Protokoll der Sitzung vom 03.06.2004

Ja, alles politische Kunst! Wir sind in der Lage, auch zu sehen, dass dieser Kompromiss Verbesserungen bringt. Frau Möbius hat schon darauf hingewiesen. Dass die nichtstaatliche Verfolgung und die geschlechtsspezifische Verfolgung dort hineinverhandelt wurden, war ganz stark ein Interesse der Grünen, und wir freuen uns darüber, dass das gelungen ist, weil diese beiden Themen im Einklang mit einem humanitären Ansatz stehen. Zudem gibt es eine Verbesserung der Erleichterung von Arbeitsmigration. Es ist gerade für Großstädte wichtig, Menschen, die hierher kommen, weil sie einen Arbeitsplatz haben wollen, Sicherheiten zu bieten, dass sie in Zukunft auch über längere Zeit hier bleiben können.

Was bei dem Zuwanderungskompromiss abgewehrt wurde, ist ein reines Sicherheitsdenken, wie es vor allen Dingen von der CDU und leider auch von Otto Schily propagiert wurde. Das stand so im „Weser-Kurier“ über Otto Schily, das fand ich eigentlich ganz interessant, ich weiß nicht, ob ich das hier erzählen darf, ich versuche das einmal. Da war im „Weser-Kurier“ also die Frage, das hat mir gefallen:

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Ehemals Grüner!)

„Was ist der Unterschied zwischen Gott und Otto Schily?“ Die Antwort dürfen Sie ja jetzt nicht sagen, das muss ich hier sagen. Die Antwort ist: Gott glaubt nicht, dass er Otto Schily ist! Ich fand, dass der „Weser-Kurier“ da eine nette Geschichte erzählt hat, die auch die Probleme widerspiegelt, die die Grünen mit diesem Innenminister haben. Wenn sich jemand zu viel mit Sicherheitsdenken beschäftigt, dann verstellt das den Blick darauf, dass dieser ganze Themenbereich auch noch viele andere Facetten hat, die man vielleicht auch noch einmal mit einem anderen Blick beäugen könnte. Dann würde man vielleicht auch noch zu anderen Ergebnissen kommen. Was sicherlich wichtig ist, das hat Frau Möbius auch gesagt, ist, dass der Wunsch der CDU, dass bei bloßem Verdacht abgeschoben werden kann, abgewehrt wurde. Damit wollen wir nichts zu tun haben, das ist verfassungswidrig, und das ist auch nicht mit unserem Rechtsstaat in Einklang zu bringen. Sicherlich, die Rechtslage in Deutschland, oder sagen wir einmal so, wie wir die Rechtslage wahrnehmen, hat sich durch den 11. September 2001 verändert. Das sehen auch die Grünen so, aber in einem Rechtsstaat kann man nur für das, was man getan hat, sanktioniert werden und nicht für Mutmaßliches. Was uns allen hier klar sein muss, ist, unsere Werte – und damit unterscheiden wir uns von einem sehr großen Teil der Welt, der anderen Wertmaßstäben verhaftet ist – sind Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

In Rechtsstaatlichkeit wirft man nicht Menschen die Kosten vor, die sie dadurch verursachen, dass sie den Rechtsstaat bemühen. In einem Rechtsstaat beschimpft man nicht Rechtsanwälte, die ihre Arbeit machen, als findig, weil sie nichts weiter tun, als von Parlamenten beschlossene Gesetze

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Mir kom- men gleich die Tränen!)

von einem unabhängigen Gericht überprüfen zu lassen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

In einem Rechtsstaat wertet man die Menschen, die sich gegen staatliche Entscheidungen auf der Basis von Recht und Gesetz zur Wehr setzen, nicht dafür ab, dass sie das tun, was der Gesetzgeber möglich gemacht hat. Die größte Gefahr für unsere Werte, für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, besteht darin, dass wir vor dem Hintergrund eines übertriebenen Sicherheitsdenkens genau das demontieren. Damit wollen die Grünen nichts zu tun haben!

