Protokoll der Sitzung vom 22.03.2001

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen, dass Hirnforschung hier auf international höchstem Standard betrieben wird. Es ist auch so, dass das Arbeitsfeld der theoretischen Neurobiologie von Herrn Professor Dr. Kreiter zumindest für diesen Sonderforschungsbereich ein unverzichtbarer Bestandteil ist. Die theoretische Neurobiologie bedarf aber nicht zwangsläufig der invasiven Forschung am Gehirn von Primaten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen])

Nein, natürlich, es besteht die Möglichkeit, auch ohne diese von Ihnen so genannte Affenforschung im Bereich der Neurobiologie weiterhin an der Spitze zu bleiben. Die Möglichkeit besteht. Deswegen wollen wir, ich möchte das hier als Strategie formulieren, alle gemeinsam Anstrengungen unternehmen, damit diese Experimente schrittweise reduziert und überflüssig gemacht werden können.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte unser Ziel als einen geordneten, abgestuften Wiederausstieg aus diesen Experimenten beschreiben.

Wir stellen uns das folgendermaßen vor: Die Universität hatte eine Arbeitsgruppe zur Förderung von Ersatzmethoden eingerichtet. Diese hat die drei Prinzipien „reduction, refinement, replacement“ formuliert, für die Freunde der deutschen Sprache also „Reduzierung, Verbesserung, Ersatz“. Diesen Prinzipien wollen wir uns auch verschreiben. Wenn wir das einmal auf das Prinzip „reduction“, Reduzierung, hin abklopfen: Herr Professor Dr. Kreiter geht bereits jetzt so vor, dass nur so wenig Tiere wie möglich für die Experimente eingesetzt werden, oder ich formuliere es anders herum, es werden gerade so viele Tiere für die Experimente herangezogen, wie nötig sind, um wissenschaftlich valide Ergebnisse zu bekommen. Das ist unserer Meinung nach durchaus schon der erste Schritt, um dem Anspruch von „reduction“ gerecht zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Der nächste Schritt muss jetzt aber folgen. Auch das ist hier bereits angesprochen worden, wir haben uns in der Deputation für Wissenschaft als SPD

Fraktion dafür stark gemacht, dass die Mittel zur Einführung der funktionalen Kernspintomographie bereitgestellt werden. Wir werden das jetzt in die Tat umsetzen, dieses Gerät wird angeschafft werden. Damit werden wir zumindest die Möglichkeit eröffnen, dass die bisherigen invasiven Methoden durch nicht invasive, also durch bildgebende Verfahren ersetzt werden. Das bedeutet zwar immer noch Tierexperimente, das vermeidet aber, dass bei den Tieren Elektroden in das Gehirn eingesetzt werden müssen. Natürlich reduziert das für die Tiere Stress und auch die gesundheitlichen Risiken. Deswegen ist das unserer Meinung nach eine Umsetzung des Anspruchs „refinement“.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Ist das Wunschdenken oder Re- alität?)

Das wird Realität werden!

Der dritte Schritt ist jetzt allerdings natürlich noch ein wenig Zukunftsmusik, würde dann bedeuten „replacement“, also Ersatz. Ich stelle mir das so vor: Sobald aus den invasiven Experimenten und aus den dann noch zu entwickelnden, nicht invasiven Experimenten genug Daten vorliegen, dass dann auch die Möglichkeit bestehen wird, durch Simulation am Rechner und durch bildgebende Verfahren, die dann mit Menschen, also mit freiwilligen Probanden, durchgeführt würden, ganz auf die Experimente mit Primaten zu verzichten.

Dafür muss man so etwas wie eine Zeitschiene formulieren. Wir haben gestern hier in der Fragestunde zur Kenntnis bekommen, dass bisher noch sehr wenig konkrete Ergebnisse vorliegen. Ich finde das recht bedauerlich, aber das ist so. Wissenschaft ist nicht konkret planbar, das liegt in der Natur der Sache. Wir müssen uns, denke ich, darauf einstellen, dass es noch einmal weitere drei Jahre dauern wird, bis so viele befriedigende Ergebnisse vorliegen, dass man sagen kann, jetzt machen wir den Übergang von der Phase der invasiven zu den nicht invasiven Experimenten.

