Protokoll der Sitzung vom 18.10.2016

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, es ist schon auch Zeit, einmal zuzugestehen – ich habe das in der Zwischenbemerkung schon deutlich gemacht –, dass die Frage nach den berechtigten Länderinteressen von Bayern leider sehr spät gestellt worden ist. Als das dann der Fall war, hat man sehr schnell zwischen den 16 Bundesländern einen gemeinsamen Nenner gefunden, was nicht besagt, dass die Lösung einfach war. Am schwierigsten war es mit dem Bund. Ich kenne die Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion genauso wie die Kollegen meiner Fraktion, die da massive Bedenken hatten und diese auch deutlich geäußert haben.

Es war dann ein Stück weit ein Erfolg der Länder, den Konsens durchzusetzen. Das muss in dieser Stunde auch gesagt sein. Es war ein Erfolg der 16 Bundesländer, den Konsens durchzusetzen. Man hat den Konsens dann erreicht, als auch die CSU und die Bayerische Staatsregierung bereit waren, mehr als Stammtischparolen und mehr als Fingerzeige in Richtung Berlin, nämlich die berechtigten ökonomischen und finanziellen Interessen aller Bundesländer, in die Debatte einzubringen. Dann ist es auch zu einem Ab

schluss gekommen. Dies war in diesem Hohen Hause wie auch in den Bierzelten im Freistaat Bayern nicht der Fall gewesen. Deswegen lautet unser Vorwurf, wir hätten die Lösung schon viel früher bekommen können, wenn wir die Länderinteressen rechtzeitig mit einbezogen hätten. Immer nur auf andere zu zeigen, war einfach der falsche Weg. Eine Lösung gibt es nur gemeinschaftlich, und das zeigt auch der Länderfinanzausgleich.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß nicht, wie lange ich dem Hohen Haus angehören werde. Meine feste Prognose ist, dass spätestens in fünf bis sieben Jahren die ersten Kollegen der CSU anfangen werden, über den jetzt gefundenen Kompromiss zu lästern – zunächst hinter vorgehaltener Hand, dann in diesem Hohen Hause und schließlich in den Bierzelten dieses wunderbaren Freistaats. Ich will das nur zu Protokoll geben, weil ich oder meine Nachfolger in sieben oder spätestens fünfzehn Jahren die Möglichkeit haben werden, Ihnen das vorzuhalten. Es macht immer wieder Freude, Ihnen Ihre früheren Aussagen vorzuhalten. Das macht zugegebenermaßen ein politisches Vergnügen. Es ist aber auch, glaube ich, bei diesem Thema der Redlichkeit geschuldet.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Für die CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Freller das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Schlagzeile der "Augsburger Allgemeinen" von gestern bringt es auf den Punkt: Bayern spart Milliarden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht hier nicht um 1,3 Milliarden Euro in einem Jahr, es geht um etliche Jahre, die folgen und in denen wir Milliarden sparen werden, um damit bis 2030 schuldenfrei zu werden. Hier wurde ein Riesenerfolg erreicht, und mich ärgert, was hier von der Opposition gebracht worden ist. Herr Halbleib, Sie sind nicht so lang im Parlament wie ich.

(Volkmar Halbleib (SPD): Das gebe ich zu!)

Ich habe die Diskussion über den Finanzausgleich über viele Jahre miterlebt und habe leider erfahren müssen, dass die Solidarität Ihrer Partei mit Ihren Parteigenossen in anderen Bundesländern größer war als die Solidarität mit dem eigenen Bayern.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Volkmar Halbleib (SPD): Zuhören!)

