Protokoll der Sitzung vom 11.02.2015

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Karl Freller, Erwin Huber u. a. und Fraktion (CSU) Vergabe der S-Bahn-Verkehre in Nürnberg (Drs. 17/5236)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Unser erster Redner ist Herr Kollege Roos. Bitte schön, Herr Kollege Roos.

Werte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Schock in der gesamten Metropolregion Nürnberg, insbesondere aber bei denen, die Kunden oder gar Beschäftigte beim Nürnberger S-Bahn-Netz sind. Die Tatsache, dass ein ausländisches Unternehmen, zwar mit einem Tochtersitz in Deutschland, nämlich die National Express Rail GmbH, eine Ausschreibung der Bayerischen Eisenbahngesellschaft – BEG – gewinnt, hat vielen nicht nur einen Schock versetzt, sondern auch zu einer regelrechten Schockstarre geführt. Manche meinten, die

DB Regio müsste nun mit Zeter und Mordio dagegen zu Felde ziehen.

Ich war am Montag gemeinsam mit Herrn Kollegen Stefan Schuster in der Mitarbeiterversammlung der DB Regio in Nürnberg, im Karl-Bröger-Haus. Sowohl das Management als auch die Beschäftigten waren erstaunlich gefasst. Es war schon beachtlich, wie sie mit dieser prekären Situation umgegangen sind und nicht Schimpf und Schande über andere ausschütteten, sondern überlegten, was man noch machen kann. Beispielsweise könnte rechtlich eine Rüge ausgesprochen und verfolgt werden. Vor allem aber geht es darum, den Beschäftigten das Gefühl zu geben, dass sie nicht verloren sind, dass sie nicht alleine stehen, dass Management, Betriebsrat und Beschäftigte zusammenstehen.

In der Sitzung der SPD-Landtagsfraktion heute Morgen waren die Kollegen Betriebsräte, Kollege Manfred Leuthel und Vertreter der Bahngewerkschaft EVG anwesend. Wir haben uns deren Sorgen zu eigen gemacht, nicht um aufzuwiegeln, sondern um nach Lösungen zu suchen. Das Problem liegt darin, dass die BEG auf Geheiß der Bayerischen Staatsregierung in ihre Ausschreibungen zwar vieles bis in die kleinsten Kleinigkeiten hineindiktiert, beispielsweise wie eine Zugausstattung aussehen soll; aber was die Beschäftigten und deren Sozial- und Tarifstandards oder gar deren Tarifbindung angeht, findet man nichts. Es steht in hohem Maße zu vermuten, dass das Unternehmen mit Dumpingpreisen in den Wettbewerb hineingeht; denn anders ist es nicht zu erklären, dass es einen Euro pro Zugkilometer unter dem Angebot der anderen Anbieter liegt. Das sind pro Jahr 7,4 Millionen Euro. Das bedeutet für die Jahre 2018 bis 2030 enorm viel Geld. Das muss man erst einmal verdienen. Deshalb ist auch der Verdacht begründet, dass es hier weniger um ein aktuelles Projekt als vielmehr um den Markteintritt mit der Brechstange geht.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im ersten Teil des Dringlichkeitsantrags geht es darum, dass wir Aufklärung wollen. In dieser Frage kommt uns die CSU mit ihrem nachgezogenen Dringlichkeitsantrag entgegen, wonach bereits die BEG und das Innen- und Verkehrsministerium morgen im Wirtschaftsausschuss befragt werden können. Das werden wir tun. Herr Kollege Huber und Herr Kollege Rotter, es ist auch sachgerecht, dass wir die Sitzung morgen in einen öffentlichen und einen nichtöffentlichen Teil splitten; denn die Rüge der DB Regio wirkt noch nach, und viele Details müssen vertraulich bleiben. Dennoch, die Mehrheitsfraktion stiehlt sich davon und sagt nichts zu dem, was die Sozial- und Tarifstandards anbelangt.

Da werden wir morgen noch ganz gründlich auf den Zahn fühlen müssen. Wenn man nämlich Pünktlichkeit, Wagenmaterial, Komfort und vieles mehr kontrolliert, die Preisentscheidung aber auf dem Rücken des Personals trifft , dann ist das falsch.

