Protokoll der Sitzung vom 30.08.2001

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Käse.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ethik, medizinischer Fortschritt, Ökonomie, dieses Dreieck definiert den Rahmen der heutigen Diskussion um die Gentechnik. Dass die drei Begriffe fast gleichwertig debattiert werden und die Ethik nicht mehr unangefochten an der Spitze der Werte- beziehungsweise Begriffshierarchie steht, ist ein Indiz für die Mystifizierung der Gentechnologie und der Rolle der Gene für unsere Gesundheit.

In der Debatte um Möglichkeiten und Grenzen der Gentechnik müssen wir sehr auf der Hut sein, den Heilsversprechen nicht zu erliegen. Es geht darum zu entscheiden, ob wir den Verheißungen einer schönen neuen Genwelt, die wir alle nicht prüfen, sondern nur glauben oder nicht glauben können, Teile unserer in humanistischer Tradition gewachsenen Wertevorstellungen opfern dürfen, wollen und sollen.

Zwar ist unstrittig, dass der Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ die unverrückbare Grenze aller Überlegungen und Entscheidungen ist. Doch schon auf die Frage, durch welche konkreten Regeln, durch welches konkrete Tun die Würde des Menschen verletzt wäre, gibt es unterschiedliche Antworten. Der klar definierte grundgesetzliche Rahmen entbindet also keinesfalls von der Pflicht zu einem breit angelegten gesellschaftlichen Diskurs im Vorfeld einer ebenso weitreichenden wie nachhaltigen Entscheidung. Vom autoritären Auftreten einer selbsternannten Expertenelite, von ihrem bedeutungsschwanger klingenden, aber kaum überprüfbaren Jargon und ihren zahlreichen Hinweisen auf bestehenden Zeitdruck sollte sich dabei niemand in die Enge treiben lassen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, gerade weil wir die Versprechen der Genexperten nicht verifizieren können, müssen wir uns im Vorfeld der geforderten Entscheidung intensiv mit deren Motiven und Interessen befassen. Dann würde auch schnell klar, und ich denke, das kennen Wissenschaftler wie Frau Dr. Mathes und ich auch aus eigener Erfahrung, dass es natürlich nicht nur, wohlmöglich nicht einmal primär, um medizinischen Fortschritt geht. Die Forderung nach Gesetzesänderungen, die den Zugang zur Instrumentalisierung menschlichen Lebens erleichtern sollen, basiert im Wesentlichen auf der Hoff

nung, bisher unheilbare Krankheiten zu heilen. Die Forschung an totipotenten Stammzellen, also sehr frühen Embryonen, so die Argumentation der Befürworter, solle das Leiden anderer Menschen verhindern, lindern oder sogar heilen.

Dieser Aspekt ist aber allenfalls eine Seite der Medaille. Beim Thema Genforschung und Gentechnologie geht es international um weit mehr. Es geht darum, wer den weltweiten Wettlauf um Produkte und Märkte, um Subventionen, Patente, Karrieren und Ruhm gewinnt. Es geht um die Teilhabe an milliardenschweren Forschungsetats und um Gewinnmaximierung, das sollte man auch einmal klar festhalten. Im Anschluss an den Höhenflug der HighTech-Branche würden Genforschung und Gentechnologie gute Voraussetzungen für neue ökonomische Erfolgsstories bieten. Der Ruf nach rascher Liberalisierung der Gesetzeslage ist aus diesem Lager auch entsprechend laut.

Die Aussicht auf kommerzielle Nutzungschancen und wissenschaftliche Meriten spricht allerdings nicht per se gegen die Nutzung der Gentechnik in der Medizin. Im Sinne von Redlichkeit und Klarheit darf aber nicht verschleiert werden, dass es in der Gentechnik um weit mehr geht als die erhofften medizinischen Anwendungsperspektiven. Die Balance zwischen Verantwortung einerseits sowie wissenschaftlicher und ökonomischer Nutzung andererseits kann nur in einem gesellschaftlichen Diskussionsprozess ermittelt, nicht aber von uns Politikerinnen und Politikern im Vorfeld bereits entschieden werden.

(Beifall bei der SPD)

Selbst wenn der behauptete medizinische Fortschritt bereits gesichert wäre, müsste die Gesellschaft sorgfältig abwägen, welchen Preis sie hierfür zu zahlen bereit ist. Das gilt um so mehr bei einer Entscheidung unter Unsicherheit. Die Antwort auf die Frage nach wissenschaftlich und kommerziell motivierten Zugeständnissen erfordert einen größtmöglichen gesellschaftlichen Konsens.

