Protokoll der Sitzung vom 15.11.2000

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Dr. Trüpel, nachdem Sie meine Frage ja nicht beantworten wollten oder konnten,

(Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/ Die Grünen]: Konnten!)

möchte ich nur kurz auf Ihre sarkastische Rede eingehen! Ihre Rede zur Zuwanderung war sachlich nicht nur falsch, sondern auch unwahr. Zahlen, Daten und Fakten belegen das Gegenteil. Bitte nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die amerikanischen Ureinwohner, also die Indianer, eine Zuwanderung nicht stoppen oder verhindern konnten! Jetzt leben sie entrechtet und menschenunwürdig in ihren Reservaten.

(Unruhe bei der SPD – Abg. E c k h o f f [CDU]: Das wollen wir nicht!)

Zum Thema Leitkultur werde ich morgen noch einiges sagen, bezogen auf israelische Leitkultur. Ich persönlich habe ja nichts gegen die Green Card, solange sie für einen Herrn Le Pen aus Frankreich ist. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz klar und deutlich: Deutschland ist kein Einwanderungsland, und wir wollen auch nicht die Indianer von morgen sein. – Ich bedanke mich!

Als Nächste erhält das Wort Frau Senatorin Adolf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle klar darüber, dass die Green Card keine dauerhafte Lösung für ein schwerwiegendes arbeitsmarktpolitisches Problem ist. Sie kann nur eine vorübergehende Maßnahme sein zur Beseitigung eines akut bestehenden Mangels und vor allem dafür, Wirtschaft, Schule, Universität und allen Beteiligten Gelegenheit zu geben, umgehend Initiativen einzuleiten, die im So

fortprogramm der Bundesregierung aufgeführt sind, um diesen Mangel auch langfristig und möglichst schnell zu beheben.

Wir müssen den unbestreitbar großen Reiz, den die neuen Technologien auf viele Menschen ausüben, produktiver und effizienter nutzen, wobei ich sagen muss, wenn die Abwanderung von hier ausgebildeten IT-Kräften in die USA so groß ist, dann kann die Ausbildung ja so schlecht erst einmal nicht sein, sonst würden sie dort ja wahrscheinlich gar keine Chance bekommen. Eine ganz zentrale Rolle kommt dabei natürlich den IT-Unternehmen selbst zu. Die Green Card entbindet nämlich aus meiner Sicht die Unternehmen keinesfalls von ihrer Verpflichtung, Nachwuchs selbst auszubilden und die Möglichkeiten der internen und externen Weiterbildung ihrer Mitarbeiter auch exzessiv zu nutzen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich glaube, in keiner Branche ist die Halbwertzeit erlernter beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten so gering wie in der Kommunikationstechnologie. Das wissen wir alle, die wir uns bemühen, so im normalen Alltagsgeschäft Schritt zu halten mit dem, was sich da entwickelt. Das ist äußerst schwierig und schreit geradezu nach Weiterbildung. Auf diese Tatsache haben sich natürlich auch die Unternehmen einzustellen. Notwendig ist die Entwicklung langfristiger betrieblicher Strategien, um den Fachkräftemangel als personalpolitisches Problem endgültig und wirklich auf Dauer zu lösen.

Nicht zuletzt: Wir müssen alle Kräfte mobilisieren, um aus dem nach wie vor hohen Sockel an arbeitslosen Fachkräften in diesem Bereich herauszukommen, diese zu aktivieren und zu qualifizieren. Wir haben im Land Bremen in diesem Zusammenhang schon eine Menge versucht, wir haben mit dem Rahmenprogramm zur Landesinitiative Informationsund Mediennutzung, Bremen in time, sowie durch die in den Bündnisgesprächen verabredete Regionalaktion IT-Bedarfe bereits die strukturellen Grundlagen dafür gelegt, dass wir aus dieser Mangelsituation herauskommen können.

Wir werden diesen Weg in Abstimmung mit den Arbeitsämtern und den Kammern natürlich konsequent fortsetzen, denn nur durch ein Bündel von Maßnahmen der Ausbildung, der Qualifizierung und einer intensiven Werbung für entsprechende Fachstudien werden wir es schaffen, den zukünftigen Bedarf an Fachkräften zu befriedigen und zu vermeiden, dass ein Mangel an qualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein dauerhaftes arbeitsmarkt- und personalpolitisches Problem bleibt.