Ich will auch am Fahrgastverband PRO BAHN Kritik äußern. Der sieht anscheinend künftig rosige Zeiten kommen, weil es dann Toiletten in den S-Bahnen geben wird. Sie kümmern sich aber nicht um die Tarifstandards, und vor allem, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch DB Regio hätte in der neuen Periode 2018 bis 2030 viele Optimierungen eingebaut. Angesichts dessen, dass die DB Regio einen tollen Job gemacht hat, das Angebot quantitativ und qualitativ zur allgemeinen Zufriedenheit verbessert hat und auch im Ranking der BEG selbst gut dasteht, wird die Entscheidung von letzter Woche umso unverständlicher.

(Beifall bei der SPD)

Ich schließe mit einem Szenario, das sich die Herren Dobrindt und Herrmann, beide von der CSU, hinter die Ohren schreiben sollten: Was passiert hier? – National Express Rail will doch nicht nur das S-BahnNetz Nürnberg. Die sind auch in Baden-Württemberg zugange, und sie haben auch in Nordrhein-Westfalen Erfolg gehabt. Wenn man aber quer durch die Bundesrepublik verschiedene Stationen hat, dann ist nicht auszuschließen oder sogar sehr anzunehmen, dass die NER Fernverkehr fahren will. Das heißt, die Bundesregierung und die CDU/CSU setzen sich die Laus in den eigenen Pelz, in den Pelz der DB. Die aber gehört uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sollten wir sie hüten wie unseren Augapfel.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Roos. – Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Rotter. Bitte schön.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie man bei einer Wortmeldung zu einem Antrag, in dem man einen Bericht wünscht, der noch dazu bereits morgen auf der Tagesordnung steht, derart vom Leder ziehen kann, das ist mir wirklich schleierhaft.

(Beifall bei der CSU)

Bei all dem durchaus vorhandenen Überraschungsmoment, nicht nur in der Region Nürnberg, steht jetzt fest, dass neben vielen anderen Wettbewerbsprojekten nun auch ein großes Projekt von einem Wettbewerber gewonnen worden ist; das gestehe ich durchaus zu. Aber ist es gerechtfertigt, hier gleich von Schockstarre zu sprechen? – Ich meine, wenigstens

haben Sie eingeräumt, dass Management und Beschäftigte der DB Regio AG das durchaus etwas entspannter sehen; denn es ist weiß Gott nicht der erste Wechsel von dem ursprünglichen, alleinigen Betreiber Deutsche Bahn AG zu einem Wettbewerber, und es gibt auch schon wieder Wechsel zurück. Das zeigt, dass der Wettbewerb auch in diesem Bereich durchaus funktioniert.

Sie bringen hier einiges an Unterstellungen – von wegen Dumpingpreise, Markteintritt mit der Brechstange. Ja, wenn Sie sowieso alles schon wissen, warum stellen Sie dann noch einen Berichtsantrag? – Das ist wirklich die Frage.

(Beifall bei der CSU)

Allerdings sind wir natürlich dafür, dass im Wirtschaftsausschuss berichtet wird. Darum haben wir auch einen Dringlichkeitsantrag nachgezogen, weil wir uns der Brisanz des Themas, das insbesondere in der Region Nürnberg vorhanden ist, durchaus bewusst sind. Die BEG hat hier auch nichts zu verschweigen. Es ist nicht so, dass das eine geheime Kommandosache ist. Selbstverständlich mussten wir es aber in einen nichtöffentlichen und einen öffentlichen Teil splitten, nachdem die DB Regio – womöglich auch getrieben durch das große öffentliche Interesse – jetzt gegen diese Vergabe Einspruch eingelegt hat.

Ich musste im Übrigen schon mit einem gewissen Schmunzeln feststellen, wie viele neue Freunde die DB jetzt auf einmal gewonnen hat; denn diejenigen, die jetzt Zeter und Mordio schreien, sind die Gleichen, die ansonsten genau diese DB Regio durchaus heftig und auch manchmal überzogen kritisieren.

(Beifall bei der CSU)

Dass Sie im Übrigen meinen, wir stehlen uns davon, ist schon – das muss ich wirklich sagen – ein dicker Hund. Nachdem das in Ihrem Berichtsantrag, der mit Unterstellungen gespickt ist, auch durchgängig zum Ausdruck kommt, werden wir diesen Antrag ablehnen. Wir können dem einfach nicht zustimmen.

Sie bekommen natürlich dennoch recht: Morgen wird berichtet, weil es eben auch unser Wunsch ist, dass morgen berichtet wird. Wir können dann auch ausgiebiger diskutieren; heute möchte ich den Kolleginnen und Kollegen nicht zumuten, dass wir diese Debatte, die dann morgen geführt wird, heute im Plenum vorexerzieren. Ich möchte nur eines deutlich machen: Würden die Wettbewerber, auch ohne dass das in den Ausschreibungsbedingungen ausdrücklich vorgeschrieben wird, nicht ordentlich bezahlen, dann wür

den sie kein Personal bekommen, und schon gar kein qualifziertes.

