Protokoll der Sitzung vom 12.10.2017

(Vom Redner nicht auto- risiert) Frau Kollegin, ich habe eine Frage. Mir geht es jetzt gar nicht um die Übertrittsquote, weil das ja auch etwas mit dem Bildungsverhalten der Eltern zu tun hat. Mir geht es nur um die Übertrittsnote. Die Verteilung in Bayern ist sehr unterschiedlich. Im Landkreis München haben etwa 70 % der Schülerinnen und Schüler den Notenschnitt 2,33, der für den Übertritt an das Gymnasium reicht, während in einigen Landkreisen, zum Beispiel in Niederbayern, nur etwa 30 % diesen Notenschnitt erreichen.

(Isabell Zacharias (SPD): Komisch, nicht? – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Sind die gescheiter als die in der Oberpfalz?)

Ist die Begabung in Bayern so unterschiedlich verteilt?

(Dr. Simone Strohmayr (SPD): Muss wohl so sein!)

Oder ist die Leistung in Bayern so unterschiedlich verteilt? Kann vor diesem Hintergrund der Notenschnitt ein objektives Kriterium für den weiteren Bildungsverlauf sein? Vielleicht können Sie mir das einmal erläutern.

Herr Kollege Gehring, natürlich sind – ich glaube, das wissen wir alle – die Begabungen nicht unterschiedlich verteilt. Das hat sicherlich andere Gründe. Wie begleitet zum Beispiel das Elternhaus die Kinder zu Hause? Das ist ein Grund dafür.

(Margit Wild (SPD): Die Oberpfälzer begleiten ihre Kinder schlechter?)

Nein, das habe ich nicht gesagt. Das ist einer – einer! – der Gründe.

(Margit Wild (SPD): Jetzt wird es gefährlich! – Unruhe bei der SPD)

Wer hat jetzt das Wort?

(Zuruf von der CSU: Sie wollen das Gymnasium abschaffen! – Isabell Zacharias (SPD): Das ist eine böswillige Unterstellung! Wir wollen nichts abschaffen, Herr Kollege!)

Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Ich glaube, die Herrschaften diskutieren lieber untereinander. – Ich denke, ich habe meine Ausführungen in aller Deutlichkeit vorgetragen. Damit bin ich jetzt fertig, danke.

(Beifall bei der CSU – Margit Wild (SPD): Beschämend!)

Danke schön. – Nächster Redner ist Prof. Dr. Piazolo.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren. "Wir haben den Übertritt geschafft!" Es passiert häufig, dass ein Elternteil mit leuchtenden Augen, manchmal auch mit leicht gestresstem Gesicht dies mitteilt. Damit ist gemeint,

dass das eigene Kind den Übertritt geschafft hat. Aber häufig ist es dann doch nicht nur das Kind, sondern die Gesamtkonstellation. Es sind mehrere Zehntausend, ja Hunderttausend junge Menschen, die jedes Jahr diesen Übertritt vor sich haben und bewältigen müssen – im Team mit den Eltern und den Lehrern.

Man schaut, wenn man aufmerksam unterwegs ist, in gestresste Kindergesichter. Man sieht gehetzte Lehrer und verzweifelte Eltern. Der Übertritt ist sicherlich nicht nur Spaß. Auf der anderen Seite – auch das ist uns allen bewusst – ist auch Schule nicht bloßer Spaß.

Muss der Stress beim Übertritt sein? Diese Frage stellt sich. Sie berührt – das merkt man an der Diskussion – eine der zentralen Problemstellungen des bayerischen Schulsystems, eben den Übertritt. Die bisherige Verfahrensweise hat viele Gegner. Sie fordern entweder eine längere gemeinsame Lernzeit oder – wie immer man diese Schulform auch nennen mag – Gemeinschaftsschulen.

Wir FREIEN WÄHLER – das sage ich sehr deutlich – stehen grundsätzlich und unbedingt zum differenzierten Schulsystem. Wir halten das differenzierte Schulsystem in Bayern für richtig, und wir stehen dazu. Wir stehen auch für Leistung als Kriterium. Das vorweg. Ich sage auch sehr deutlich: Ein solches System ist sinnvoll zu gestalten. Das passiert noch nicht in allen Einzelheiten.

