Protokoll der Sitzung vom 20.05.2014

Wir hatten mit dem Vertrag von Amsterdam begonnen, Europa auszuweiten, um dessen Attraktivität auch anderen Ländern zugänglich zu machen. Im Vertrag von Nizza haben wir nachgearbeitet. Ziel ist es gewesen, die europäischen Institutionen so zu reformieren, dass sie in der Lage sind, die Aufnahme neuer Länder tatsächlich zu realisieren und dennoch nahe am Bürger zu bleiben. In der Präambel des Vertrages von Lissabon ist schließlich die Absicht festgehalten worden, Europa noch demokratischer zu gestalten.

Im Vertrag von Lissabon ist uns die Demokratisierung Europas nicht gelungen. In dieser Einschätzung sind wir uns sicherlich alle einig. Wir haben mit dem Vertrag von Lissabon nicht nur das Ziel verfehlt, die Demokratie von den europäischen Institutionen näher zum Bürger zu bringen; wir haben auch nicht erreicht, die Effizienz europäischer Verfahren zu erhöhen.

Stattdessen ist uns wohl ein Fehler unterlaufen: Wir wollten Hoheitsrechte unserer nationalen Parlamente abgeben. Das Bundesverfassungsgericht hat uns gesagt: Das dürft ihr so weit, wie die eigene Souveränität nicht berührt ist. Im vereinfachten Gesetzgebungsverfahren, das gegenwärtig in Europa Anwendung findet – mit Hilfe von Brückenklauseln können wir es auch auf einigen Feldern einführen, die wir diesem Verfahren bislang nicht unterworfen haben –, haben wir als nationale Einheiten nichts mehr beizutragen oder einzubringen. Insoweit sind wir einen Schritt zu weit gegangen. Genau das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt.

Es hat ferner klargestellt, dass es gilt, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu wahren. Dieses Prinzip geben wir auf, wenn wir es zulassen, dass das Verfahren der begrenzten Einzelermächtigung immer mehr ausgeweitet wird bzw. eine einmal gegebene Ermächtigung ständig erweitert wird. Das sollten wir nicht fortsetzen. Wenn wir Europa für alle Bürger, auch für die jungen Menschen, wieder greifbar machen wollen, wenn wir tatsächlich dazu kommen wollen, dass die Bürger näher dran an den Entscheidungsprozessen sind, dann müssen wir Bürokratie abbauen, die delegierten Rechtsakte in das Parla

ment zurückholen und uns selbst intensiver einbringen.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Das bedeutet auch, das Prinzip der Subsidiarität wirklich wieder zu leben. Wir können vieles in unseren Regionen selbst regeln, weil wir wissen, was für unsere Regionen wichtig und richtig ist.

(Beifall bei der CSU)

Es gilt, wieder die altbairischen Worte "Best Practice" und "Peer Support" zur Geltung zu bringen. Auch andere Länder wollen Subsidiarität leben. Lassen Sie uns das, was wir gut können, dorthin transferieren und gleichzeitig das, was dort gut läuft, bei uns übernehmen. Last but not least: Lassen Sie uns den Ausschuss der Regionen – ursprünglich eine bayerische Idee – weiterentwickeln, damit er zu der Institution wird, die er sein soll. Dort sollen die Regionen Europas ihre jeweiligen Stärken einbringen. Wir müssen zu echter Subsidiarität kommen. Die Regionen brauchen insoweit ein echtes Vetorecht. Wenn uns das gelingt, sind wir näher dran an Europa, und wir werden aus unseren Bürgern wieder glühende Europäer machen.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster hat Kollege Hans-Ulrich Pfaffmann von der Fraktion der SPD das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

(Ministerpräsident Horst Seehofer: Sie sind in einer doppelten Koalition! Das möchte ich Ihnen nur sagen!)

- Herr Seehofer, Sie sind aber daran nicht beteiligt. Das ist eine kommunale Koalition.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das glauben aber auch nur Sie, dass er nicht beteiligt ist!)

Wir sind gespannt auf Ihre Worte, Herr Pfaffmann.

Danke schön. Das freut mich. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist interessant, dass alle Redner betont haben, wie wichtig ihnen Europa sei. Auch ich meine, Europa ist sehr wichtig. Das Europa, das wir heute kennen, ist Ergebnis eines langen Prozesses. Ich habe niemanden gehört, der Europa abschaffen will; auch das stimmt. Jeder bringt seine Vorschläge ein, jeder hat seine Ideen und Überzeugungen.

