Protokoll der Sitzung vom 06.07.2017

Danke schön. – Der nächste Redner ist Herr Prof. Waschler.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was lehren uns der Dringlichkeitsantrag der SPD und der nachgezogene Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER? – Ich möchte ausschließlich positiv beginnen. Tatsache ist, dass die Kolleginnen und Kollegen der SPD und der FREIEN WÄHLER lesen und schreiben können. Sie haben sehr gute Stellen aus unserem Bundestagswahlprogramm nicht nur gelesen, sondern auch in einigen Teilen abgeschrieben. Das ist in diesem Fall auch gut. Die Unionsfraktionen begrüßen die Zustimmung zum Wahlprogramm.

(Prof. Dr. Michael Piazolo (FREIE WÄHLER): Die Stimme gibt es trotzdem nicht!)

Es ist bedauerlich, wenn Sie uns die Stimme nicht geben. Wenn wir nicht die erforderliche Mehrheit

haben, können wir das Wahlprogramm nicht umsetzen.

Die SPD und die FREIEN WÄHLER finden unser Wahlprogramm so gut, dass sie ihre Dringlichkeitsanträge in weiten Teilen mit dem Wahlprogramm der Unionsfraktionen schmücken. Es ist jedoch eigenartig, wenn im Vorfeld dieser Plenardebatte in einer Pressemitteilung der SPD verkündet wird, weshalb man die eigene Position – ich erinnere an einen Dringlichkeitsantrag vom April dieses Jahres – stellenweise modifiziert. Die Forderung nach Ganztagsschulen für alle Grundschüler wird von der SPD so weit umgebogen, dass sie sich mit der CSU-Position nach einem Rechtsanspruch auf Betreuung deckt. Dies soll sofort erfolgen.

Damit sind wir bei den Problemen. Die Forderung nach einem sofortigen Rechtsanspruch entpuppt sich als reiner Wahlkampfaktionismus. Zum einen wäre die Gesetzgebung vor der Sommerpause rein technisch gar nicht möglich. Zum anderen würde man Kinderbetreuungseinrichtungen mit einer sofortigen HauruckAktion erheblich schädigen. Das kann noch nicht einmal der Wille der Opposition sein.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine eindeutige Positionierung der CDU/CSU im Wahlprogramm war gar nicht nötig. Frau Kollegin Strohmayr, wenn Sie behaupten, in Bayern gäbe es keine Angebote, befinden Sie sich in einer anderen Welt. Schon heute kann jeder genehmigungsfähige Antrag genehmigt werden. Wir haben den offenen Ganztag an den Grundschulen eingeführt und viel Geld in die Hand genommen. Wir machen eine Politik am Bürger und mit der Schulfamilie. Wir entwickeln ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot, und zwar gründlich und umfassend ohne Zwang von oben. Das wächst von unten nach oben. Das ist die CSU-Politik der Vergangenheit, der Gegenwart und für die Zukunft.

(Beifall bei der CSU – Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Stimmen Sie zu oder nicht?)

Herr Pfaffmann, Sie sind sehr ungeduldig. Sie müssten eigentlich schon verstehen, worauf es hinausläuft. Sie versuchen regelmäßig, auch mit diesem Dringlichkeitsantrag, dem gut laufenden Umsetzungsprozess nachzuhecheln. Sie springen als Trittbrettfahrer auf einen schnell fahrenden Zug auf. Wir machen Ihre Show nicht mit. Stattdessen setzen wir um, was Ministerpräsident Horst Seehofer schon zu Beginn der Legislaturperiode in seiner Regierungserklärung klar gesagt hat. Wir werden den Ganztag intensiv ausbauen und mit massiven Investitionen hinterlegen. Wir setzen nach einer gewonnenen Bundestagswahl auch unsere Wahlprogramme eins

zu eins um. Dafür brauchen wir keine Nachhilfe von Ihnen.

