Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 93. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Ich darf Sie alle nach der sitzungsfreien Zeit ganz herzlich willkommen heißen und hoffe, dass Sie sich alle soweit gut erholt haben. Seit unserem letzten Zusammensein hat sich sehr viel Trauriges ereignet. Ich denke insbesondere an den schrecklichen Anschlag nahe der Gedächtniskirche in Berlin kurz vor Weihnachten und an den terroristischen Angriff in Istanbul an Silvester, bei dem auch zwei junge Männer aus Bayern ihr Leben verloren haben.
Ich denke aber auch an den Verlust, den Politik und Gesellschaft in unserem Land durch den Tod des ehemaligen Bundespräsidenten Prof. Dr. Roman Herzog zu beklagen haben. Er war, wie Sie wissen, ein gebürtiger Bayer und dem Bayerischen Landtag sehr verbunden. Unter anderem hat er hier im Jahr 1991, damals noch als Präsident des Bundesverfassungsgerichts, eine große Rede anlässlich des 45. Jubiläums unserer Verfassung gehalten. Frau Landtagspräsidentin Stamm nimmt heute an dem Staatsakt und dem Trauerempfang für Roman Herzog in Berlin teil, um die Betroffenheit und die Anteilnahme des Bayerischen Landtags zum Ausdruck zu bringen.
Wir gedenken der Opfer des Terrors, des verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten und dreier verstorbener ehemaliger Kollegen.
Herr Adolf Lettenbauer verstarb am 14. Dezember im Alter von 93 Jahren in Augsburg. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1962 bis 1970 an und vertrat für die SPD den Wahlkreis Schwaben. Die Mitglieder der Ausschüsse für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen, für Fragen des Beamtenrechts und der Besoldung sowie für Geschäftsordnung und Wahlprüfung konnten im Landesparlament auf seine kompetente Mitarbeit zählen. Herr Lettenbauer war darüber hinaus Erster Bürgermeister der Stadt Schwabmünchen und setzte sich dort mit Erfolg unter anderem für die Gründung der Leonhard-WagnerSchulen ein. Mit seinem politischen Wirken hat er seine heimatliche Region und unser Land nachhaltig geprägt.
Herr Paul Wünsche verstarb am 16. Dezember im Alter von 94 Jahren in Bamberg. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1968 bis 1990 an und vertrat für die CSU den Stimmkreis Bamberg-Stadt. Herr Wünsche war unter anderem langjähriges Mitglied im Ausschuss für kulturpolitische Fragen sowie im Ausschuss zur Information über Bundesangelegenheiten und Europafragen, dessen Vorsitz er von 1974 bis 1986 innehatte. Über viele Jahre hinweg war er auch Mitglied des Stadtrats und Leiter des Katholischen Volksbüros der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung in Bamberg. Er zeichnete sich durch großes sozial- und europapolitisches Engagement aus und war stets ein zuverlässiger Anwalt seiner oberfränkischen Wahlheimat.
Herr Martin Erhard verstarb am 12. Januar im Alter von 98 Jahren in Holzkirchen. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1970 bis 1982 an und vertrat für die SPD den Wahlkreis Oberbayern. Herr Erhard war Mitglied im Ausschuss für Eingaben und Beschwerden und galt über die Parteigrenzen hinweg als ein Mann, der sich der Anliegen der Bürgerinnen und Bürger mit viel Einfühlungsvermögen annahm. Über drei Jahrzehnte war er im Gemeinderat von Holzkirchen, im Kreistag und im Kreisausschuss des Landkreises Miesbach sowie im Bezirkstag und im Bezirksausschuss von Oberbayern aktiv. Darüber hinaus setzte er als DGB-Kreisvorsitzender und Vorstandsvorsitzender der AOK in seiner Region Akzente, die sein sozialpolitisches Engagement eindrucksvoll dokumentierten.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich darf Ihnen noch mitteilen, dass Herr Dr. Linus Förster zum 31. Dezember 2016 auf sein Landtagsmandat verzichtet hat. Er ist damit gemäß Artikel 56 Absatz 2 des Landeswahlgesetzes mit Ablauf des 31. Dezember 2016 aus dem Bayerischen Landtag ausgeschieden.
Die Landeswahlleiterin hat gemäß Artikel 58 des Landeswahlgesetzes als Listennachfolgerin Frau Ilona Deckwerth aus Füssen im Oberallgäu festgestellt. Seit 1. Januar 2017 ist Frau Deckwerth nun Mitglied des Bayerischen Landtags. – Frau Deckwerth, ich begrüße Sie ganz herzlich in unserem Kreis und wünsche Ihnen viel Spaß und Erfolg bei der parlamentarischen Arbeit.
