Protokoll der Sitzung vom 16.05.2001

Es zeigt eben, glaube ich, die Schwerpunktsetzung des Senators auf die berufliche Orientierung, die sich ja auch in der verstärkten Kooperation in vielfältiger Form von Schule und Wirtschaft niederschlägt. Ich würde allerdings auch gern darauf hinweisen, dass zur beruflichen Orientierung von Schülern, zur Orientierung in der Arbeitswelt, nicht nur die Information über den Betrieb im Allgemeinen gehört, sondern natürlich auch Information über solche Dinge wie betriebliche Interessenvertretungen, wie Arbeitsschutz, Tarifrecht, Tarifparteien und auch die Kooperation mit den entsprechenden Vertretern von Sozialpartnern, Gewerkschaften, Betriebsräten.

Ein wichtiger Punkt in dieser ganzen Berufsorientierung, das zeigt übrigens auch die Untersuchung, die ich zitiert habe, ist das betriebliche Praktikum. Dieses betriebliche Praktikum findet im Allgemeinen bei Schülerinnen und Schülern nach allen Befragungen eine sehr große Akzeptanz, weil Schüler auch sagen, hier komme ich endlich einmal mit der Wirklichkeit des Betriebs in Verbindung, ich komme aus dem Schonraum Schule heraus, und hier werden auch einmal wirkliche Anforderungen an mich gestellt. Umso wichtiger ist dann allerdings, dass diese betrieblichen Praktika erstens gut begleitet und zweitens auch qualifiziert von den Betrieben angeboten werden. Schlicht gesagt, es darf auch

nicht sein, dass Betriebspraktika dazu dienen, dass die Schülerinnen und Schüler da nur als billige Arbeitskräfte fungieren, die dann den Laden ausfegen oder Ähnliches! Trotzdem bemühen sich aber die meisten Betriebe mittlerweile darum, qualifizierte Praktikumsplätze bereitzustellen.

Nun sind begrüßenswerterweise im Land Bremen im Bereich Haupt- und Realschule und zum Teil auch an den Sonderschulen die Betriebspraktika flächendeckend eingeführt. Ein Defizit besteht aber immer noch im gymnasialen Bereich, wo die Durchführung von Berufsorientierung und Betriebspraktikum doch nur sehr sporadisch stattfindet, weil die Meinung besteht, die Schüler würden dann ja doch Abitur machen, weiterführende Schulen besuchen oder studieren. Ich glaube, das ist nicht richtig. Das Beispiel, das ich am Anfang gebracht habe, zeigt ja sehr wohl, dass Schüler eine gewisse berufliche Orientierung brauchen, auch im Gymnasium, wenn sie dann überhaupt auch über ihren weiteren Bildungsgang entscheiden wollen und mittlerweile ein immer größerer Teil auch der Abiturientinnen und Abiturienten eine betriebliche Ausbildung und nicht unbedingt das Studium anstrebt, wenn wir auch in Zukunft eine weitere Zunahme der Studenten, der akademisch Gebildeten, brauchen werden. Das ist unbestritten.

Insgesamt sieht es also im Bereich der Berufspraktika im Lande Bremen durchaus positiv aus, was aber eigentlich wünschenswert wäre und was sowohl nach dem, was ich der Antwort entnommen habe, als auch nach meinen sporadischen Erfahrungen noch fehlt, sind einheitliche Standards für die Vorund Nachbereitung und für die Begleitung solcher Berufspraktika. Dies ist noch stark in das Belieben der einzelnen Schulen gesetzt, und das läuft an einigen Schulen sehr gut und vorbildlich, und an anderen Schulen läuft es eben so, dass dann gesagt wird, sucht euch einmal etwas, und dann schreibt ihr nachher einmal einen Bericht, und dafür bekommt ihr möglicherweise auch eine Note. Das ist es dann gewesen, und das ist dann letzten Endes doch unbefriedigend.

(Glocke)

Was, ist es schon soweit? Es ist, wie gesagt, ein sehr umfangreiches Thema, wir haben hier nur zehn Minuten.

