Protokoll der Sitzung vom 20.10.2015

(Beifall bei der SPD)

Herr Staatsminister, bitte.

Lieber Herr Rinderspacher, zunächst zu Ihrem

Hinweis auf vergangenen Freitag: Ja, es sind kluge, wichtige und richtige Beschlüsse gefasst worden. Ein großer Teil dessen, was beschlossen worden ist, ist maßgeblich auf Betreiben der Bayerischen Staatsregierung und der CSU erarbeitet worden. Darunter sind einige Punkte – das darf man vielleicht in aller Kollegialität auch sagen –, die noch vor wenigen Monaten von anderer Seite – ich will hier gar keine Namen nennen – strikt abgelehnt worden sind.

(Beifall bei der CSU)

Ich habe mich nicht veranlasst gesehen, das von mir aus hier anzusprechen, weil ich versucht habe, auf die durch Ihren Antrag gestellten Fragen zu antworten, und darin war davon nicht die Rede. Aber ich gehe immer gerne auch auf andere Fragen von Ihnen ein. So ist das nicht, Herr Kollege Rinderspacher.

Was die Grenzkontrollen anbetrifft, will ich Ihnen nur noch einmal sagen: Für mich – vielleicht habe ich als Innenminister eine einseitige Wahrnehmung – ist nicht nachvollziehbar, wie man zu der Einschätzung kommen kann, dass hinsichtlich einer insofern unbestimmten Menge an Flüchtlingen die Aufnahme in Deutschland insgesamt mit der Feststellung "Wir schaffen das!" erledigt wird, und wenn ich genau die Gleichen – keinen Einzigen mehr, sondern nur diese – an der Grenze kontrollieren will, wird von Ihnen infrage gestellt, dass wir das schaffen können. Das ist doch eine völlig absurde Entwicklung. Ich will nur dazu zurückkommen, dass jeder, der in unser Land kommt, erst einmal kontrolliert wird, und ich kann nicht das eine schaffen, ohne das andere zu schaffen. Deshalb werden wir daran ganz konkret arbeiten.

(Beifall bei der CSU)

Herr Minister, bitte bleiben Sie noch am Rednerpult. – Frau Kollegin Kamm, bitte.

Zunächst eine Vorbemerkung. Sie haben gesagt, Sie wollten das Dublin-System wieder in Kraft setzen. Ich meine, der Sommer hat gezeigt, dass das Dublin-System nicht nur in Bezug auf Griechenland, sondern in Bezug auf weite Teile der südlichen Länder nicht mehr in Kraft gesetzt werden kann, weil diese Länder schlicht und einfach überfordert sind. Die Zahlen zeigen das sehr deutlich. Beispielsweise wurden in Ungarn über 70.000 Flüchtlinge registriert. Ungarn hat aber nur eine Erstaufnahmeeinrichtung für 3.000 Flüchtlinge. Alleine durch Festhalten an allen Forderungen werden Sie also nicht weiterkommen.

Aber nun zu meiner Frage. Sie sagen, die Transitzonen seien so, wie Sie sie einrichten wollen, EU

rechtskonform. Ich habe Auskunft von der politischen Abteilung der EU-Kommission in Berlin eingeholt. Dort sagt man ganz klar, an den EU-Binnengrenzen seien sie nicht rechtskonform.

(Beifall bei den GRÜNEN – Jürgen W. Heike (CSU): Flughafen!)

Herr Staatsminister, bitte.

(Christine Kamm (GRÜNE): Entschuldigung! Darf ich noch ein Wort sagen? )

Bitte sehr.

Es gibt natürlich einen gravierenden Unterschied zum Flughafenverfahren. Im Flughafenverfahren kommen ja Leute von außerhalb Europas an irgendeinen Flughafen.

(Jürgen W. Heike (CSU): Nein! – Weitere Zurufe von der CSU)

Da ist es so, dass man genau weiß, woher der- oder diejenige kommt. Natürlich gibt es Unterschiede. Erkundigen Sie sich bitte rechtlich und erzählen Sie nicht einfach, was Ihnen bequem ist.

(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Florian Herrmann (CSU): Das ist völlig unlogisch!)

Herr Minister!

Frau Kollegin, ich kann Ihnen nur sagen, dass ich glaube, dass man den Text der EU-Richtlinie ohne Jurastudium lesen kann.

(Heiterkeit bei der CSU)

Manche Texte sind in der Tat extrem schwierig und verwirrend. Aber die Formulierungen dazu, dass man dieses Landgrenzverfahren im Falle von Grenzkontrollen durchführen kann, ist aus meiner Sicht auch für Nichtjuristen so lesbar, dass ich jedenfalls zu dem klaren Ergebnis komme: Sie sind auch im Fall von temporären Grenzkontrollen innerhalb des SchengenRaums zulässig.

Was die Gültigkeit der Dublin-Verordnung anbetrifft, so würde ich es in der Tat für dringend notwendig halten, dass man, wenn solche Zweifel bestehen, in Brüssel Klarheit schafft.

