Protokoll der Sitzung vom 05.07.2000

Jetzt zitiere ich einmal aus Ihrem eigenen Bericht, das ist, glaube ich, doch noch einmal notwendig. Im Bericht des Senats heißt es unter Fazit und weiteres Verfahren, man könnte noch seitenweise weiter blättern, dann kommen noch die Anlagen, ich darf zitieren mit Genehmigung des Präsidenten: „Ein zusammenfassender flächendeckender Überblick über Arbeitsmarkt und sonstige Effekte des ISP ist derzeit noch nicht möglich.“ Das haben wir alle nicht bestritten. Weiter unten steht dann: „Diese wissenschaftliche Begleitung ist in ihrer Transparenz einmalig.“ Auch das habe ich gesagt! Das ist doch gut, das ist doch keine Kritik, sondern das ist eine Unterstützung des begonnenen Weges.

Der Senat sagt selbst: „Die begonnene wissenschaftliche Begleitung und Bewertung des Programms ist deshalb fortzusetzen und in Form weiterer Zwischenberichte zu dokumentieren.“ Es gäbe noch kein ausreichend gesichertes wissenschaftliches Verfahren, und die Schwierigkeiten werden dargestellt, und deshalb habe ich auch gesagt, dass es ein wissenschaftlich spannender Bereich ist. Da kann es doch eigentlich überhaupt keinen Widerspruch geben. Daran müssen wir alle ein Interesse haben, denn nur so, glaube ich, können wir alle mitnehmen, die wir mitnehmen wollen, und das gehört nun unabdingbar mit zur Akzeptanz von Politik. Deshalb habe ich mich noch einmal gemeldet!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Zachau.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist ja eine der letzten Möglichkeiten für mich, in diese Debatte einzugreifen, deswegen will ich das noch einmal nutzen.

(Abg. F o c k e [CDU]: Morgen ist es auch noch möglich!)

Morgen machen wir noch einmal eine Pädagogikdebatte, Herr Focke war so freundlich, mir den Steilpass zu geben. Wir würden das nicht lernen, das kann ich natürlich nicht auf uns sitzen lassen!

(Abg. F o c k e [CDU]: Ich war nicht bei Ihnen in der Schule!)

Das ist ein Fehler gewesen! Es geht nicht darum, jetzt im Einzelnen, im letzten Detail für die Projekte die Arbeitsplatzeffekte nachzuweisen, da gebe ich Ihnen Recht. Das dürfte bei staatlichen Infrastrukturmaßnahmen schwierig sein. Es geht um den

Trend! Da haben wir folgendes Problem: Erstens, bis 1998 hat sich Bremen bei der Beschäftigung dem Bund angenähert, 1998 haben wir uns wieder abgekoppelt, und diesen Trend haben Sie nicht umgekehrt. Fakt Nummer eins!

(Zuruf von Bürgermeister P e r s c h a u)

Aber natürlich, lesen Sie die Berichte der Bundesanstalt für Arbeit! Sie werden hier regelmäßig ausgegeben. Sie können Herrn Knigge fragen, das haben wir damals auch in der Arbeitsdeputation besprochen. Er wird uns schon die Wahrheit erzählt haben.

(Bürgermeister P e r s c h a u : Das stimmt nicht! Das Gegenteil ist richtig!)

Zweitens: Wenn Sie dieses Gutachten, das vor einiger Zeit von dem Staatsrat abgegeben worden ist, der das Programm installiert hat, gelesen haben, dann sagt es ganz deutlich aus, im Bereich der Dienstleistung haben Sie keine Trendwende zugunsten einer Annäherung an vergleichbare Städte erreicht. Das ist so, es ist nicht wegzudiskutieren.

Drittens: Herr Perschau, wenn Sie von der Investitionsquote reden, die Quote, der Wert an sich, das, finde ich, ist eine dermaßen etatistische Betrachtungsweise. Es geht natürlich auch schon um Qualitäten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte Sie dann aber auch noch darauf hinweisen, was in Ihrem Hause beziehungsweise im Hause des Wirtschaftssenators inzwischen alles als Investition benannt wird. Die BIG und die BIS bekommen jetzt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, 96 Millionen DM für Wirtschaftsförderung, ohne dass der Gegenstand im Detail festgelegt ist. Das ist eine klassische Subvention, und diese wird zurückgezahlt bis 2010. Das heißt, es wird heute subventioniert, und diese Subvention wird in der Finanzierung bis 2010 über zehn Jahre gestreckt.

