Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

Wie in der Antwort zu der Großen Anfrage dargelegt, bietet die Erweiterung den Menschen in West- und Mittelosteuropa eine Fülle von Chancen und positiven Entwicklungsmöglichkeiten. Die Freie Hansestadt Bremen wird nachhaltig von dem mit der Erweiterung verbundenen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Stabilitätsexport in den Osten und in den Süden Europas profitieren. Deutschland rückt von der Randlage in das Zentrum der Gemeinschaft.

Bremen ist, darüber besteht hier offenbar bei allen Einigkeit, aufgrund seiner geographischen Lage und seiner wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kompetenzen für Partner aus den Beitrittsländern besonders interessant. In Bereichen wie Hafenwirtschaft und Logistik, Umwelt- und Informationstechnologien, aber auch in unseren bürgerorientierten Verwaltungsstrukturen bieten wir unsere Expertise für den Aufholprozess und für die Investitionsbedarfe in den Beitrittsländern an. Es wird darauf ankommen, insbesondere in verkehrs- und wirtschaftspolitischer Hinsicht nun die Weichen für die langfristige Erschließung der Entwicklungspotentiale in den neuen Mitgliedstaaten zugunsten der Wirtschaftsstandorte Bremen und Bremerhaven zu stellen.

Doch wer die Chancen benennt, sollte auch die Schwierigkeiten und Herausforderungen nicht verschweigen. Nie zuvor in ihrer Geschichte hat die EU zehn Staaten zum gleichen Zeitpunkt aufgenommen. Dies hat, wie wir alle wissen, einen gewaltigen Reformbedarf bei den EU-Organen zur Folge. Es hat aber auch Ängste bei den Bürgerinnen und Bürgern der alten 15 Mitgliedstaaten ausgelöst. Es gilt, die Bürger zu überzeugen, und es gilt, die EU-Organisation zu verbessern.

Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Rat von Laeken im Dezember 2001 auch den Verfassungskonvent eingesetzt, dabei geht es um nichts weniger als die Schaffung eines europäischen Verfassungsvertrags und eine umfassende Reform der europäischen Entscheidungsprozesse. Mehr Transparenz, mehr Demokratie und mehr Partizipation der Bürgerinnen und Bürger sind die zentralen Leitmotive. Es geht darum, die Europäische Union umfassend zukunftsfähig zu machen und den Quantensprung von 15 Mitglieder auf 25 und mehr dauerhaft zu stabilisieren und die EU weiterhin handlungsund entscheidungsfähig zu machen.

Die Verhandlungen mit den zehn Kandidatenländern stehen unmittelbar vor dem Abschluss. Sie haben alle gelesen, dass das nur durch die Einigung zur gemeinsamen Agrarpolitik von Deutschland und Frankreich möglich geworden ist. Wenn es auch so scheint, dass alle Beteiligten nun mit den bisher erzielten Kompromissen zufrieden sein könnten, liegt es sicher auch an den Beitrittsländern, den Bogen der finanziellen Belastbarkeit nicht zu überspannen. Zugleich müssen aber auch die alten Mitgliedstaaten behutsam und geschickt damit umgehen, dass jeder aus den Verhandlungen mit einem gewissen Erfolg nach Hause kommen kann, denn wir wissen, in den Beitrittsländern stehen Referenden bevor. In Kopenhagen wird auch ein detaillierter Verhandlungsfahrplan und die weitere Heranführung für Bulgarien und Rumänien beschlossen, und das Zieldatum ist 2007.

Sie haben eben sehr intensiv das weitere Vorgehen im Hinblick auf den Beitritt der Türkei diskutiert. Lassen Sie mich dazu nur sagen, dass ich mich

persönlich sehr darüber freue, dass auf diese Weise vor diesem Hintergrund eine sehr intensive Debatte um die Werte, um die Philosophie und die geschichtlichen Grundlagen Europas geführt wird! Ich glaube, diese Debatte kann nur dazu beitragen, den Bürgerinnen und Bürgern vor Augen zu führen, dass Europa mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft ist, die sich, wie heute in einer Zeitung stand, im Kampf um Schweinehälften und Stahlquoten aufreibt.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen ist schon darauf hingewiesen worden, dass für die Beitrittsländer die gleichen politischen Kriterien von Kopenhagen gelten wie für alle anderen zehn Mitglieder, die heute schon vor der Tür stehen.

Meine Damen und Herren, in den kommenden Jahren wird es auch gerade für Bremen entscheidend darum gehen, darauf ist von allen Seiten hingewiesen worden, bei der Reform der europäischen Strukturpolitik für die Zeit ab 2007 unsere Interessen zu wahren. Die Reformdebatte befindet sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt, an dem wir uns noch vor der Mitte der laufenden Förderperiode bewegen, noch im Anfangsstadium. Die Bundesregierung hält sich zurück, um auch ihre Verhandlungsposition mit den anderen Ländern nicht zu schwächen. Gleichwohl wissen wir, dass wir angesichts von 25 Mitgliedern mit knapperen Finanzressourcen zu rechnen haben. Es ist auch absehbar, dass Teile des Landes Bremen ab 2007 aus der Strukturfondsförderung herausfallen werden.