Ich verstehe auch die Entscheidungen des Europäischen Rats der letzten Wochen so, dass auf der Basis der Dublin-Verordnung gearbeitet wird. Welchen Sinn sollen diese Hotspots haben, und auf welcher

Rechtsgrundlage sollen sie in Italien, in Griechenland und schon in dieser Woche auf Lesbos arbeiten? Welche andere Rechtsgrundlage gibt es denn für sie? Ich glaube nicht, dass die Konzeption vorsieht, dass man jetzt auf Lesbos nach griechischem Landrecht arbeiten soll.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Vielmehr ist doch ganz offensichtlich, dass sie auf der Grundlage des EU-Rechts arbeiten.

(Zuruf der Abgeordneten Christine Kamm (GRÜNE))

Frau Kollegin, jetzt hat der Herr Staatsminister das Wort. Sie hatten zuvor das Wort; jetzt hat es der Herr Staatsminister. – Bitte, Herr Staatsminister.

Jedenfalls gehe ich im Moment davon aus, dass das EU-Recht die Grundlage für das ist, was jetzt entsprechend geurteilt wird. Im Moment kenne ich keine anderen Rechtsgrundlagen. Wir müssen uns, denke ich, hierauf besinnen. Wenn jemand ein anderes Recht einführen will, soll er es sagen, aber auch da befinden wir uns letztendlich wieder – ich will nicht zu weit ausholen – in einer doch erstaunlichen Entwicklung. Wir haben auch in Deutschland schon Rechtsmaterien erlebt, bei denen man gemerkt hat, dass sie überarbeitungsbedürftig sind. Wenn das so ist, müssen wir Gesetzesänderungen herbeiführen. Aber zu einer Diskussion in dem Sinne, wie Sie sie jetzt führen, indem Sie bei einer gültigen Rechtsnorm – es ist gültiges Recht, wenn wir die EU überhaupt noch ernst nehmen – einfach sagen: Sie hat sich überholt; wenden wir sie nicht mehr an, kann ich nur sagen: Damit wird der Rechtsstaat in seinen Grundprinzipien infrage gestellt.

(Beifall bei der CSU)

Ich kann ja auch bei einem Bundesgesetz nicht einfach sagen: Jetzt habe ich keine Lust mehr, dieses Bundesgesetz anzuwenden; ab sofort ist der Bayer nicht mehr der Bayer. Das ist doch eine völlig absurde Diskussion. Wenn Sie sagen, es muss überarbeitet, es muss geändert werden, dann muss man darüber reden. Aber Sie können doch nicht einfach sagen, dass Sie eine in Europa geltende Rechtsnorm einfach nicht mehr anwenden wollen. So kann man auch keine grüne Politik betreiben, liebe Freundinnen und Freunde.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Der Herr Ministerpräsident hat um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Ministerpräsident.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bedanke mich zunächst für die Ernsthaftigkeit der Diskussion zu diesem Punkt. Sie entspricht der Lage in unserem Lande. Sie ist ernst. Die Gefahr der Spaltung unserer Gesellschaft ist groß, ebenso die Gefahr der Radikalisierung und der Polarisierung. Es besteht, so denke ich, eine große Übereinstimmung darin, dass wir die Integrationsmaßnahmen, die wir beschlossen haben, möglicherweise in diesem Plenum in großem Einvernehmen formulieren und vielleicht auch verabschieden können. Ich kann Ihnen sagen – es waren ja gestern Abend verschiedene Kolleginnen und Kollegen in der Allerheiligen-Hofkirche anwesend –: Das "Wertebündnis Bayern" mit 131 Mitgliedern aus allen gesellschaftlichen Gruppierungen Bayerns hat diese Bemühungen mit sehr, sehr großem Beifall aufgenommen, und die Mitglieder werden ihrerseits schauen, dass sie in ihrem Wertebündnis Integrationsmaßnahmen umsetzen, wofür wir als Staatsregierung auch zusätzliches Geld zur Verfügung stellen.

Ich habe in meiner Regierungserklärung auch angeboten, dass wir uns nicht nur zur Integration, sondern auch in der schwierigen Frage der Zuwanderungsbegrenzung verständigen sollten; denn ich habe den Eindruck, dass sowohl die SPD-Fraktion als auch die FREIEN WÄHLER vom Grundsatz her an einer Zuwanderungsbegrenzung Interesse haben, wenn sie gut gestaltet werden kann, wenn sie rechtsstaatlich einwandfrei ist und wenn auch gewährleistet ist, dass eine Wirkung ausgelöst wird.

Deshalb möchte ich heute noch einmal den Versuch unternehmen, Ihnen nicht abstrakt – das diskutieren wir jetzt schon lange –, sondern einfach in einigen Punkten mein Konzept darzulegen. Dann können Sie die Punkte prüfen, dann können Sie auch darum bitten, das eine oder andere noch zu vertiefen, um dann zu beurteilen, ob wir das in Bayern machen können. Darauf kommt es entscheidend an; nicht schöne Worte, sondern nur noch Taten zählen in der Bevölkerung. Darauf komme ich am Schluss noch einmal zurück. Was stärkt eigentlich in unserem Land radikale Kräfte? An dieser Stärkung hat ja niemand von uns Interesse.