Es ist recht einfach zu fordern: "Wir brauchen ein Europa der Bürger!" Auch wir sind dieser Meinung. Ich hätte mir allerdings mehr Aussagen zur konkreten Ausgestaltung gewünscht. Welche politischen Entscheidungen sind zu treffen, um ein Europa für die Bürger zu generieren? - Meine Damen und Herren, ich nutze an dieser Stelle die Gelegenheit, meinem Ärger Ausdruck zu verleihen. Europa ist bei uns seit dem Zweiten Weltkrieg der Garant für den Frieden. Das stimmt, das sagen alle. Europa ist ein Garant der Stabilität. Ja, auch das stimmt. Wir alle loben Europa über den grünen Klee. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite hört man in der politischen Debatte folgende Kommentare: Ein Repräsentant Europas, Martin Schulz, ist angeblich Geschäftsführer von Schlepperbanden. Ein anderer, Herr Gauweiler, erklärt, die Europäische Kommission sei eine "Flaschenmannschaft", die ganz Europa durcheinanderbringe. Man hört Schlagworte wie "Sozialtourismus". Herr Seehofer sagt, wir wollten nicht zum Sozialamt Europas werden. Sätze wie "Wer betrügt, der fliegt" gehen durch die politische Diskussion. - Meine Damen und Herren, glauben Sie wirklich, mit einer solchen Rhetorik könnten wir die Akzeptanz Europas bei den Bürgern fördern? Ich glaube das nicht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage es ganz offen: Es ist unnötig, eine Diskussion über Kruzifixe oder Glaubenssymbole in Kirchen zu führen.

(Zuruf von der CSU)

- Ja, das ist unnötig. Ich sage das. Die Kommission hat dafür keine Zuständigkeit. Das zu sagen, gehört zur Ehrlichkeit dazu. Eine solche Diskussion ist nicht erforderlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Was solche Rhetorik in der politischen Auseinandersetzung angeht, steht die CSU auf meiner Liste meist an erster Stelle.

(Ministerpräsident Horst Seehofer: Ausschließ- lich!)

- Fast ausschließlich, stimmt. – Wer sich so äußert, fördert ein Europa der Bürger nicht. Es ist schon heuchlerisch, wenn man auf der einen Seite ein Europa der Bürger will und Europa auf der anderen Seite mit Kampfrhetorik bei den Bürgern gewissermaßen schlechtredet. Das fördert Europa nicht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich will einen weiteren Aspekt in die Diskussion einbringen. Was lesen die Bürgerinnen und Bürger, die 400 Millionen Europäerinnen und Europäer in den

verschiedenen Ländern, wenn sie die Zeitungen aufschlagen? Was hören sie, wenn sie im Radio Debatten zu Europa verfolgen? Sie hören: Schuldenkrise, Finanzmärkte, Bankenrettung, Stabilität, Eurobonds, Regulierung, Schuldengemeinschaft und vieles andere. Glauben Sie, dass die Menschen das noch akzeptieren wollen? Nein, das glaube ich nicht. Deswegen muss – die Gelegenheit besteht am nächsten Sonntag – der Wirtschafts- und Währungsunion in Europa der letzten Jahre endlich eine Sozialunion folgen. Ich glaube, Europa wird von den Menschen nur akzeptiert, wenn sie feststellen: Das ist nicht nur eine Institution für Großbanken, in der Milliarden hin- und hergeschoben werden. Das ist ein Land, ein Gebiet, ein Projekt, in dem soziale Stabilität herrscht und jungen Arbeitslosen geholfen wird und in dem nicht nur Rettungsschirme für Banken aufgespannt werden. Dort hilft man Familien und Rentnern und schafft soziale Sicherheit. Auf der politischen Ebene wird dies auch so gefordert.

