Protokoll der Sitzung vom 07.05.2015

Ganz zum Schluss: Ich bedanke mich dafür, dass jetzt bei drei von vier oder zweieinhalb von vier Fraktionen die Meinung Platz greift, dass es Nachbesserungsbedarf gibt. Wir sind uns in einem Ziel einig: Ein Arbeitnehmer in Bayern soll von seinem Lohn leben können. 8,50 Euro sind nicht das Problem – die Umsetzung ist das Problem.

(Beifall bei der CSU)

Herr Dr. Schwartz, bitte bleiben Sie am Rednerpult. Wir haben zwei Zwischenbemerkungen, zunächst Frau Schmidt.

Herr Dr. Schwartz, die Problematik wurde uns schon heute früh aufgezeigt. Sie zeigen sie noch einmal auf. Wir sind ja in Details einer Meinung. Wir brauchen nicht darüber zu reden, dass es nicht um 8,50 Euro geht. Sie hatten aber doch den Auftrag, diese Probleme in Berlin einzubringen. Sie waren dort vertreten und haben etwas unterschrieben. Fasse ich Ihre Rede richtig zusammen, wenn ich ausführe, dass Sie sagen: Das und das sind die Probleme, aber weil wir bis jetzt nichts gemacht haben, ändern wir vorerst auch nichts und stimmen dem Antrag nicht zu? War das die Quintessenz? – Wenn Sie den Mindestlohn so in dieser Form geschluckt haben, es also schon beim Mindestlohn nicht hinbekommen, habe ich Angst vor der Maut; denn sie wird erst recht nicht funktionieren.

Eigentlich möchte ich wissen, was die Quintessenz ist. Sie sprechen den ganzen Tag Probleme an, sagen aber, dass Sie allem, was zur Problemlösung

beiträgt, nicht zustimmen. Ich möchte wissen, wie Sie dann etwas verändern wollen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

(Vom Redner nicht auto- risiert) Danke für die Frage. Zum einen bin ich zu den Koalitionsrunden noch nicht eingeladen. Ein politisches Ziel erreicht man möglicherweise auf verschiedenen Wegen. Der Weg, auf dem es in den letzten 14 Tagen versucht wurde, führte nicht zum Ziel. Gehen Sie aber davon aus: Die CSU ist findig genug, um auf verschiedenen Wegen zu dem erwünschten Ziel zu gelangen.

(Zuruf der Abgeordneten Gabi Schmidt (FREIE WÄHLER))

Wir haben eine weitere Zwischenbemerkung des Kollegen Taşdelen.

Herr Kollege Dr. Schwartz, Sie haben in Ihrem Redebeitrag auch davon gesprochen, dass Zollbeschäftigte quasi bewaffnet in die Firmen gehen, um Mindestlohn- und andere Verstöße zu kontrollieren. Ich war früher beim Zoll beschäftigt. Wissen Sie, dass es eine Gefährdungsanalyse gibt, aufgrund deren diese Berufsgruppe als besonders gefährdet eingestuft wurde, und wissen Sie, dass die Zuständigkeit nicht beim Bayerischen Landtag liegt, sondern bei unserem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble? Wenn Ihnen das Thema so wichtig ist und Sie es bei jeder Rede ansprechen – alle CSU-Kolleginnen und Kollegen im Bayerischen Landtag, die ich in den letzten Wochen erlebt habe, sprechen von schwer bewaffneten Zöllnern, die in die Firmen einfallen und die Firmen kriminalisieren –, frage ich Sie: Haben Sie dann schon Bundesfinanzminister Schäuble konkret darauf angesprochen,

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

dass er diese Gefahrenanalyse noch einmal überdenken und neu bewerten soll?

Ich habe noch Herrn Finanzminister Söder in Erinnerung, der letztes Jahr im Hauptausschuss des Beamtenbundes auch den Bund der Zollbeschäftigten und die Zusammenarbeit mit den Steuerprüferinnen und prüfern absolut gelobt hat. Deshalb verstehe ich Ihre heutigen Anmerkungen – das tut mir leid – überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER)

(Vom Redner nicht auto- risiert) Ich bin ja deswegen da, um es Ihnen zu erklären. Das Wort Gefahrenanalyse allein weist uns doch schon den Weg. Sie sprechen im Augenblick von einer Situation, in der es nicht darum geht,

(Arif Taşdelen (SPD): Haben Sie Schäuble gefragt?)

