Protokoll der Sitzung vom 20.03.2002

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Dr. Kuhn hat hier ja ein ziemlich düsteres Bild des bremischen Strafvollzugs, insbesondere des bremischen Jugendvollzugs gemalt. Ich möchte Ihnen hierzu vielleicht die eine oder andere Zahl nennen! Ausweislich der Kriminalstatistik des Bundes hat sich die Zahl der heranwachsenden Tatverdächtigen im Jahr 2000 drastisch gegenüber den Vorjahren erhöht. Sie macht an den gesamten Tatverdächtigen mittlerweile 10,8 Prozent aus, obwohl ihr Bevölkerungsanteil nur 3,4 Prozent beträgt.

Meine Damen und Herren, wir haben ausweislich einer Kriminalstatistik hier im Land Bremen insgesamt rund 400 Intensivtäter. Wenn man sich diese Kriminalstatistik anschaut, dann gelangt man zu dem Ergebnis, Herr Dr. Kuhn, dass ein Zweiunddreißigjähriger bereits 357 Straftaten verübt hat, ein Vierunddreißigjähriger 388 Straftaten, ein Siebzehnjähriger bereits 138 Straftaten.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, wer dann hier in dieser Debatte die Augen vor diesen Zahlen verschließt und allein das Augenmerk darauf richten will, dass Strafzweck die Resozialisierung ist, der verkennt die gesellschaftlichen Bedürfnisse in Bremen, Bremerhaven und in der Bundesrepublik Deutschland!

(Beifall bei der CDU)

Herr Dr. Kuhn, wir haben keine Justizvollzugsanstalten in erster Linie dazu, Menschen zu resozialisieren. Das ist auch Aufgabe des Strafvollzugs, Sie haben es auch gesagt, aber ich kann Ihnen sagen, die Aufgabe des Strafvollzugs ist in erster Linie, eine verhängte Strafe zu vollstrecken gegen kriminelle Täter, die Straftaten an Opfern begangen haben, die ein gesellschaftliches Interesse daran haben, dass diese Strafen sanktioniert werden. Es geht nicht nur ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

um die Resozialisierung der Täter, es geht auch um den Strafmaßanspruch des Staates, Herr Dr. Kuhn.

(Beifall bei der CDU)

Anlass für diese Diskussion, Herr Dr. Kuhn, ist, und auch das haben Sie hier bewusst, glaube ich, nicht gesagt, dass wir im Rechtsausschuss über ein Urteil eines Bremer Jugendrichters diskutiert haben, der einen sechzehnjährigen schwerstkriminellen ausländischen Jugendlichen aus der Justizvollzugsanstalt herausgenommen und in den offenen Vollzug gesteckt hat. Dieser Sechzehnjährige ist mit neun Jahren, Herr Dr. Kuhn, zum ersten Mal straffällig geworden. Er hatte mit 15 Jahren insgesamt 62 strafrechtliche Delikte auf dem Buckel. Darunter war alles, Herr Dr. Kuhn: Raub, Körperverletzung, schwere Körperverletzung, mit Waffen, ohne Waffen, in Bande, allein, die ganze Palette der schweren Straftaten mit den dahinter stehenden Opfern.

Erste Aufgabe des Strafvollzugs ist aus meiner Sicht, und dabei bleibe ich, die Strafe zu vollstrecken. Die zweite Aufgabe des Strafvollzugs ist zu versuchen und sich darum zu bemühen, diesen jugendlichen Intensivtäter wieder zu resozialisieren. Herr Dr. Kuhn, Sie wissen genauso wie ich und der ganze Rechtsausschuss – Frau Lutzebäck hat es für das Ressort vorgetragen –, welche zahlreichen und intensiven Bemühungen unternommen worden sind, um an diesem Jugendlichen die Resozialisierung über Jahre hinweg sicherzustellen, seit seinem neunten Lebensjahr, obwohl da noch die Familie für ihn verantwortlich ist und nicht der Staat. Sie sagen ja hier immer nach dem Motto, der Staat sei schuld, das sei ein staatliches Problem. Nein, Herr Dr. Kuhn, es ist ein Erziehungsproblem!

