Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

(Beifall bei der SPD)

Wir hätten eine Entschuldigung des Bundesvorsitzenden der FREIEN WÄHLER erwartet für diese unerhörte Krawallaktion mit Ihrem Landrat Dreier aus Landshut in Berlin.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und Abgeord- neten der CSU – Hubert Aiwanger (FREIE WÄH- LER): Die SPD-Bürgermeister haben unterschrieben!)

Dem Vernehmen nach haben Sie, Herr Kollege Aiwanger und Frau Kollegin Widmann, die Public-Relations-Tour auf Kosten und auf dem Rücken der Flüchtlinge aus Ihren Privatmitteln finanziert. Diese Aktion war kein Beitrag zur Versachlichung der Flüchtlingsdebatte. Das war kein Beitrag zur politischen Aufklärung von Staatsorganen, wie Sie sich anzumaßen meinten. Es ging Ihnen auch gar nicht darum, die Bundeskanzlerin wachzurütteln, wie Sie verlautbart haben. Ich sage Ihnen: Menschen in Not und Ausnahmesituationen in Busse zu stecken und sie quer durch die Republik zu karren, um sie für parteipolitische Geländegewinne zu instrumentalisieren, ist widerwärtig und beschämend. Dafür sollten Sie sich entschuldigen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den GRÜ- NEN)

Damit schaden Sie der Demokratie. Sie beschädigen damit auch das Ansehen der Politik im Allgemeinen.

Kolleginnen und Kollegen, anstatt uns heute im Bayerischen Landtag mit dem politisch Notwendigen auseinanderzusetzen, mit Integrationsfragen, mit Fragen der Flüchtlingsunterbringung, mit der Sicherheit an der bayerischen Grenze und im öffentlichen Raum, veranstalten die nationalkonservativen Parteien des Hohen Hauses ein Stück aus dem politischen Tollhaus. Herr Seehofer aus der Staatsregierung schreibt Herrn Seehofer aus der Bundesregierung einen Brief. Die CSU Bayern verklagt die CSU Bund. Die Christsozialen sind des Regierens im Bund müde und unwillig. Sie gefallen sich in der Rolle der Fundamentalopposition gegen sich selbst.

(Unruhe bei der CSU)

Selten zuvor hat eine Regierungspartei einen so harten und durchschaubaren Kurs gegen sich selbst gefahren wie diese Christlich-Soziale Union. Meine Damen und Herren, inhaltlich sind Sie im Bund in allem gescheitert, was Ihnen in den letzten Wahlkämpfen wichtig war: Betreuungsgeld – vom Verfassungsgericht gekippt. Ausländermaut – Herr Dobrindt bekommt es nicht hin. Ausgerechnet diese großspurig

Gescheiterten reiten nun auf der Welle des galoppierenden Autoritätsverlusts und der erkennbaren Führungsschwäche der Bundeskanzlerin. Ich sage Ihnen, ein vertrauliches und gutes Zusammenarbeiten ist mit Briefeschreibern kaum möglich. Arbeiten Sie im Bundeskabinett vernünftig mit, oder verlassen Sie die Bundesregierung!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ihnen in der CSU geht es - und diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen - in diesen Tagen offensichtlich nicht um staatspolitische Verantwortung, sondern um parteipolitische Geländegewinne. Ihre Partei vollzieht einen atemberaubenden Rechtsruck, um die AfD zu verhindern.

(Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU): A‘geh!)

Diese Grundhaltung ist auch bei den Neujahrsempfängen des CSU-Parteivorsitzenden deutlich geworden. Herr Seehofer spricht seit Wochen von nichts anderem mehr als davon, dass dieses ein Schicksalsjahr für die Union wäre. Meine Damen und Herren, die Flüchtlingskrise, ein Schicksalsjahr für die Union? – Das sagt viel aus.

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): Das sagen Sie mit 16 %!)

Den Menschen im Land ist es egal, welches Schicksal einzelne Parteien erfahren, egal ob sie CSU heißen, SPD, GRÜNE oder FREIE WÄHLER.

(Zuruf der Abgeordneten Kerstin Schreyer-Stäb- lein (CSU))

Es geht um unzählige Schicksale von Menschen in Krieg, Not, Armut und Elend, die uns bekümmern müssen. Sie aber agieren nach dem Prinzip: Zuerst die Partei, dann das Land. - Das ist unverantwortlich, meine Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den GRÜ- NEN)

Heute beraten wir im Kern ein Gutachten von Herrn Di Fabio, das von zahlreichen Staatsrechtlern mittlerweile als Gefälligkeitsgutachten bewertet wird.

(Josef Zellmeier (CSU): Was ist mit Scholz und Schumann?)