Dinge in einem gefährlichen Umfeld zu überprüfen, weswegen möglicherweise Waffen angebracht sind. Wir sind die Ersten, die unseren Vollstreckungsorganen den Rücken stärken, was man nicht von allen Fraktionen immer automatisch erwarten darf. Eine Gefährdungsanalyse aber, die im Augenblick so ist, wie sie ist, und die dazu führt, dass man beim Bäcker bewaffnet kontrollieren muss, ist für uns nicht akzeptabel. Ich gehe davon aus, dass Minister Schäuble über die Position der CSU hinreichend informiert ist.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD)

Ich persönlich? Ich treffe ihn nicht.

Weitere Zwischenbemerkungen liegen nicht vor.

(Beifall bei der CSU)

Ich erteile jetzt Herrn Kollegen Roos das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Erneut beschäftigen wir uns heute mit einem Antrag der FREIEN WÄHLER, dieses Mal mit einem Dringlichkeitsantrag mit dem Titel: "Umsetzung des Mindestlohns I: Dokumentationspflichten entschärfen". Diese Ziffer I lässt schon befürchten, dass es weitere Anträge geben wird.

(Zuruf von den FREIEN WÄHLERN)

Die FREIEN WÄHLER surfen auf der gekünstelten Empörungswelle.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Die ist nicht gekünstelt!)

Sie ist absolut gekünstelt.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Gehen Sie zu den Mittelständlern hinaus!)

Sie tun damit sowohl Ihrer eigenen Linie als auch den ordentlichen Handwerkern und den Inhabern von KMU, für die Sie angeblich sprechen, einen Tort an. Leute wie Herr Kollege Hans Ritt stehen dagegen wirklich auf dem Boden des Grundgesetzes und der Arbeitnehmerschutzgesetze.

(Beifall bei der SPD und der CSU)

Auf diesem Boden müsste auch die Fraktion, die jetzt so scheinheilig Beifall geklatscht hat, stehen. Sie reitet jedoch ebenfalls auf der populistischen Welle.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Frau Kollegin Kerstin Celina hat heute in der Aktuellen Stunde das Richtige gesagt. Dafür wäre Applaus wirklich angebracht gewesen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte darauf hinweisen, dass den bosnischen Bauarbeitern, die von deutschen Unternehmern beschäftigt werden, ein Mindestlohn von 8 Euro versprochen wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, dass in der Baubranche weit höhere Mindestlöhne gelten. Dabei wird noch ein Sub-Subunternehmer zwischengeschaltet. Die Leidtragenden sind die Leute aus Bosnien. Diese Menschen werden um ihren gerechten Lohn betrogen; und es findet sich niemand, der darauf hinweist. Ich fordere deshalb die Fraktionen der CSU und der FREIEN WÄHLER auf, mit diesen Menschen für einen gerechten Lohn zu demonstrieren.

Die Dokumentationspflicht, um die es heute geht, bezieht sich auf den Beginn, das Ende und die Gesamtzahl der Stunden. Sie sagen, diese Dokumentation sollte einmal im Monat erfolgen. Angesichts der unterschiedlichen Einsätze dieser Leute spricht diese Forderung der Praxis Hohn. Der Arbeitnehmer kann diese Dokumentation täglich leisten, während der Arbeitgeber nur einmal in der Woche dazu verpflichtet ist.

Matthias Jena wird an dieser Demonstration teilnehmen. Der DGB hält weitere Kontrollen für notwendig. Wir haben in Berlin zu den Themen Mindestlohn und Dokumentationspflichten einen Kompromiss gefunden. Wir könnten deutlich mehr tun: Herr Kollege Schwartz, was halten Sie von einer Beweislastumkehr bei Mindestlohnansprüchen? – Möglich wäre auch die Einführung eines Verbandsklagerechts, sodass die Gewerkschaften für die Beschäftigten klagen könnten, ohne dass sich diese offenbaren müssten. Wir könnten ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern einführen oder das Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit auf mehr Branchen ausdehnen.