Die notwendige kritische Grundsatzdebatte benötigt nach Auffassung unserer Fraktion also Zeit, Breite und Tiefe. Je ausführlicher diese Diskussion geführt wird, desto bessere Voraussetzungen schafft sie für eine klare, einvernehmliche und auch für Jahre tragfähige Entscheidung. Es muss darum gehen, alle gesellschaftlichen Schichten, die unterschiedlichen moralischen, religiösen und ethischen Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger zu berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD)

Befürworter und Kritiker mögen die gleiche Beachtung finden. Aufgabe der Politik ist es aber, diesen Diskussionsprozess nach Kräften zu fördern, alle Argumente zu sammeln und zu bewerten. Erst da

nach können wir Parlamentarier verantwortungsvoll Gesetze ändern oder beschließen. Die von der auf rasche Faktensetzung setzende Genlobby behaupteten Sachzwänge sind somit ein schlechter Ratgeber.

In diesem Sinne greift auch der Antrag der Grünen zu kurz. Wir wissen eben zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht, wo sinnvoll Grenzen gezogen werden müssen oder wo Öffnungen vielleicht sinnvoll wären. Die Diskussion ist nach unserer Auffassung erst am Anfang und längst noch nicht so weit gediehen, dass die Linien eines breiten gesellschaftlichen Konsenses erkennbar wären. Wir können nicht einerseits die breite Diskussion einfordern und andererseits die Ergebnisse der Diskussion schon im Vorfeld festlegen.

(Beifall bei der SPD)

Mit der Berufung eines nationalen Ethikrates hat der Bundeskanzler einen konstruktiven Beitrag zur Intensivierung des gesellschaftlichen Gentechnikdiskurses geleistet. Der Ethikrat soll ausdrücklich kein Ersatzparlament sein, aber er soll die Möglichkeiten bieten, die Diskussion in der Gesellschaft zu erweitern und auch vor allen Dingen sachverständiger werden zu lassen. Er soll Rat geben und Vorschläge unterbreiten.

Gesetzliche Regelungen werden aber Parlamentarier beschließen müssen. Mangels fundierter eigener Sachkenntnis werden sie bei ihren Überlegungen und Entscheidungen gut beraten sein, sich dabei an den vom Ethikrat und von der Enquetekommission des Bundestages zu erwartenden Vorschlägen und Hinweisen zu orientieren. Die Vorschläge werden Ende dieses Jahres vermutlich vorliegen.

In der Bremischen Bürgerschaft sollten wir eine inhaltliche Debatte erst dann führen, wenn wir über eine sachgerecht aufgearbeitete Faktenlage kompetenter Gremien unseres Vertrauens verfügen. Ich und meine Fraktion halten es für wenig hilfreich, wenn wir hier Fachbegriffe wie embryonale oder adulte Stammzellen untereinander austauschen oder uns eben über Sinn und Notwendigkeit oder auch Verzichtbarkeit der Präimplantationsdiagnostik streiten, ohne die damit verbundenen Sachverhalte wirklich tiefgehend genug beurteilen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Fraktion verzichtet daher ausdrücklich darauf, jetzt eine inhaltliche Positionierung zur PID oder zur Embryonenforschung vorzunehmen. Sie lehnt aus diesem Grund den Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen ab. Das ist eine voreilige und in der Sache wenig hilfreiche Initiative, Frau Dr. Mathes.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten setzen auf eine Fortführung und Intensivierung des Dialogs und des Diskurses und bitten Sie hier im Haus in diesem Sinne um die Zustimmung zum Antrag der Koalition, der genau diesen Weg beschreibt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dreyer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die aktuelle, vor allen Dingen aber noch die zu erwartende Entwicklung der Gen- und Biomedizin löst nach Ansicht der CDU und, ich glaube, aller Kollegen hier im Hause, weltweit eine notwendige und naturgemäß kontroverse Debatte aus und stellt uns alle vor die Fragen, was dürfen wir, was sollen wir tun, und vor allen Dingen vor die Frage, die uns bereits seit dem vierzehnten Jahrhundert als Menschheit beschäftigt, nämlich, wann beginnt das menschliche Leben!