Ein weiterer Punkt, wenn ich das nur ganz kurz sagen darf! Es wäre auch noch wichtig, dass diese Fülle der Projekte in Bremen beim Landesinstitut für Schulpraxis zusammengeführt wird, damit hier einheitliche Maßstäbe gesetzt werden und in stärkerem Maße auch Lehrern die Möglichkeit gegeben wird, sich in betrieblichen Praktika fortzubilden, zum einen also die Fortbildung in der Berufsorientierung überhaupt, aber Lehrern auch die Möglichkeit zur Berufsorientierung im Praktikum zu geben. Das ist durchaus bei Lehrern sehr stark nachgefragt. Ich

habe mit Interesse gelesen, dass die 30 Praktikumsplätze, die es pro Jahr gibt, bei den Lehrern immer ausgebucht sind.

(Glocke)

Es liegt also nicht am Willen, sondern es müsste mehr angeboten werden. Ich denke, dass wir dann insgesamt, wenn so weitergemacht wird, doch auf einem guten Weg zu einer besseren Verzahnung von Schule und Arbeitswelt und zu einem verbesserten Übergang von der Schule in den Beruf sind. Ich glaube, dass wir auch für unsere Schülerinnen und Schüler, aber auch angesichts der demographischen Entwicklung und des Bedürfnisses an qualifiziertem Nachwuchs, diesen Weg dringend weiter gehen müssen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, Sie haben jetzt 14 Minuten gebraucht.

(Abg. Frau Z i e g e r t [SPD]: Na ja! – Zuruf von der CDU: Dann gibt es beim nächsten Mal nur sechs Minuten!)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Jamnig-Stellmach. – Bitte, Frau Kollegin!

(Abg. B ü r g e r [CDU]: Die anderen be- kommen jetzt aber auch 14 Minuten! – Abg. Karl Uwe O p p e r m a n n [CDU]: Aber sicher, er ist ja ein gerechter Präsident!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ziegert hat beklagt, dass die Muster des Übergangs von der Schule in den Beruf verloren gegangen sind. Ich denke, das sind nicht nur die Muster, die da verloren gegangen sind, sondern es ist das Thema Arbeit, das in der Schule seinen Stellenwert verloren hat. In welchem Umfeld debattieren wir denn die Problematik des Übergangs von der Schule in den Beruf? Da ist zum einen der demographische Wandel, gestern schon mehrfach angesprochen. Das heißt in diesem Fall auch weniger Schüler, weniger Auszubildende, weniger Studenten. Frau Ziegert hat es schon angesprochen, in einigen Bereichen gibt es bereits mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. An den Universitäten sind rückläufige Zahlen bei den Studienanfängern zu beobachten, und parallel dazu gibt es zu viele Studienabbrecher, die nach den ersten Semestern feststellen, dass das gewählte Fach nicht ihren Vorstellungen entspricht.

Welche Bedeutung hat Berufsorientierung in dieser Situation, und wie geht die Antwort des Senats damit um? Die Antwort des Senats listet einfach sehr viele Initiativen und Aktivitäten auf. Das ist meines

Erachtens unbefriedigend. Warum? Es fehlt eine Klammer, die all diese positiven Aktivitäten zusammenhält. Dieser Vielfalt fehlt ein Rahmen. In der Antwort des Senats wird Berufsorientierung nicht als Teil der Allgemeinbildung beschrieben. Die Antwort des Senats sagt nicht, wie Schule auf demographischen Wandel reagiert, sie sagt nicht, wie das Interesse der Schülerinnen und Schüler geweckt werden soll, wie sie motiviert werden können, Verantwortung für ihre eigene Ausbildung zu übernehmen. Berufsorientierung muss mehr sein als eine Ansammlung von Möglichkeiten, Kontakte mit der Wirtschaft zu knüpfen.

(Beifall bei der CDU)

Jugendliche können zwar bei Kontakten mit engagierten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen und Unternehmern erfahren, dass Arbeit ein Weg zur Gewinnung von sozialer Anerkennung und Selbstbewusstsein und die Grundlage ihrer Lebensbewältigung ist, aber diese Erfahrungen müssen im Unterricht vertieft werden. Deshalb muss Berufsorientierung als ökonomische Grundbildung in allen Fächern vermittelt werden!

