Darauf behaupten Sie: Wir kommen unseren humanitären Verpflichtungen nach. – Das finde ich schlicht und einfach bodenlos.
Frau Müller, wir haben heute Morgen in der Ausschusssitzung schon heftig diskutiert. Ich habe Sie mit dem Vorwurf konfrontiert, den ich schlagwortartig jetzt hier wiederholen will. Immer wieder wird behauptet, der Anstieg der Zahlen von Asylbewerbern und Flüchtlingen sei irgendwie durch Einwirkung von außen eingetreten und die Probleme seien durch Fälle von Masern in München oder andere Umstände verursacht. – Nein, die Krisenherde in der Welt haben zu einem Anstieg der Zahlen von Asylbewerbern und Flüchtlingen geführt. Das wird vollkommen klar, wenn man nur die "Tagesschau" sieht. Ich will Sie damit konfrontieren, dass die Zahl der Flüchtlinge nach Bayern von rund 3.400 im Jahr 2008 auf 16.700 im Jahr 2013 gestiegen ist. Im Juni 2011 fand ein Treffen von Innenminister Herrmann mit dem Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg statt. Damals wurde eine gemeinsame Presseerklärung herausgegeben. Darin wird der Präsident des Bundesamts mit den Worten zitiert: "Mit der steigenden Zahl von Menschen, die Gewalt oder auch einfach Armut entfliehen, sind wir gemeinsam vor neue Herausforderungen gestellt". Diese Presseerklärung datiert vom Juni 2011.
Die SPD hat 2011 einen Antrag gestellt, der im Sozialausschuss behandelt wurde. Wir haben bereits damals eine dritte zentrale Erstaufnahmeeinrichtung gefordert. Diese Forderung haben wir nicht zum ersten Mal erhoben, aber ich will sie als Erstes zitieren. Das Ministerium antwortete damals: Es besteht Einigkeit der Regierungen und aller beteiligten Ministerien darin, dass es einer dritten Aufnahmeeinrichtung bedarf. Die "Immobilien Freistaat Bayern" wurde beauftragt, nach einem Standort zu suchen. – Dies wurde im Mai 2011 verlautbart.
Im Oktober 2011 wurde die Suche gestoppt: Die Kapazitäten seien ausreichend, wurde behauptet, obwohl die Zahlen angestiegen sind; darauf habe ich vorhin hingewiesen. Die Errichtung einer dritten zentralen Erstaufnahmeeinrichtung sei gegenüber dem Finanzministerium nicht zu rechtfertigen.
Zwei Monate später entstand die erste dramatische Situation in Zirndorf: vollkommene Überlastung. Wiederum reichte die SPD einen Antrag ein. In der Sitzung des Sozialausschusses vom 1. Dezember 2011 meinten die Kollegen der CSU, eine dritte Erstaufnahmeeinrichtung werde nach derzeitigem Stand nicht benötigt. Bei einem Anstieg des Zuzugs bedürfe es jedoch wahrscheinlich einer dritten Erstaufnahmeeinrichtung.
An dieser Stelle möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der CSU, der Mehrheitsfraktion, ansprechen. Kollege Seidenath, wir haben viel gestritten. Ich kann wörtliche Zitate von Ihnen anführen. Auch Sie haben Ihre Staatsregierung letztlich nie beauftragt, in dieser Situation aktiv zu werden. Sie haben das Nichthandeln immer unterstützt.
Schon im Dezember 2011 hat der Leiter der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf, ein wirklich sehr besonnener Mann – auch Sie kennen ihn, Frau Müller -, der vor Ort sehr gute Arbeit leistet und in diesen Belangen sehr erfahren ist, eindringlich gefordert, dass in Bayern ein Puffer geschaffen werden muss, um Zirndorf zu entlasten.