Wir müssen doch klar erkennen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass der Länderfinanzausgleich, der sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat und immer wieder verändert wurde, letztlich dadurch entstanden ist, dass man zunächst einen durchaus gesunden Ausgleich zwischen den reicheren und den schwächeren Ländern Deutschlands wollte. Dies hat dazu geführt, dass Bayern ganz am Anfang ein Nehmerland war. Damals haben wir 3,4 Milliarden Euro erhalten. In der Zwischenzeit aber haben wir 56,7 Milliarden Euro für andere Länder einbezahlt. Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem die Bevölkerung sagt: So kann es nicht weitergehen. – Die CSU-Fraktion, der Ministerpräsident und der Finanzminister haben nun mit aller Kraft darauf hingewirkt, dass sich dies ändert. Wir sind froh über die erreichte Änderung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Ich war letzte Woche in Nürnberg. Markus Söder hat dort eine exzellente Rede beim Verband Druck und Medien Bayern gehalten. Ich saß unter den Unternehmern, die vor allem eines gesagt haben: Es kann nicht angehen, dass das, was wir an Mehr erarbeiten, anderswo mehr oder weniger leichtfertig ausgegeben wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen das System in Zukunft umstellen. Ich halte das, was gemacht wird, für außerordentlich sinnvoll und gut, nämlich den Ausgleich über die Umsatzsteuer zu regeln. Dies bringt meines Erachtens mehr Gerechtigkeit. Vor allem schafft es eines, was für uns ungemein wichtig ist: eine Deckelung. Über 63 % hinaus kann nicht mehr abgeschöpft werden. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert, weil sich jetzt die Fähigkeiten und die positiven Seiten Bayerns wieder in einem höheren Verbleib von Steuereinnahmen niederschlagen. Dass wir dies geschafft haben – auch das möchte ich sagen –, ist für Bayern ein ganz großes Lob.

Die CSU-Fraktion hat letzte Woche ihr 70-jähriges Jubiläum gefeiert. In dieser Zeit haben die Fraktion, die Staatsregierung und alle, die Verantwortung für Bayern tragen, aus einem schwachen Agrarland das beste Industrieland Deutschlands gemacht. Es ist durchaus erwähnenswert, dass der Länderfinanzausgleich in aller Deutlichkeit sagt, wie gut es Bayern durch diese Regierung, durch diese Fraktion über Jahrzehnte hinweg gegangen ist.

(Beifall bei der CSU)

Ich bin fest davon überzeugt: Sollte die SPD irgendwann einmal, vielleicht im Jahr 2090, an die Regierung kommen, so wird der erste und größte Erfolg von Ihnen sein, dass wir dann nach zwei Jahren ein Neh

merland sein werden. Das ist mein Eindruck, wenn ich die ganze Debatte verfolge; denn Sie hätten dies nie und nimmer zuwege gebracht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ich habe mich gerade über die Nörgelei geärgert. Wenn ich lese, wie anderswo gelobt wird und auch von den anderen Ministerpräsidenten gelobt worden ist, dass man eine einvernehmliche und vernünftige Lösung gefunden hat, und wenn ich lese, was Herr Kretschmann positiv dazu geäußert hat, dann wundert es mich, dass die GRÜNEN in Bayern offenkundig überhaupt nicht mehr nachvollziehen wollen, was für dieses Land alles positiv gelaufen ist. Auch Olaf Scholz hat das Ganze für sinnvoll und gut befunden. Herr Halbleib, es wäre gut, wenn Sie vielleicht auch Ihre eigenen Ministerpräsidenten in den Ländern ein bisschen ernster nehmen würden.

Herr Pohl, auch zu den FREIEN WÄHLERN möchte ich noch etwas sagen. Seien Sie mir nicht böse, aber bei Ihnen fällt mir zurzeit immer nur der RingelnatzSpruch ein: Die Badewanne prahlte sehr, sie hielt sich für das Mittelmeer. – Sie nehmen sich bei diesem Thema dermaßen wichtig, sind in keinem anderen Land vertreten, haben keine Ahnung, was sonst deutschlandweit läuft, und glauben, hier Ratschläge geben zu müssen. Sie machen mich zwar nicht aggressiv, aber ich muss sagen: Damit liegen Sie total daneben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Ende zeigt sich, dass dies ein gutes Wochenende war. Wir können uns nicht nur darüber freuen, dass unsere Barbara Stamm dem Landtag 40 Jahre angehört, sondern es ist dem Ministerpräsidenten, dem Finanzminister und allen, die guten Willens waren, auch gelungen, einen vernünftigen Länderfinanzausgleich für Bayern fortzuschreiben.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Dieser Tagesordnungspunkt ist damit erledigt. Noch einmal ein Dank an den Ministerpräsidenten!