Ich möchte noch einmal sagen, was ich in der Regierungserklärung gesagt habe. Wir sind nicht in der komfortablen Situation, dass wir sagen könnten: Da gibt es einen Vorschlag, und wenn wir den realisieren, ist das die Gesamtlösung des Problems. Dafür ist das Problem zu vielschichtig, zu neuartig, zu komplex.

Außerdem wissen wir bei manchen Vorschlägen nicht, ob sie jemals realisiert werden, und wenn sie realisiert werden, welche Wirkung sie entfalten. Ich werde das bei einzelnen Punkten sagen.

Wir müssen immer davon ausgehen, dass wir ein ganzes Paket zur Zuwanderungsbegrenzung brauchen, und wir sollten das eine, weil es nicht ganz perfekt ist und weil es nicht hundertprozentige Lösungen verspricht, nicht dadurch konterkarieren, dass wir alles andere außer Acht lassen. Nur ein verschränktes System ist wirkungsvoll. Deshalb bitte ich Sie, noch einmal folgende sieben Punkte in Ihre Überlegungen einzubeziehen, die aus meiner Überzeugung – ich habe mich jetzt wirklich in Berlin und hier umfassend mit dem Thema beschäftigt – notwendig sind, wenn wir diese Völkerwanderung nicht stoppen wollen, sondern wenn wir sie steuern und begrenzen wollen. Auch darauf kommt es mir ganz entscheidend an.

Das Erste ist: Wir müssen die etwa 70.000 Menschen, die bei uns sind und die zurückgeführt werden müssen durch Abschiebung oder durch freiwillige Rückreise mit Erstattung der Rückfahrtkosten etc., auch tatsächlich zurückführen. Da müssen wir auch in Bayern noch entschieden besser werden. Ich sage das in aller Offenheit: Ich bin mit der Situation hier nicht zufrieden. Das war heute im Kabinett auch spürbar. Wir müssen uns insbesondere auch um Personen kümmern, die bezüglich ihrer Rückführung täuschen und tricksen mit falschen Identitäten oder mit Nichtmitwirkung und Ähnlichem mehr. Die Bevölkerung erwartet einfach von uns, dass wir die Menschen zurückführen, die hier kein Bleiberecht haben. Es sollen insgesamt 70.000, davon 14.000 in Bayern sein. Wenn getrickst und getäuscht oder nicht mitgewirkt wird, gibt das neue Recht jetzt die Chance, dass wir die Zahlung von Sozialleistungen einstellen, mit Sachleistungen arbeiten und nicht Geldleistungen fällig werden, die den Rückkehranreiz konterkarieren. Da sollten wir übereinstimmen, dass wir alles versuchen, um die Rückführung zu erreichen.

(Beifall bei der CSU)

Es gab letzte Woche eine Vereinbarung mit den Landräten und Oberbürgermeistern in den östlichen Regionen Bayerns, dass dies geschehen muss. Dies schafft nämlich gleichzeitig wieder Unterbringungskapazitäten für Menschen mit Schutzbedürfnis.

Dafür haben wir auch die Zentren in Bamberg und Manching eingerichtet. Dort sind jetzt 500 bzw. 400 Personen untergebracht. Ich denke, das muss man noch deutlich erhöhen. Der Grund war ja, an einem Ort Behörden und Juristen zusammenzuziehen, von den Beamten und Mitarbeitern des BAMF

bis hin zu den Verwaltungsrichtern. Dafür stellen wir zusätzliche Verwaltungsrichter, aber auch Personal bei den Verwaltungsgerichten ein. Nur wenn auch die Altfälle zusammengeführt sind oder jedenfalls ein großer Teil der Altfälle, werden wir die Beschleunigung hinbekommen, weil derzeit – das habe ich heute im Kabinett auch wieder gehört – mancher in der Früh dann nicht da ist, wenn er abgeschoben werden soll. Das hat man dort ganz anders im Griff.

Das wäre mein erster Punkt: die Rückführung oder aber auch die Abschiebung – ich spreche den Begriff auch aus –, insbesondere bei einem Personenkreis, der seinerseits Voraussetzungen schafft, dass er nicht zurückgeführt werden kann. Dann muss man eben mit den anderen Mitteln, die wir jetzt im Gesetz zur Verfügung haben, konsequent handeln. Das ist das Erste.

(Beifall bei der CSU)

Da schiebe ich nichts auf den Bund. Da haben wir auch als Bayerische Staatsregierung und bayerische Verwaltung noch einiges zu tun.

Ich würde übrigens auch empfehlen: Wenn wir vom Bund immer Transparenz fordern und wissen wollen, wie viele kommen täglich nach Deutschland, dann sollte auch Bayern regelmäßig veröffentlichen: Wie viele abzuschiebende Personen sind vorhanden, und wie viele haben wir in dieser Woche abgeschoben.