Protokoll der Sitzung vom 16.05.2001

Die Daniel-Schnakenberg-Stiftung, ich werbe jetzt einmal öffentlich dafür, vielleicht schreiben die Journalisten es auch, kann jede Mark, die jemand bereit ist zu stiften, gebrauchen, um noch mehr Jugendlichen zu helfen. Sie will das Programm auch gern ausweiten, nicht nur für Zeltlager für Jugendliche, sondern es gibt genügend Spielplatzinitiativen in den belasteten Gebieten, die wir hier alle kennen, die sich freuen würden, wenn sie mit Stiftergeldern eine Woche ins bremische Umland fahren könnten, um ihre Sorgen und Nöte einmal für eine Woche vergessen zu können. – Ich bedanke mich!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort Bürgermeister Dr. Scherf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für den Senat will ich versuchen, diese Debatte auf den Kern zurückzubringen. Es geht ja um Berichterstattung. Diese Berichterstattung haben wir so gut wie möglich versucht, wie gefordert und wie abgefragt. Unsere Einschätzung ist die, dass es nicht besonders ertragreich ist, in dieser Form Zusatz- und Sondererhebungen gegenüber den bundesweiten Erhebungen und der bundesweiten Berichterstattung, an der wir ja alle teilnehmen und die zufälligerweise fast zur gleichen Zeit vorgelegt worden ist, zu veranstalten.

Jedenfalls sind die Ergebnisse, die wir hier vorlegen, nicht dafür geeignet, eine sozialpolitische Grundsatzdebatte zu führen nach dem Schema, wie Karoline Linnert das möchte: Überall da, wo die Grünen in der Regierung sind, wird soziale Gerechtigkeit organisiert, und da, wo sie in der Opposition sind, wird das Gegenteil organisiert. Das kann man mit dieser Art von Berichterstattung des Senats nicht belegen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wenn es gut geht, dann ist es ein Anstoß, nachdenklich zu sein, sowohl auf Landesebene wie auf Bundesebene. Ich würde die Grünen-Sprecherin Karoline Linnert herzlich einladen zu der auf Bundesebene in der rotgrünen Koalition gerade im Augenblick geführten Debatte, an der Thea Dückert teilnimmt, deren Beiträge ich fast auswendig kenne, weil ich sie persönlich gut kenne, und auf der anderen Seite Walter Riester teilnimmt. Wenn Sie sich das überlegen und das bitte sehr in Ihre eigene Argumentation einbeziehen, dann fällt es Ihnen ein Stück schwerer, hier den Moralapostel zu spielen, der schwarz gegen weiß ausspielt, sondern dann fällt Ihnen vielleicht ein, dass wir ein gemeinsames Problem haben und dass dieses gemeinsame Problem nicht dadurch profiliert wird, dass man Wettbewerbe mit DVU-Rednern durchführt.

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau L i n - n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Jetzt ist es wirklich gut!)

Wir werden nur dadurch vorankommen, dass wir die auf Landes- und Bundesebene verbleibenden Spielräume nutzen, um real gegen den gefährlichen Trend, dass die Entwicklung zwischen Arm und Reich auseinander läuft, anzuarbeiten. Das machen wir zurzeit auf Bundesebene mit großen Problemen, wie Sie genau wissen, auch mit großer Kritik, auch aus Ihren eigenen Reihen, die muss ich doch wohl nicht zitieren, und mit großer Kritik der Gewerkschaften.