All diejenigen, die sich jetzt künstlich aufregen, zeigen, dass es sich lohnen würde, genauer hinzusehen, ob alles funktioniert und die Vorschriften eingehalten werden. Natürlich sollten beim Abschluss von neuen Arbeitsverträgen mehr Rechte und eine zweiwöchige Bedenkzeit eingeführt werden. Ich fordere den Justizminister, der im Moment nicht hier ist, auf, Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften einzuführen. Wir brauchen speziell ausgebildete Staatsanwälte und eine

Aufstockung des Prüfdienstes bei der Rentenversicherung. Dies liegt zwar nicht in der Hoheit des bayerischen Gesetzgebers und der Bayerischen Staatsregierung; dennoch wäre es gut.

Wir könnten noch einige Nachbesserungen vornehmen. Keine Nachbesserung wäre allerdings eine auch nur minimale Aufweichung der Dokumentationspflicht bzw. die Einführung eines Mindestlohns light. Wir müssen der Wirtschaft endlich dort, wo dies notwendig ist, auf die Finger blicken. Ich betone dabei: Ich spreche hier nicht von Herrn Kollegen Hans Ritt, sondern von denen, die systematisch die Rechte ihrer Arbeitnehmer aushöhlen, unabhängig davon, ob dies vor der Einführung des Mindestlohns war oder nach der Einführung des Mindestlohns der Fall ist. Die Hauptstoßrichtung zielt wohl auf das Arbeitszeitgesetz.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden weder dem Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER noch dem Dringlichkeitsantrag der CSU zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Danke. – Bitte, Frau Celina.

Lieber Kollege, erst einmal herzlichen Dank für das Lob. Das kommt ja selten vor.

Liebe Kollegen von den FREIEN WÄHLERN, ich habe mich ein wenig darüber gewundert, dass Sie eine schon am Vormittag in der Aktuellen Stunde geführte Debatte am Nachmittag bei den Dringlichkeitsanträgen gleich wieder aufleben lassen wollen. Vielleicht hegen Sie ja die Hoffnung, dass sich bei manchen Fraktionen über die Mittagszeit die Meinung geändert hat. Ich kann Ihnen aber versichern: Wir GRÜNE sind sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag der Meinung, dass die Dokumentationspflichten notwendig sind.

(Beifall bei den GRÜNEN – Unruhe)

Entschuldigung, Frau Celina. – Kolleginnen und Kollegen, ich bitte doch um etwas Ruhe!

Ich kann Ihnen versichern, dass wir GRÜNE bei weiteren fünf Debatten immer wieder neue Beispiele und Argumente finden werden, um unsere Meinung zu begründen. Was ist denn eine Entschärfung und eine praxiskonforme Anwendung der Mindestlohn-Dokumentationspflichten? Wer muss denn dokumentieren, und wie viel Arbeitszeit kostet das wirklich? – Klar ist, die Aufzeichnungspflicht um

fasst täglich drei Zahlen, nämlich Anfang, Ende und Dauer der Arbeit. Sie kann handschriftlich erledigt werden. Selbst bei langsamen Schreibern und langsamen Rechnern nimmt das täglich maximal zwei Minuten in Anspruch.

Die Aufzeichnungspflicht ist für verantwortungsvolle Unternehmen schon bisher selbstverständlich; denn wie will man eine stundengenaue Abrechnung machen? Wenn der Arbeitnehmer jeden Dienstag von 8.00 bis 12.00 Uhr arbeitet, genügt es, einen Zettel, auf dem dies vorgedruckt ist, zu unterschreiben. Wenn er jedoch schon um 7.30 Uhr gekommen ist und um 11.30 Uhr geht, muss er eben zwei Zahlen per Hand einfügen. Wo ist das Problem?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Manchmal kommt mir die erhitzte Debatte über die Dokumentationspflichten so vor, als habe Bundesministerin Nahles die Stechuhr persönlich erfunden. Ich kann Ihnen aber versichern: Die Stechuhr gab es lange vor der Ministerin und schon lange vor dem Mindestlohngesetz, nämlich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.