Für mich ist sehr wichtig: Der Staat muss bei Schutz und Sicherheit stark sein. Der Staat sollte sich aber mehr zurückhalten, wenn es um die Freiheiten der Bürger geht. Wenn es um Ehrenamt, Handwerk, Mittelstand und Landwirtschaft geht, denke ich, meine Damen und Herren, brauchen wir weniger Staat. Ausufernde Kontrollen und immer mehr Bürokratie sind ernsthafter Ausdruck von Misstrauen.
Ich finde, wir sollten die Chance nutzen, im Freistaat Bayern eine neue Kultur des Vertrauens zu entwickeln. Ich möchte daher mit Wirtschaft und Ehrenamt einen Pakt der Freiheit schließen: Wir haben in den letzten Jahren mit der Paragrafenbremse schon erste Erfolge erzielt. Viel wichtiger ist es aber – und das berichtet uns unser Entbürokratisierungsbeauftragter jede Woche –, den Vollzug genauer zu betrachten. Es kann nicht sein, dass die Durchführung einer Vereinsfeier oder eines Bürgerfestes nahezu ein Jurastudium erfordert, um alle Vorschriften zu verstehen.
(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das ist aber leider so! Das müsst ihr ändern! Das solltet ihr ändern!)
Wir müssen das ändern und gehen ähnlich wie bei der Datenschutz-Grundverordnung einen neuen Weg. Wir werden nicht alle Gesetze aus Berlin oder Europa ändern können, aber mit mehr Beratung und weniger Bußgeld und mit mehr Kooperation statt Konfrontation schaffen wir es, meine Damen und Herren, eine neue Kultur zu etablieren. Mich nervt ohnehin diese um sich greifende Verbotskultur: Tempolimits, Fahrverbote, Fleischverbote, Werbeverbote oder Genderverbote. Bayern soll ein Freistaat und kein Verbotsstaat sein, meine sehr verehrten Damen und Herren!
(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CSU – Zurufe von der CSU – Zuruf des Abgeordneten Volkmar Halbleib (SPD))
Lassen Sie uns auch über unsere Verfassung nachdenken. Die Bayerische Verfassung ist eine großartige Verfassung und ein wunderbares Dokument.
Wir sollten aber gemeinsam überlegen, wie wir sie in der nächsten Legislaturperiode sensibel weiterentwickeln können. Ich möchte daher, wenn es die Wählerinnen und Wähler wollen, zu einer Verfassungskommission einladen. Wir sollten über folgende Punkte nachdenken: neue Verfassungsziele wie Klima-, Landschaftsschutz und Pflege, digitale Rechte und digitale Teilhabe, ein ausdrückliches Bekenntnis gegen Extremismus jeder Art und – ich bleibe dabei, und man erlebt es jeden Tag wieder – frischen Wind für unsere moderne Demokratie durch eine klare Begrenzung der Amtszeit des Ministerpräsidenten. Ich halte das für ein national und international unglaublich wichtiges Signal.
Lassen Sie uns das nach dem Wahlkampf vorurteilsfrei überlegen. Ich möchte, dass Bayern die modernste und vorbildlichste Demokratie in Deutschland bleibt, meine Damen und Herren.
Sechstens. Wir bauen Brücken in die Welt. Wir sind Bayern, Deutsche, aber auch Europäer. Die erste Kabinettssitzung, die ich im Ausland gemacht habe – oder überhaupt eine Auslandreise –, war in Brüssel bei der Kommission. Dies war ein klares Signal dieser Staatsregierung, und wir wollen das jedes Jahr fortsetzen. Wir glauben auch, dass wir als überzeugte Europäer aufgrund der geografischen Lage das perfekte Bindeglied zwischen Ost und West und eine Drehscheibe im Herzen Europas sind. Meine Damen und Herren, wir wollen dabei nicht nur ein Ja zu Europa, sondern auch ein Ja zu einem Europa der Regionen sagen. Wir werden nächstes Jahr im Europawahlkampf erleben, dass sich weniger die Frage "konservativ oder sozialdemokratisch", sondern vielmehr die Frage "populistisch oder die Gemeinschaft, die wir darstellen" stellen wird. Deshalb wird es wichtig sein, die Regionen zu stärken. Wir wollen dazu einen Beitrag leisten und erarbeiten mit anderen Regionen Vorschläge zur Stärkung der Mitwirkungsrechte. Wir wollen, dass der Ausschuss der Regionen zu einer zweiten europäischen Parlamentskammer mit ähnlichen Mitwirkungsrechten wie der Bundesrat wird. Meine Damen und Herren, ich glaube, dies wäre ein ganz starkes Signal. Wir brauchen in Europa keine separatistischen Bestrebungen, sondern integrative Entwicklungen. Die Regionen müssen aber größere Kompetenzen bekommen, um in Europa besser eingebunden und gestärkt zu werden.
