Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 69. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, darf ich noch einige Glückwünsche aussprechen. Einen halbrunden Geburtstag feierten am 19. März Frau Kollegin Ruth Waldmann sowie am 24. März Herr Kollege Volker Bauer. Einen runden Geburtstag feierten Frau Kollegin Kathi Petersen am 24. März und Herr Kollege Alexander Muthmann am 3. April. Heute hat Herr Kollege Wolfgang Fackler Geburtstag. Ihnen allen wünsche ich im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarischen Arbeiten.
Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Atomrisiko verkleinern - Gundremmingen abschalten. Thüringer Strombrücke macht schnelleren Ausstieg möglich."
Die Regeln für die Aktuelle Stunde sind bekannt. – Erster Redner ist Herr Kollege Hartmann vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner Familie haben wir früher die Milch immer in der eigenen Milchkanne direkt vom Bauernhof geholt. Nach der Schule bin ich mit meinen Brüdern auf den Bolzplatz, in den Wald oder in den Sandkasten hinaus. Die Pfingstferien haben wir immer da verbracht, wo es am schönsten ist: an den bayerischen Seen oder in den bayerischen Bergen.
Im Frühjahr 1986 war auf einmal alles anders. Die Milch kam plötzlich aus einem großen Sack mit Milchpulver, der bei uns in der Küche stand. Gemüse kam aus der Konserve statt vom Markt, und obwohl wir nicht krank waren, haben wir täglich Jodtabletten bekommen. Der Spielplatz um die Ecke wurde gesperrt, bis der Sand ausgetauscht war. Statt die Pfingstferien in Bayern zu verbringen, bin ich das erste Mal in meinem Leben in einen Flieger gestiegen; es ging nach Spanien, möglichst dahin, wo es nicht geregnet hatte, als die radioaktive Wolke über Westeuropa gezogen war. Es waren die Tage nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 30 Jahren.
Es waren Tage, die ich nie vergessen werde. Es war eine Zeit, in der es so schien, als ob nichts mehr so war wie vorher. Ich war damals sieben Jahre alt; aber ich kann Ihnen sagen, auch mit sieben Jahren hat man sofort verstanden: Da ist etwas passiert, was nie hätte passieren dürfen.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Landtagsdebatten, die ab Herbst 1986 hier in diesem Hohen Haus geführt worden sind, waren wegen des Einzugs der GRÜNEN teilweise richtig heftig. Sie, Herr Kollege Erwin Huber, erinnern sich sicher noch gut daran, wie Sie damals noch felsenfest die bayerische Atomkraft verteidigt haben. Sehr geehrter Kollege, keine Angst! Ich möchte heute nicht die alten Debatten führen.
Ich möchte den Blick auf heute und morgen richten. Ich bin froh, dass wir seit fünf Jahren in unserem Land einen breiten Konsens haben, dass die Atomkraft zu riskant ist und dass wir aussteigen müssen.
Vor fünf Jahren haben wir den Ausstieg beschlossen. Aber er ist längst noch nicht vollzogen. In Deutschland laufen noch acht Atomkraftwerke. Sie produzieren jeden Tag knapp eine halbe Tonne hoch radioaktiven Abfall. Das sind 20 bis 25 Castorbehälter, die neu in die Zwischenlager kommen, und keiner weiß bis heute, wohin eines Tages mit diesem hoch gefährlichen Abfall.
Drei der acht noch laufenden Atomanlagen hierzulande stehen in Bayern, zwei davon in Gundremmingen. Die beiden Blöcke in Gundremmingen sind die letzten Siedewasserreaktoren in Deutschland. Siedewasserreaktoren waren die Billiglinie der Firma Siemens in den 60er- und 70er-Jahren, entwickelt, um Kosten zu sparen, sozusagen der Aldi unter den Atomkraftwerken. Nach Gundremmingen sind keine weiteren Siedewasserreaktoren in Deutschland gebaut worden. Die acht anderen Siedewasserreaktoren, die es in Deutschland gab, sind längst stillgelegt. In ganz Europa laufen nur noch zwölf Siedewasserreaktoren, und für vier ist auch bereits die Stilllegung beschlossen. Seit über 30 Jahren wurde kein Siedewasserreaktor mehr in Betrieb genommen. Gundremmingen gehört tatsächlich zu den letzten seiner Art – ein Fossil, und dazu ein verdammt gefährliches.
Was ist nun an den Siedewasserreaktoren so gefährlich? – Dieser Discount-Reaktor hat nur einen Kühlkreislauf. Das radioaktive Wasser kommt aus dem Reaktor direkt auf die Turbine – dadurch wird das Maschinenhaus mit verstrahlt –, und wenn es im Kühlkreislauf zu einem Leck kommt, ist die radioaktive Verseuchung relativ schnell erreicht. Die Billigreaktoren sind deutlich gefährlicher als bestehende Druckwasserreaktoren. Auch die Fukushima-Anlagen waren Siedewasserreaktoren.
Gespart wurde auch an einer zweiten Stelle, nämlich durch einen möglichst kleinen Sicherheitsbehälter. Ein Abklingbecken hat darin keinen Platz mehr; es befindet sich außerhalb des Sicherheitsbehälters. Das geht auf Kosten der Sicherheit. Der Schutz vor einem Flugzeugabsturz oder einem Terrorangriff ist deutlich geringer.
