Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

Das gilt auch, wenn natürlich staatliche Vorgaben, wie zum Beispiel das Arbeitsverbot von Flüchtlingen, einen wesentlichen Teil mit zu den Problemen beitragen und somit der Staat natürlich auch eine Verantwortung hat in diesem Bereich, und zwar keine kleine. An diesem Punkt gerade des Arbeitsverbotes ist ja auch Rotgrün auf dem guten Wege, inzwischen in Berlin eine Lösung zu finden.

(Abg. T e i s e r [CDU]: Bei 2500 Strafta- ten haben die gearbeitet wie doof! — Abg. B o r t t s c h e l l e r [CDU]: Zu ungünsti- gen Zeiten, Tag und Nacht!)

Ich weiß nicht, ob es so glücklich ist, Herr Borttscheller, dass Sie sich gerade zu diesem Thema äußern, aber na ja!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Abg. H e n k e l [CDU]: Er weiß, wovon er redet! Das unterscheidet ihn wohltuend von Ihnen!)

Es ist im Sinne der eingangs dargestellten Differenzierungen ganz wichtig herauszustellen, dass von den 531 in Rede stehenden Personen, und das steht ja auch in der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der CDU, 148 als Tatverdächtige registriert sind, und wenn man die schweren Straftaten und die Intensivtäter extra betrachtet, sind es natürlich noch wesentlich weniger. Alle anderen, und das muss an dieser Stelle auch gesagt werden, alle anderen Personen aus dieser Gruppe, das sagt dann auch implizit die Antwort des Senats, haben sich in Bremen nichts zuschulden kommen lassen und dürfen auch weder von dieser Stelle noch von einer an

deren vorverurteilt werden. Aber auch das ist zu der Antwort des Senats eindeutig festzustellen, 2502 Straftaten sind genau 2502 Straftaten zuviel.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das ist korrekt, und das ist richtig, und genauso muss es auch sein. Besonders bedrückend ist, und ich habe das ja auch bereits bei verschiedenen anderen Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht, dass zu dem Unterschied zu einem Bild, was teilweise von einigen Kleingruppen in dieser Stadt erweckt worden ist, dass es sich hier quasi um die Schwächsten der Gesellschaft handelt, wir eine Situation in manchen Stadtteilen haben, wo einige, junge Männer sind es im Wesentlichen, aus dieser Gruppe durch relativ brutales Vorgehen geradezu eine Dominanz entwickelt haben, also gerade das Gegenteil der Fall ist. Wer hineinhört in Schulen, in Jugendclubs und in viele andere Bereiche, wer dort die Stimmen hört aus diesem Bereich, muss dies auch schon in dieser Stadt wahrgenommen haben. Das kann gar nicht anders sein.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident! Man muss, wenn man sich in der Differenzierung dieses Themas wiederfindet, auch auf die gescheiterte Integrationspolitik Bremens für diese Gruppe eingehen, und vielleicht können wir das in einer zweiten Runde noch einmal tun. Es gab eine ganze Reihe von Maßnahmen, die auf jeden Fall nicht gefruchtet haben. Es gab ein sehr kontraproduktives Zusammenleben, eine Zusammenballung sozusagen, die durch die Wohnanlage in der Kattenturmer Heerstraße entstanden ist, auch das muss benannt werden. Das können wir vielleicht noch im Weiteren deutlicher belichten. Nur ist steht, lassen Sie mich das zum Ende sagen, klar: Wenn die Gerichte weiter so urteilen, wie ich Ihnen vorhin zitiert habe, und sie haben das mehrfach getan, dann wird zumindest ein Teil dieser Gruppe auf jeden Fall in Bremen und Bremerhaven bleiben, und das heißt, wenn das so ist, dann muss die Anstrengung in die Zukunft gehen, mehr Anstrengungen zu unternehmen, bessere Maßnahmen zu entwickeln, um auch für die straffällig gewordenen Jugendlichen wieder den Weg zurück zu finden, über Ausbildung, Bildung, Arbeit und andere Elemente. Was nun als Lösung gekommen ist vom Sozialressort, lediglich Mittel dem Innenressort zur Verfügung zu stellen, um mehr Abschiebungen vornehmen zu können, löst jedenfalls keines der genannten Probleme für die Zukunft, und das haben wir bis heute vermisst.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Kleen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Ausländergesetz bestimmt in Paragraph 1, dass Ausländer nach Maßgabe dieses Gesetzes in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einreisen und sich darin aufhalten können, soweit nicht in anderen Gesetzen etwas anderes bestimmt ist. Es ist die Aufgabe der Ausländerbehörden, aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen zu treffen, und es ist für mich völlig selbstverständlich und überhaupt nichts Außergewöhnliches, dass diese Behörden ihre Entscheidungen nach sorgfältiger Prüfung in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren zu treffen haben.

