Protokoll der Sitzung vom 22.02.2018

Mit einem Punkt des Gesetzentwurfs haben wir ganz große Probleme. Es geht um die Belastung der kommunalen Ebene, die in diesem Gesetz nicht wegzuleugnen ist. Es könnten sehr viel mehr Belastungen als bisher auf die Kommunen zukommen. Das halten wir nicht für richtig. Trotzdem sind wir der Meinung: Gesetz – ja. Vielleicht können wir uns interfraktionell zusammensetzen, um eine vernünftige Regelung zu finden. So, wie das Gesetz derzeit vorliegt, werden wir uns aber enthalten. Wir verkennen nicht die Notwendigkeit dieses Gesetzes, das ist nicht das Problem. Wir sehen aber in erster Linie die Belastung für die Kommunen als zu hoch an. Das ist keine kommunale Aufgabe, das ist eine staatliche Aufgabe. Deshalb muss der Staat diese Kosten weitgehend übernehmen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Kollege Mistol vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine Weile her, dass die SPD diesen Gesetzentwurf eingebracht hat; es war im Oktober 2016. Mit dem Gesetzentwurf soll die psychosoziale Notfallversorgung in Bayern und deren Qualitätssicherung geregelt werden. Das gegenwärtige Konzept der PSNV basiert im Wesentlichen auf zwei Forschungsprojekten, aus denen Standards und

Empfehlungen abgeleitet wurden. Inzwischen wurde die PSNV auch evaluiert, um den Sachstand auf einer soliden Datengrundlage bewerten zu können.

Bei Polizei und Feuerwehr hat sich die PSNV-E, also die Versorgung, die die Einsatzkräfte betrifft, im jeweils eigenen Verantwortungsbereich in einheitlichen Organisationsstrukturen entwickelt. Dagegen haben sich bei der PSNV-B, also dort, wo es um die sonstigen Betroffenen geht, sehr heterogene Strukturen gebildet. Die PSNV-B wird in Bayern durch die freiwilligen Hilfsorganisationen, durch die Kirchen, private Initiativen und Vereine betrieben. Organisation, Ausbildung und die Einbindung in die Alarmierungsplanungen werden je nach Landkreis und kreisfreier Stadt aber sehr unterschiedlich gehandhabt. Insgesamt gibt es in Bayern mindestens 1.847 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für die PSNV-B bei den einzelnen Trägern tätig sind. Davon sind etwa ein Drittel ausgebildete psychosoziale Fachkräfte. Die größten Kontingente stellen das Bayerische Rote Kreuz und die beiden Kirchen. Von diesen Kräften wurden im Jahr 2015 mehr als 22.500 Personen in rund 6.300 Einsätzen betreut. Dabei sind nur die Einsätze berücksichtigt, die über die Integrierten Leitstellen ausgelöst wurden. Im Vergleich dazu rückte die Feuerwehr im gleichen Zeitraum zu rund 17.000 Brandeinsätzen aus. Für die Zahl der Einsatzkräfte bedeutet dies, dass jeder Helfer im Durchschnitt rund drei Einsätze hatte und dabei mehr als zehn Personen betreut hat. Aus unserer Sicht zeigt dies, dass der Bedarf für die PSNV-B im Freistaat enorm ist. Aus der Erhebung lassen sich weitere Tendenzen ablesen.

Erstens. Auf der Ebene der Landkreise bzw. der kreisfreien Städte ist die Vernetzung der einzelnen Trägerschaften weiter ausbaufähig.

Zweitens. Nicht bei allen Landkreisen und kreisfreien Städten ist eine gemeinsame organisationsübergreifende Ebene etabliert, die die Ausbildung und die Alarmierung der unterschiedlichen PSNV-Kräfte durchführt. Es wird aber auf die Qualitätsstandards und die Leitlinien des BRK verwiesen.

Drittens. Für die PSNV sind im Gegensatz zu den etablierten Bereichen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr die Aufgabenbereiche nicht klar definiert.

Viertens. Nur 70 % der Träger auf der Ebene der Landkreise bzw. der kreisfreien Städte verfügen über eine fachliche Leitung.

Diese Erhebung zeigt also mehr als deutlich, dass es auf Landesebene Bedarf gibt, ein Psychosoziales Notfallversorgungsgesetz auf den Weg zu bringen, um einheitliche Standards und die Sicherung der Qualität der Versorgung zu gewährleisten. Die Staats

regierung hingegen will sich auf die Erteilung von Informationen und Empfehlungen beschränken. Aus unserer Sicht reicht das nicht aus.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, die Intention des Gesetzentwurfs der SPD ist deshalb zu begrüßen. Der eigentliche Gesetzentwurf vernachlässigt zwar den erforderlichen Konnexitätsausgleich. Dieser nicht unerhebliche Mangel wurde aber durch den Änderungsantrag der SPD geheilt.