Ich fahre selber regelmäßig auf einer Strecke, die seit vielen, vielen Jahren von einem Wettbewerber mitbedient wird. Wir haben einen Parallelverkehr: Das eine ist der "alex", der mittlerweile von der Länderbahn betrieben wird. Ursprünglich war hier die Schweizer Mittelthurgaubahn mit dabei, und das hat weiß Gott hervorragend funktioniert. Die Menschen bei uns haben es sehr bedauert, dass bei der Neuausschreibung des Dieselnetzes Allgäu nicht der "alex" zum Zug gekommen ist, sondern die DB Regio. Also, es geht auch andersherum.

Das Personal wechselt; ich weiß das von einem, der "alex" mitaufgebaut hat und der sehr, sehr lange bei "alex" als Zugbegleiter gewesen ist. Er ist jetzt zur DB Regio gewechselt, weil sie ihm ein gutes Angebot gemacht haben. Allerdings war er vorher auch sehr zufrieden mit seinem bisherigen Arbeitgeber. Also, hier wird wirklich viel mit Unterstellungen gearbeitet. Wenn nicht ordentlich bezahlt wird, dann erhalten private Wettbewerber überhaupt kein Personal.

Bei all den privaten DB-Konkurrenten, die als EVUs auf deutschen und jetzt insbesondere auf bayerischen Schienen fahren, gibt es Tarifverträge. Auch da gibt es Tarifverträge, die von den Gewerkschaften – seien es DGB-Gewerkschaften oder sei es der GDL – und dem jeweiligen Betreiber ausgehandelt worden sind. Gerade beim GDL-Streik konnte man feststellen, dass es durchaus Linien gab, die nicht betroffen waren, weil es dort eben andere Tarifverträge gab. Von daher hatten wir zumindest im Allgäu den Vorteil, dass wir alle zwei Stunden eine Alternative hatten. Ähnliches gilt auch in Richtung Regensburg – Hof und ebenso auf anderen Strecken. – Also, hier jetzt den Untergang des Abendlandes darzustellen, ist überzogen. Wir wollen morgen einen nüchternen Bericht erhalten und werden darüber entsprechend diskutieren. Ich bitte von daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Rotter. – Unser nächster Redner ist der Herr Kollege Glauber. Bitte schön, Herr Glauber.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn: Ich kann den Antrag der Kollegen von der SPD natürlich verstehen. Quer durch Franken ging bei der Veröffentlichung ein großer Aufschrei, wie die Ausschreibung und damit die Vergabe jetzt wohl verlaufen werden; es wurde befürchtet, dass National Express Rail den Zuschlag erhält.

Zur Frage, inwieweit wir als Bayerischer Landtag, als Wirtschaftsausschuss bisher wirklich an Ausschreibungen beteiligt waren, muss ich sagen, dass zumindest beim Übergang vom bisherigen Geschäftsführer Czeschka zum neuen Geschäftsführer Niggl eine Veränderung eingetreten ist. Jetzt wird dem Ausschuss deutlich besser und auch nichtöffentlich berichtet, sodass dem Ausschuss natürlich auch Inhalte aus Ausschreibungen mitgeteilt werden.

Ich kann nicht ganz verstehen, warum man das Ausschreibungsmodell erst einmal verurteilt. Grundsätzlich ist das Ausschreibungsmodell richtig und wichtig. Es gehen schon heute 30 % des S-Bahnverkehrs an Mitbewerber der Deutschen Bahn, und der Wettbewerb hat grundsätzlich noch nicht geschadet. Die Gewinner sollen die Fahrgäste sein. Damit ist es auch wichtig, dass den Kunden auf den Strecken, die wir mit Regionalisierungsmitteln, mit öffentlichem Geld bezahlen, ein möglichst gutes Angebot gemacht wird.

Ich kann verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass Sie dort Tarifstandards verankert sehen wollen. Diesbezüglich bin ich auch gespannt, wie morgen im Ausschuss darüber berichtet wird. Genau diese Tarifstandards gibt es im Baubereich, und wir hätten sie auch jederzeit im Bereich des Nahverkehrs dort besser fixieren können. Ich bin daher gespannt, wie morgen die BEG dazu Stellung nimmt. Ob sich das Instandhaltungswerk auf die Ausschreibung negativ auswirkt, wie schon im Sommer 2014 geunkt wurde, werden wir auch morgen sehen.

