaft. Der altein gesessene Metzger hat sein Fleisch bei den Bauern des Dorfes gekauft. Der neue Discounter tut dies nicht. Herr Huber, auch wenn Sie das lustig finden: Sehen Sie sich die Effekte an. Erst kommt die Umge hungsstraße, dann kommt der Discounter, und kurz danach macht die Lebensmittelversorgung im Ort dicht. Das darf so nicht sein. Das ist aber Ihre Politik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In der Regierungserklärung des Jahres 2008 hat See hofer oft davon gesprochen, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Das ist leichter gefordert als vor Ort um gesetzt – das ist richtig. Aber die Frage ist doch nicht, ob etwas leicht oder einfach umzusetzen ist. Die Frage ist doch: Ist etwas sinnvoll, nötig und gut für unser Land und für die Menschen? Das ist unsere grüne Messlatte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir GRÜNE sind da ganz klar: Ja, wir wollen den Flä chenverbrauch in Bayern reduzieren, damit wir auch noch in 20 Jahren unsere einzigartige Kulturland schaft genießen können und nicht am Gewerbepark mit Autobahnanschluss leben müssen. Deshalb brau chen wir eine Obergrenze für den Flächenverbrauch in Bayern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, des halb werden wir in den kommenden Wochen einen Gesetzentwurf mit dem ganz klar verbindlichen Ziel einer Flächenverbrauchsobergrenze von 4,7 Hektar pro Tag in den Landtag einbringen. Im Landespla nungsgesetz ist das regelbar – das hat unser Gutach ten bestätigt. Wenn man die 4,7 Hektar betrachtet, stellt man fest, dass diese das auf Bayern herunterge brochene Bundesziel von 30 Hektar sind, also faktisch ein Drittel des IstZustands betragen. Ich bitte Sie, Herr Huber: Denken Sie, bevor der Bagger kommt. Wenn sich bei Ihnen in Niederbayern ein neuer OBI oder sonstiger Baumarkt oder wer auch immer ansie delt und dabei zwei Etagen baut und eine Tiefgarage erstellt, kommt man mit einem Drittel der Fläche aus. Wir brauchen auf gar nichts zu verzichten. Wir müs sen nur denken, bevor der Bagger kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unser Anspruch an Politik – ich hoffe und wünschte mir, es wäre auch Ihr Anspruch an Politik – ist: Wenn ein Problem erkannt ist, dann geht es nicht nur um die Problembeschreibung, sondern auch um Lösungen und Konzepte und um den Mut, die Herausforderun gen anzupacken, statt vor ihnen davonzulaufen. Die Sonntagsreden zum Thema Flächensparen hört man auch von der CSU. Man muss aber ganz deutlich sagen: Sonntagsreden halten Sie am Sonntag, aber am Montag betonieren Sie wieder.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sollten auch nicht vergessen: Jeder, der sich mit dem Thema intensiv befasst, weiß ganz genau: Das Thema Flächenverbrauch ist das umweltschutzpoliti sche Thema unserer Zeit. Wir GRÜNE haben einen

praktikablen Lösungsansatz. Sie von der CSURegie rung sitzen das Thema nicht nur aus; nein, Sie ver schärfen das Problem sogar noch durch die Aufwei chung des Anbindegebotes. Mit Verlaub: Blöder geht es nicht mehr.

Für uns GRÜNE ist klar: 4,7 Hektar pro Tag müssen reichen. Ich bin überzeugt: Das schaffen wir – wenn es sein muss, auch gegen Sie, aber mit den Men schen in unserem Land.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Herr Kollege Erwin Huber von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kollege Hartmann von den GRÜNEN hat hier dargestellt, dass Bayern eine Betonwüste und eine Asphaltbahn wäre. Das ist ein Zerrbild, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.

(Beifall bei der CSU – Florian von Brunn (SPD): Aber Sie arbeiten daran!)

Wenn Sie sich in Bayern bewegen, sehen Sie eine wunderbare Landschaft; Sie sehen eine vielfältige Kulturlandschaft, auch dank der Landwirte, die Sie be kämpfen. Wir haben insgesamt ein blühendes Land mit einer großartigen Vielfalt. Ich sage: In Bayern be trägt die Zahl der Gästeübernachtungen pro Jahr circa 100 Millionen. Diese Touristen kommen doch nicht in eine Betonwüste, sondern in ein Land, das ihnen gefällt und das eine im bundesweiten Vergleich einmalige Schönheit bietet, meine Damen und Her ren.

(Beifall bei der CSU)