Ich sehe auch einen zu definierenden Horizont für ein Ende, und zwar in Verbindung mit der Fortsetzung dieses Sonderforschungsbereichs. Er hat in der Regel eine Bewilligung von sechs Jahren, dann gilt es, dass das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geprüft wird. Maximale Laufzeiten solcher Sonderforschungsbereiche liegen bei zwölf Jahren. Ich glaube, das ist ein realistischer Horizont, bei dem für uns auch eine gewisse Planungssicherheit besteht. Bis dahin ist aus diesen Experimenten wieder auszusteigen.

Gut, das mag vielen hier im Hause und vielleicht auch vielen in der Öffentlichkeit unzumutbar lang erscheinen. Es ist meiner Auffassung nach aber die einzig realistische Sichtweise. Ich meine, wir haben den Anspruch, hier in einen seriösen Dialog zu tre

ten zwischen Tierschutz, der Öffentlichkeit, der Politik und der Wissenschaft. Ein seriöser Dialog kann nur gelingen, wenn alle Partner ehrlich miteinander umgehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte also für unsere Fraktion einmal formulieren: Wir wollen hier die Grundsätze Ehrlichkeit und Transparenz pflegen, und wir wollen Dialogbereitschaft dokumentieren. Wir erwarten diese Dialogbereitschaft auch von den Partnern sowohl in der Wissenschaft als auch auf Seiten des Tierschutzes und sind guter Hoffnung, dass es unserem Senator Lemke gelingt, dies auch zu organisieren, denn nur dann kann der von mir skizzierte, abgestufte Wiederausstieg aus den Tierexperimenten an Primaten erreicht werden, und dort wollen wir hinkommen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zwei Beiträge aus der SPD, die sich eigentlich vom Herzen her gegen die Tierversuche aussprechen, das respektiere ich, das ist auch honorig, aber wenn ich mir das Ergebnis ansehe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dann heißt das, Sie sagen heute, glaubt nicht, dass vor zwölf Jahren die Tierversuche beendet werden, und glaubt nicht, dass es dann in diesen zwölf Jahren bei der jeweiligen Neuanmeldung von Versuchen nur die geringste Chance gäbe für den Senat, irgendetwas anderes zu beschließen. Sie sagen heute schon, wir werden die nächsten neun Jahre jeweils wieder bei Beantragung einer neuen Versuchsreihe ja sagen, und das nennen Sie dann perspektivisch aussteigen. Ich finde, das ist schon ziemlich unverschämt!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ehrlichkeit und Offenheit gelten sehr wohl gegenüber der Wissenschaft, das ist in Ordnung, mit ihr muss man klar reden, aber sie gelten auch gegenüber der Öffentlichkeit. Was Sie hier jetzt geboten haben, finde ich dann schon nicht ganz klar. Ich nehme jedenfalls mit: Sie haben hier heute erklärt, jawohl, wir machen diese Tierversuche weiter. Zu dem, was Sie bisher gemacht haben mit der perspektivischen Reduzierung und den alternativen Verfahren, sage ich Ihnen einmal, wie ich das bisher wahrgenommen habe.

Erstens: Das mit diesem 3-Tesla-Gerät, diesem Kernspintomographen, ist durchaus nicht klar. Die Mittel sind da, übrigens eine Million DM aus dem

Haushalt des Hanse-Wissenschaftskollegs, was dafür nicht bereitgestellt worden ist. Das war ein Kolleg zur Begegnung von Wissenschaftlern. Ausdrücklich ist damals gesagt worden, das Hanse-Wissenschaftskolleg darf keine technische Ausrüstung kaufen. Jetzt wird eine Million DM in das Gerät hineingesteckt. Das ist eine reine Geldbeschaffungsmaschine bisher gewesen für das, was Herr Roth und seine Kollegen machen. Soweit ist das bisher mit alternativen Verfahren gewesen.