Ich finde, das ist bemerkenswert unsolide, um es vorsichtig zu sagen. Die Qualität der Investitionen beschränkt sich teilweise auf ganz schnöde Subventionen, ohne dass dieses Parlament eine Kontrolle hat, was real mit dem Geld gemacht wird. Das ist doch der Punkt!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich erinnere mich noch an Ihre Begründung, als wir über das Siemens-Hochhaus diskutiert haben. Da wurde begründet, wir müssten investieren, um die öffentliche Verwaltung zu modernisieren. Was ist denn davon geblieben? Erfolgsgeschichte Ocean

Park! Nach meinem Wissen sind irgendwo im zweistelligen Millionenbereich schon Investitionen hineingeflossen, ohne dass sich da ein Millimeter bewegt hat. Was ist davon geblieben? Bahnhofsvorplatz, was ist davon geblieben? Musical, was ist davon geblieben? Rhodarium, Flopp! Sie sagen uns, alles Erfolgsstories, wir haben aber angeblich keinen Grund, wenigstens einmal nachzudenken! Das, finde ich, ist schon eine Arroganz von Glaubenssätzen, die uns als Steuerzahler viel Geld kostet!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dann komme ich zu meiner fünften Anmerkung, das ist etwas, was mich an der Debatte bei beiden Parteien ehrlich gesagt stört, es ist der nahezu ungebrochene Glauben an die Omnipotenz des Staates, also die Begründung: Wenn wir da eine Millionen DM investieren, dann haben wir die und die Effekte. Der Staat als Unternehmer wird es schon richten. Sie erzählen auf der einen Seite, wesentliches Sanierungsziel ist die Privatisierung von Leistungen. Auf der anderen Seite gründen Sie Gesellschaften, die im privatwirtschaftlichen Bereich tätig sind, bei Performa Nord eine Folgegesellschaft, heute Morgen hatten wir ein anderes Beispiel im Bereich des Arbeitsmarkts. Die BIG ist privatwirtschaftlich tätig ohne Ende.

Mir leuchtet nicht ein, warum die Bewirtschaftung solcher Objekte wie des Telekomgebäudes oder des Polizeipräsidiums, Investitionen in Passagen eine Aufgabe des Staates sein soll. Auch die Überdachung der Sögestraße beziehungsweise die Modernisierung der Obernstraße ist eine Sache, die eigentlich Angelegenheit der Unternehmen ist, und zwar derjenigen, die dort wirtschaften, und weniger eine Sache des Staates.

Sie tun so, als ob wir als kleine Bremer Region durch ordentlich Geldausgeben tatsächlich Wirtschaft steuern können. Das halte ich wirklich für eine gruselige Wiederkehr des Glaubens an ganz traditionalistische Politik à la Keynes. Ich glaube, man sollte hier fragen: Was ist des Staates? Sind wir nicht zuständig für Infrastruktur, sind wir nicht zuständig für Bildung, für Wissenschaft, sind wir nicht zuständig für Kultur? Es ist klar, dass das auch auf der SPDSeite nicht vorn ist. Mich wundert nur, mit welcher Rasanz, die CDU hat ja eigentlich immer eine andere Ausgangsposition gehabt, sich die beiden Parteien angenähert haben.

Ich glaube, man muss über die Rolle des Staates in Bezug auf die Wirtschaftstätigkeit intensiver nachdenken und nicht glauben, dass wir von Staatsseite alles regeln können. Hier, glaube ich, werden wir überfordert. Weil damit auch Erwartungen bei den Bürgerinnen und Bürgern geweckt werden, werden wir uns damit überheben und damit auch Frustra

tion produzieren. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Focke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das ist jetzt das dritte Mal, aber wir debattieren nach Geschäftsordnung, und deshalb ist es möglich, dass ich mich noch einmal melde. Herr Kollege Zachau, ich weiß nicht, was Sie da eben von sich gegeben haben, es steht zum Teil in ganz großem Widerspruch zu dem, was Frau Dr. Trüpel gesagt hat

(Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Überhaupt nicht!)

und was Ihre eigene Fraktion vielleicht auch denkt. Obwohl es Ihre vorletzte oder letzte Rede ist, wollen wir das nicht so stehen lassen.

(Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Wenn Sie so weitermachen, dann komme ich auch noch einmal! — Heiter- keit)

Wir haben Sie ja nur noch bis übermorgen, insofern ist das ja nicht so schlimm, da können Sie ruhig noch einmal etwas sagen!

Die Kollegin Dr. Trüpel hat vorhin gesagt, nun kommt hier einmal ein Unternehmen an, will angesiedelt werden, und ihr habt kein Geld und müsst es abweisen. Das ist natürlich Unsinn, weil wir jeden, der hier wirklich herkommen will, auch nehmen und auch fördern würden, wenn es sich auch rechnet. Aber jetzt haben Sie gesagt, 96 Millionen DM haben Sie einfach einmal der BIS gegeben für Wirtschaftsförderung. Warum haben wir das wohl gemacht? Das haben wir gemacht, weil wir in den nächsten Jahren ordentlich wirtschaftspolitisch tätig sein wollen und Unternehmen ansiedeln wollen, meine Damen und Herren! Immer, wenn jemand kommt, wollen wir sagen, jawohl, du kannst kommen!