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das habe ich überhaupt nicht gesagt!)

Ich weise darauf hin, für diese jungen Menschen sind in erster Linie die Familien verantwortlich!

(Beifall bei der CDU)

Deshalb, Herr Dr. Kuhn, geht es auch nicht um Sippenhaft, sondern es geht darum, wie man eigentlich die Eltern ahndet – das will ich einmal in aller Deutlichkeit sagen –, die ihren Erziehungsauftrag vernachlässigt haben und damit sichergestellt haben, dass ein neunjähriger Jugendlicher intensiv Straftaten begehen konnte. Es geht nicht um Sippenhaft, Herr Dr. Kuhn!

(Beifall bei der CDU)

Die Eltern sollen nicht für die Straftaten ihrer Kinder verantwortlich gemacht werden, aber sie sollen dafür verantwortlich gemacht werden, wie sie die

Kinder erzogen haben. Da hat Herr Mäurer unsere volle Unterstützung, Herr Dr. Kuhn!

(Beifall bei der CDU)

An diesem jugendlichen Intensivtäter musste die Beschulung abgebrochen werden, weil er bis zur Lernbehinderung praktisch nicht in der Lage war, dem Unterrichtsstoff zu folgen, weil er in der Justizvollzugsanstalt weitere Opfer gesucht, bedroht und mit Straftaten überzogen hat und weil er nicht zuletzt auch in der Justizvollzugsanstalt aufgrund seiner fehlenden Sprachkenntnisse überhaupt nicht beschulbar war. Das ist die Wahrheit.

Dieser junge Mensch wurde dann wieder in die Gesellschaft entlassen, Herr Dr. Kuhn. Das ist doch die Realität im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt gewesen, und die hat Herr Mäurer und die haben wir als CDU-Fraktion zu Recht, wie ich sage, kritisiert. Es geht nicht nur darum, jemanden zu resozialisieren. Wenn es scheitert, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass es gescheitert ist. Jetzt geht es darum, den sanktionierten Strafanspruch zu vollstrecken, und das ist die Aufgabe, die Herr Mäurer hier offensichtlich verfolgt.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben ja in weiser Voraussicht gesagt, Sie wüssten schon, wohin die Debatte geht. Ich will Sie da auch nicht enttäuschen, Herr Dr. Kuhn, weil, wie ich finde, Sie ja auch aus bewusstem Grunde diese Debatte so geführt haben, wie Sie sie geführt haben. Ich will einmal abgrenzen, was unsere unterschiedlichen Auffassungen sind.

Während Sie sich, Herr Dr. Kuhn, mit dem Bündnis 90/Die Grünen im Bund dafür einsetzen, zum Beispiel die Erhöhung der Gefangenenentschädigung voranzutreiben, Fixerstuben und Modellversuche zur Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige zu erweitern, ein erweitertes Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten zu schaffen, Maßnahmen zur Verhinderung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu ergreifen und die Begrenzung der Strafgewalt des Strafrichters und damit eine Verminderung der Strafmaße zu organisieren, Herr Dr. Kuhn – Sie unternehmen nur Versuche, für die Täter etwas zu tun –, geht es uns darum, für die Opfer von Straftaten etwas zu tun!

(Beifall bei der CDU)

Sehr geehrter Herr Mäurer, Sie haben ja sozusagen von uns schon ein paar Vorschusslorbeeren bekommen auf Ihre Ankündigung in dieser besagten Sendung von „Buten un binnen“ und Ihr bisheriges Verhalten. Ich kann mir nur wünschen, dass es nicht bei leeren Worten bleibt, sondern dass diesem Vorgehen auch Taten folgen. Da würde mich schon ein

mal interessieren, Herr Bürgermeister, wie Sie zu einigen wichtigen Gesetzesvorhaben stehen, die zum Ergebnis haben sollen, insbesondere Intensivtäter und jugendliche Intensivtäter einer schärferen Strafsanktion zuzuführen.