Das gilt im Übrigen nicht nur für den Bereich der Informations- und Kommunikationswirtschaft. Mit dem Sofortprogramm und mit der Green Card der

Bundesregierung ist das generell bestehende Problem eines zunehmenden Fachkräftemangels nicht gelöst. Auch andere Branchen, von den Ingenieurberufen über die Biotechnologie bis hin zu Handwerksberufen, haben zunehmend Schwierigkeiten bei der Suche nach geeignetem Personal, und auch für diese Branchen muss gelten, dass durch verstärkte Investitionen in Bildung und Ausbildung die Bereitstellung qualifizierter Arbeitskräfte zu einem Wachstumsmotor wird. Fachkräftemangel als arbeitsmarkt- und personalpolitisches Problem können wir uns in unserer industriellen und globalisierten Wirtschaft einfach nicht leisten, und das gilt für Bremen natürlich ganz genauso wie für den Rest der Republik.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich glaube, ich habe jetzt versucht aufzuzeigen, was wir in unserem kleinen Bundesland denn tun können, um Konsequenzen aus dieser bundespolitischen Debatte zu ziehen.

Natürlich gibt es auch die andere Dimension, die hier heute im Vordergrund stand. Lassen Sie mich deswegen zum Abschluss vor dem Hintergrund der geführten Debatte um Einwanderung und Zuwanderung auch einige Worte sagen! Ich persönlich halte jede Verknüpfung der Debatte um eine Reform der Einwanderung mit der eines veränderten Asylrechts für unangemessen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Die Öffnung des Arbeitsmarktes berührt das Problem, wie angesichts der mittelfristig zu erwartenden Abnahme des Arbeitskräftepotentials in Deutschland und des raschen Alterungsprozesses der erwerbsfähigen Bevölkerung durch eine geregelte Zu- beziehungsweise Einwanderung die Industrie und der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert werden können.

Ich bemerke jetzt Unruhe bei der CDU. Ich befinde mich da durchaus, glaube ich, im Einklang auch mit Positionen bei Ihnen, denn ich darf einmal daraus zitieren, was – –.

(Zurufe von der CDU)

Hier vorn war durchaus Unruhe, bei Herrn Herderhorst, bei Herrn Teiser, das habe ich wahrgenommen. Nein, das war nicht nur die Zeitung! Es ist egal!

(Unruhe bei der CDU – Glocke)

Wenn doch keine Unruhe war – –. Entschuldigung! Spätestens jetzt habe ich offensichtlich Unruhe erzeugt.

(Heiterkeit – Beifall bei der SPD – Abg. T e i s e r [CDU]: Sie wissen doch, wie es ist, wenn ich unruhig werde!)

Eigentlich wenig, Herr Teiser!

Ich möchte also gern aus dem Bericht zitieren, den die Deputation für Arbeit und Gesundheit der Bürgerschaft nach der Debatte um den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemacht hat. Ich glaube, wir befinden uns da auch durchaus auf einer gemeinsamen Plattform. Deswegen möchte ich das hier auch noch einmal so deutlich zitieren, und wir können, von dieser Plattform ausgehend, auch eine Menge an gemeinsamer Beschlussfassung entwickeln, und zwar steht hier:

„Einwanderungspolitik ersetzt nicht unsere Verpflichtungen einer humanen Asyl- und Flüchtlingspolitik. Sie kann und soll vielmehr die Bedingungen einer rational, nämlich ökonomisch und gesellschaftspolitisch begründeten Zuwanderung in einem zunehmend internationalen Arbeitsmarkt transparent klären und sozial gestalten. Die Bürgerschaft wird sich an ihrer Formulierung beteiligen.“

Das ist für mich die gemeinsame Plattform, von der wir in dieser Debatte ausgehen. Bremen beteiligt sich übrigens sehr intensiv, Bremen hat ja bereits das Integrationskonzept für das Land Bremen auf den Weg gebracht und hat auch die Federführung, den Vorsitz in einer Länderarbeitsgruppe, die sich mit einem integrationspolitischen Papier beschäftigt, das auf das Zuwanderungskonzept hinarbeitet, das auf Bundesebene erarbeitet wird. Gestern gerade hat diese Kommission hier getagt, das ist die so genannte Arge Flü, die sich mit Flüchtlingsfragen beschäftigt. Es waren auch die Ausländerbeauftragten der Länder dabei, und Bremen hat dort, wie gesagt, Vorsitz und Federführung und wird hier dann natürlich auch in den entsprechenden Deputationen darüber berichten, was dort erarbeitet wird. Ich glaube, dass wir diese Federführung und unsere Vorreiterrolle, die wir mit dem Integrationskonzept auf bremischer Ebene eingenommen haben, auch ernst nehmen und uns entsprechend intensiv beteiligen sollten. – Danke schön!