Zum Schluss kann ich nur sagen: Die psychosoziale Notfallversorgung leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Verarbeitung von Unglücksfällen und Katastrophen. Sie sollte deshalb denselben Stellenwert bekommen wie der Rettungsdienst bei medizinischkörperlichen Belangen. Deshalb ist aus unserer Sicht eine gesetzliche Grundlage sinnvoll. Wir werden dem Gesetzentwurf der SPD in Verbindung mit dem Änderungsantrag deshalb heute zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Insofern kämen wir jetzt zur Abstimmung. Da die vorgeschriebenen 15 Minuten aber noch nicht erreicht sind und diese auch erst in 7 Minuten erreicht würden, schlage ich vor, dass wir nach der kurzen Bekanntgabe des Ergebnisses der letzten namentlichen Abstimmung die Sitzung unterbrechen und um 13.30 Uhr fortsetzen. Wir würden die Sitzung dann mit der einfachen Abstimmung über den Änderungsantrag aufnehmen und anschließend die namentliche Abstimmung über den Gesetzentwurf durchführen. Ich bitte, das zu berücksichtigen.

Nun gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Dr. Hans Jürgen Fahn und anderer und Fraktion (FREIE WÄHLER) betreffend "Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern – ‚Klimaschutz in der Bayerischen Verfassung verankern‘", Drucksache 17/18211, bekannt: Mit Ja haben gestimmt 62, mit Nein haben 80 gestimmt. Stimmenthaltungen: eine. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3)

Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis 13.30 Uhr.

(Unterbrechung von 12.49 bis 13.32 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Mittagspause ist beendet. Damit darf ich die Sitzung wieder aufnehmen.

Bevor wir in der Tagesordnung mit den Dringlichkeitsanträgen fortfahren, lasse ich über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Rinderspacher, Pfaffmann, Dr. Wengert und anderer und Fraktion (SPD) für ein Bayerisches Psychosoziales Notfallversorgungsgesetz abstimmen. Der Abstimmung liegen der Initiativgesetzentwurf der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/13412, der Änderungsantrag auf Drucksache 17/18894 sowie die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport auf Drucksache 17/20694 zugrunde.

Der federführende Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport empfiehlt den Gesetzentwurf sowie den Änderungsantrag hierzu zur Ablehnung. Vorweg ist über den vom federführenden Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport zur Ablehnung empfohlenen Änderungsantrag auf Drucksache 17/18894 abzustimmen. Wer entgegen diesem Ausschussvotum dem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die SPD-Fraktion, die Fraktionen der FREIEN WÄHLER und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Kollege Felbinger (fraktionslos). Die Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – CSU-Fraktion. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf. Hierzu wurde namentliche Abstimmung beantragt. Die Urnen stehen bereit. Ich eröffne den Wahlkampf.

(Allgemeine Heiterkeit und allgemeiner Beifall – Volkmar Halbleib (SPD): Zustimmung bei allen vier Fraktionen, Frau Präsidentin!)

Da sehen Sie, wie gut wir schon gerüstet sind. Die Urnen stehen bereit. Ich bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Fünf Minuten stehen zur Verfügung.

(Namentliche Abstimmung von 13.34 bis 13.39 Uhr)

Kolleginnen und Kollegen, die Zeit ist um. Ich schließe die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten draußen auszuzählen. Das Ergebnis gebe ich später bekannt. – Ich bitte, die Plätze einzunehmen, damit wir in der Tagesordnung fortfahren können.

Ich darf jetzt den Tagesordnungspunkt 13 aufrufen:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Franz Schindler, Florian Ritter u. a. und Fraktion (SPD) Zum 75. Todestag von Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst: Das Vermächtnis der "Weißen Rose" bleibt Auftrag und Verpflichtung (Drs. 17/20789)

Ich eröffne die Aussprache und darf als erste Rednerin Frau Kollegin Kohnen für die SPD-Fraktion das Wort erteilen.

(Unruhe)

Ich bitte nochmals alle, die Plätze einzunehmen. – Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln.