Wir sind ein international geschätzter und geachteter Partner, auch außerhalb Europas. Unsere Wirtschaft ist exportorientiert und international erfolgreich. Wir haben ein starkes Auslandsnetzwerk, das sich sehen lassen kann. Mir ist es wichtig, dass wir uns künftig nicht nur um die Wirtschaft kümmern, sondern auch sonst mehr tun. Wir sind nicht nur für den Austausch von Wirtschaftsgütern, sondern auch von Werten verantwortlich. Mit einem neuen Bayerischen Auslandsinstitut wollen wir ein internationales Netzwerk für den Jugendaustausch gründen. Dabei geht es um das Verständnis von unterschiedlichen Kulturen, Werten und Lebensgewohnheiten.
Meine Damen und Herren, gerade die jungen Menschen sind die Zukunft. In den letzten 20 Jahren wurden solche Prozesse heruntergefahren. Das hat zu manchen kulturellen Debatten geführt, selbst im Rahmen der Partnerschaft mit den USA. Ich möchte, dass wir auf diesem Feld wieder dort anknüpfen, wo wir einmal waren. Ich möchte, dass wir unsere Verbindungen in die Welt stärken und zeigen, dass wir nicht nur gute Arbeitsplätze haben, sondern dass sich die Werte, die wir in Bayern haben, weltweit sehen lassen können. Sie sorgen in der Welt für Verständnis, Achtung und Respekt.
Diese Brücken bauen wir. Das ist unser Kompass. Meine Damen und Herren, ich glaube, dieser bayerische Weg ist in diesen paradoxen Zeiten der wirtschaftlichen Stabilität einerseits und der demokratischen Verunsicherung und Spaltung andererseits der richtige. Bayern war schon immer ein Land der Stabilität. Bayern ist einzigartig und ein Musterfall. Bayern wird übrigens auch bewundert und geschätzt. Meine Damen und Herren, ich möchte, dass dies auch so bleibt. Ich möchte nicht, dass Bayern von anderen belächelt wird. Ich möchte, dass Bayern diese besondere Form der Bewunderung behält. Deshalb ist es mir wichtig, dass eine völlig zerfaserte und völlig zersplitterte Demokratie, die sich nur mit sich selbst beschäftigt und keine Lösungen für die Bürger bietet, nicht das Bild von Bayern ist. Bayern soll stark und stabil bleiben. Dafür treten wir ein.
Ich sage dies ausdrücklich: Jeder soll die aktuellen Debatten als Weckruf verstehen. Natürlich kann jeder diese Debatten wägen, wie er will, aber wenn sich Regierungen nur noch mit sich selbst beschäftigen, schafft dies wenig Vertrauen bei den Bürgern. Ich glaube, die Menschen wollen kein Vor und Zurück und
Meine Damen und Herren, ich habe in meiner ersten Regierungserklärung etwa 100 konkrete Maßnahmen angekündigt. Nicht jede Maßnahme muss man bejubeln. Aber alle diese Maßnahmen würden umgesetzt oder auf den Weg gebracht. Das kann niemand bestreiten, ob es einem gefällt oder nicht. Diese Staatsregierung zeigt national und vielleicht sogar international, dass sie eine Regierung ist, die entschlossen handelt, die politisch etwas tut und die etwas umsetzen kann. Ich sage es einmal so: Wir haben in sechs Monaten mehr vorangebracht als Regierungen in anderen Bundesländern in einem ganzen Jahrzehnt. Das muss uns erst mal einer nachmachen.
Für mich ging es nie darum, nur einen Sprint bis zum 14. Oktober hinzulegen. Für mich geht es um einen Bayern-Marathon für zehn Jahre. Seien wir ehrlich: Wir stehen auch vor der Herausforderung, dass sich unser Parlament verändert. Dabei geht es nicht nur um die Zusammensetzung. Unser Parlament kann voller werden, vielleicht wird es auch ganz anders in seiner Kultur. Deshalb möchte ich in dieser Regierungserklärung einen Appell an alle Bürgerinnen und Bürger richten, sich Zeit zu nehmen und zu überlegen, was für sie und unser Land das Beste ist. Egal, wie am Ende die Mehrheiten aussehen, ist eines klar: Wir wollen eine stabile, eine starke und eine moderne Demokratie, aber keine Links- oder Rechtsextremen im Bayerischen Landtag.