Für die Opposition lautet mein Fazit: Wählen Sie CSU, dann können wir unser Wahlprogramm eins zu eins umsetzen. Sie haben das Wahlprogramm in Teilen in Ihrem Sinne abgeschrieben. Herr Pfaffmann, damit beantwortet sich Ihr Zwischenruf. Sie müssten verstehen, was ich Ihnen damit sagen will.

Vor diesem Hintergrund lehnen wir diese Dringlichkeitsanträge als reine Wahlkampfstrategie ab. Im Hinblick auf den Weg sind wir unterschiedlicher Auffassung, im Hinblick auf das Ziel sind wir jedoch auf einem guten gemeinsamen Weg. Wir stehen für Gründlichkeit, für Augenmaß, für Verlässlichkeit und für Realisierbarkeit. Wir stehen nicht für einen wahlkampfmotivierten Aktionismus, wie es die SPD vorgemacht hat. Ich betone noch einmal: Man erlebt selten, dass Dringlichkeitsanträge gestellt werden und im Anschluss darüber philosophiert wird, was im Plenum abläuft. Sie haben Teile aus dem Wahlprogramm eins zu eins übernommen. Über die Verbiegung habe ich schon gesprochen. Frau Kollegin Strohmayr, es wäre vielleicht sinnvoll, wenn Sie bei den Debatten im Bildungsausschuss regelmäßig dabei wären, wenn wir darum ringen, wie wir die Dinge voranbringen. Da sind wir auf einem gemeinsamen Weg. Wir wollen in Bayern gut und schnell vorankommen, aber wir wollen gute Strukturen nicht mit Aktionismus gefährden. Deshalb lehnen wir beide Dringlichkeitsanträge ab. Wir lassen uns nicht unterstellen, dass wir für die Grundschulen nicht die bestmöglichen Ganztagsangebote hätten. Auch was die Investitionen anbelangt, brauchen wir uns deutschlandweit nicht zu verstecken.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. Bitte bleiben Sie am Rednerpult; wir haben zwei Zwischenbemerkungen. Zunächst Herr Kollege Pfaffmann, dann Prof. Dr. Piazolo.

Herr Kollege Waschler, ich bin schon lange in diesem Parlament und darf feststellen: Es ist selten, dass ein Kollege mit einem solchen Geschwurbel versucht, 20 Jahre Ablehnung gegenüber einem Rechtsanspruch und dem Ausbau von Ganztag zu rechtfertigen. Sie haben hier nichts anders getan. Sie haben seit zehn Jahren das Ganztagskonzept nicht befördert, sondern Sie haben es zehn Jahre lang verhindert. Beim G 9 war es dasselbe. Auch da haben Sie kein Konzept für eine Schule vorgelegt, die den Bedürfnissen der Familien, der Kinder gerecht wird, sondern Sie haben bis zum Schluss blockiert und alles verhindert. Jetzt stellen Sie sich aber hier hin, nachdem Ihre Berliner Zentrale die Zei

chen der Zeit und die Notwendigkeit einer Ganztagsschule erkannt hat, und behaupten genau das Gegenteil von dem, was Sie seit zehn Jahren machen, und das noch mit einer sagenhaften rhetorischen Schwurbelei. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie in diesem Parlament bisher jeden Antrag zum Ausbau von Ganztagsangeboten abgelehnt haben. Selbst heute – das muss man sich schon einmal auf der Zunge zergehen lassen –, wo Sie die Möglichkeit hätten, die Kurve endlich zu kriegen, lehnen Sie, entgegen Ihrem eigenen Wahlprogramm, einen Antrag ab. Wissen Sie, was das ist?

(Isabell Zacharias (SPD): Schizophren!)

Das ist nicht nur eine CSU-typische ideologische Verhaltensweise, sondern das ist nichts anderes als Dummheit. Heute könnten Sie wirklich eine Chance wahrnehmen, lieber Herr Professor, da brauchen Sie nicht die Präsidentin anzuschauen.

(Dr. Florian Herrmann (CSU): Doch, Redezeitüberschreitung!)