Meine Damen und Herren, woher stammen diese riesigen Probleme, die uns heute bei der Gentechnik und der Biomedizin zu Recht in heftige Aufregung versetzen und vielen Menschen ebenfalls zu Recht Angst machen? Zuerst natürlich aus dem enormen menschlichen Machtzuwachs, denn Wissen ist Macht, das stellte Francis Bacon im sechzehnten Jahrhundert fest und proklamierte genau mit diesem Satz die europäische Neuzeit.

Das Wissen, das eben zugleich Macht ist, ist vor allem das Wissen der neuzeitlichen Naturwissenschaften, das sich in Technik umsetzen lässt. Der erste große Erfolg waren die Physik und später der Theoriezusammenhang zur Chemie, und die Entwicklung der Biochemie und die heutige Entdeckung der DNA haben die Biologie in diesen Zusammenhang integriert, und darum geht es, meine Damen und Herren.

Wer diesen Prozess grundsätzlich kritisiert, weil er Macht für etwas Schlechtes hält, der sei doch bitte daran erinnert, dass das Gegenteil von Macht Ohnmacht heißt. Ohnmacht, meine Damen und Herren, kann hier aber nicht das erstrebenswerte Ziel sein, bei keinem der Themen, ganz bestimmt aber nicht bei der Bekämpfung von Krankheiten.

Meine Damen und Herren, wir stehen jetzt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit vor der Herausforderung, neues Wissen möglich zu machen, also die Freiheit der Forschung zu garantieren. Gleichzeitig sind wir aber alle verpflichtet, und das werden wir auch tun, ethische Grenzen zu ziehen. Wir müssen also eine Wertedebatte führen, die selbstverständlich vorwärtsgerichtet sein muss, doch unsere Pflicht zur Bewahrung der Schöpfung und damit des menschlichen Lebens klar und ohne Wider

sprüche definiert. Das ist eine Herkulesaufgabe, vor der wir alle gemeinsam stehen.

Wir, die CDU-Fraktion, wollen für diese Aufgabe selbstverständlich wie, glaube ich, alle hier im Hause einen offenen Diskurs organisieren und garantieren. Die CDU hat sich bereits Anfang dieses Jahres während der Tagung ihres Landesausschusses dieser Aufgabe gestellt und gemeinsam mit Wissenschaftlern und den Kirchen eine erste noch sehr offene Position erarbeitet, meine Damen und Herren.

Auch wir, die CDU, stehen am Anfang eines Diskussionsprozesses und stellen uns diesem gemeinsam mit anderen. Dabei ist uns wichtig, dass in der Debatte um das Wesen des Menschen und um die Frage, wann denn menschliches Leben entsteht, auch die Frage der Forschung Berücksichtigung findet, und es ist uns von ganz immenser Wichtigkeit, dass die Fragen nach der möglichen Hilfe für den Kranken und für den leidenden Menschen gleichwertig zu den Fragen um das Wesen der Menschen zu behandeln ist.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, für diesen ganz notwendigen Diskussionsprozess müssen wir uns alle gemeinsam Zeit nehmen. Wir müssen genau auf die Meinung anderer hören, denn wir alle sind Suchende und Lernende, die Chancen und Grenzen sehr genau ausloten müssen. Darum werden wir den Antrag der Grünen auch nicht unterstützen, der diesen so notwendigen Diskussionsprozess mit einer Festschreibung unterbricht oder sich nicht weiterentwickeln lässt.

Meine Damen und Herren, auch wir, die CDUFraktion, lehnen das Klonen ab und wollen weder das Herstellen von Embryonen zu Forschungszwecken noch den Import von embryonalen Stammzellen, da sind wir uns sowieso alle einig. Wir verurteilen in diesem Zusammenhang sehr das bedenkenlose Vorgehen von Ministerpräsident Wolfgang Clement in Nordrhein-Westfalen. Ich rufe hier in Erinnerung, meine Damen und Herren, dass gerade der Deutsche Bundestag über die Fragen der Bioethik debattierte, als Wolfgang Clement in Haifa zeitgleich die Stammzellen geordert hat. Besonders sensibel fand dieses Vorgehen wohl niemand. Als dann allerdings die SPD den Antrag der FDP im Düsseldorfer Landtag unterstützte und der Vorgehensweise von Ministerpräsident Clement im Nachhinein ihren Segen gegeben hat, blieb der Protest des Koalitionspartners in Nordrhein-Westfalen, nämlich Bündnis 90/Die Grünen, aus.