Wenn Sie am 1. Mai auf Gewerkschaftsveranstaltungen waren, dann haben Sie gemerkt, was da diskutiert und wessen Politik dort kritisiert worden ist. Dann fällt es Ihnen vielleicht ein bisschen schwerer,

schwarz und weiß bei dieser Debatte zu verteilen. Wir müssen uns gemeinsam anstrengen, um mit ganz konkreten Schritten gegen diese erkennbare, zugespitzte Verteilungsungerechtigkeit, dass es immer mehr Arme in immer delikateren Lagen und immer mehr Reiche in diesem Land gibt, anzuarbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Leider kann man das mit dieser abgeforderten regionalen Berichterstattung nicht wirklich belegen. Darum raten wir im Senat, weil das ja auch viel Arbeit macht, sage ich jetzt einmal redlicherweise, sich darauf zu konzentrieren, möglichst themenorientiert zu hinterfragen. Wir wollen uns nicht vor Berichterstattung drücken, wir wollen auch nicht irgendwelche Zahlen verstecken oder verbergen, aber wir wollen möglichst ergebnisorientiert und auch für Sie handlungsorientiert all das zusammentragen, was hier im Land signifikant ist. Da raten alle die, die mich beraten, und zwar nicht nur von der einen, sondern auch von der anderen Seite der Koalition, dass wir uns konzentrieren auf themenorientierte regelmäßige Sozialberichterstattung, die dann auch den Auftakt für entsprechende landespolitische Antworten und daraus sich ergebende Konsequenzen bilden kann. Das raten wir, ohne dass wir natürlich verhindern können, dass immer wieder allgemein abgefragt wird und allgemein Bericht erstattet werden muss. Zu meiner persönlichen Einschätzung erlauben Sie mir vielleicht noch einen Satz! Dieser kleine Stadtstaat hat null Chance, sich spektakulär abzuheben von der bundesrepublikanischen und der europäischen Binnenmarktentwicklung, sondern wir haben überhaupt nur Chancen, wirklich wirksam, nicht nur gesten- und alibihaft, Partei gegen ungerechte Verteilung zu ergreifen, wenn wir fähig bleiben, auf allen Ebenen konsistente Konzepte zu entwickeln. Wir haben in diesem komplexen Verhältnis von Verteilung und von politischer Gegenantwort nur noch die Chance, integrative Antworten zu finden. Darum liegt mir daran, sowohl auf der Landesebene wie auf der Bundesebene und auf der europäischen Ebene nach Konsensen zu suchen, mit denen wir gemeinsam diesem dramatischen Zustand begegnen können. Weltweit übrigens ist das noch katastrophaler. Wir leben in Europa oben auf der Spitze des Berges. Aber selbst wenn wir die Probleme lösen wollen, brauchen wir integrierte Konzepte. Wir brauchen konsensorientierte Konzepte. Wir sollten möglichst vermeiden, ohne Antworten zu haben uns dadurch zu entlasten, dass wir die Schuld immer bei anderen finden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist damit geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 15/714 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD und CDU)

Stimmenthaltungen?

(Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD Kenntnis.

Berufsorientierung von Schülerinnen und Schülern – Zur Problematik des Übergangs von der Schule in den Beruf

Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der CDU vom 7. Februar 2001 (Drucksache 15/620)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 17. April 2001

(Drucksache 15/688)

Dazu als Vertreter des Senats Senator Lemke.

Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Herr Senator, ich gehe davon aus, dass Sie darauf verzichten.

Meine Damen und Herren, wir treten dann in die Aussprache ein.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Ziegert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Übergang Schule – Beruf, Berufsorientierung von Schülerinnen und Schülern, ist das Thema der Großen Anfrage, die die Fraktionen der SPD und der CDU an den Senat gerichtet haben. Nun ist bekanntermaßen schon immer der Schritt von der Schule in den Beruf schwierig gewe

sen, aber er ist heutzutage noch schwieriger geworden, als er früher schon gewesen ist, weil Schülerinnen und Schüler viele Orientierungsmuster, die sie früher hatten und die ihnen den Übergang in die Berufswelt erleichtert haben, heute nicht mehr haben. Auch wenn prognostiziert wird, dass in Zukunft ein Beruf nicht mehr lebenslang ausgeübt werden wird, muss doch festgestellt werden, dass die Entscheidung, die Berufswahl, die Frage, welcher Beruf ergriffen wird, für Schülerinnen und Schüler heute noch von ziemlich lebensentscheidender Bedeutung ist, eine entscheidende Weichenstellung!