Nun gestatten Sie mir noch, einige Geburtstagsglückwünsche auszusprechen. Seit unserer letzten Sitzung im vergangenen Jahr konnten folgende Abgeordnete runde Geburtstage feiern: Herr Kollege Georg Rosenthal feierte am 27. Dezember,
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Eck, heute feiern Sie Ihren Geburtstag. Ich hoffe, es gibt dann Freibier für alle. Herzlichen Glückwunsch, alles Gute, und bleiben Sie gesund.
Ich möchte Ihnen allen im Namen des Hohen Hauses und auch persönlich ganz, ganz herzlich gratulieren. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit hier im Landtag und bei Ihnen zu Hause.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, gestatten Sie nun noch einen technischen Hinweis. Wie Sie wissen, gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Probleme mit der schwierigen Akustik hier im Saal. Mittlerweile sind neue, zeitgemäße Lautsprecher eingebaut worden, und heute wird ein Techniker während der Sitzung eine Feinabstimmung der Lautsprecheranlage vornehmen. Lassen Sie sich deshalb nicht irritieren. Es liegt ja in unserem Interesse, dass sich der Schall künftig möglichst gleichmäßig im Raum verteilt, damit die Rednerinnen und Redner überall klar und gut verständlich sind. Haben Sie also Geduld, und wenn Sie Anmerkungen haben, bitten unsere Techniker darum, das zu melden.
Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der SPDFraktion "Mobilisierung der Demokratie: Politische Bildung stärken!"
In der Aktuellen Stunde dürfen einzelne Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Hat eine Fraktion das Benennungsrecht für mehrere Rednerinnen und Redner, kann auf Wunsch der jeweiligen Fraktion eine ihrer Rednerinnen oder einer ihrer
Redner bis zu zehn Minuten Redezeit erhalten. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das Thema unserer heutigen Aktuellen Stunde "Mobilisierung der Demokratie: Politische Bildung stärken" ist hoch aktuell. Das ist Tatsache und kein "alternativer Fakt", wie neuerdings Lügen verbrämt werden. Natürlich ist der Bayerische Landtag nicht für die politische Bildung des amerikanischen Präsidenten zuständig, und der Women’s March zeigt, dass viele Menschen in den USA verstanden haben, dass sie die Demokratie mobilisieren müssen.
Aber wir brauchen gar nicht auf andere Länder zu schauen. Politische Entwicklungen bei uns geben hinreichend Grund zur Sorge um unsere Demokratie. Wenn der Landesvorsitzende einer sich selbst als demokratisch bezeichnenden Partei von einer "dämlichen Bewältigungspolitik" spricht, das Berliner Mahnmal für die Opfer des Holocaust als "Denkmal der Schande" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert, stellt sich nicht nur die Frage, ob hier der Tatbestand der Volksverhetzung vorliegt – das werden die Gerichte entscheiden –, sondern wir müssen uns auch fragen, warum solche neonazistischen Äußerungen auf seine Partei und ihre Wähler nicht abschreckend wirken und wie wir der offensichtlichen Anziehungskraft von Rechtspopulisten entgegentreten können.
Die Menschen belastet weniger fehlende Sicherheit als eine tiefe Verunsicherung. Wegen der Globalisierung erscheinen vielen Menschen bei uns die Welt und das eigene Land als Teil davon komplex und unüberschaubar. Sie fühlen sich dieser Entwicklung gegenüber ohnmächtig und suchen ihr Heil bei Ideologen, die ihnen vorgaukeln, man könne die Welt draußen lassen und sich ihr gegenüber abschotten und dann herrsche wieder Ruhe im Land. Solche ebenso dummen wie gefährlichen Parolen lassen sich zwar mit vernünftigen Argumenten leicht entkräften – und das zu tun, ist notwendig –; aber es ist ein langer Prozess, bis aus der Verunsicherung Vertrauen in unsere Demokratie erwächst.