Diese beiden Sätze sprach die 21-jährige Sophie Scholl an ihrem Todestag nicht weit von hier. Sie wurde heute vor 75 Jahren, am Abend des 22. Februar 1943, zusammen mit ihrem Bruder Hans Scholl und ihrem Freund und Kommilitonen Christoph Probst wegen Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet. Sie nannten sich die "Weiße Rose" – die Geschwister Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf. Mitte 1942 gingen sie zum aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus über und prangerten Krieg und NS-Verbrechen in Flugblättern an. Das sechste und letzte Flugblatt verteilten die Geschwister Scholl am 18. Februar 1943 in der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sie wurden dabei von einem Hausmeister entdeckt, festgehalten und der Gestapo übergeben. Vier Tage später wurden sie nach einem Schnellverfahren hingerichtet.

Auch die weiteren Mitglieder der "Weißen Rose", Alexander Schmorell, Prof. Kurt Huber und Willi Graf, wurden wenige Monate nach den Geschwistern Scholl und Christoph Probst zum Tode verurteilt und hingerichtet. Für weitere Helfer und Mitwisser gab es lange Haftstrafen.

All diese Menschen, überwiegend junge Menschen, mussten sterben, weil sie sich einem verbrecherischen Regime in den Weg gestellt und zum Widerstand aufgerufen haben. Sie wurden von einem Gericht verurteilt, das ein Terrorinstrument der Nationalsozialisten war.

Hans und Sophie Scholl gelten seit der Nachkriegszeit als bedeutende Symbolgestalten eines an humanistischen Werten orientierten Widerstandes innerhalb Deutschlands gegen ein totalitäres Regime. Die Flugblätter der "Weißen Rose" waren mehr als nur ein Aufstand des Gewissens. Sie waren politisch hoch motiviert und entstanden aus der Überzeugung heraus, dass man eben nicht schweigend zuschauen darf, sondern Widerstand leisten muss.

Der aufrechte Gang, der Widerstand und vor allem der Mut der Geschwister Scholl und der weiteren Mitglieder der "Weißen Rose" ermahnen dazu, nicht tatenlos zuzusehen, wenn ein Unrechtsstaat über die Menschen regiert. Wenn aber auch eine staatliche Gesellschaftsordnung jede Achtung und jegliches Gewissen vor dem Einzelnen verloren hat, wenn Humanität nicht mehr existiert, dann brauchen wir eben diesen Mut. Die "Weiße Rose" ist die Aufforderung an uns alle, sich aktiv einzumischen und etwas dagegen zu tun, wenn Freiheit und Demokratie bedroht sind.

(Allgemeiner Beifall)

Wenn wir heute, im Jahre 2018, auf unsere Gesellschaft blicken, mehr als 70 Jahre nach dem Ende der NS-Schreckensdiktatur, sind die Kräfte immer noch nicht aus unserer Gesellschaft verschwunden, die genau das Gegenteil von Demokratie und Rechtsstaat anstreben und für die nicht alle Menschen gleich und mit unantastbarer Menschenwürde ausgestattet sind. Unsere demokratische Verfasstheit aber darf nie wieder infrage gestellt werden. Daher dürfen wir nicht wegsehen, wenn Ausländer und Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis kommen, eine andere Hautfarbe haben, eine andere Sprache sprechen, einer anderen Religion angehören, diskriminiert, diffamiert, angegriffen und physisch und psychisch verletzt werden oder gar zu Tode kommen. Wir alle müssen Zivilcourage zeigen und gegen solche Bestrebungen und Handlungen aktiv werden.

Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind keine Randerscheinungen, sondern breiten sich zunehmend in unserer Gesellschaft, in unserer Mitte aus. Wir brauchen eine Stärkung des demokratischen Lebens, des zivilgesellschaftlichen Engagements für unsere Demokratie und die damit verbundenen Werte. Eine starke, selbstbewusste, aktive demokratische Öffentlichkeit ist der beste Schutz gegen Ideologien, die

die Gleichheit aller Menschen infrage stellen und ein antipluralistisches und autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir sollten uns als Parlamentarier einig sein: Wir müssen das Bayerische Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus zu einem echten und effektiven Förderprogramm "Demokratie stärken" weiterentwickeln, unterschiedliche Vorstellungen auf einen Nenner bringen und an einem Strang ziehen, das gemeinsam tun, unterschiedliche Vorstellungen einen und gemeinsam unsere Kraft bündeln: die Kraft der Politiker aller demokratischen Parteien und die Kraft der zivilgesellschaftlichen Akteure. Das ist das Gebot der Stunde und, ich denke, auch der Zukunft unserer Gesellschaft. Unser Leitbild kann sich nur an dem Ausruf von Hans Scholl orientieren, der kurz vor seiner Hinrichtung ausrief: "Es lebe die Freiheit!"

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CSU-Fraktion darf ich jetzt Herrn Kollegen Freller das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.