Eine zentrale Frage, über die diskutiert wurde, betrifft das sogenannte Letztentscheidungsrecht im Übertrittverfahren: Soll es den Lehrern oder den Eltern obliegen? Der verfassungsrechtliche Aspekt ist schon in der Ersten Lesung angeschnitten worden. Ich will dazu nicht lange ausführen, weil wir darüber nicht zu entscheiden haben. Artikel 6 des Grundgesetzes ist genannt worden; darin geht es um das Elternrecht. Grundsätzlich haben die Eltern das Recht, darüber zu entscheiden, was dem Kindeswohl dienlich ist. Artikel 7 macht aber deutlich, dass die Ausgestaltung der Schule in staatlicher Hoheit liegt. Daraus resultieren schwierige Fragen. Darüber entscheiden nicht wir, sondern das Verfassungsgericht, und das ist auch gut so.

Was aber ist unser politischer Wille? Es gibt viele Argumente pro und contra. Ich habe sie in der Ersten Lesung aufgezählt. Darauf verzichte ich heute; denn jede Lesung soll etwas Neues bringen.

Was ist für uns FREIE WÄHLER entscheidend? Wir haben darüber intensiv gestritten und mit uns gekämpft. Der Lehrer ist Experte, die Eltern sind Betroffene. Insofern stellen sich die Fragen: Was ist gerechter? Was ermöglicht einen besseren Vergleich? Wir

glauben, wenn es keine überragenden Gründe für einen Systemwechsel gibt, dann sollte im Endeffekt der Lehrer entscheiden, der den Überblick hat.

Sehr wichtig ist – damit bin ich beim zweiten Punkt –, dass das Ganze quasi von einem Team aus Schüler, Lehrer und Eltern begleitet wird. Das Kindeswohl steht für uns im Vordergrund. Es soll nicht möglichst leicht sein, sondern die Entscheidung soll nach den Begabungen und Neigungen des Kindes getroffen werden.

Deshalb sind auch wir dafür – das ist im Gesetzentwurf der SPD angelegt –, die Beratung auszubauen. Wir brauchen mehr Lehrer, mehr Sozialpädagogen, mehr Psychologen. Und wir brauchen mehr Zeit in diesem System. Diese Forderungen sind das Gute an diesem Gesetzentwurf. Deshalb haben wir uns darüber lange Gedanken gemacht: Stimmen wir zu? Lehnen wir ab? Enthalten wir uns der Stimme? Im Endeffekt werden wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil dessen Schwerpunkt letztlich doch auf der Frage liegt, ob die Eltern oder die Lehrer entscheiden.

Für uns sind vier Punkte wichtig, die ich am Schluss noch einmal nennen will:

Erstens. Professionalität im System ist sehr wichtig. Wir stehen hinter der Forderung, die hohe Qualität der bayerischen Lehrer zu erhalten. Wir sprechen ihnen unseren Dank dafür aus, dass sie in der Grundschule und darüber hinaus wichtige Aufgaben erfüllen.

Zweitens. Notwendig ist eine intensive Beratung der Eltern. Diese gilt es auszubauen. Diese Forderung in dem vorliegenden Entwurf begrüßen wir.

Drittens. Das Kindeswohl steht im Vordergrund. Es geht um die Neigungen des Kindes; aber auch den Gedanken der Leistungsbereitschaft gilt es zu beachten.

Viertens. Die Bedingungen, die der Staat setzen kann, sind zu optimieren. Das heißt, mehr Lehrer und kleinere Klassen!

Damit haben Sie das Programm der FREIEN WÄHLER für die Grundschule. Dazu stehen wir. Dafür setzen wir uns ein. Dafür kämpfen wir im gesamten nächsten Jahr, und dafür werden wir auch gewählt.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. – Nächster Redner ist Herr Kollege Gehring.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kolle

gen! Die Eltern in Bayern sind mit der gegenwärtigen Übertrittssituation unzufrieden. Das erfährt man in vielen Gesprächen, ob man privat mit Menschen redet oder ob man als Abgeordneter mit Verbänden und Elterninitiativen an Grundschulen in Kontakt kommt.

Die Eltern machen sich nun einmal Sorgen um den weiteren Weg ihres Kindes: Findet es die richtige Schule? Darf es auf die richtige Schule? Wenn ja, kommt es auf diese Schule? Dieser Übertritt wird als Hürde empfunden, als Situation, die mit viel Druck und viel Ärger verbunden ist. Kollege Piazolo hat geschildert, wie es ist, wenn Eltern die "Erfolgsmeldung" präsentieren, das heißt, wenn das Kind den Übertritt geschafft hat. Was vorher in den Familien passiert ist, in vielen Fällen zwei Jahre lang, wird nicht geschildert. Es wird auch nicht erzählt, was Eltern in der Grundschulzeit ihres Kindes für Nachhilfe ausgegeben haben, nur damit es den Übertritt schafft.