Wie stehen Sie zum Beispiel zur Einführung eines Warn- oder Einstiegsarrestes, der parallel zur Bewährungsstrafe verhängt werden kann? Wie stehen Sie zu einer Verankerung des Fahrverbotes und damit dem Prestigeverlust der Jugendlichen als Zuchtmittel nach einer Straftat? Wie stehen Sie zu einer neuen Sanktionsmeldepflicht, mit der Jugendliche davon abgehalten werden können, an bestimmten Veranstaltungen mit strafrechtlich relevantem Inhalt erneut teilzunehmen? Wie stehen Sie dazu, das Strafmaß für jugendliche Täter von jetzt zehn auf die Höchststrafe von 15 Jahren festzusetzen? Wie stehen Sie zu der Klarstellung, dass das Jugendstrafrecht nur im Ausnahmefall für Heranwachsende und im Regelfall das normale Strafrecht für diese jungen Menschen gilt, die immerhin in der Lage sind, 390 Straftaten zu begehen, und sich daher wohl auch ihrer vollen strafrechtlichen Verantwortung zu stellen? Wie stehen Sie zur Beschleunigung von Jugendstrafverfahren, zum Beispiel auch durch die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens? Wie stehen Sie, Herr Bürgermeister Dr. Scherf, zu einer Frage der erleichterten Abschiebung von ausländischen Verurteilten?

Herr Dr. Kuhn, wir können die Augen davor nicht verschließen. Wenn Sie in die Justizvollzugsanstalt gehen, dann stellen Sie fest, dass 50 Prozent der Insassen ausländische Staatsangehörige sind. Da stellt man zu Recht die Frage, ob es die Aufgabe unseres Staates ist, ausländische Staatsangehörige hier zu resozialisieren, Herr Dr. Kuhn. Ist das die Aufgabe unseres Staates? Ich sage Ihnen nein. Wer mehrfach intensiv gegen Strafrechtsnormen verstoßen hat, der wird verwarnt, und wenn das nicht hilft, dann muss er notfalls eben auch abgeschoben werden.

(Beifall bei der CDU)

Es muss auch Regelungen geben, Herr Dr. Kuhn, die Strafen vermehrt im Ausland zu vollstrecken. Warum müssen wir hier in Deutschland die Strafen von ausländischen Jugendlichen vollstrecken? Das sind berechtigte Fragen.

Wie stehen Sie, Herr Bürgermeister Dr. Scherf – das ist ja zurzeit auch im Bundesrat eine sehr aktuelle Diskussion –, zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung? Die Bundesregierung ist hier sehr verhalten. Der Vorschlag des Bundesjustizministeriums sieht vor – –.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Jetzt aber zum Thema zurück!)

Wir reden über Intensivtäter und Aufgaben und Zwecke des Strafvollzugs, Herr Dr. Kuhn, und ich sage Ihnen, Aufgabe und Zweck des Strafvollzugs, auch wenn Sie dauernd mit dem Kopf schütteln, ist für die CDU-Fraktion auch in erster Linie die Vollstreckung der verhängten Strafe und in zweiter Linie die Frage, wie wir diese Menschen wieder in unsere Gesellschaft eingliedern.

(Beifall bei der CDU)

Wie stehen Sie zu dieser nachträglichen Sicherheitsverwahrung? Das Bundesjustizministerium ist der Auffassung, man müsse jetzt praktisch schon mit dem Schuldspruch den Vorbehalt treffen, später vielleicht in 15 Jahren noch einmal zu überprüfen, ob derjenige dem Strafrahmen entsprechend noch nachträglich in die Sicherheitsverwahrung gehen soll. Der bayerische Vorschlag sagt, es müsse in dieser Zeit möglich sein, dass das Gericht zu jeder Zeit die nachträgliche Sicherheitsverwahrung anordnen kann.