Grundsätzlich "raufe" ich mich öfters mit dem Kollegen Erwin Huber. Ich muss aber sagen, er hat es geschafft, dass wir morgen dazu gleich eine Anhörung haben. Ein Lob dafür, dass wir morgen dieses Thema im Prinzip direkt im Ausschuss haben! Ich halte es für wichtig, einem solchen Thema sofort näherzutreten.

Grundsätzlich würde ich sagen, dass die DB ihre Qualität im Nahverkehr auch im Nürnberger Bereich nachgewiesen hat. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass zum Beispiel die Einführung des Talent bei der Linie S1 im Jahre 2010 bis zum Jahre 2012 dauerte. Zwei Jahre! Zusage 2007, und 2010 sollte der Talent 2 fahren. Das Fahrzeug fuhr nicht. Wir sind zwei Jahre lang mit Silberlingen der Sechzigerjahre durch die Gegend gescheppert, obwohl hier Regionalisierungsmittel bezahlt wurden.

Ich habe damals den Vorsitzenden der BEG Czeschka im Ausschuss mehrmals – einmal auch mit starker Unterstützung des Vorsitzenden Erwin Huber – gebeten, zu sagen, wie hoch die Pönalen sind, die der Freistaat aus der Nichterfüllung dieses Vertrages erhält. Diese Antwort ist uns die BEG, aber auch die

Bahn bis heute schuldig geblieben. Ich gehe davon aus, dass die Bahn zwei Jahre lang nie eine einzige Pönale dafür bezahlt hat, obwohl sie die Vertragsleistung nicht erbracht hat. Von daher will ich auch sagen, dass Wettbewerb gut ist. Ich möchte den Wettbewerb nicht verurteilen. Ich verstehe aber den Antrag der Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass zum Beispiel Tarifstandards hinein müssen.

Ansonsten schreiben wir in vielen Bereichen öffentlich aus; Planungsleistungen für uns als Architekten werden ab 207.000 Euro europaweit ausgeschrieben. Wir sprechen hier nicht von 207.000 Euro, sondern wir sprechen bei einer solchen Ausschreibung auch wieder von Qualitätsstandards. Die Sorge ist verstanden, aber auch die Fahrgäste müssen berücksichtigt werden. – Wir werden morgen Näheres hören und dann sehen, ob wir hier weiteren Handlungsbedarf im Ausschuss und auch im Landtag haben. Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Herr Kollege Glauber. - Die nächste Wortmeldung kommt vom Kollegen Ganserer. Bitte schön, Herr Ganserer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor rund einem Jahr haben wir uns im Wirtschaftsausschuss intensiv über missglückte Wettbewerbsprojekte unterhalten. Dabei stand nicht nur der Meridian auf der Strecke München – Salzburg,

(Erwin Huber (CSU): Rosenheim!)

Rosenheim – Salzburg - im Kreuzfeuer der Kritik, sondern die DB hatte auch im Werdenfels-Netz erhebliche Probleme, zum Wettbewerbsstart einen ordentlichen Betrieb auf die Reihe zu bekommen.

Wir haben daraufhin eine ganze Reihe von Anträgen eingebracht und gezeigt, wie man unserer Meinung nach die Ausschreibungen der Wettbewerbsprojekte verbessern könnte. Die Anträge werden morgen auch im Wirtschaftsausschuss beraten. Da auch wir nicht möchten, dass der Wettbewerb auf dem Rücken des Personals ausgetragen wird, enthält einer unserer Anträge aus diesem Paket die Forderung, die Tariftreueverpflichtung in die Ausschreibungskriterien der BEG mit aufzunehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dass nun mit der Vergabeentscheidung und dem Zuschlag des S-Bahnnetzes Nürnberg an National Express Rail das Thema neue Aktualität bekommt, ist für

unseren Antrag gut. Die Forderung der Opposition ist aber nicht neu. Seit Jahren fordern wir generell für Bayern ein Tariftreuegesetz, wie es in 14 anderen Bundesländern längst der Fall ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dass nun die unterlegene DB Regio die Ausschreibung anficht, ist ihr gutes Recht. Deshalb werden wir beiden Berichtsanträgen zustimmen, da auch wir sehr gerne die Hintergründe des Ausschreibungsverfahrens erfahren wollen. Wir halten es nicht für gut, dass selbst die zuständigen Fachabgeordneten im Landtag über solche Entscheidungen erst in der Presse informiert werden.