Dabei ist vor allem die politische Bildung gefordert. Sie beginnt in der Schule. In Artikel 131 der Bayerischen Verfassung heißt es: "Die Schüler sind im Geiste der Demokratie … zu erziehen." Wenn man sich anschaut, wie sich dieses hehre Ziel in den Stundentafeln niederschlägt, kommt man leicht ins Grübeln. Das Fach Sozialkunde wird an den Gymnasien in den Stufen 10 bis 12 mit einer Stunde in der Woche unterrichtet, an den Realschulen sogar nur in der 10. Klasse, ebenfalls mit einer Stunde. Auch an Berufsschulen und Berufsfachschulen wird eine Wochenstunde in jeder Jahrgangsstufe für ausreichend erachtet. Gar kein eigenes Fach Sozialkunde gibt es an den Mittelschulen; dort wird Sozialkunde gemeinsam mit Geschichte und Erdkunde unterrichtet. Die Zeit reicht an keiner dieser Schularten, um aktuelle politische Themen zu diskutieren und mehr als Grundkenntnisse über die demokratischen Strukturen der Bundesrepublik zu erlangen.
Dabei wollen wir doch die Schüler auf das Leben vorbereiten und zu mündigen und kritikfähigen Bürgern erziehen. Gelingt uns das so? – In den letzten Jahren wurde verstärkt Wert auf die sogenannten MINT-Fächer gelegt, um die Schüler für zukunftsträchtige Berufe fit zu machen. Das ist nicht falsch, genügt aber nicht. Insofern stimmt es nachdenklich, wenn es im aktuellen LehrplanPLUS heißt:
Die Schülerinnen und Schüler achten und schätzen den Wert der Freiheit und der Grundrechte. Auf der Grundlage einer altersgemäßen Fähigkeit und Bereitschaft zur Teilhabe am politischen Prozess tragen sie zu einer positiven wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Gesellschaft und zum Erhalt des Friedens bei.
Müsste uns nicht die soziale Entwicklung wichtiger sein als die wirtschaftliche? Dann müssten wir aber der politischen Bildung an den Schulen einen höheren Stellenwert einräumen.
Es genügt nicht, dass motivierte Lehrerinnen und Lehrer zusätzliche Projekte wie "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" durchführen oder KZ-Gedenkstätten besuchen. Dies setzt freiwilliges Engagement von Schülern und Lehrern außerhalb des Unterrichts voraus, was zwar Anerkennung verdient, aber nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden darf.
Wir halten es für notwendig, dass Demokratieerziehung durch Erfahrung verstärkt wird. Schülerinnen und Schüler müssen an Entscheidungsprozessen in der Schule beteiligt werden; allein die Wahl eines Klassensprechers reicht hier nicht. Im Erziehungs-
Zudem ist die politische Bildung für alle Studierenden in der Lehrerausbildung zu verankern. Das geschieht derzeit zu wenig. Politische Bildung muss auch stärker ein Thema bei der Weiterbildung von Lehrkräften sein, und zwar mit dem Ziel, dass sich nicht nur Sozialkunde- oder Geschichtslehrer, sondern alle Lehrer für die Vermittlung politischer Bildung im Rahmen ihres Unterrichtsfachs verantwortlich fühlen.
Es braucht Zeit, um Demokratie an den Schulen zu erleben. Aktuelle Ereignisse müssen in den Schulalltag einbezogen werden. Es genügt nicht, nur auf vergangene Zeiten zu rekurrieren. Das Fach Sozialkunde muss zudem an allen Schularten gestärkt werden. Es braucht mehr und fächerübergreifende sowie jahrgangsgemischte Projekte zur Stärkung von Demokratieerziehung an allen Schulen. Lernen, auch in Bezug auf politische Bildung, endet nicht mit dem Schul-, Studien- oder Berufsabschluss. In der Erwachsenenbildung muss deshalb das Thema "Verständnis der und für die Demokratie" eine deutlich größere Rolle spielen. Dazu braucht es Geld, eine bessere institutionelle Förderung der Bildungsträger und Zeit.
Die SPD-Landtagsfraktion fordert schon lange – bisher leider vergeblich – ein Bildungsfreistellungsgesetz für Bayern. In fast allen Bundesländern haben Erwerbstätige Anspruch auf Bildungsurlaub, den sie für Seminare zu allgemeinbildenden Themen nutzen können. Wir dürfen den Menschen in Bayern diese Möglichkeit nicht länger vorenthalten.
Mobilisieren wir die Demokratie und die Demokraten, damit sie politischen Demagogen nicht auf den Leim gehen und sich nicht Lügen als "alternative Fakten" andrehen lassen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In fast auf den Tag genau vier Monaten, am 27. Mai, jährt sich zum 60. Mal der Jahrestag einer Sternstunde im Bayerischen Landtag. In der Präambel des an diesem Tag, am 27. Mai 1957, beschlossenen Gesetzes heißt es – ich zitiere –:
Der Bestand und die Zukunft des demokratischen Staates und der von ihm gewährleisteten Freiheit hängen von der rechten Einschätzung seiner