Im Bündnis für Arbeit und Ausbildung ist diese Frage mehrfach angesprochen worden, wie man die Berufswahlentscheidung der Schüler verbessern kann. Auch in vielen Erfahrungen und Rückmeldungen, die man von Eltern oder Schülerinnen und Schülern bekommt, wird immer wieder berichtet, wie schwer es fällt, sich auf die künftige Arbeitswelt hin zu orientieren.

Da ist zum Beispiel der Fall einer Auszubildenden einer Bremer Firma, die da jetzt eine Ausbildung als Verwaltungsangestellte macht und sagt, erst einmal habe ich Abitur gemacht, dann habe ich studiert, und dann habe ich festgestellt, das war eigentlich doch nicht das Richtige. Jetzt habe ich die Lehre gemacht, und wenn ich in der Schule schon einmal etwas von einer beruflichen Ausbildung erfahren hätte, dann hätte ich mich vielleicht von Anfang an richtig entschieden.

Auch wenn man sich die Statistik einmal anschaut, zeigt sich, wie das Berufswahlverhalten der Schülerinnen und Schüler oder der Lehrlinge, der Auszubildenden heutzutage ist, dass immer noch aus einer Liste von über 180 anerkannten Ausbildungsberufen, die wir hier in Bremen haben, 50 Prozent der Mädchen und 30 Prozent der Jungen aus der Hitliste der ersten zehn wählen, also aus der Liste der gängigen Berufe. Bei den Mädchen stehen Frisörinnen, Arzt- und Zahnarzthelferinnen ganz oben, bei den Jungen Kfz-Mechaniker, zudem eben auch Büroberufe und neuerdings auch IT-Berufe. Dies zeigt doch, dass hier Handlungsbedarf besteht und hier gefordert wird, etwas zu tun.

Nun sind heutzutage auch immer noch Bekannte und Eltern entscheidend für das Berufswahlverfahren. Ich stütze mich da auf eine Untersuchung, die der Kooperationsbereich Universität/Arbeiterkammer nach einer Befragung von Schulabgängerinnen und Schulabgängern gemacht hat. Die weitaus überwiegende Anzahl der befragten Mädchen und Jungen sagt, dass sie ihre Berufswahlentscheidung aufgrund der Erfahrungen, die ihnen die Eltern oder auch ihr Umfeld und ihre Bekannten vermittelt haben, fällen. Vielleicht erklärt sich daraus auch, dass eben neue Berufe bei vielen Schülerinnen und Schülern nicht bekannt sind und nicht gewählt werden. Es erklärt sich daraus vielleicht auch, dass sowohl

Mädchen als natürlich auch Jungen noch sehr stark geschlechtsspezifische Berufsbilder wählen.

Eine zweite Möglichkeit für Mädchen und Jungen, etwas über die Berufswelt, über Berufe zu erfahren, ist der Konsumbereich, das, womit sie als Konsumentinnen und Konsumenten konfrontiert werden. Das erklärt vielleicht auch ein bisschen die hohe Beliebtheit des Berufes Verkäuferin/Verkäufer oder Frisörin bei den Mädchen und eben KfzMechaniker bei den Jungen. Die Klischees von Männer- und Frauenberufen müssen wir aufbrechen, wir müssen auch Jungen für die Tätigkeit im sozialen und im Pflegebereich interessieren, und wir müssen auch Mädchen und junge Frauen für hochqualifizierte Berufe in der Industrie interessieren, um ihnen interessante und gut bezahlte Karrieren in Zukunft zu eröffnen und auch den Bedarf an qualifizierten Fachmännern und Fachfrauen zu decken.