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Christliche Nächstenliebe - Kritik der Kirchen an der Staatsregierung ernst nehmen"

Die Aussprache eröffnet der Vorsitzende der SPDFraktion, Herr Kollege Rinderspacher, bitte.

Verehrte Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, Hohes Haus! Die SPDFraktion nimmt die anhaltende, massive Kritik der Kirchen in Bayern an der Bayerischen Staatsregierung zum Anlass, die Hintergründe hierfür im Hohen Hause gemeinsam zu erörtern und zu debattieren. Die Kirchen – dies können wir gemeinsam feststellen – waren seit eh und je enge Dialogpartner der Fraktionen im Hohen Hause. Ihre Bedeutungen für den Freistaat Bayern stehen außer Frage. Sie sind nicht nur Rat- und Orientierungsgeber sowie politische Beobachter, sondern selbst auch wichtige Handlungsakteure in Bayern.

Die Kirchen leisten einen besonderen Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander weit über den geistigen und spirituellen Horizont hinaus: in der sozialen Arbeit, der Kinderbetreuung, der Familienhilfe, der Flüchtlingsarbeit sowie der Krankenhaus-, Gefängnisund Militärseelsorge. Auf dieses kirchliche Engagement kann der Freistaat Bayern nicht verzichten. Wichtige Stützpfeiler gesellschaftlicher Solidarität würden ohne den Beitrag der Kirchen als Akteure der Zivilgesellschaft regelrecht wegbrechen. Dafür seitens der SPD-Fraktion ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Mit 6,6 Millionen Katholiken und 2,4 Millionen Protestanten in Bayern vertreten die Kirchen viele Menschen in unserem Land. Sie sind eine gewichtige Stimme für eine wertegebundene Politik in Bayern und deshalb zentrale Ansprechpartner für die Landespolitik in allen Fragen der Humanität, des inneren Friedens und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Tatsächlich gehört zu einem vernünftigen Dialog mit den Kirchen auch, dass man deren öffentliche Stellungnahmen, zum Beispiel zu Gesetzentwürfen der Staatsregierung, auch dann respektiert, wenn sie nicht nur Hosiannagesänge auf den Ministerpräsidenten darstellen, sondern auch kritisch, ablehnend, mahnend, fordernd und einfordernd sind, wie wir dies die letzten zwölf Monate erlebt haben.

Im vergangenen Jahr haben sich Vertreterinnen und Vertreter der christlichen Kirchen aus den unterschiedlichsten Ebenen im öffentlichen Diskurs immer wieder mahnend zu Wort gemeldet: vom Gemeinderatsmitglied über einzelne Pfarrer und Bischöfe, ja, bis hin zum Papst, der sich intensiv an der Debatte beteiligt hat, wie zum Beispiel mit Flüchtlingen und der Migrationsbewegung umzugehen ist.

In einem offenen Brief für ein menschenfreundliches Engagement für Geflüchtete wandten sich Ordensobere vor einem Jahr gegen die Flüchtlingspolitik der

CSU. Sie appellierten an Herrn Seehofer – Zitat –, "dringend von einer Rhetorik Abstand zu nehmen, die Geflüchtete in ein zwielichtiges Licht stellt".

Als Ordensleute

so heißt es darin –

nehmen wir mit brennender Sorge wahr, wie auch in unserem Land rechtsnationale Kräfte und Meinungen wieder sprach- und öffentlichkeitsfähig werden …

Ob dieser Appell bei der die Regierung tragenden Partei stets Berücksichtigung fand, darf am heutigen Tag in Zweifel gezogen werden.

Deshalb geht es heute um die ausgrenzende Politik der Regierungspartei, der Staatsregierung im Gesamten, die in Wort und Schrift Flüchtlinge unter Generalverdacht stellt und Zufluchtsuchende kriminalisiert, um eine Politik, die Überfremdungsängste schürt statt aufklärt, die Schwache gegen Schwächere ausspielt, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächt, den inneren Frieden aufs Spiel setzt, den Begriff der Leitkultur – meine Kollegin Kathi Petersen wird später noch darauf eingehen – als Kampfbegriff gegen Minderheiten verwendet und dafür das Christliche in unserer Gesellschaft gegen den Widerstand von Kirchenvertretern instrumentalisiert.