Unabhängig davon, dass die politischen Fragen unserer Zeit nicht mit Briefen und auch nicht mit gegenseitigen Klagen von Regierungen zu beantworten sind, darf man festhalten: Es wird zu keiner Klage der CSU kommen, weil die CSU auf eine Beteiligung an der Bundesregierung existenziell angewiesen ist, egal, ob

sie diese Aufgabe konstruktiv oder destruktiv wahrnimmt. Auch juristisch wäre es ein Drahtseilakt. Wie man das Gutachten juristisch auch bewertet, eines ist nämlich klar: Es geht nur dann von einer Verfassungswidrigkeit aus, wenn ein Staatsnotstand in Bayern und in Deutschland gegeben ist. Dieser Staatsnotstand existiert aber nicht. Wäre es so, dann hätte die Bayerische Staatsregierung laut Bayerischer Verfassung umgehend das Parlament in einer Sondersitzung davon unterrichten müssen. Das ist nicht geschehen, Herr Innenminister. Wir haben keinen Staatsnotstand. Die Kühlschränke der Menschen in Bayern sind so gut oder so schlecht gefüllt wie vor der Flüchtlingsbewegung. Der Staatshaushalt wurde vom zuständigen Minister noch vor wenigen Wochen als triumphal fest und solide gefeiert.

(Josef Zellmeier (CSU): So soll es auch bleiben!)

Die öffentliche Sicherheit in Bayern hat sich im Hinblick auf Straftaten gegenüber den Vorjahren nicht verändert, auch nicht im vergangenen Jahr. Wir haben keinen Staatsnotstand, nicht in Bayern und nicht in Deutschland. Der einzige Notstand, den wir im Land erleben, ist der Verlust an politischer Kultur durch das Agitieren der rechtsnationalen Parteien und Gruppierungen inner- und außerhalb des Hohen Hauses.

(Beifall bei der SPD)

Wir sehen mit großer Sorge, dass der Rechtspopulismus auch in der Mitte unserer Gesellschaft wieder salonfähig wird. Sogenannte besorgte Bürger und Neonazis sind bei Demonstrationen, nicht nur in Dresden, kaum noch auseinanderzuhalten. Immer häufiger mischt sich in berechtigte Fragen der Asyldebatte dumpfer Rassismus. Die Hemmschwellen sinken; inzwischen muss die Polizei die Presse vor dem Bürger schützen. Ich sage Ihnen: Wer Migranten tagein, tagaus unter Generalverdacht stellt, wer Flüchtlinge pauschal mit Terrorismus in Verbindung bringt, wer mit den Ängsten der Menschen spielt,

(Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU): Wer macht denn das?)

wer Ressentiments schürt, wer zulasten von Ausländern politische Zündeleien betreibt, wer wie der CSUGeneralsekretär Scheuer für Flüchtlinge die Unschuldsvermutung aussetzen will, wer straffällige Zuwanderer ohne Prozess unter Abschaffung des Rechtsstaats, auf den man sich stets beruft, abschieben will, wer die Stimmung in dieser Hinsicht aufheizt, wer das gesellschaftliche Klima vergiftet, wer Schwache gegen noch Schwächere in Stellung bringt, der schadet unserem Land in unverantwortlicher Weise, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Oliver Jörg (CSU))

Jede zweite Nacht, alle 48 Stunden brennt in Deutschland ein Flüchtlingsheim. Wie durch ein Wunder kam es bislang nicht zu einem Todesfall. Ich fordere Sie auf: Gießen Sie nicht weiter Öl ins Feuer der öffentlichen Debatte; nehmen Sie Ihre staatspolitische Verantwortung wahr!

(Beifall bei der SPD)

Ich bedauere es im Übrigen sehr – das ist augenscheinlich -, dass weder Sie, Herr Zellmeier, noch Sie, Herr Aiwanger, Ihre Anträge begründen und näher darlegen, was Sie sich vorstellen. Da geht es im Kern um die Sicherung der bayerischen Außengrenzen. Wir erwarten von Ihnen, Herr Innenminister, einen Bericht, wie Sie sich konkret die Sicherung der Grenzen Bayerns vorstellen. Sie sagten, Sie wollten die bayerische Landespolizei dafür einsetzen. Wie viel Personal aus Bayern ist für Ihr Konzept nötig? Wollen Sie alle sechzig Grenzübergänge aus der Zeit vor Schengen wieder mit Schlagbäumen versehen? Wie viel Personal ist dafür nötig? Welche Lücken in das Netz der inneren Sicherheit im Landesinneren werden damit gerissen? – Die bayerischen Polizisten haben allein im letzten Jahr 1,5 Millionen Überstunden gemacht. Wie hoch wird diese Zahl am Ende des Jahres 2016 sein? Wie handhaben Sie, Herr Innenminister, die Kontrolle an der sogenannten grünen Grenze? Wie stellen Sie sich das an der Grenze zu den tschechischen Regionen Karlsbad, Pilsen und Südböhmen auf einer Länge von 357 Kilometern, an der Grenze zu den österreichischen Bundesländern Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg auf einer Länge von 816 Kilometern und an der Grenze zum Schweizer Kanton St. Gallen auf einer Länge von 19 Kilometern vor? – In der Zeitung "DIE WELT" war unter Berufung auf Bundespolizeikreise und auf Unionspolitiker zu lesen, dass eine Grenzsicherung nach Ihrem Modell ohne Wasserwerfer und Tränengas überhaupt nicht möglich ist. Was ist Ihr Konzept, Herr Innenminister? Wollen Sie das? Wie wollen Sie die Grenzen sichern? Was ist Ihre Vorstellung? – Immer nur so zu tun, als würde man Verbesserungen herbeiführen wollen, ohne der Öffentlichkeit konkret darzulegen, wie das funktionieren soll, kann nicht angehen.