Gleichzeitig gilt es, Verbündete zu suchen, sowohl im innerdeutschen Verteilungswettbewerb als auch im Bündnis mit anderen Ländern. Seien Sie versichert, das tun wir, und wir sind auf allen uns möglichen Ebenen dabei, überall, wo schon darüber diskutiert wird, die Interessen des Landes zu wahren!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, ich glaube, mit seinem Innovationsprogramm „Innovision 2010“ hat der Senat ein Instrument geschaffen, mit dem in den kommenden Jahren wachstumsstarke Bereiche im Land Bremen wie zum Beispiel die Ernährungswirtschaft, die Biotechnologie, die Luft- und Raumfahrt, die Logistik, die Umwelttechnik und das Design konsequent weiter ausgebaut werden können. Die Wirtschafts- und Technologiepolitik des Senats sieht sich hier von den Ergebnissen einschlägiger Untersuchungen bestätigt. In der Antwort auf die Große Anfrage haben wir das weiter ausgeführt. Da können wir die direkten und indirekten Wachstumsimpulse weiter nutzen.

Zweifellos stellt auch die Erweiterung in ökologischer Hinsicht eine Bereicherung dar. Die neuen Mit

gliedstaaten bringen sowohl unversehrte, umfangreiche Naturgebiete als auch extrem belastete Gebiete ein. Aber da auch dort der umweltrechtliche Bestimmungsbestand der EU übernommen wird, wird hier für eine nachhaltige Verbesserung der Situation gesorgt werden. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, was mit einem Stabilitätsexport, den ich am Anfang erwähnt habe, im Rahmen der Erweiterung gemeint ist. Sie haben alle schon darauf hingewiesen, dass vor dem Hintergrund der über siebenjährigen Übergangsfristen auch mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit umzugehen sein wird. Man kann hier relativ sicher sein: Erstens ist die Nichtgrenzlage Bremens schon eine Gewähr dafür, zweitens ist es auch so, dass wir ab 2010 aufgrund der demographischen Entwicklung vielleicht ganz froh sein werden, wenn Arbeitskräfte kommen sollten. Trotz der unbestreitbaren Chancen und positiven Entwicklungsimpulse, die mit der Erweiterung verbunden sind, überwiegen bei vielen Bürgerinnen und Bürgern noch die Bedenken. Der Senat nimmt die Sorgen ernst. Der Kenntnisstand in der Bevölkerung über die Folgen der Erweiterung muss weiter wachsen. Es muss auch die zurzeit etwas sinkende Zustimmung wieder in eine positive Grundstimmung umgewandelt werden. Wir haben daher in diesem Jahr die Erweiterung in den Mittelpunkt unserer europabezogenen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit in Bremen gestellt. Während der Folgejahre bis 2006 wird sich der Senat weiter an der von der Europäischen Kommission initiierten Informations- und Kommunikationskampagne zur Erweiterung beteiligen. Die Vorbereitungen sind im Gange. Ich freue mich über jeden, der mit Anregungen und Ideen kommt. Wir hoffen auch, dass andere Vereinigungen und Einrichtungen Bremens und Bremerhavens uns bei unseren Informationsbemühungen unterstützen. Ich habe keinen Zweifel, dass neben den Hochschulen die Landeszentrale für politische Bildung dabei sein wird. Ich hoffe auf die Deutsch-Polnische Gesellschaft und auf die Europa-Union, die sicher mit ihren Veranstaltungen in der ersten Reihe stehen wird. Meine Damen und Herren, der historische Zusammenschluss, auch ich muss das Wort aufnehmen, steht unmittelbar bevor. Der Senat hat Anlass, mit Zufriedenheit auf seine vorausschauende, bereits in den achtziger Jahren eingeleitete Politik der Städtepartnerschaften und der regionalen Zusammenarbeit zurückzublicken. Ich darf daran erinnern, dass Hans Koschnick eigentlich gegen den Strom der Zeit damals Städtepartnerschaften Bremens mit Danzig, Riga und Bratislava begründet hat. Da sind Brücken gebaut geworden, über die wir heute auf beiden Seiten hin- und hergehen können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 15/1319, auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kenntnis.

Meine Damen und Herren, wir treten bis 14.30 Uhr in die Mittagspause ein.

(Unterbrechung der Sitzung 13.01 Uhr)

Vizepräsident Ravens eröffnet die Sitzung wieder um 14.30 Uhr.

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Land- tag) ist wieder eröffnet.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Besuchergruppe der CDU-Fraktion, Mitarbeiter der BSAG,

(Beifall)

Mitglieder des Ortsvereins Woltmershausen der Arbeiterwohlfahrt und eine Besuchergruppe von der IG Bauen – Agrar – Umwelt, Bezirksverband Land Bremen und umzu.

Herzlich willkommen!