Am 1. Februar 2012 gab es einen interfraktionellen Antrag der Oppositionsparteien, die Aufnahmekapazitäten um 50 % zu erhöhen. Auch dieser Antrag wurde von der CSU-Mehrheit abgelehnt, obwohl das zuständige Bundesamt während des Jahres 2012 seine Prognosen permanent nach oben korrigiert hat. Es kam immer wieder zu Überbelegungen in München und Zirndorf. Die Staatsregierung und die CSU-Fraktion haben weiterhin alles verharmlost, verschoben, auf andere abgewälzt und Prognosen ignoriert nach
dem Motto: Es wird schon reichen, wir stellen noch ein paar Container auf und schicken einfach viele wieder nach Hause. Das war letztlich der O-Ton aus der CSU-Fraktion.
Im Oktober 2012 stellte die SPD den nächsten Antrag auf eine dritte zentrale Erstaufnahmeeinrichtung und eine Verbesserung der Lage. Wiederum kam es zur Ablehnung. Ich will es an dieser Stelle mit der chronologischen Aufzählung bewenden lassen.
Ich möchte vielen Vorrednern der CSU sagen: Ich finde es schlicht und einfach bodenlos, Herr Kreuzer, dass Sie heute hier sagen, die Opposition wird ihrer Aufgabe nicht gerecht, obwohl alle Redner der Oppositionsparteien heute mit Fakten, mit Anträgen, mit Schriftlichen Anfragen, mit Antworten und Protokollzitaten dargelegt haben, dass wir den Dingen sehr wohl immer nachgegangen sind und Sie aufgefordert haben, in bestimmten Fragen endlich aktiv zu werden. Uns dann so etwas vorzuwerfen, finde ich schlicht und einfach bodenlos.
Die Folgen dieses Nichthandelns sind, dass in einem Vorzeigeland wie Bayern, wie Sie so gerne betonen, unmenschliche, unwürdige und – ich füge hinzu – auch gefährliche Zustände herrschen, die nicht hinzunehmen sind. Menschen mussten sogar auf der Straße übernachten, Familien mit Kleinkindern stundenlang vor der Aufnahmeeinrichtung auf Einlass warten, mehrere Stunden für Essen und Getränke anstehen. Bei der medizinischen Versorgung besteht vollkommene Fehlanzeige. Damit werden Menschenleben gefährdet und wird, wie erst gestern berichtet, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten in Kauf genommen. Traumatisierungen der ankommenden Flüchtlinge werden nicht erkannt. Unerkannt sind sie nicht nur für die Betroffenen belastend, sondern – und das bitte ich ernst zu nehmen – bergen auch Gefahren für Helfer und Mitbewohner.
Auch zu diesem Punkt wurden viele Anträge der SPDFraktion schlicht ignoriert. Diese Situation führt aber auch zu einer dauerhaften Höchstbelastung der Beschäftigten in Zirndorf und in München. Was dort zugemutet und geleistet wurde und wird, ist auch vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht einer Behörde gegenüber den Beschäftigten vollkommen untragbar.
tigten angemessen zu würdigen. Das ist wirklich eines der wenigen Dinge, die wir noch machen können. – Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer in ganz Bayern wäre die Situation noch viel dramatischer. So hat zum Beispiel das Klinikum Nürnberg auf freiwilliger Basis mit unbezahlter Arbeit einen Notdienst in Zirndorf eingerichtet. In sozialen Netzwerken wurden Aufrufe gestartet, in denen um Sachspenden, Schuhe, Kleidung etc. gebeten wird. Der Erfolg ist großartig. Es gibt viele Unterstützer. Ehrenamtliche besuchen vor Ort die Unterkünfte und helfen bei der Suche nach Schulen und Ausbildungsmöglichkeiten. Sie sorgen mit ihrem ehrenamtlichen Engagement für ein Stück Willkommenskultur, eine Aktivität, welche die Staatsregierung vollkommen vermissen lässt.
Herzlichen Dank an dieser Stelle an alle, die sich im Land Bayern engagieren. Sie alle tragen dazu bei, dass die Ankommenden nach einer traumatisierenden Flucht und nach wirklich schweren Erfahrungen ein Stück Geborgenheit vorfinden und Bayern in nicht ganz so schlechter Erinnerung behalten werden.