(Beifall bei der CDU)

Der Staat kann seine Verpflichtung zum Gemeinwohl nur mit Hilfe der arbeitenden und aktiven Bürger erfüllen. Wer sich in diese Aufgabe einbinden lassen will, muss wissen, auf welchen Grundlagen er dies tut, muss den Zusammenhang von sozialer Marktwirtschaft und Demokratie kennen und auch die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft bejahen. Schülerinnen und Schüler müssen lernen, dass sie nicht nur aus Eigeninteresse jobben. Da sie Leistungen der Gesellschaft nutzen, sind sie auch verpflichtet, ihren Anteil an gesellschaftlicher Leistung beizutragen.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, wir können es uns nicht leisten, Schüler schlecht ausgebildet und uninformiert in die Arbeitswelt zu entlassen. Sie müssen deren Spielregeln und die Zusammenhänge zwischen Staat, Wirtschaft und ihrem eigenen Leben kennen.

(Beifall bei der CDU)

In der Antwort des Senats wird die Berufsorientierung als eine Aufgabe beschrieben, deren Lösung den Schulen überlassen werden soll. Es werden schuleigene Konzepte zur Berufsorientierung gefordert. Wir sind der Meinung, der Senator sollte die Schulen unterstützen. Ohne einen Rahmen, in dem sich diese Konzepte entwickeln können, droht Beliebigkeit.

(Beifall bei der CDU)

Dann kann es geschehen, dass Schülerinnen und Schüler einer Schule mit einem Kollegium, das ein Interesse an der Berufsorientierung seiner Schüler hat, bessere Startbedingungen in ihr Berufsleben haben als viele Gymnasiasten. Es gibt bedauerlicherweise immer noch Schulleiter, die die Berufsorientierung ihrer Schüler für überflüssig halten.

So ist die Antwort des Senats, die den Gymnasiasten ein geringes Interesse an der Berufsorientierung zuschreibt, überhaupt nicht verwunderlich. Wo es kein Angebot gibt, gibt es auch keine Nachfrage und damit kein Interesse!

(Beifall bei der CDU)

Die Defizite an Gymnasien werden in der Antwort des Senats ohne Hinweise auf Veränderungsmaßnahmen beschrieben. Solch eine Aussage kann man nicht einfach stehen lassen, denn schließlich ist die hohe Zahl der Studienabbrecher auch in dem Zusammenhang zu sehen, dass Abiturienten keine Vorstellung vom Studium und den Berufsmöglichkeiten haben, die bestimmte Studienfächer eröffnen.

Außerdem: Aus Gymnasiasten werden Lehramtsstudenten, aus Lehramtsstudenten werden Lehrer, die wiederum nur sehr theoretische Kenntnisse über die Berufswelt im wirtschaftlichen Bereich mitbringen. Da fahren wir dann wieder Sonderprogramme und erwarten, dass sich Lehrer fortbilden und dass die Wirtschaft Praktikumplätze zur Verfügung stellt.

(Abg. B ü r g e r [CDU]: Und den Knoten wollen wir durchschlagen!)

Gymnasiasten sollen ihre Grundkenntnisse, die sie in allen Fächern der Sekundarstufe I erworben haben, in der Sekundarstufe II bis zum Abitur vertiefen. Das muss auch für die ökonomische Grundbildung gelten!

Warum werden hervorragende Leistungen der Schulen, Schülerinnen und Schüler im Bereich der ökonomischen Bildung nicht honoriert? Es gibt „Jugend forscht“, Start-ups für Existenzgründer, warum nicht einen Wettbewerb zum interessantesten und somit auch effektivsten Projekt zur Berufsorientierung?

(Beifall bei der CDU)

Das würde Schulen, Schülerinnen und Schüler motivieren! Damit sind die Kammern und Unternehmen gefragt, die bei rückläufigen Schülerzahlen ein Interesse daran haben müssten, ihre Ausbildungsplätze mit qualifizierten Jugendlichen zu besetzen.

Der runde Tisch Arbeitslehre tagt seit mehreren Jahren zu Themen um die Berufsorientierung. Er hat vor wenigen Tagen Empfehlungen an die Bildungspolitik herausgegeben, in denen Grundaussagen zu

Anforderungen und Inhalten eines Gesamtcurriculums für ökonomische Bildung in der Allgemeinbildung nahe gelegt werden. Damit bliebe den Schulen in einem Rahmen Freiraum für eigene Wege. Der runde Tisch empfiehlt auch einen fächerübergreifenden Ansatz, das heißt, ökonomische Bildung auch in Fächern außerhalb des Faches Arbeitslehre und auch in der Sekundarstufe II zu fördern und in den Lehrplänen zu verankern.