(Beifall bei der CDU)

Das ist ein entscheidender Punkt, der schon einmal total dem widerspricht, was Sie hier gesagt haben.

Dann haben Sie gesagt, wir machten staatliche Wirtschaftspolitik. Das haben Sie auch wieder nicht richtig verstanden. Wir stellen die Infrastruktur her.

Das habe ich vorher bei den Dienstleistungen auch schon gesagt. Wir werden für ordentliche Verkehrsverhältnisse sorgen und damit erreichen, dass sich Unternehmen hier ansiedeln. Das sind natürlich keine staatlichen Unternehmen, das sind private Unternehmen. Die begrüßen wir sehr herzlich hier in dieser Stadt, weil sie nämlich ordentlich Steuern abliefern und Arbeitsplätze schaffen, meine Damen und Herren. Das wollte ich eben noch einmal sagen!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Trüpel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir schaffen ja gerade heute, uns doch hier richtig noch einmal in einen Disput zu verstricken. Diese letzte Bemerkung von Herrn Focke kann ich auch nicht unkommentiert lassen. Ich glaube, das macht nämlich den Streit, um den es geht, noch einmal sehr deutlich. Herr Perschau hat eben, und dem würde ich ohne weiteres zustimmen, zu Recht gesagt, ohne Risiken ist dieser ganze Weg nicht zu haben, und es geht um Risikoabwägung. Das ist richtig. Trotzdem geht es dann ja darum, wie man sich auf der Grundlage von bestimmten Daten und Einschätzungen entscheidet, die man hat.

Darum jetzt noch einmal das Beispiel mit dem Großmarkt! Es gibt, finde ich, sehr ernst zu nehmende Argumente, dass der Großmarkt in der jetzigen Struktur in den nächsten fünf bis zehn Jahren aufgrund der Veränderungen des Electronic-Commerce und neuer Handlungsstrukturen nicht mehr so existieren wird. Deswegen, sagen manche Leute, macht es eigentlich keinen Sinn, jetzt mit einem so großen staatlichen Invest den Großmarkt zu verlagern und dafür das Hafenbecken zuzuschütten. Darum sagen wir, weil wir das so einschätzen, und da geht es gerade um den Punkt Risikoabwägung, ist es verkehrt, dass sich der Staat hier in dieser Art und Weise mit einer Summe von über 200 Millionen DM engagiert. Wir würden vorschlagen, diese Investitionen so nicht zu tätigen, sondern gerade dieses Geld zu nutzen, um dann Firmen, die ökologischen Strukturwandel machen, anzusiedeln oder um das Biotechnologiezentrum in Bremerhaven, das man bisher nicht finanzieren konnte, endlich zu fördern. Dann hätte man damit nämlich schon etwas früher anfangen können. So wird ein Schuh daraus!

Was Sie machen, und dadurch bekommen Sie auch immer so ein Ungleichgewicht in Ihre Gesamtpolitik, ist, Sie versuchen, auch mit der hohen Investitionsquote und mit der Ideologie, die Sie verbreiten, dass Wirtschaftsförderung und Wirtschaftspoli––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

tik über alles andere geht, sozusagen jetzt auch für BIG und BIS, einfach immer noch Nachschläge zu bekommen. Da kommt immer noch einmal etwas oben hinauf. Frau Lemke-Schulte hat doch Recht, gerade auch, wenn man Sanierungspolitik macht, muss man doch ein ausgesprochen großes Interesse daran haben, dass man die Bürgerinnen und Bürger der Stadt mitnimmt

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

und dass das in einem angemessenen Größenverhältnis steht. Unsere Kritik an Ihrer Art der Sanierungspolitik und auch jetzt an dem Zwischenbericht, wie wir ihn haben, ist nämlich gerade diese Art der Risikoabwägung, die wir verlangen. Da muss man sich für bestimmte Projekte entscheiden, das tun wir, und gegen andere, um Prioritäten setzen zu können. Darauf zielt unsere Kritik.

Das, was Sie machen, sozusagen sich permanent etwas nachbewilligen zu lassen, führt zu einer unsozialen Lage in der Stadt und zu einer Situation, über die sich viele Menschen beschweren. Wir teilen das, dass man das so nicht zulassen darf. Deswegen muss man die einzelnen Projekte des ISP genauer betrachten, um dann einen entsprechenden Ausgleich in der Gesamtpolitik leisten zu können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort Herr Bürgermeister Perschau.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Dr. Trüpel, gerade weil das so ist, wie Sie es zum Schluss gesagt haben, machen wir das seit fünf Jahren. Sie kritisieren etwas, was ganz selbstverständlich geschieht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sagten, dass wir die Bürger mitnehmen müssen, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Einer der größten Bremsklötze, die Bürger mitzubekommen, sind die Grünen auf diesem Weg. Das ist leider so!