In Gundremmingen haben wir auch noch einen Sonderfall, auf den ich gern kurz eingehen möchte: Es gibt einen Mangel im Notkühlkreislauf. Anders als bei anderen deutschen Atomkraftwerken besitzt Gundremmingen nur drei statt vier vollwertige Notkühlstränge. Die Anlage ist alt und anfällig. Im letzten Jahr hatten wir fünf meldepflichtige Ereignisse und eine Eilmeldung, und es gab eine Reaktorschnellabschaltung bei voller Leistung der Anlage. Grund war hier menschliches Versagen. Das ist in einer Atomanlage unvorstellbar. Menschliches Versagen kann in diesem Bereich nur noch bei einer Doppelbauweise vorkommen, da es keine räumliche Trennung gibt. Ganz kurz erklärt: Eine Anlage war abgeschaltet, die andere war im Vollbetrieb. Der Mitarbeiter hat das falsche Ventil aufgedreht: statt von der abgeschalteten Anlage von der Anlage, die auf voller Last gefahren ist.
Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen, Gundremmingen ist das größte atomare Risiko in Deutschland.
Diesem Risiko sollten wir uns nicht weiter aussetzen. Wir können den Atomausstieg beschleunigen und die gefährlichste Atomanlage in unserem Land bereits in diesem Jahr komplett abschalten. Warum mit dem Risiko leben und Atommüll produzieren, wenn es jetzt schon anders geht?
Atomausstieg und Energiewende sind zwei Seiten derselben Medaille. Sehen wir es doch einmal so: Die Politik hat mit den Bürgerinnen und Bürgern eine Art "Vertrag" geschlossen: Wir schalten die gefährlichen Atomanlagen ab; wir steigen auf erneuerbare Energien um, bauen unser Energiesystem hin zu Wind und
In Kürze ist die Thüringer Strombrücke fertig. Sie kann gut 2 Gigawatt Strom, viel sauberen Windstrom aus dem Norden, nach Bayern transportieren. Die Bürgerinnen und Bürger haben damit einen Teil ihres Beitrags laut Vertrag erfüllt. Jetzt muss die Politik liefern. Es muss ein Zug-um-Zug-Geschäft geben: 2 Gigawatt weniger Atomstrom, dafür 2 Gigawatt mehr Strom aus der neuen Windkraftader, der Thüringer Strombrücke.
Daneben – das ist hier im Hohen Haus hinreichend bekannt – stehen noch für circa 4,6 Gigawatt Leistung Gaskraftwerke in Bayern, die zurzeit nur zu einem Bruchteil benötigt werden. Die bekanntesten Beispiele sind die beiden hoch effizienten und modernen Gaskraftwerke in Irsching. Nur: Leider stehen sie meistens still. Dank der Thüringer Strombrücke und der vorhandenen Leistungsreserven der Gaskraftwerke brauchen wir Gundremmingen für die Versorgungssicherheit nicht mehr; es kann abgeschaltet werden.
Für uns GRÜNE steht fest: Die Politik ist moralisch verpflichtet, die Doppelabschaltung voranzubringen. Warum mit dem Risiko leben, wenn es auch anders geht?
Ilse Aigner, Sie haben der "Augsburger Allgemeinen" aus dem Bauch heraus gesagt: Versorgungssicherheit; es geht nicht anders. Ich bitte Sie als zuständige Ministerin: Lassen Sie es sich ausrechnen. Schauen Sie sich die Zahlen und Fakten an. Ich kann Ihnen versichern, wir haben es rechnen lassen. Der Ausstieg ist deutlich schneller möglich, und wenn dies so ist, dann ist die Politik verpflichtet, diesen auch zu vollziehen.
Ich kann Ihnen versichern, dass in Bayern keine einzige Lampe anfangen wird zu flackern, wenn Gundremmingen abgeschaltet wird. Ein Beispiel noch dazu: Allein im letzten Jahr haben wir die doppelte Menge Strom, die Gundremmingen in dieser Zeit produziert hat, ins Ausland verkauft.
Um es zusammenzufassen: Wir haben ein Kraftwerk, das hoch gefährlich ist, das die gefährlichste Atomanlage in Deutschland darstellt und von der ein gewaltiges Risiko ausgeht. Die Thüringer Strombrücke wird demnächst fertiggestellt sein. Diese kann 2 Gigawatt Strom nach Bayern bringen. Gundremmingen produziert aktuell 2,5 Gigawatt Strom. Wir haben die Gaskraftwerke, die zurzeit nicht benötigt werden, als wei
tere Leistungsreserve. Das heißt: Aufgrund der Thüringer Strombrücke und bei In-den-Markt-Bringen der Gaskraftwerke, die bereits vorhanden sind, wird der Atomstrom aus Gundremmingen nicht mehr benötigt.
Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege Erwin Huber von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, guten Morgen! Ich habe den Eindruck, dass Herr Kollege Hartmann hier ein Manuskript aus dem Jahr 1986 aufgewärmt hat. Jedenfalls ist diese Stunde weder aktuell noch sinnvoll. Um es deutlich zu sagen: Sie bedient eigentlich nur die Basis der GRÜNEN, hat aber mit einer sinnvollen Energiepolitik in Bayern und Deutschland absolut nichts zu tun.
Herr Hartmann, Sie hätten aus den Requisiten ein altes T-Shirt und vielleicht diesen Button "ATOMKRAFT? NEIN DANKE" hervorholen sollen. Ich stelle Ihnen diese Dinge gerne aus meiner Rumpelkammer zur Verfügung, wenn Sie sie brauchen.
So viel zum Sinn Ihrer Aktuellen Stunde. Aber natürlich ist es richtig, auch inhaltlich etwas dazu zu sagen.
Zu Fukushima muss man sagen: Das war kein inhärenter Atomunfall, sondern die Einflüsse kamen extern.
(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Passiert ist er trotzdem! Sagen Sie das den Opfern! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)
Herr Kollege Aiwanger, Ihnen als großem Experten in Sachen Kernenergie darf ich versichern, dass weder in Gundremmingen oder sonst wo eine aktuelle Tsunami- oder Erdbebengefahr besteht. Deshalb kann man das nicht übertragen.