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Fakten ist es geradezu fahrlässig, wenn Sie, Frau Müller, die derzeitigen Zustände als nicht vorhersehbar einstufen
und behaupten, dass Ihre Politik eine – ich zitiere – verantwortungsvolle Asylpolitik und keine Abschreckungspolitik ist. Die SPD-Landtagsfraktion lässt Sie hier nicht aus der Verantwortung. Die bayerische Flüchtlingspolitik hat vollkommen versagt. Das so gerne von allen Mitgliedern der Staatsregierung dargestellte Vorzeigeland Bayern ist in der Frage der Flüchtlings- und Asylpolitik ein Entwicklungsland.
Jahrzehntelang hat die CSU verleugnet und nicht zur Kenntnis genommen, dass die Bundesrepublik Deutschland und damit auch Bayern ein Einwanderungsland ist. Inzwischen ist dies eine allgemeine Erkenntnis, die, Gott sei Dank, auch bei der CSU angekommen ist und, vielleicht noch mit Fragezeichen, bundesweit fachlich anerkannt ist. Fast als politische Parallele bezeichne ich, dass Sie seit einigen Jahren die Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen, dass Europa und damit Deutschland und Bayern ein Ziel internationaler Fluchtbewegungen ist. Sie brauchen wahrscheinlich wieder Jahrzehnte, um sich der Situation tatsächlich zu stellen.
lingskonvention unterschrieben. Wir haben ein Grundgesetz, in dem das Recht auf Asyl steht. Sie reagieren mit Abwehr, Hinhalten, Vertrösten und wälzen das Thema auf Städte und Gemeinden ab. Nürnberg, Erlangen, München, Bayreuth, Regensburg, Deggendorf, Schweinfurt und jüngst auch Augsburg, aber auch viele Landkreise und kleinere Gemeinden haben sich der Situation gestellt und schnell und unbürokratisch reagiert. Deren Aktivitäten waren wirklich vorbildlich. Ein herzliches Dankeschön an alle, die dort geholfen haben, Schlimmeres zu verhindern.
- Ich finde es sehr interessant, dass Sie hier eine Unterhaltung führen. Unterhalten Sie sich ruhig weiter. Das zeigt nur Ihre Ignoranz gegenüber dem Thema.
Die Verantwortung liegt, um das noch einmal deutlich zu sagen, ausschließlich bei der Staatsregierung und der Mehrheitsfraktion hier im Haus. Innenminister Herrmann ist gerne dabei, wenn es darum geht, das Thema zu verschieben.
Der deutlich kleinere Teil der Flüchtlinge, die aus den westlichen Balkanstaaten zu uns kommen, wird oft als Kern des Problems bezeichnet. Dies ist schlicht falsch. Die SPD hat sich auf Bundesebene nicht verweigert. Sie kennen den Gesetzentwurf; er liegt im Moment im Bundesrat.
Ich sage Ihnen aber gleich, und das sagen alle Experten, die sich damit dauerhaft beschäftigen: Es wird keine Entschärfung des Problems bringen, wenn die westlichen Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Im Grunde bedienen Sie mit solchen Argumenten nur die Stammtische. Ich denke, gerade bei diesem Thema sollten wir sehr aufpassen, welche Worte wir wählen.
Neuerdings – das will ich noch kurz sagen – hat der Ministerpräsident entdeckt, dass wir die Grenzen dicht machen könnten. Er möchte gerne Großmacht spielen. Aber da hat er gar nichts zu melden. Das wird nämlich letztlich in Europa entschieden. Ich verweise nur auf den Satz von Bundesinnenminister de Maizière: Dieser Vorschlag aus Bayern ist vollkommen unrealistisch. – Er sagt alles.