Wir werden uns nur als überlegenes Gesellschaftssystem erweisen, wenn wir diese Werte verteidigen gegen alle, die aus kurzfristigem Interesse daran herumsägen. Auch hier geht es um die Haltung, nämlich die Haltung: Ein Ausländer, Hilfe, ein Sicherheitsrisiko! Wir sagen, wenn der freie Verkehr von Geld und Waren selbstverständlich ist, wird man nicht dauerhaft Zäune um Menschen ziehen können. Es gibt in der Welt große Unterschiede im Wohlstand. Kriege und Hunger, Seuchen und Umweltkatastrophen schaffen die Lage, aus der Menschen – in aller Regel nicht besonders gern – ihre Heimat verlassen, aber auch den Wunsch, in einer zusammenwachsenden Welt im Ausland zu studieren und zu arbeiten. Dagegen ist kein staatliches Handeln gewachsen, auch wenn man es sich wünschen würde wie Sie, Herr Herderhorst. Deutschland soll ein offenes Land sein, Fremde willkommen heißen, ihnen ohne Vorurteile begegnen und dafür die rechtlichen Grundlagen schaffen.

Wenn Sie heute im „Weser-Kurier“ den Artikel über die IUB lesen, dann freuen Sie sich doch! Voraussetzung dafür, dass Menschen aus aller Herren Länder hierher kommen und studieren können, schafft ein liberales und modernes Zuwanderungsrecht. Dieses gesellschaftliche Klima ist wichtig auch für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. An diesem Klima werden wir arbeiten. Menschen, die zu uns kommen, sind für uns nicht nur ein Sicherheitsproblem, ein Integrationsproblem, ein Kriminalitätsproblem, ein Unterbringungsproblem, ein Kostenproblem, ein Missbrauchsproblem, sondern es sind Menschen, die uns bereichern können, wenn wir uns mit ihnen gemeinsam der Zukunft stellen.

Mein Sohn Johann, neun Jahre alt, lernt in der Schule, was das Zuckerfest ist. Ich finde das schön. Meine Tochter Alice, sechs Jahre alt, lernt im Kindergarten, wo Kamerun liegt, daher kommt nämlich ihre beste Freundin. Der Zuwanderungskompromiss wird Deutschland aus unserer Sicht ein bisschen mehr dahin entwickeln, das Zusammenleben mit Menschen verschiedener Herkunft zu verbessern. Das muss gemeinsames Ziel auch in diesem Haus sein.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Röwekamp.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Moment, ich bin auch noch an der Reihe!)

Sie kommen dann an die Reihe, wenn Sie aufgerufen werden!

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar, dass wir die teilweise ja auch in diesem Parlament an Einzelfällen diskutierten Probleme, die wir in Deutschland haben bei der Frage, wie gehen wir eigentlich mit vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern um, durch eine sehr sachliche Anfrage noch einmal zum Gegenstand der Erörterung gemacht haben.

Ich will am Anfang das bestätigen, was, bis auf Frau Linnert, glaube ich, allgemeine Auffassung dieses Hauses ist, dass der durch die CDU/CSU und SPD gefundene Kompromiss zur Frage der Neugestaltung des Asylrechts in Deutschland Früchte trägt. Wir haben in den Zahlen einen Rückgang derjenigen, die unberechtigt bei uns um Asyl nachgesucht haben, und wir haben außerdem ein Ansteigen der Anerkennungsquote. Insofern ist das, was verabredet worden ist, vollständig erreicht worden, Frau Linnert.

Deutschland hat sich vom Asylrecht nicht verabschiedet, sondern Deutschland ist den Weg gegangen, das Asylrecht auf diejenigen zu fokussieren, die tatsächlich in ihren Heimatländern einer Verfolgung aus politischen, religiösen oder sonstigen Gründen ausgesetzt sind. Sie haben in Deutschland – und das ist, auch wenn Sie es immer wieder in Frage stellen, unumstößliche Auffassung der CDU – einen Anspruch auf Asyl, und dabei wird unser Grundrecht auf Asyl schrankenlos gewährt. Diese Menschen dürfen weiter nach Deutschland kommen, das haben wir aus unserer Geschichte gelernt, und das ist durch den Asylkompromiss entgegen Ihren Beteuerungen, Frau Linnert, in keinem Punkt eingeschränkt.