Ich bin sehr dafür, dass wir auch die bisherigen Intensivtäter erfassen und einer nachträglichen Sicherheitsverwahrung zuführen, was der Gesetzentwurf des Bundesministeriums im Übrigen verhindern würde. Ich bin auch dafür, dass wir so viel Flexibilität schaffen – ich habe so viel Vertrauen in die Justiz –, dass wir das ständig verfahrensbegleitend machen können.

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion halte ich fest: Diese von mir eben geschilderten Maßnahmen sind unabdingbar, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Justiz wieder herzustellen und um sie vor weiteren Straftaten und Intensivtätern zu schützen. Wir hoffen, dass Herr Staatsrat Mäurer seiner Ankündigung Taten folgen lässt. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Isola.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss zunächst einmal eine verfassungsrechtliche Vorbemerkung machen. Zuständig für Politik und die Verkündung von Wenden in der Politik sind nach unserer Verfassung die Verfassungsorgane Senat und Parlament und nicht Beamte, auch nicht politische Beamte, um das hier einmal deutlich festzustellen.

Hier ist keine Wende in der Politik verkündet worden, sondern es ist die Frage, ob wir dahin kommen, wenn das politisch entschieden ist.

(Abg. F o c k e [CDU]: Starkes Argument! – Abg. E c k h o f f [CDU]: Tolle Rücken- deckung!)

Zweite Vorbemerkung: Es geht hier in dieser Diskussion um Intensivtäter und wie diese behandelt werden sollen. Herr Röwekamp, ich stimme Ihnen ja völlig zu, dass man die Augen nicht vor diesen Tätern verschließen kann, aber wer diese Täter einschließt, verschließt die Augen vor diesen Tätern, denn dann machen Sie nichts mehr.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Aber diese Täter machen dann auch nichts!)

Glauben Sie wirklich, dass diese Täter, die Sie zwei bis drei Jahre wegschließen, anschließend geläutert sind, dass diese Täter, die Sie dann wieder auf die Menschheit loslassen, etwa dann ein Leben ohne Straftaten führen? Im Grunde genommen entlassen Sie völlig deformierte Persönlichkeiten, permanente Zeitbomben mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollen. Diese Diskussion flackert ja immer wieder auf.

Wir hatten ja diesen alten Vollzug. Ich habe den zum Teil noch besichtigen dürfen. Herr Scherf weiß das auch, er fing ja damals im Sozialbereich auch so an. Wie sah das aus? Da war das Hilfsangebot an Schule, Arbeit und so weiter sehr gering. Übrigens darf ich einmal sagen, gehen Sie doch einmal in eine Jugendstrafanstalt! Da sitzen überwiegend Intensivtäter. Da sitzen doch keine Ministranten, die gerade einmal einen Ladendiebstahl begangen haben! Da sitzen Täter, und zwar überwiegend Deutsche, die 60, 70, 80, über 100 Straftaten begangen haben. Das sind die Jugendlichen, die zu Hause weglaufen, wochenlang durch die Gegend streunen und Laubeneinbrüche am laufenden Band machen. Es sind locker über 100 Straftaten. Übrigens ist schon wiederholt versucht worden, mit Erziehungsmaßregeln oder Bewährungsaussetzungen und so weiter, auf diesem Wege klarzukommen, und das ist nicht passiert. Dann kommen sie in den Knast.

Nach Ihrer Ideologie wären sie nicht mehr behandelbar. Dann bräuchten wir den Jugendstrafvollzug mit dem ganzen Apparat von Pädagogen, Psychologen, Sozialarbeitern nicht mehr. Dann könnten wir das einstellen und sie nur noch wegschließen. Gerade hier setzt aber die Arbeit jetzt im Jugendstrafvollzug an.

Übrigens, internationaler Standard! Was Sie da geäußert haben, Herr Röwekamp, als Mitglied des Rechtsausschusses, das ist schon verblüffend, Aufgabe des Strafvollzuges sei nicht die Resozialisierung. Das ist doch sogar beim Strafvollzug für Erwachsene so! Sie sollten sich vielleicht einmal das Gesetz, aber auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1972 dazu durchlesen.