Ich sehe auch, was Sie wollen. Sie wollen das Spektrum erweitern. Ich sage Ihnen, diese sehr gute Hirnforschung ist in der Tat möglich auch ohne Herrn Dr. Kreiter. Sie war vorher möglich ohne ihn, und sie ist auch ohne Herrn Dr. Kreiter möglich, wenn man denn die anderen Dinge ernsthaft macht als Ersatz und nicht einfach als zusätzliche Beschaffung von mehr Mitteln und mehr Einfluss für diesen natürlich hochinteressanten Wissenschaftsbereich. Das zur perspektivischen Reduzierung! Es ist leider genau so gekommen, wie wir gedacht haben, und manchmal bringt es sehr wenig Spaß, dass man Recht behalten hat.

Das Zweite: Zum Verfahren! Sie irren grundsätzlich, wenn Sie der Auffassung sind, dass es bei dem neuen Antrag nur darum ginge, irgendetwas weiterzuschreiben, dass die Grundsatzentscheidung gefallen sei. Das ist nicht der Fall. Es wird ein Antrag gestellt auf Durchführung von Tierexperimenten, und dieser Antrag muss natürlich neben der Einhaltung der Tierschutzbestimmungen auch den Nachweis bringen, dass es inzwischen keine andere Alternative und Doppelversuche gibt, das muss nämlich jedes Mal neu geprüft werden, das kann man nicht einfach weiterschreiben. Man muss neu prüfen, ob es alternative Verfahren gibt, und man muss auch prüfen: Was haben denn eigentlich die ersten drei Jahre gebracht? Ist das gebracht worden, was man versprochen hat? Es ist doch klar, dass das Gegenstand des Prüfungsverfahrens ist, wenn man einen neuen Antrag einbringt!

(Abg. Frau B e r k [SPD]: Dafür brauchen wir Ihren Antrag nicht, das wird auch so gemacht, Herr Dr. Kuhn!)

Dazu komme ich gleich, Frau Berk, warum wir dazu unseren Antrag brauchen!

Man muss bei der Prüfung eines neu vorgelegten Antrags noch einmal grundsätzlich prüfen. Das ist keine Formalie, und es hat mich ziemlich erschrocken, dass Sie es uns hier verkaufen wollen, als sei es sozusagen Business as usual, das geht so durch, weil es schon der zweite Antrag ist. In sechs Jahren ist es dann der dritte, und Sie hoffen, dann redet überhaupt niemand mehr davon. Nein, das ist eine grundsätzliche Prüfung!

Wir sagen in unserem Antrag, und ich habe nach dem Beitrag von Herrn Jäger überhaupt nicht mehr

verstanden, wieso Sie das nicht mitmachen wollen, diese Überprüfung darf keine Überprüfung im stillen Kämmerlein unter Geheimhaltungsbedingungen sein. Wir wollen, und das wollen Sie doch offensichtlich auch, dass das öffentlich nachvollziehbar ist und dass Sie und ich in der Lage sind, uns Sachverständige zu holen, die unsere Meinung, unser Urteil noch unterstützen, abstützen und vielleicht auch untermauern können.

Wir wollen eine öffentliche Debatte über die Bewertung der ersten drei Jahre und über die Frage, ob es weitergeführt werden soll. Das haben wir gefordert, denn wenn Sie nur das Genehmigungverfahren machen, dann kommen Sie uns mit dem Argument, das dürfe nicht veröffentlicht werden, Gutachten dürften nicht veröffentlicht werden. Das verstehe ich nicht nach den Reden, die ich hier gehört habe heute, wieso Sie ablehnen, dass wir dieses Genehmigungsverfahren öffnen für eine öffentliche Debatte, in der die Karten auf den Tisch gelegt werden. Auf den Tisch gehören sie, und ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie das ablehnen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, bei dem letzten Absatz müssen Sie mir einmal erklären, warum Sie das nicht mitmachen wollen! Darin steht, die Bürgerschaft fordert auf, dass wir sobald als möglich aussteigen. Das ist wortwörtlich die Formulierung, die Sie vor drei Jahren in Ihrem Antrag gewählt haben. Ich möchte einmal wissen, warum Sie das heute nicht mehr mitmachen wollen! Wollen Sie das nicht mehr? Wollen Sie nicht mehr so rasch als möglich aussteigen? Die Debatte geht doch darum, was so bald als möglich heißt. Das ist es doch, worüber wir uns immer streiten.