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielen Dank, Frau Senatorin, dass Sie eben noch einmal klargestellt haben, was nach Ihrer Auffassung die gemeinsame

Grundlage der Beratungen im Senat und in der Deputation ist. Das, was Sie vorgetragen haben, ist ja wortwörtlich der Punkt drei unseres Bürgerschaftsantrags, den wir hier heute zur Abstimmung stellen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie haben das eben noch einmal als gemeinsame Grundlage des Senats vorgetragen, insofern kann ich davon ausgehen, dass die beiden Koalitionsfraktionen diesem Antrag dann auch zustimmen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Genau das, was die Frau Senatorin eben vorgetragen hat – das ist der Antragstext –, nämlich: „Die Bürgerschaft (Landtag) ist der Auffassung, dass diese richtige Einzelentscheidung“ – Green Card – „die Formulierung einer modernen Einwanderungspolitik für Deutschland erneut auf die Tagesordnung setzt“, sehr verehrter Herr Kollege, war der Auslöser einer großen gesellschaftlichen Debatte um Einwanderungspolitik. Nicht das Gehampel um die Leitkultur,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

sondern diese Debatte ist es gewesen, die dazu geführt hat, endlich die Frage der Einwanderung und der Regelung der Einwanderung – und zwar der offenen Regelung, es ist ja Unsinn zu behaupten, sie wäre vorher nicht geregelt gewesen, natürlich war sie geregelt! –, einer anderen, offenen und transparenten Regelung der Einwanderung, auf die Tagesordnung zu setzen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das ist ein großer Erfolg dieser Initiative, und an der werden wir noch eine Weile arbeiten müssen, bevor wir da zu einer Lösung kommen.

Zweitens: Es ist auch nicht richtig, was Sie behaupten, dass unsere Vorschläge einseitig nur auf diese Frage zugespitzt gewesen wären. Der Antrag war umfassend. Den Punkt fünf, in dem wir formuliert haben, dass die Erkenntnis und die Ausgestaltung der Auswirkung der Globalisierung auf Aus- und Weiterbildung eine vorrangige Aufgabe der Politik in Deutschland sein muss, haben wir deswegen nicht mehr zur Abstimmung gestellt, nicht weil wir der Meinung sind, dass das erledigt ist, sondern weil wir wahrgenommen haben, dass alle Fraktionen in diesem Haus sich dieser Aufgabe bereits stellen. Ob Sie das waren durch die Anfrage zur natur- und ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung, ob wir das waren durch die Anfrage zu gestuften Abschlüssen und zur wissenschaftlichen Weiterbildung: Diese Frage ist auf der Tagesordnung, wir debattieren sie

hier gemeinsam und kontrovers. Deshalb müssen wir darüber nicht mehr abstimmen.

Der dritte Punkt ist nach wie vor in der Debatte öffentlich kontrovers, und ich finde es schön, wenn wir hier gemeinsam zu einer Haltung auch in diesem Sinne kommen können. Sie haben wiederholt, Herr Jäger, was die CDU in den letzten Tagen gemacht hat. Man erklärt, wenn man Wind von vorn bekommt, und zwar kräftigen Wind von vorn: Man wird doch darüber reden dürfen, und die anderen erklären irgendetwas für tabu. Nichts mit Tabu! Einwanderungspolitik ist seit Jahren kein Tabuthema.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben in der letzten Legislaturperiode in Bonn bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir debattieren das seit längerem, aber das ist immer Ihr Trick, wenn Sie da kräftigen Wind von vorn bekommen, dann sagen Sie: „Tabu, Tabu!“ Das Gegenteil ist der Fall! Sie mussten bloß erleben, dass in den letzten drei Wochen ein intellektuelles und politisches Feuerwerk an Kritik an Ihrem Begriff der Leitkultur losgegangen ist,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

und zwar von Seite eins der Politik in der Zeitung bis hinten ins Feuilleton. Ich habe keinen Artikel einer ernst zu nehmenden Zeitung gelesen, die ernsthaft Ihrem Vorschlag beigesprungen wäre! Im Gegenteil, überall gab es eine durchgehende Kritik an der Art und Weise, wie Sie diesen Begriff eingeführt haben.

Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen dies nicht gefiel, Ort und Zeitpunkt der Kritik, die der Vorsitzende des Zentralrates der Juden vorgetragen hat.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Ja, der fehlt auch noch!)