Das braucht er nicht. Aber ich muss jetzt einschreiten, weil die Redezeit von Herrn Pfaffmann um ist.

Letzter Satz: Heute hätten Sie die Möglichkeit, die Kurve noch zu kriegen und gemeinsam mit uns einen Rechtsanspruch auf Ganztag für die Grundschule zu beschließen. Leider versäumen Sie das erneut.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Pfaffmann, ich begebe mich nicht auf das persönliche Niveau, von dem Sie gerade ausgegangen sind.

(Beifall bei der CSU – Dr. Florian Herrmann (CSU): Sehr gut!)

Ich antworte Ihnen vielmehr in aller Sachlichkeit. Sie scheinen aus einer anderen Welt zu sein. Das ist aber nicht unser Problem.

(Reinhold Strobl (SPD): Oho!)

Schauen Sie sich doch einmal an, was der Freistaat Bayern in Euro und Cent in die Ganztagsangebote investiert. Nehmen Sie sich doch den Staatshaushalt, und wenn Sie ihn nicht haben, bin ich sicher, der Herr Staatsminister wird Ihnen die Daten darüber, was der Freistaat über die Jahre hinweg dafür eingestellt hat, zur Verfügung stellen. Das ist nämlich in der Tat eindrucksvoll. Ein Punkt unterscheidet uns ganz massiv.

Wir sehen die Wirklichkeit, wie sie in den bayerischen Schulen ist.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Sie wissen doch gar nichts! – Dr. Florian Herrmann (CSU): Kein Benehmen!)

Wir kennen die Bedarfe der Schulfamilien.

(Unruhe bei der SPD)

Lassen Sie mich ausreden. Wir sind seit vielen Jahren dabei, diesen Bedarfen mit einem hohen Mitteleinsatz gerecht zu werden. Es geht nicht alles auf einmal, und es gibt auch welche, die keine Betreuungsangebote wollen. Wir achten darauf. Da ist es dann gerechter und angemessener, eine Lösung zu finden, die nach Möglichkeit allen – und falls dies nicht möglich ist, den meisten – gerecht wird. Uns aber zu unterstellen, dass hier nichts gemacht wird, ist wirklichkeitsfremd und Wahlkampfaktionismus in Perfektion.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. – Die nächste Zwischenbemerkung ist von Herrn Kollegen Prof. Dr. Piazolo.

Lieber Herr Waschler, zuerst Folgendes: Sie haben gesagt, Sie können dem Antrag nicht zustimmen, weil da "sofort" drinsteht. Sie sagen, das ließe sich vor der Sommerpause nicht mehr machen, und man wolle dies auch nicht mit der Holzhammermethode tun. Der Begriff "sofort" bedeutet juristisch gesehen "ohne schuldhaftes Zögern". Das heißt, Sie müssen es nicht vor der Sommerpause machen, sondern Sie müssen es dann tun, wenn es möglich ist. Das heißt zügig, sozusagen im Laufe der Legislatur, und da würden Sie das auch hinkriegen. Andere Dinge, die ich aus dem Hohen Hause kenne, beispielsweise in der Debatte zum G 8 und G 9, die gehen plötzlich auch sehr, sehr schnell. Manchmal wundert man sich schon, was vor einer Sommerpause noch alles möglich ist.

Noch eine zweite Bemerkung. Sie sagen, dass Sie sich freuen, weil das eine oder andere aus dem Wahlprogramm von CDU und CSU übernommen wurde. Warum tut man das? – Man tut das, weil man dort Dinge findet, die schon lange gefordert werden, von Ihnen und Ihrer Fraktion aber abgelehnt wurden. Nun frage ich mich und Sie, wenn es so toll ist, wie Sie das beschreiben – ich gehöre nicht zu denen, die sagen, es ist gar nichts geschehen, sondern ich sage, es ist durchaus etwas geschehen, nur zu wenig –, warum schreiben Sie dann ins Wahlprogramm, dass Sie

einen Rechtsanspruch wollen? Wenn Sie es aber hineinschreiben, welche Zeitschiene stellen Sie sich vor, zumal dann, wenn Sie das nicht mehr vor der Sommerpause machen wollen?