Herr Ministerpräsident, letztlich sollten Sie sich mit der Europaministerin für eine gemeinsame und nachhaltige Flüchtlingspolitik in Europa einsetzen. Das wäre
Ihre Aufgabe. Diese Politik des Ignorierens, der Abwehrhaltung, des Hinhaltens, des Vertröstens und der Ablenkung hat dazu geführt, dass Bayern jetzt Krisenmanagement betreiben muss. Die Leidtragenden sind nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch all diejenigen, die täglich mit der Situation konfrontiert sind. Krisenmanagement verursacht aber – ich sage das als Botschaft an den Finanzminister – auch höhere Kosten. Sie müssen jede Immobilie anmieten. Eine Anmietung von Immobilien unter Zeitdruck ist teurer als eine vorausschauende Politik.
Fazit: Menschen verlassen nicht ohne Grund ihre Heimat. Wir sehen jeden Tag Gründe, die Heimat zu verlassen. Für eine Darstellung habe ich jetzt leider nicht die Zeit. Am meisten sind die Nachbarstaaten der Krisenregionen betroffen. Wir brauchen hier in Bayern, in Deutschland, in Europa eine breite Diskussion darüber, wie wir nachhaltig mit dem Thema Flucht und Vertreibung umgehen. Dabei muss klar sein: Europa ist ein Fluchtziel und wird es für lange Zeit bleiben.
Bei dieser Diskussion fordern wir Grundsätze ein: Probleme werden in Bayern nicht gegeneinander, sondern miteinander gelöst. Bayern ist ein weltoffenes Land. Wir stellen uns unserer humanitären Verantwortung vor Ort in den Krisenregionen, aber auch hier in Bayern. Wir führen die Diskussion sachlich und fachlich und vor allem mit Respekt vor den Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens ihr Heimatland verlassen. Wir wählen Worte, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich richte das auch an die Staatsregierung –, die Ängste abbauen und nicht schüren. Bei einer solchen Asylpolitik wären wir gerne dabei.
Frau Kollegin Weikert, ich gebe nur einen Hinweis: Sie haben meine Eingangsaussage falsch verstanden. Ich habe von den weltweit größten Flüchtlingsbewegungen gesprochen, die sich bei uns momentan in höheren Zahlen niederschlagen. Die Größenordnung von damals, knapp eine halbe Million, haben wir, Gott sei Dank, noch nicht erreicht. Aber in diese Richtung geht es natürlich, wenn die Flüchtlingsbewegungen weltweit so groß sind. – Das wollte ich nur noch klarstellen. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als der Asylkompromiss geschlossen wurde.
(Von der Rednerin nicht au- torisiert): Ich sage darauf nur: Die UNO-Berichte sagen – ich würde einmal harmlos sagen – seit mindestens zehn Jahren, dass die weltweiten Fluchtbe
wegungen zunehmen, Krisenherde Gott sei Dank zwar weniger werden, aber viele andere dazukommen. Das lasse ich schlicht und einfach nicht gelten.
Jetzt darf ich für die FREIEN WÄHLER Herrn Kollegen Dr. Fahn das Wort erteilen. – Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im letzten Jahr lautete ein Antrag der CSU, der sogar noch eine Mehrheit bekam: Asylpolitik menschlich und modern. Unglaublich, wenn man sich die heutigen Zustände in Bayern anschaut!
- Verehrter Herr Kreuzer, alle Experten sind sich darin einig – ich habe alle Zeitungsartikel dazu gesammelt –, ob es kirchliche Vertreter sind, ob das der Flüchtlingsrat ist, die Münchner Diakonie, die kommunalen Spitzenverbände oder das Rote Kreuz: Was sich derzeit in Bayern abspielt, ist eine humanitäre Katastrophe und eines reichen Landes wie Bayern unwürdig. Das ist menschenverachtend. Fundamentale Versäumnisse zeigen sich jetzt. Um es klar und deutlich zu sagen – ich werde es nachher noch etwas erläutern –: Nicht die Masern in der Bayernkaserne sind schuld, nicht die bösen Italiener, sehr geehrter Herr Innenminister, sondern die Bayerische Staatsregierung hat die Zeichen der Zeit sehr lange nicht erkannt und merkt jetzt, wie groß die Probleme sind.