(Abg. B e c k m e y e r [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zum amerikanischen Präsidenten!)

Gern! Wenn ich soviel Zeit habe, Herr Beckmeyer, mache ich das natürlich gern! Wenn irgendetwas fehlt, können Sie sich aber gern noch einmal dazu melden!

Meine Damen und Herren, die Grünen haben da also weiter nichts produziert. Auch deshalb, meine Damen und Herren von den Grünen, unterstützen wir heute Ihren eingebrachten Antrag nicht. Sie müssten wohl doch noch innerhalb Ihrer Partei einmal intern Ihre Positionen diskutieren und damit auch die Widersprüche, die immer dann bei Ihnen sichtbar werden, wenn Sie entweder aus der Regierungsmitverantwortung oder wie hier aus der Oppositionsrolle diskutieren. Es wäre hilfreich, wenn Sie uns dann eine gemeinschaftlich abgestimmte Meinung vortragen könnten.

Meine Damen und Herren, wir können uns als CDU-Fraktion vorstellen, dass wir unter sehr klar definierten Grenzen die Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, also die Untersuchung auf genetisch bedingte Erbkrankheiten in der Petrischale und damit außerhalb des Mutterleibes, zulassen können. Die Diskussion ist aber auch hier weder unter uns noch mit den gesellschaftlichen Gruppen abgeschlossen, und zwar nicht nur, weil die rechtliche Rahmensetzung wahnsinnig schwierig ist, sondern auch weil wir noch genau die ethischen Fragen im gesellschaftlichen Diskurs und vor allen Dingen mit den Behindertenverbänden erörtern wollen. Eines ist aber für uns heute schon klar: Ein Baby nach Maß wird es nicht geben, für niemanden!

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, in Vorbereitung auf diese Debatte habe ich natürlich intensive Gespräche mit Hebammen in Bremen geführt und die Frage erörtert: Welches ist die erste Frage der Eltern nach der Geburt ihres Kindes? Nein, meine Damen und Herren, nicht die Frage nach dem Geschlecht oder der Augenfarbe und schon gar nicht der Haarfarbe ist da maßgebend! Die erste Frage der Eltern lautet: Ist mein Baby gesund? Auf diese Frage beschränkt sich auch der Diskussionsprozess innerhalb der CDU im Zusammenhang mit der PID.

Wir müssen uns aber auch vordringlich mit den Befürchtungen und den Ängsten der Behinderten auseinander setzen, meine Damen und Herren. Dort gibt es ganz massive Ängste, an den Rand gedrängt werden zu können und dass es zu einer neuen Dimension der Diskriminierung nach dem Motto kommen könnte: Heute muss doch wohl keiner mehr behindert sein! Diese Befürchtungen und diese Ängste der Menschen mit Behinderungen halten wir für realistisch. Wir haben uns ihnen zu stellen, und wir wollen uns mit ihnen dezidiert auseinander setzen. Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion stelle ich aber heute schon einmal unmissverständ

lich fest, einen Menschen mit Behinderung zu diskriminieren ist und bleibt Unrecht.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen diese Fragen mit den Betroffenen erörtern, und wir wollen ihre Wünsche in unsere Entscheidungsfindung einfließen lassen. Das braucht Zeit! Diese wollen wir uns im Sinne und zum Wohle der Betroffenen auch nicht nehmen lassen. Wir wollen auch, meine Damen und Herren, das hat Herr Dr. Käse schon angeführt, die Ergebnisse des nationalen Ethikrates in unsere Diskussion einbeziehen, obwohl wir die vom Bundeskanzler immer wieder neu berufenen Expertengremien schon recht skeptisch sehen. Deshalb habe ich auch, Frau Dr. Mathes, gar nicht verstanden, dass Sie die Meinung der Experten hier ganz fürchterlich finden. Sie tragen doch diese Bundesregierung mit, und Sie könnten dem Kanzler bestellen, dass Sie es schrecklich finden. Dann wird er es ganz bestimmt sein lassen. Wir finden das Vordringen der Expertenrunden in alle Politikbereiche mehr als bedenklich. Die rotgrüne Regierung hat jetzt aber den nationalen Ethikrat berufen, und die Achtung vor den Menschen, die in diesem Ethikrat arbeiten, gebietet es uns, diese Ergebnisse abzuwarten und in unsere zukünftigen Diskussionen einzubeziehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung der Bürgerschaft interjection: (Landtag) bis 14.35 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung 13.04 Uhr)