Wir haben die Ära der Wirtschafts- und Währungsunion der letzten 10 oder 15 Jahre hinter uns. Wenn das alle parteiübergreifend wünschen, bin ich dafür, dass in den nächsten 15 Jahren die Ära Sozialunion folgt.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, dann wird Europa zu einem Europa der Herzen. Dann wird Europa zu einem Europa der Bürger.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Mensch hat behauptet, dass es einen Dissens in der Frage der Regionen gibt. Nein, wir wollen auch nicht, dass die Kultur, die Vielfalt, die Wirtschaft und die örtlichen Betriebe durch Europa domestiziert werden. Das wollen wir auch nicht. Das ändert man nicht, indem man dies immer wieder betont. Man ändert das, indem man dafür sorgt, dass Europa akzeptiert wird. Das wäre eine allgemeine politische Aufgabe. Daran sollten wir arbeiten.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat Frau Kollegin Kerstin Schreyer-Stäblein von der CSU das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium, Herr Ministerpräsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir überlegt, was ich inhaltlich noch alles sagen kann, weil die Kollegen Dr. Franz Rieger und Mechthilde Wittmann eigentlich alles gesagt haben. Ich bin über die Äußerung von Herrn Pfaffmann verwundert, der gesagt hat, er wolle es noch einmal ein Stück konkreter haben.

(Zurufe von der SPD)

Ich glaube, wir waren konkret genug. Ich finde das gerade vor einer Europawahl schwierig, weil wir über folgende Fragen diskutieren müssen: Woher kommen diese wirtschaftlichen Ungleichgewichte? Woher kommt der Unmut? Ich glaube schon, dass wir die richtigen Fragen stellen dürfen, ohne uns ausschimpfen lassen zu müssen, weil wir diese Fragen stellen; denn die Fragen sind wichtig. Das wissen Sie auch. Ich kann nur etwas weiterentwickeln, wenn ich bereit bin, kritische Fragen zu stellen.

(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Dr. Paul Wengert (SPD))

Diese Wahl ist besonders wichtig, weil die Kommission auf der einen und das Europäische Parlament auf der anderen Seite vor wichtigen Entscheidungen stehen. Wir diskutieren über die Erweiterung des Vertrags von Lissabon. Wir diskutieren über die Frage: Wer soll die Kommission vertreten? Es ist schon entscheidend, wer gewählt wird und wer uns vertritt. Herr Förster, Ihre Entschuldigung in allen Ehren, aber ich habe mir gestern Abend bewusst noch einmal Ihre Rede angehört. Ich wollte Sie einfach noch einmal genießen. Ich muss sagen, es ist ein Hammer, dass Sie eine große Volkspartei, die einzige Volkspartei in Bayern, so verunglimpfen, wie Sie das getan haben.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD)

Ich möchte Ihnen ebenfalls sagen, dass eine Entschuldigung nicht besser wird, wenn man einen anderen dabei angreift. Insofern ist das wirklich mehr als schwierig.

Im Übrigen macht Ihr Kandidat, Herr Schulz, das Gleiche, indem er sagt: Kreuze in Räumen sind konservativ und rückwärtsgewandt.

(Markus Rinderspacher (SPD): Das sagt er nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)

- Ich habe Ihnen das wörtliche Zitat mitgebracht. Das kann ich Ihnen gerne nachher geben. Im Übrigen hat Ihr ehemaliger Kollege, Herr Maget, heute in der Zeitung sehr deutlich formuliert, dass er das gleiche Problem sieht. Er schreibt, er wundere sich, dass EUParlamentskandidat Schulz dieses Thema angesprochen habe. Des Weiteren sagt er, er könne sich in Bayern keinen Berggipfel ohne ein Kreuz vorstellen. Er verstehe nicht, warum die Debatte so geführt werde.

(Beifall bei der CSU)

Im Übrigen finde ich es schwierig, weil diese Entscheidung bekanntlich in den Mitgliedstaaten getroffen wird. Ich glaube, das wurde gerade schon von Herrn Kollegen Pfaffmann ausgeführt. Deswegen weiß ich nicht, warum er diesen Punkt auf diese Weise aufgreift. Dafür gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder weiß er es nicht, oder er verkauft an dieser Stelle unsere christlichen Werte. Das geht nun mal nicht.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD)

Ich bin sehr froh, wenn junge Menschen christliche Werte leben und sich diesen nähern. Ich kann mir Räume ohne Kreuze nicht vorstellen.

(Beifall bei der CSU – Unruhe – Zuruf der Abge- ordneten Christine Kamm (GRÜNE))

Der europäische Gedanke wurde von ganz vielen Menschen vorwärtsgebracht, sowohl von Sozialdemokraten als auch von CSU-lern. Sie haben für Frieden, Freiheit und Toleranz gekämpft.

(Unruhe)

Alle haben dieses Wertefundament. Genau deswegen sage ich: Martin Schulz hat sich mit seinen Aussagen disqualifiziert.