(Beifall bei der CDU)

Damit wir uns aber auf diejenigen konzentrieren können, die in Deutschland zu Recht von ihrem Asylrecht Gebrauch machen, müssen wir uns auch darum kümmern, was mit denjenigen passiert, die in Deutschland durch Tricks versuchen, sich einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu erschleichen, so will ich das einmal sagen, denn das ist das große Problem, das wir haben. Wir haben das Problem nicht mit denjenigen, die hierher kommen und berechtigterweise um Asyl nachsuchen, die in einem geordneten Verfahren als Asylberechtigte anerkannt werden, sondern wir haben ein Problem mit denjenigen, die hier nach Deutschland und auch nach

Bremen und Bremerhaven kommen und nicht rechtmäßig um Asyl nachsuchen, deren Verfahren in kürzester Zeit nach der Neufassung des Asylrechts abgeschlossen werden können und die nach sehr sorgfältiger Prüfung aller Instanzen im Übrigen trotzdem vollziehbar ausreisepflichtig sind.

Wir haben Ihnen auf Ihre Frage hin einmal sehr genau aufgeschlüsselt, was die unterschiedlichen Probleme sind, und ich glaube, diese Vorlage ist geeignet, auch eine sehr sachliche Diskussion darüber zu führen. Wir haben natürlich diejenigen, die wir hier dulden, weil wir miteinander verabredet haben, in bestimmte Länder zurzeit nicht wieder zurückzuschicken. Das betrifft insbesondere die Bürgerkriegsgebiete des ehemaligen Jugoslawiens, wo wir Rückführungsabkommen haben, wo eine gezielte und geordnete Rückkehr der Flüchtlinge erfolgen soll und wo wir als Innenminister eine Verabredung haben, in welcher Reihenfolge das passieren soll.

Wir schieben natürlich nicht in den Irak ab, und wir schieben zurzeit auch nicht nach Afghanistan ab. Das tun wir über das Asylrecht hinaus, das will ich an dieser Stelle sagen, aus humanitären Gründen schieben wir Leute in diese Länder nicht ab. Auch daran wird sich in Deutschland, in Bremen und Bremerhaven nichts ändern. Auch das ist Meinung der CDU, Frau Linnert, weil Sie hier so den Eindruck erwecken, die CDU wäre diejenige, die am liebsten jeden Ausländer, egal warum und wieso er hierher kommt, wieder loswerden möchte. Das ist mitnichten der Fall!

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau L i n - n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Gut!)

Im Gegensatz zu Ihnen sind wir aber nicht der Auffassung, dass es gut ist, dass die Leute unkontrolliert und uneingeschränkt nach Deutschland kommen können, sondern wir müssen sehr genau sortieren zwischen denjenigen, die hier um Asyl nachsuchen, denjenigen, die in ihrer Heimat verfolgt sind, denjenigen, die in ihrer Heimat nicht leben können, nicht sicher sind und denjenigen, die hierher kommen, weil sie sich aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland aufhalten wollen, weil sie in unsere Sozialsysteme eintreten wollen, weil sie in Deutschland leben wollen, ohne einen Anspruch darauf zu haben, hierher zu kommen.