(Beifall bei der SPD)

Wir als SPD erteilen einer Grenzsicherung durch die bayerische Landespolizei eine klare Absage. Es ist nicht bayerische Aufgabe, die Landesgrenzen zu schützen. Die Polizisten im Freistaat haben 1,5 Millionen Überstunden angehäuft. Man kann ihnen diese zusätzliche Aufgabe nicht aufbürden.

Im Übrigen kann ich Ihnen den Hinweis darauf nicht ersparen, dass die Bundespolizei auch deshalb ihre Aufgabe an der bayerischen Grenze nicht wirklich, zumindest nicht hinreichend, wahrnehmen kann, weil Bundespolizei-Personalstellen in der Amtszeit Ihres Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich abgebaut statt aufgebaut wurden. Sie haben das Dilemma in Ihrer politischen Verantwortung selbst herbeigeführt, meine Damen und Herren von der CSU!

(Beifall bei der SPD)

Wir sagen: Ja, die Außengrenze muss kontrolliert werden. Wir müssen wissen, wer zu uns ins Land kommt. Da sind wir uns einig. Aber wer wie die Rechtsnationalen hier im Parlament den Eindruck erweckt, hermetisch abgeriegelte Grenzen und neue Mauern seien eine Lösung für das europäische Flüchtlingsproblem, der täuscht die Menschen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das hat keiner gesagt!)

Abschottung konzentriert und vergrößert die Probleme, anstatt sie zu lösen. - Herr Aiwanger, ich hätte gerne von Ihnen gewusst, wie Sie sich das vorstellen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Ich habe fünf Argumente aufgezählt! Sie haben bisher noch keines gesagt!)

- Argumente bringen hier gar nichts. Wir hätten von Ihnen ein Konzept erwartet.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das hab ich doch vorgestellt!)

Wenn Sie sagen, Sie haben konkrete Vorstellungen zur Grenzsicherung, dann stellen Sie die hier im Parlament dar. Aber streuen Sie den Menschen nicht Sand in die Augen; tun Sie nicht so, als hätten Sie Konzepte.

(Beifall bei der SPD – Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Sie haben bloß gefragt, wo das hinführen soll!)

Neue Schlagbäume, wie sie von FREIEN WÄHLERN und CSU ins Gespräch gebracht werden, ohne konkret vorgestellt zu werden, machen Europa nicht sicherer, nicht friedlicher, nicht berechenbarer. Wir brauchen jetzt politische Investments in das Verbindende, nicht in das Trennende, nämlich in europäische Solidarität. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass Ihre heutigen Anträge nichts anderes sind als Symbolpolitik. Wenn’s wenigstens die richtigen Symbole wären, die Sie hier auswählen, meine Damen und Herren! Wir als SPD stehen für Zusam

menhalt statt Spaltung, für ein Miteinander statt ein Gegeneinander, für Zusammenhalt und Gemeinsinn statt politischen Rechtspopulismus. Deshalb lehnen wir Ihre Anträge ab.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. Bitte verbleiben Sie am Rednerpult. - Bevor ich dem Kollegen Steiner das Mikrofon für eine Zwischenbemerkung freischalte, gebe ich bekannt, dass die CSU namentliche Abstimmung zu ihrem Dringlichkeitsantrag beantragt hat.

Herr Rinderspacher, Sie haben jetzt öfter von Rechtspopulismus gesprochen. Auf meine folgende Frage will ich eine konkrete Antwort: Wie bewerten Sie das Vorgehen von SPD-Ortsverbänden in Essen, die sich aktuell in ihren Stadtteilen massiv gegen die Errichtung von Asylbewerberunterkünften wenden und Bürgerinitiativen dagegen gründen? – Erste Frage.

Sie reden von Abschottung. Wie bewerten Sie das Verhalten und die Reaktion der sozialdemokratisch geführten schwedischen Regierung, die gestern oder heute beschlossen hat, 80.000 Asylbewerber auszuweisen? - Das ist die Hälfte der Asylbewerber, die derzeit im Land sind. Wie bewerten Sie das Verhalten der sozialdemokratischen Regierungen von Österreich oder von Tschechien, die die Grenzen dicht machen? Ist das auch Rechtspopulismus? Wie sehen Sie das? – Eine konkrete Antwort bitte.