Liebe Kollegin von der CSU, Sie können natürlich über die Eltern herziehen, Sie können sie kritisieren, Sie können sie bejammern. Aber Sie können sie auch ernst nehmen als Bürgerinnen und Bürger, als Wählerinnen und Wähler, als Menschen, die Sorge um ihre Kinder haben. Ich schlage vor, sie ernst zu nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer sind mit der Übertrittsituation unzufrieden. Ihre pädagogische Arbeit ist meist schon in der dritten Klasse, allerspätestens in der vierten Klasse nicht mehr so möglich, wie sie sich das von ihrer beruflichen Professionalität her vorstellen. Sie stellen fest, dass alles auf diesen Übertritt ausgerichtet ist. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes – BLLV –, Simone Fleischmann, vertritt immerhin 20.000 Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer. Sie hat gesagt – ich zitiere –: Das Übertrittsverfahren ist pädagogischer Unfug. Familien stehen unter Druck. Die Freude am Lernen wird verdorben. Viele Kinder werden krank. Ein Umdenken ist dringend erforderlich. – Ja, recht hat sie, die Frau Fleischmann, die Vertreterin von 20.000 Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Was sagt diese Übertrittsnote aus? – Hier wird immer von Leistung gesprochen. Ich halte es für einen sehr verengten Leistungsbegriff, wenn die Leistung an drei Noten festgemacht wird, eine Leistung, die über die gesamte Bildungsbiografie Aufschluss geben soll. Meines Erachtens gehören zu dem Begriff "Leistung" auch musische Fähigkeiten, handwerkliche Fertigkeiten sowie die Fähigkeit, sich zu motivieren und zu en

gagieren. All das gehört zur Leistungsfähigkeit dazu. Hier geht es jedoch nur um drei Noten. Das ist ein sehr eingeschränkter Leistungsbegriff.

Nun wird immer gesagt, alle Bildungswege wären gleichwertig, alle Bildungswege seien gleich viel wert. Diese Noten senden jedoch eine ganz klare Botschaft aus: Eine Note bis 2,33 ist gut, eine Note bis 2,66 ist befriedigend, und jede Note über 2,66 ist nicht befriedigend. Das verstehen alle Menschen. Sie sagen, dass jeder, dessen Noten nicht befriedigend sind, auf die Mittelschule gehen und Handwerker werden soll. Ich sage Ihnen: Sie können viele Kampagnen für die Besserstellung des Handwerks und des dualen Wegs machen. Diese Botschaft bleibt bei den Menschen hängen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Würden Sie die Schularten in ihrer Unterschiedlichkeit ernst nehmen, müssten Sie sich eigentlich für ein Beratungsgespräch zwischen Schule, Eltern, Lehrern und Kindern aussprechen, um festzustellen, ob für ein bestimmtes Kind das Klassenlehrerprinzip an der Mittelschule oder eher der sprachorientierte Unterricht am Gymnasium das Beste wäre. Die Eltern könnten dann entscheiden. Auf diese Art würden viele gute Entscheidungen zustande kommen. Wäre das Bildungssystem tatsächlich gleichwertig, könnte dieser Weg beschritten werden. Sie wollen das aber nicht, sondern bewerten die Kinder mit Noten. Das zeigt, dass dieses Bildungssystem tatsächlich nicht gleichwertig ist, sondern dass es zwischen den einzelnen Schularten eine Hierarchie gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen muss das Übertrittsverfahren reformiert werden. Mit dem Gesetzentwurf der SPD wird das Problem des frühen Übertritts nicht gelöst. Würde der Übertritt nach der neunten oder der zehnten Jahrgangsstufe erfolgen, müssten wir nicht über dieses Übertrittsverfahren reden. Dann würden die Noten in diesen Jahrgangsstufen vergeben, und danach würde sich der weitere Weg des Kindes entscheiden. Das Problem entsteht durch das Notenverfahren in der vierten Klasse. Dieses Problem wird mit dem Gesetzentwurf der SPD nicht gelöst. Dieser Gesetzentwurf ist aber dennoch ein Schritt in die richtige Richtung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, deswegen werden wir Ihrem Gesetzentwurf zustimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich rate Ihnen: Nehmen Sie die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen und vor allem die Kinder ernst und ändern Sie dieses Übertrittsverfahren! Sorgen Sie dafür, dass Bayern mehr Formen des längeren gemeinsamen Lernens bekommt!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.