(Zuruf der Abg. Frau L i n n e r t [Bünd- nis 90/Die Grünen])

Diese Sortierung, im Gegensatz zu Ihnen, nehmen die CDU und der Senat auch vor mit der Antwort, die wir Ihnen hier gegeben haben. Diese Sortierung halte ich auch im Interesse derjenigen, die berechtigterweise hier nach Deutschland kommen

sollen, für unverzichtbar, das will ich an dieser Stelle sagen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen])

Die größte Sorge, die wir haben, ist, das haben Sie gesehen, die Frage der Passlosigkeit. Das ist auch nur eine Zahl, wir hätten Ihnen gern noch viel mehr geantwortet, aber das ist ein so vielschichtiges Problem, dass Sie das überhaupt nicht in den Griff bekommen. Wir machen Vorführungen an Botschaften und bemühen uns um Passpapiere von Staaten, die haben eine Woche oder ein Jahr lang ihre Botschaftsangehörigen nicht mehr bezahlt, da setzen sich die Botschaftsangehörigen hin und sagen, ich stelle keine Passpapiere aus. Oder wir haben Botschaften ausländischer Staaten, die sagen, wir können keine Passpapiere ausstellen, uns sind die Formulare ausgegangen.

Meine Damen und Herren, das sind Probleme des Alltags, die die Mitarbeiter der Ausländerbehörde natürlich auch frustrieren, weil sie merken, sie haben 3700 Fälle, von denen sind 800 aus humanitären Gründen hier, weitere, sage ich einmal, 600 sind hier, weil wir sie aus gesundheitlichen Gründen zurzeit nicht zurückführen können. Der überwiegende Teil aber hält sich hier widerrechtlich in Deutschland auf, weil wir nicht rechtzeitig die notwendigen Passpapiere bekommen. Das scheitert teilweise an den Auslandsvertretungen. Das scheitert aber auch teilweise an den Menschen und dem Verhalten der Menschen, die in der Tat mit Tricks versuchen, jede Möglichkeit der Abschiebung zu umgehen.

Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Linnert, bin ich der Auffassung, dass wir uns um diese Menschen kümmern müssen. Wir können uns das als Rechtsstaat nicht erlauben.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Was bauen Sie denn hier für Papp- kameraden auf?)

Sie haben die ganze Zeit hier übrigens Pappkameraden aufgestellt, indem Sie immer gesagt haben, das steht zwar nicht darin, aber das fühle ich, dass die CDU das will.

(Beifall bei der CDU)

Ich fühle, dass das Unmenschen sind, ich fühle, dass sie jeden Ausländer abschieben wollen. Wer hat denn hier Pappkameraden aufgestellt?

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Nein, das sehe ich völlig anders!)

Die einzigen, die Pappkameraden aufgestellt haben, sind Sie und Ihre Pappkameraden selbst, Frau Lin

nert, das will hier an dieser Stelle mit der notwendigen Deutlichkeit sagen!

(Beifall bei der CDU)

Es ist in der Tat so, dass wir ein Problem haben mit denjenigen, die in unserem Rechtsstaat Mittel und Wege finden, die dazu führen, dass wir eine an sich rechtmäßige Abschiebung nicht durchführen können.

(Zuruf der Abg. Frau L i n n e r t [Bünd- nis 90/Die Grünen])

Ich frage mich manchmal: In welcher Welt leben die Grünen eigentlich?

Wir diskutieren gerade an einem sehr prominenten Fall wie Metin Kaplan, wie unser Rechtsstaat verzweifelt versucht, jemanden, der Morddrohungen öffentlich ausgesprochen hat, der vier Jahre Freiheitsstrafe verbüßt hat, in die Türkei – einem künftigen Beitrittsland der Europäischen Union nach Ihrem Wunsch –, in seine Heimat zurückführen zu können, weil er sich hier in Deutschland nicht an Recht und Gesetz, weil er sich nicht an unser Grundgesetz gehalten hat,

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau L i n - n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, mit Rechtsstaat oder ohne, Herr Röwekamp?)

weil er Hasspredigten hält und öffentlich gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung kämpft, und Sie tun hier so, als wenn wir überhaupt kein Problem hätten!

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Mit Beschluss oder ohne?)

Wir haben ein Problem! Metin Kaplan ist der Ausfluss und das größte Beispiel dafür, was wir für ein Problem in unserem Rechtsstaat mit der Abschiebung von unrechtmäßig hier lebenden Menschen haben.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Mit Rechtsstaat oder ohne?)