In dem Ziel waren wir uns aber doch, dachte ich, immer einig, erstens in der Frage der Öffentlichkeit des Verfahrens, zweitens in der Frage, dass die Bürgerschaft noch einmal sagt, wir wollen so rasch wie möglich aussteigen. Da habe ich nicht verstanden, warum Sie diesen Antrag nicht mitmachen können. Die interessante Entscheidung, ob man öffentlich zu einem Ergebnis kommt, man macht weiter oder nicht, will ich doch hier heute nicht fällen.

(Abg. B e c k m e y e r [SPD]: Sie lassen sich doch auch nicht jeden Tag eine neue Geburtsurkunde ausstellen, oder?)

Nein, Herr Beckmeyer, Sie haben da etwas durcheinander gebracht! Es geht nicht um Geburtsurkunden. Herr Dr. Kreiter ist jetzt nicht auf Dauer mit einer Genehmigung versehen, und es läuft so durch!

(Abg. B e c k m e y e r [SPD]: Es gibt doch einen Beschluss! – Abg. Frau H a m m e r - s t r ö m [SPD]: Das hat doch auch keiner gesagt!)

Ausgerechnet Sie müssen uns erzählen, dass wir in wichtigen politischen Fragen nicht immer neue Beschlüsse fassen! Jetzt haben wir das vierte Mal gestern über die Mittelweser diskutiert, da kann ich ja nur lachen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Da wollen Sie uns verbieten, noch einmal grundsätzliche Positionen durch einen Antrag zu den Affenversuchen zu bekräftigen!

(Abg. B e c k m e y e r [SPD]: Sie haben uns doch eben vorgehalten, dass es so be- schlossen ist, dann brauchen wir es doch nicht noch einmal zu beschließen!)

Das sage ich ja gerade, dass es offensichtlich, wenn ich die Reden, jetzt gerade den Beitrag von Herrn Dr. Käse, gehört habe, sehr notwendig ist, noch einmal zu bekräftigen, dass diese Bürgerschaft nicht irgendwann in zwölf, 20 Jahren aussteigen will, sondern dass sie so rasch wie möglich aussteigen will. Ich finde, wenn Sie sich ernst nehmen, müssten Sie das heute noch einmal mit uns beschließen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt bin ich gespannt, was der Herr Senator sagt, und mache hier erst einmal Schluss!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Lemke.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst ausdrücklich bei den Abgeordneten Frau Emigholz, Jäger und Dr. Käse bedanken für die sehr sachliche, konstruktive, aber auch kritische Würdigung der Debatte. Herr Dr. Kuhn, ich nehme Ihre Bedenken, die Sie vorgetragen haben, sehr ernst, aber wir müssen uns vor Augen halten, worüber wir hier reden. Wir reden über einen Bereich des Menschen, das Gehirn, das so gut wie noch nicht erforscht worden ist, und wir reden darüber, dass wir einen renommierten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts, dem viele eine große wissenschaftliche Karriere vorhersagen und der international absolut renommiert ist, beauftragt haben mit einer sehr ernsten und für uns alle sehr wichtigen Aufgabe.

Ich habe Ihrem Beitrag, dem ersten, aber auch dem zweiten, sehr genau zugehört. Sie haben fast wörtlich gesagt, es ist nicht ausgeschlossen, dass es letztendlich durch diese Forschungen auch zur Heilung von Krankheiten kommen wird. Das haben Sie wörtlich so gesagt. Es ist nicht ausgeschlossen! Das finde ich positiv, dass Sie das so darstellen! Wenn es