(Beifall bei der CDU)

Der runde Tisch empfiehlt sogar, Schulen mit Profilbildung in ökonomischer Bildung zu unterstützen. Die CDU-Fraktion begrüßt die Empfehlung. Wir wären allerdings froh, wenn zunächst einmal alle Schülerinnen und Schüler, das heißt auch Gymnasiasten, eine ökonomische Grundlagenbildung erhielten.

Die Antwort des Senats beschreibt viele Projekte, die gerade begonnen haben oder noch in der Planung sind und deren Ergebnisse offen sind. Wir können nicht mehr abwarten, bis diese Zukunftsprojekte abgeschlossen sind. Ein Beispiel ist das Projekt Flexibilisierung des Übergangs und Einführung eines Berufswahlpasses. Es ist sicherlich ein guter Weg, aber es nehmen nur drei Bremer Schulen daran teil, und das ganze Projekt dauert drei Jahre. Das heißt, dass es spätestens in vier Jahren Ergebnisse gibt und weitere vier Jahrgänge nicht von diesen Erfahrungen profitieren können.

Wir sollten nicht auf die Ergebnisse eines Bundesprojektes warten, sondern handeln und einen bremischen Berufswahlpass entwickeln.

(Beifall bei der CDU)

Dieser Berufswahlpass könnte die Leistungen der Schule dokumentieren, zum Beispiel bei der Vorbereitung des Betriebspraktikums, bei der Werkstattphase, bei der Begleitung des Praktikums und auch in der Nachbereitung. Das hätte den Vorteil, dass wir keine Standards brauchen. Der Pass könnte den Praktikumsbericht und dessen Präsentation enthalten. Er könnte die Leistungen des Praktikumsbetriebes oder -unternehmens beschreiben oder die Teilnahme der Schülerin oder des Schülers an Orientierungsveranstaltungen an Schule und Wirtschaft dokumentieren.

Ein eigener Berufswahlpass macht Schülerinnen und Schülern sichtbar, was sie, ausgehend von den Angeboten von Schule und Wirtschaft, selbst für ihre Ausbildung tun können. Es wird ihnen die Verzahnung von Schule und Wirtschaft für ihren eigenen Ausbildungsweg deutlich. Schule und Wirtschaft können an dem Interesse des Einzelnen nachvollziehen, wo seine Schwerpunkte liegen. Die Berufsberatung kann auch an die Informationsschwerpunkte des einzelnen Schülers und der einzelnen Schülerin anknüpfen und die Beratung darauf aufbauen.

Die Antwort des Senats enthält eine weitere Ankündigung für die Zukunft. Es soll eine Agentur mit dem Schwerpunkt Schule, Wirtschaft, Arbeitswelt aufgebaut werden. Diese Agentur soll Transferleistungen erbringen, indem sie zwischen den einzelnen Schulen und Initiativen vermittelt. Wir als CDU sind skeptisch, ob eine weitere Verwaltungseinheit der richtige Weg ist, der Berufsorientierung einen Wertzuwachs zu gewähren. Für die CDU ist die Verankerung der ökonomischen Grundbildung in den Lehrplänen aller relevanten Fächer ein Weg, der die Schule auffordert, sich zu orientieren, welche Angebote es gibt, die das eigene Konzept unterstützen.

(Beifall bei der CDU)

Außerdem gibt es seit Jahren Bemühungen vieler Beteiligter – der Kammer, der Uni, des Senators für Arbeit –, den Bremer Lehrorteatlas zu vervollständigen. Darin finden sich Informationen zu Initiativen, Projekten, Unternehmen, die Praktikumplätze anbieten, zu Unternehmern, die in Schulen über ihre Unternehmen berichten wollen. Soweit ich informiert bin, wird der LEO, so heißt dieser Bremer Lehrorteatlas in der Abkürzung, in Kürze zum Probelauf ins Netz gestellt.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Lei- der läuft er Ende des Jahres aus!)