(Beifall bei der SPD)

Dazu muss diese Behörde personell und materiell ausreichend ausgestattet sein, um diese Aufgabe sachgerecht und auch in angemessener Zeit erfüllen zu können. Deshalb, Herr Dr. Güldner, begrüßt die SPD ausdrücklich, dass der Senator für Inneres und die Senatorin für Soziales durch ihre Vereinbarung zur Unterstützung des Ausländeramtes die Voraussetzungen schaffen, dass die Prüfungen und Entscheidungen bei den hier in Frage stehenden Fällen in absehbarer Zeit getroffen werden können. Dass nur Abschiebungen dabei herauskommen, das glaube ich genauso wenig wie Sie. Aber wir brauchen Entscheidungen nicht erst in zwei, drei Jahren, sondern in wirklich absehbarer Zeit, auch im Interesse der Betroffenen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die rechtlichen Folgen der Ermittlungsergebnisse der Sonderkommissionen sind aber, das ist schon angesprochen worden, nur die eine Seite der Debatte. Die andere Seite sind die emotionalen und politischen Folgen der Diskussion. Wir wissen, dass immer dann, wenn es um Fragen des Asyl- oder Ausländerrechts geht, die Worte sorgfältig gewählt werden müssen. Nur allzu leicht gelingt es politischen Trittbrettfahrern, unbedachte Äußerungen zu verwenden, um ihr unheilvolles Süppchen zu kochen.

(Beifall bei der SPD)

Es kommt deshalb immer auf die sorgfältige differenzierte Beurteilung des Einzelfalls an. Das hat Dr. Güldner schon ausgeführt, und man muss ihm da nur Recht geben, denn am Ende werden von der Verwaltung oder vom Gericht immer Entscheidungen im Einzelfall getroffen und keine Pauschalver––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

urteilungen. Deshalb muss man in der hier geführten Debatte wohl zu dem Schluss kommen, dass die Art, wie Sie, Herr Dr. Schulte, die Sache angegangen sind, hoch problematisch war.

(Beifall bei der SPD)

Bereits seit 1998 liegen der Polizei Hinweise vor, dass unter den in Bremen gemeldeten Libanesen auch Kurden vermuteter türkischer Staatsangehörigkeit sein sollen. Ohne Not gingen Sie, Herr Dr. Schulte, Anfang des Jahres an die Presse mit einer Hurrameldung, dass ein sensationeller Schlag gegen Asylbetrüger gelungen sei. Ich darf zitieren aus Ihrer Presseerklärung:

„Bremens Innensenator Dr. Bernt Schulte gibt einen spektakulären Ermittlungserfolg bekannt: Eine Ermittlungsgruppe der Polizei Bremen in Kooperation mit der Ausländerbehörde hat festgestellt, dass sich über 500 Personen unter Angabe einer falschen Nationalität in Bremen aufhalten. Diese Personen hatten angegeben, libanesische Staatsbürger zu sein. Laufende Ermittlungen haben nun ergeben, dass diese Personen Staatsangehörige der Türkei sind. Dr. Schulte: Die ermittelten Personen handeln nicht nur rechtswidrig, sie kosten die Steuerzahler Unsummen und schüren Vorbehalte denjenigen gegenüber, die sich in Deutschland legal aufhalten.

(Unruhe bei der CDU)

In den in Bremen inzwischen ermittelten Fällen reisten die Personen überwiegend“, von diesen 500, „über den Flughafen Frankfurt/Main in das Bundesgebiet ein und stellten beim Grenzschutzamt einen Asylantrag“, und dann sind sie untergetaucht

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Richtig! Raus damit!)

und nach Bremen gegangen, die 500.

Herr Senator Dr. Schulte, Sie haben sich zitieren lassen mit der Überzeugung, dass diese Betrugsmasche bundesweit angewandt wird. Dass in dieser ersten Darstellung es an der nötigen Sorgfalt gemangelt hat, macht sich allein schon an dem Umstand deutlich, dass Sie in Ihren Forderungen für eine künftige konsequente Unterbindung dieses Asylmissbrauchs längst verwirklichte Forderungen aufstellten wie zum Beispiel die Abnahme von Fingerabdrücken jedes Asylantragstellers.

Ein weiteres Indiz, dass Sie eben nicht abwägend und sachgerecht informierend an die Presse herangetreten waren, war die wenige Tage später einberufene Pressekonferenz. Jetzt kamen Differenzierungen, die man von Anfang an hätte erwarten müssen. Nachdem bundesweit in den Medien — bis in die „Tagesthemen“ hinein — der spektakuläre Fahn

dungserfolg gegen 500 Asylbetrüger in Bremen gemeldet worden war, warnten Sie jetzt zusammen mit Frau Senatorin Adolf die Bevölkerung, nun nicht alle Asylbewerber und alle Türken über einen Kamm zu scheren.