Wenn beispielsweise der bayerische Finanzminister davon spricht, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erhielten 5.000 bis 6.000 Euro an Unterstützung im Monat, wovon eine Rentnerin nur träumen könne, dann schürt er auf unverantwortliche Art und Weise Ressentiments, dann missbraucht er sein politisches Amt für Stimmungsmache gegen minderjährige Schutzsuchende, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten nicht gedankenlos über die Botschaft des katholischen Weltmigrantentags vergangene Woche hinweggehen. Papst Franziskus hat dazu aufgerufen, jede mögliche Maßnahme zu ergreifen, um den minderjährigen Migranten Schutz und Verteidigung zu garantieren; denn sie sind die verletzlichste Gruppe unter den Migranten. Deshalb sage ich ganz klar für die SPD: Die von Herrn Söder geforderte Kürzung von Integrationsleistungen ausgerechnet für minderjährige Schutzsuchende werden wir als SPD definitiv nicht mittragen.

(Beifall bei der SPD)

Kardinal Marx entgegnete sowohl auf die Einlassung von Herrn Söder, Barmherzigkeit kenne keine Miete,

als auch auf die jüngste Einlassung von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer über den ministrierenden Fußball spielenden Senegalesen, dass ihm völlig unverständlich sei, warum Institutionen, die etwas für Flüchtlinge tun, in ein negatives Licht gestellt werden sollten. Ich teile die Ansicht des Kardinals. Für die Sozialdemokratie in Bayern rufe ich den kirchlich engagierten Flüchtlingshelfern und allen Flüchtlingshelfern zu: Lassen Sie sich von derartigen Einlassungen nicht entmutigen und demotivieren; wir danken Ihnen für ihren großartigen Dienst an der Menschlichkeit im Zeichen christlicher Nächstenliebe!

(Beifall bei der SPD)

Auch mit den jüngsten Positionspapieren der CSU zur Bevorzugung christlicher Migranten wurde der Bogen ein weiteres Mal überspannt. Dies stieß auf Kritik bei den Kirchen in Bayern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, deshalb wollen wir Ihnen in der Aktuellen Stunde die Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern, warum Sie künftig Zuwanderung nur noch Menschen mit christlichem Hintergrund ermöglichen wollen und warum die Zuwanderung von Menschen ohne christlichen Hintergrund erschwert werden soll. Wir wollen konkret von Ihnen wissen, welche gesetzgeberischen Planungen die Bayerische Staatsregierung verfolgt mit Blick auf Ihr formuliertes Ziel – ich zitiere:

In Zukunft muss gelten: Vorrang für Zuwanderer aus unserem christlich-abendländischen Kulturkreis … Ein Staat muss selber entscheiden, wen er aufnimmt – nicht die Migranten entscheiden das.

Das steht in Ihrem Positionspapier. Warum strebt die Staatsregierung eine Nachrangigkeit anderer religiöser Kulturkreise an? Wie bewertet die Staatsregierung die Kritik der Kirchen in Bayern und in Deutschland, diese Position der Staatsregierung sei mit der christlichen Nächstenliebe unvereinbar?

Tatsächlich entsteht dieser Eindruck. Programmsätze wie "In Deutschland gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia" nützen niemandem, bestimmt auch nicht dem Christentum. Stattdessen bauen Sie Vorurteile auf, schüren Ressentiments und vermitteln den Eindruck, als gebe es eine dunkle islamische Macht, die das Rechtssystem in Deutschland und das friedliche Zusammenleben gefährde. Dahinter steht auch der Gedanke, die 570.000 Muslime in Bayern seien Fremdkörper in unserem Land. Erzbischof Heße antwortete darauf: "Wer die christliche Prägung nur deshalb hochhält, um Menschen anderer Kulturen und Religionen fern zu halten, missbraucht und entwertet das Christentum."