(Beifall)

Landesvergabegesetz

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 10. Dezember 2002 (Drucksache 15/1323) 1. Lesung

Wir verbinden hiermit:

Vergabegesetz für das Land Bremen

Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU vom 10. Dezember 2002 (Drucksache 15/1325) 1. Lesung

Wir kommen zur ersten Lesung der Gesetzesvorlagen.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Das Wort erhält die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für das Land Bremen, denn heute wird nach einer langen politischen Hängepartie ein Vergabegesetz für das Land Bremen beschlossen, welches den Baubereich und den Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs einschließt. Ein Landesvergabegesetz soll Unternehmen, die öffentliche Aufträge ausführen, dazu verpflichten, den Tariflohn zu zahlen, der an dem Ort der Leistungserbringung gilt. Lohndumping ist auch in Bremen kein Fremdwort. Kollege Sieling ist wie ich zu vielen Bremer Baustellen in den letzten drei bis vier Jahren gefahren, hat sich dort mit den Kolleginnen und Kollegen auf den Baustellen unterhalten und festgestellt, dass überhaupt nicht alles in Butter ist, wie man so meinen mag, sondern dass es einige schwarze Schafe gibt in Bremen, die die Kolleginnen und Kollegen unter Tarif bezahlen und bei denen auch das Abführen von wichtigen Beträgen an die Sozialkasse in Wiesbaden nicht immer üblich ist, so dass es da viele Missstände gibt.

Seit fast acht Jahren regiert in Bremen die große Koalition. Sie hat viele Millionen Euro für öffentliche Bauvorhaben ausgegeben. Das Landesvergabegesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist überfällig, wir hätten es nämlich schon viel, viel länger gebraucht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Bremen sagt jetzt endlich denjenigen den Kampf an, die sich um öffentliche Bauaufträge bewerben, aber keine angemessenen Löhne bezahlen und die die sozialen Sicherungssysteme betrügen. Das ist kein Kavaliersdelikt, wenn ich das hier einmal bitte festhalten darf.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Unruhe auf dem Besucherrang – Glocke)

Meine Damen und Herren, es ist hier nicht erlaubt, von den Besuchern Beifall zu geben!

Es ist aber ganz schön! Heute ist es einmal ganz schön! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein Vergabegesetz, damit es einen fairen Wettbewerb gibt. Bremen darf kein weißer Fleck auf der Landkarte der Tariftreue bleiben. Aus dieser Sicht sage ich noch einmal, heute ist ein guter Tag, denn wir werden heute hier ein Vergabegesetz definitiv für Bremen beschließen, das dann auch im kommenden Jahr in Kraft tritt. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Aus Sicht der Opposition, das müssen Sie mir an dieser Stelle gestatten, ist das auch für mich ein echter Erfolg, weil wir immer diejenigen waren, die hier oftmals dazu gesprochen haben. Ich habe einmal durchgezählt, so fünf, sechs Mal habe ich über das Thema Tariftreue und illegale Beschäftigung hier geredet, auch mein Kollege Dieter Mützelburg konnte sich an mindestens drei Debatten zu dem Thema erinnern. Auch für uns als Opposition ist das ein wichtiger Erfolg, und wir freuen uns, dass wir dieses dicke Brett gemeinsam mit Ihnen gebohrt haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Heute liegen dem Parlament zwei Gesetzentwürfe vor. Warum? Das will ich einmal kurz für die Außenstehenden erklären, das ist ja nicht so einleuchtend.

Nach dem Scheitern des Bundesvergabegesetzes im Bundesrat durch die Stimmen der CDU hatte sich Niedersachsen, unser Nachbarland, was uns auch so sympathisch umschließt, auf den Weg gemacht und eine Vergaberegelung beschlossen, die zum 1. Januar 2003 in Kraft tritt. Unausweichlich ist, dass Bremen ebenso eine an Niedersachsen angepasste Regelung benötigt, damit wir nicht in eine Insellage geraten. Das hatte auch Herr Böhrnsen treffend während der Sommerpause in den Medien gesagt.

Im Oktober hat dann die Bremische Bürgerschaft beschlossen, bis zum Dezember ein Vergabegesetz zu beschließen. Wir haben es sehr bedauert, dass die Koalition im November nun keinen Entwurf vorgelegt hat, denn wir hätten uns ein schnelleres Agieren der Koalition gewünscht. Herr Pflugradt, ich hätte gern gemeinsam mit Ihnen eine Anhörung gemacht. Ich habe jetzt gehört, dass die große Koalition ohne die Grünen eine Anhörung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf durchgeführt hat. Wir hätten gern ein Gesetz hier gehabt, das Gesetz überwiesen, eine parlamentarische Anhörung gemacht und dazu dann auch weitere Fachleute eingeladen. Wir haben uns da einfach einen anderen politischen Stil gewünscht, aber, Herr Pflugradt, Sie wissen ja auch, dass wir von den Grünen nicht engstirnig sind und nicht so nachtragend,

(Zurufe von der CDU)

wie Sie uns das immer anheften wollen. Wir sind eine sehr flexible Opposition,

(Abg. P f l u g r a d t [CDU]: Die Grünen nicht, aber Sie!)