Vielleicht haben Sie das deshalb getan, weil inzwischen klar geworden ist, dass von diesen 500 Personen allein fast 200 Personen in Deutschland geborene Kinder sind. Da dieser Personenkreis Ende der achtziger Jahre aus dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen ist, sind diese Kinder unter zehn, unter zwölf Jahre alt. Keines von diesen Kindern ist über den Flugplatz Frankfurt eingereist, die sind nämlich erst hier geboren worden, und keines von diesen Kindern hat sich die falsche Identität beim Ausländeramt erschlichen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wäre es für mich selbstverständlich gewesen, ihnen das Kainsmal Asylmissbrauch nicht erst auf die Stirn zu kleben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Der Unterschied zu denjenigen, die in der einen Stadt mit türkischer Identität einen Asylantrag stellen und dann in einer anderen Stadt unter libanesischer Identität auftauchen, dieser Unterschied zu den hier geborenen Kindern ist für mich signifikant, den kann ich doch nicht einfach wegdiskutieren. Ich halte von dieser Praxis, die diese Menschen angewandt haben, überhaupt nichts. Das ist ganz klar Missbrauch. Aber ich hätte gern vom Senator gewusst, wie viele das denn eigentlich sind.

(Beifall bei der SPD)

In der Presseerklärung ist der Eindruck erweckt worden, das waren 500. Jetzt sehe ich, hier sind fast 200 Kinder. Ich habe die Zahl gehört, dass dieses Verfahren über den Flughafen von weniger als 50 Personen vorgenommen worden ist. Das hätte ich aber dann auch ganz gern einmal genau bestätigt haben wollen, das wäre aber eine andere Meldung in den „Tagesthemen“ gewesen: 50 Asylbewerber in Bremen aufgeflogen.

(Abg. Manfred O p p e r m a n n [SPD]: Die wäre gar nicht hineingekommen!)

Zu dieser Gruppe derjenigen, die ein solches Verfahren nicht so vorgenommen haben, gehören dann auch noch die minderjährigen Kinder, die damals mit eingereist sind. Ich finde, Pauschalverurteilungen sind aufgrund dieser Faktenlage völlig fehl am Platz.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Herr Herderhorst, Sie haben folgende Rechtsauffassung zitiert: „Im Rahmen der Rechtsgüterabwägung sind besondere Härten, die die Ausweisung und Abschiebung in die Türkei für insbesondere in Deutschland geborene Kinder bedeuten, den Eltern zuzurechnen, die mit falschen Angaben diese Situation bewusst in Kauf genommen haben.“ Das ist sicher eine juristisch korrekte Darstellung. Aber ist sie nicht auch zynisch? Mitgefangen ist mitgehangen! Ich finde, dass man bei acht- bis zehnjährigen, fünfoder elfjährigen Kindern nicht den Eindruck erwecken darf, das sind alles Asylbetrüger!

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU)

Ich teile die Einschätzung von Dr. Güldner, dass es sich bei dieser Klientel auch um ein schwieriges Klientel handelt. Dass Straftaten begangen worden sind, ist doch überhaupt nicht von der Hand zu weisen. Ich will auch gar nicht hier mir groß die Gründe dafür überlegen oder herausfinden, denn es interessiert offensichtlich niemanden, aber es gibt dafür natürlich auch Gründe, die Sie doch selbst nachvollziehen können. Das Arbeits- oder Ausbildungsverbot für diese Jugendlichen ist sicher eine Begründung, dass die Erwachsenen aus Bürgerkriegszuständen kommen, ist sicher eine Begründung, dass sie auch heute weiter Ausgrenzungen ausgesetzt sind, ist sicher eine Begründung.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Ich denke, die sind hier geboren!)

Unsere Gesellschaft muss auf, und das ist auch schon angesprochen worden, dass da durchaus Hilfe angeboten worden ist, die Verweigerung friedlichen Zusammenlebens angemessen reagieren mit Hilfen, die ankommen, mit dem Willen des Strafrechts, wenn die präventive Hilfe versagt hat. Was wir aber von einem bremischen Senator verlangen dürfen, ist, dass er sich der Versuchung verweigert, pauschale Vorurteile und Angstmache zu bedienen, um Stimmung gegen eine ganze Volksgruppe zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Erstens, Missbrauch, der die Aufnahmebereitschaft unseres Landes gefährdet, kann und wird nicht hingenommen werden. Zweitens, schwere Straftäter haben kein Pardon zu erwarten. Drittens, Menschen in Not haben menschlich fair und rechtlich angemessen behandelt zu werden. In korrektem rechtlichen Verfahren entschiedene Konsequenzen müssen auch akzeptiert werden. Viertens, es wäre dem Ansehen unserer großen Koalition überhaupt nicht abträglich, wenn beide Partner auf eine Politik der Integration des menschlichen Verständnisses in der

Tradition bremischer Liberalität setzen würden. — Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Sie haben noch ein paar Sekunden Zeit, damit Sie hinauslaufen können, weil es nämlich wieder schrecklich wird für Sie, Wahrheit tut weh!