Noch ein persönliches Wort: Auch ich als Ministerpräsident habe in diesen sechs Monaten eine Menge Erfahrungen gemacht. Darunter waren viele spannende und gute Erfahrungen. Natürlich habe ich auch Fehler gemacht, aber ich habe jeden Tag dazugelernt. Jeden Tag gab es neue Herausforderungen. Ich habe täglich Begegnungen mit unzähligen Menschen in Bayern. Viele unterstützen mich, manche fragen, manche sind skeptisch. Das ist Demokratie. Es gibt auch welche, die mir Folgendes sagen: Herr Söder, auch wenn ich Ihre Politik nicht in allen Punkten teile, müssen Sie es wohl richten. Irgendeiner muss das Land zusammenhalten. Sie sind der Ministerpräsident für Bayern.
Meine Damen und Herren, daher sage ich Ihnen aus tiefer Überzeugung: Wir werden dieses Land, den einzigartigen Freistaat Bayern, in schwieriger Zeit zusammenhalten und trotz aller Unterschiede das Wohl aller Bürger im Blick haben. Das garantiere ich. Eines kann ich versprechen: Bayern wird, egal, bei welcher
Meine Bitte: Bei allem Wahlkampf, lassen Sie uns immer Respekt voreinander zeigen. Ich habe den Eindruck, dass dieser Appell in den letzten Wochen von allen verstanden und angenommen wurde, ich sage ausdrücklich "von allen". Wir reden immer vom "Hohen Haus". Diesen Anspruch müssen wir auch erfüllen, jeder Einzelne von uns. Respekt ist die Basis für Demokratie. Wir haben unterschiedliche Meinungen und sind in der Tat völlig unterschiedliche Charaktere und Charakterköpfe. Eines nehme ich jedoch jedem in diesem Hause ab, nämlich dass er nach seinem besten Wissen und Gewissen das Beste für Bayern tut. Streit in der Sache ist notwendig. Wenn wir uns jedoch nicht gegenseitig in unserer persönlichen Ehre respektieren, dann dürfen wir auch nicht erwarten, dass das andere tun. Ich möchte, dass der Bayerische Landtag auch ein Muster für den Respekt vor der Person ist. Streit in der Sache ja, wir müssen einander aber respektieren. Ich möchte, dass dies im Bayerischen Landtag auch auf Dauer so bleibt.
Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus, bei meinem engagierten Kabinett, beim gesamten Präsidium und – das sei mir gestattet – ganz besonders bei unserer Präsidentin Barbara Stamm bedanken. Ein herzliches Vergelts Gott!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wirtschaftlich geht es uns so gut wie nie; gleichzeitig sind die Menschen so verunsichert wie nie. Wir haben eine ganz schwierige Aufgabe zu lösen. In dieser Zeit ist es mir persönlich eine große Ehre, dem Freistaat Bayern als Ministerpräsident dienen zu dürfen. Ich gebe zu: Es gab schon leichtere Zeiten. Wenn eine Herausforderung da ist, muss sich ihr ein jeder von uns stellen. Mein Wunsch an alle, die am politischen Prozess mitwirken: Lassen Sie uns daran arbeiten, dass dieses Bayern auch im 100. Jahr des Bestehens des Freistaats Bayern stark und stabil ist. Stabilität ist die Voraussetzung für Wohlstand und Erfolg. Stabilität hält ein Land zusammen. Stabilität schafft Ruhe und ist das beste Mittel gegen Extremismus.
Ich werde alles dafür tun, dass Bayern stabil bleibt. Konrad Adenauer sagte einmal: "Keine Experimente!" Ich sage: Keine Spielereien mit dem Freistaat Bayern! Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen wurde im Ältestenrat festgelegt. Die Redezeiten für die Fraktionen werden jetzt aber neu eingestellt; ich runde die Redezeiten für die Fraktionen um acht Minuten auf und eröffne jetzt die Aussprache. Als erste Rednerin für die SPD-Fraktion darf ich Frau Kollegin Kohnen bitten. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, wir beide haben nur wenige Dinge gemeinsam. Dazu gehört aber unser Geburtsjahr 1967. Das bedeutet, uns wurde vieles geschenkt: ein wiederaufgebautes, wirtschaftlich starkes Land sowie eine funktionierende und lebendige Demokratie. Unsere
Generation hat das alles auf dem Silbertablett überreicht bekommen. Besser kann man es eigentlich gar nicht erwischen.