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke, Herr Kollege Piazolo. Ich fasse jetzt einmal kurz und knapp alles in einem Satz zusammen: Rufen Sie doch dazu auf, die CSU zu wählen, damit wir die Mehrheit bekommen und in der neuen Bundesregierung gestalten können.

(Unruhe bei der SPD)

Dann werden Sie sehen, dass wir zu unseren Wahlprogrammen stehen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt darf ich für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Herrn Kollegen Gehring aufrufen. Bitte schön, Herr Kollege.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Thema Ganztag kommt mir die CSU vor wie ein Mann, der sich hier in München von schmaler Hausmannskost ernährt. Wenn er aber einmal in Berlin ist, bei den Kollegen von der CDU, dann geht er in ein Gourmet-Restaurant.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Dann bestellt er ein opulent erscheinendes Mahl, den Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter. Aber wie es im Gourmet-Restaurant einmal so ist, wenn man den Teller anschaut, dann ist da meistens gar nicht viel darauf oder, frei nach Loriot: Es ist ziemlich übersichtlich zubereitet. – So ist auch das, was hier im Wahlprogramm der CSU steht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe deshalb nicht die Erwartung, dass dies in Bayern umgesetzt wird, zum einen deshalb, weil die CSU das nicht will. Wenn sie diesen Rechtsanspruch wollte, dann hätte sie schon viele Male Gelegenheit gehabt, ihm zuzustimmen oder diesen Rechtsanspruch einzuführen. Zum zweiten ist die Frage, was der Rechtsanspruch auf Betreuung der Kinder im Grundschulalter denn bedeuten soll? Wenn ich mir die Situation in Bayern anschaue, den Modell-Wirrwarr, den wir in Bayern haben, dann stellt sich die Frage, liebe Kollegen von der CSU: Bezieht sich dieser Rechtsanspruch auf eine dreitägige Ganztagsschule ohne Ferien? Oder ist dieser Rechtsanspruch für fünf Tage Kinderhort mit

Ferien? – Sie werden sicherlich nicht sagen wollen, dass Sie die Mittagsbetreuung als Rechtsanspruch erfüllt sehen, wenn das eingeführt ist. Also, wo soll dieser Rechtsanspruch etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben, die wir heute in Bayern haben?

Fakt ist doch, dass wir in Bayern nach dem Bildungsmonitor bei den Grundschulen eine Betreuungsquote im Ganztagsbereich von 10 % haben. Bundesweit liegt die Quote bei 30 %. Ein Rechtsanspruch ist damit meilenweit von der Realität entfernt. Wenn aber schon ein Rechtsanspruch vom Bund kommt, wer gibt dann die Standards vor, was unter diesem Rechtsanspruch verstanden wird? Der Bund? Geben die CSUKollegen ihren Föderalismus auf? Soll das Kooperationsverbot jetzt doch fallen und der Bund in der Bildungspolitik mitreden? – Kolleginnen und Kollegen, ich glaube nicht an die Umsetzung dieses Abschnittes aus dem Wahlprogramm, auch wenn die CSU dafür ein paar Stimmen bei der Bundestagswahl bekommt. Tatsächlich ist doch bei diesem Thema das Land in der Verantwortung. Da können wir im Bund noch so viel reden und schreiben, dieser Passus kommt mir – mit Verlaub – so vor, wie der Passus bei der SPD, wo jetzt auf einmal von Bundesebene her Lehrerstellen finanziert werden sollen. Das ist wohl beides Bundestagswahlkampf. Faktisch geht es darum, dass wir hier im Land unsere Arbeit machen. Der Freistaat ist selbst für seine Bildungspolitik zuständig. Wir müssen uns hierzu die Faktenlage anschauen und überlegen, was wir tatsächlich tun können.

(Beifall bei den GRÜNEN)