Hier komme ich jetzt zu dem zweiten Partner, der bei der Berufswahl in erster Linie angesprochen ist, das ist die Wirtschaft, das sind die Betriebe. Die Betriebe sind eigentlich viel stärker aufgerufen, als dies bisher der Fall gewesen ist, in Zukunft Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu eigenen Erfahrungen im Betrieb, zur Wirklichkeit der Arbeitswelt – eben durch Berufserkundungen, durch Berufspraktika – zu geben. Es muss in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen werden, dass wir im Augenblick zwar in Bremen insgesamt noch zu wenig Ausbildungsplätze haben – das haben wir ja hier auch oft genug beklagt und besprochen, wir haben immer noch einen Mangel an Ausbildungsplätzen –, es aber trotzdem so ist, dass in bestimmten Bereichen die Betriebe schon Schwierigkeiten haben, Auszubildende zu finden, und das in einem sehr breiten Spektrum von Dienstleistungsberufen, im Hotel- und Gaststättengewerbe, aber auch in sehr qualifizierten Industrieberufen und vor allen Dingen auch im Handwerk.

Dieser Trend wird sich fortsetzen. In Hamburg ist es zum Beispiel schon so, dass gezielt im Umland auf die Suche nach Auszubildenden gegangen wird, um diese dann eben auch entsprechend für die Betriebe zu gewinnen. Ich denke, das ist umso mehr ein Aufruf an die Wirtschaft, sich auch um Schulabgängerinnen und Schulabgänger zu kümmern, ihnen zu zeigen, was sie in der beruflichen Wirklichkeit erwartet und auf sie zukommt.

Nun ist es in Bremen so, dass auch die Wirtschaft offensichtlich auf diesen Trend bereits reagiert. Es gibt die Praktikumsbörse der Handelskammer, es gibt inzwischen Partnerschaften zwischen Schulen und Betrieben, wo ein Austausch stattfindet, oder es gibt zum Beispiel auch das Projekt bei DaimlerChrysler und Schierholz zur Lernortkooperation von Ausbildungsbetrieb, Berufsschule und allgemeinbildender Schule, wo bei Daimler-Chrysler in Form einer Übungsfirma Schüler, Auszubildende und Meis

ter zusammen an einem Projekt arbeiten und hier Arbeit sozusagen auch einmal im Echtbetrieb kennen gelernt wird.

Trotzdem bleibt immer noch eine wichtige und, wie ich meine, auch eine Schlüsselfunktion der Schule übrig, denn die Schule ist diejenige Institution, die die jungen Menschen sozusagen flächendeckend erreicht und unmittelbar an der Schnittstelle zwischen der schulischen Bildung und der Berufswahl steht. Wir haben ja in unserer Großen Anfrage dem Senat einen sehr umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt, der auch, zwar mit einiger Zeitverzögerung, aber dann doch sehr umfangreich, beantwortet worden ist, wofür ich mich hier auch noch einmal bedanken möchte. Die Antwort zeigt eigentlich in ganz beeindruckender Form auf, und vielleicht hat sich auch deswegen diese Große Anfrage schon gelohnt, dass es an vielen Schulen in Bremen und Bremerhaven mittlerweile eine große Fülle von Projekten und Initiativen zur beruflichen Orientierung gibt, die auch sehr praxisbezogen und sehr nachahmenswert sind und es auch verdienen, weiter verbreitet, bekannter und möglicherweise auch flächendeckend entwickelt zu werden.

(Abg. B ü r g e r [CDU]: Aber teilweise wenig besucht!)

Ja, wenn Sie an diese Orientierungsbörsen denken, aber ich meine auch eher die Projekte, die auf eine direkte Einbeziehung beruflicher Orientierung in unterrichtliche Projekte und Praktika zielen.

Es zeigt eben, glaube ich, die Schwerpunktsetzung des Senators auf die berufliche Orientierung, die sich ja auch in der verstärkten Kooperation in vielfältiger Form von Schule und Wirtschaft niederschlägt. Ich würde allerdings auch gern darauf hinweisen, dass zur beruflichen Orientierung von Schülern, zur Orientierung in der Arbeitswelt, nicht nur die Information über den Betrieb im Allgemeinen gehört, sondern natürlich auch Information über solche Dinge wie betriebliche Interessenvertretungen, wie Arbeitsschutz, Tarifrecht, Tarifparteien und auch die Kooperation mit den entsprechenden Vertretern von Sozialpartnern, Gewerkschaften, Betriebsräten.