Unsere Aufgabe ist es, dieses Erbe zu erhalten und weiterzuentwickeln. Bei der Wirtschaftskraft gelingt uns das, was aber maßgeblich an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Unternehmerinnen und Unternehmern in unserem Land liegt. Für uns als SPD ist dabei die Frage wesentlich, ob jeder davon profitiert. Darüber werden wir uns im Folgenden noch auseinandersetzen. Aber seien wir ehrlich: Egal, welche realistische Konstellation in Bayern nach der Wahl regiert, Bayern wird wirtschaftlich stark bleiben.
Mit dem anderen Bestandteil unseres Erbes ist es schwieriger; denn es zeigt sich, dass die Demokratie in Deutschland und auch in Bayern in schwierigem Fahrwasser ist. Unsere Generation von Politikerinnen und Politikern trägt die Verantwortung dafür, Demokratie und Zivilgesellschaft zu stärken und zu verteidigen. Die beiden Hauptaufgaben, vor denen die neue Bayerische Staatsregierung in diesem Herbst stehen wird, sind: erstens, Bayerns Erfolg und seine Stärke so zu nutzen und zu gestalten, dass alle die hier leben, davon etwas haben;
zweitens, die Demokratie und die demokratische Kultur in Bayern zu stärken und den menschenfeindlichen Populismus zurückzudrängen.
Sie, Herr Ministerpräsident, bewerben sich wieder um eine leitende Funktion in der nächsten Staatsregierung – so war Ihre Rede zumindest zu verstehen – und stehen kurz vor dem Ende einer etwa sechsmonatigen Probezeit. Diese gilt es heute zu bewerten. Es gilt zu überprüfen, ob Sie den oben beschriebenen Aufgaben gewachsen waren, ob Sie sich dieser Aufgaben tatsächlich vollständig bewusst sind und ob Sie dafür die notwendige moralische Reife mitbringen.
Herr Ministerpräsident, wir haben, wie gesagt, nicht viel gemeinsam, aber das schon: Wir kommen in Bayern viel herum, in diesen Wochen ganz besonders. Dabei fällt einem neben der Schönheit unseres Landes immer wieder die Vielfalt Bayerns ins Auge. Genau das ist unsere Identität. Unsere bayerische Identität liegt in dieser Vielfalt. Es ist die Aufgabe von uns Politikern, in dieser Vielfalt das Gemeinsame zu betonen, Gegensätze zu überwinden und das Land zusammenzuführen. Das gilt bis heute, und heute vielleicht mehr als je zuvor.
Was Bayern ausmacht, sind die vielen positiven Aspekte der Vielfalt, die interessanten Unterschiede, die unterschiedlichen Kulturen und Dialekte, die verschiedenen Lebensweisen und Ziele der Menschen sowie die unterschiedlichen Religionen und Konfessionen. Wenn wir durch dieses Land reisen und mit den Menschen sprechen, sehen wir aber auch Unterschiede und Ungleichgewichte. Wir sehen, dass die technischen und wirtschaftlichen Veränderungen in unserer Gesellschaft Gewinner und Verlierer produzieren. Wir sehen auch, dass die Wanderungsbewegungen innerhalb Bayerns von den ländlichen Räumen in die Metropolen auf beiden Seiten Herausforderungen mit sich bringen. Wir sehen leerstehende Häuser in manchen Ortschaften Hochfrankens einerseits und
Schlangen von Menschen beim Besichtigungstermin für eine Münchner Wohnung andererseits. Wir sehen die vielen bayerischen Dörfer ohne eigene Bushaltestelle einerseits und die Enge in den Münchner S- und U-Bahnen andererseits.
Wir sehen in Bayern starken Reichtum, stellen aber auch versteckte Armut fest. Manchmal muss man sehr genau hinsehen, warum zum Beispiel ein Kind beim Schulausflug nicht mitfahren kann und fehlt. Das macht es manchem leichter, bei der Armut in unserem reichen Land wegzusehen. Sie, Herr Ministerpräsident, sind dafür das beste Beispiel. 245.000 Kinder sind in Bayern von Armut bedroht. In manchen Gegenden, etwa in Hof oder Schweinfurt, ist es jedes
fünfte Kind. Dazu haben Sie als Ministerpräsident letzte Woche in unserem Duell bei den "Nürnberger Nachrichten" gesagt – ich zitiere –: "Ich weiß nicht, ob die Zahlen immer so stimmen." Nun ja. Das sind Zahlen Ihrer eigenen Staatsregierung, und darauf will ich mal vertrauen.