Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicherlich außerordentlich schade, dass wir dieses wichtige Thema neben den Tiraden von Herrn Tittmann diskutieren.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Ich denke, dass die Verantwortung für ein gemeinsames Europa, für ein funktionierendes Europa sehr viel Besonnenheit erfordert. Herr Tittmann ist ein sichtbarer und lebendiger Beweis dafür, dass Besonnenheit in besonderer Weise erforderlich ist.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Dass er noch realistisch denken kann!)

Meine Damen und Herren, die Türkei ist Mitglied der Nato. Die Türkei ist ein Staat, mit dem wir seit ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

vielen Jahren, seit Jahrzehnten eng zusammenarbeiten. Bremen hat eine Partnerschaft mit Izmir. Wir haben viele Türken bei uns in Bremen, und wir sind bemüht, die Integration zu stärken, zu stabilisieren, fortzusetzen, erwarten allerdings auch von den hier lebenden Türken, dass sie sich um die Integration lebendig und vital bemühen.

Es ist sicherlich so, dass die Türkei große Fortschritte gemacht hat, Aufnahmekriterien, die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen und vieles auch auf dem gesetzgeberischen Weg bereits verändert hat. Vieles davon steht allerdings bisher überwiegend auf dem Papier. Es ist sicherlich so, dass die Türkei ihren Weg, den sie eingeschlagen hat, in der Zukunft sehr konsequent weitergehen muss, um den Ausbau der demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen fortzuführen, die Verwirklichung der Menschen- und Minderheitenrechte konsequent weiter fortzuführen und die Implementierung der notwendigen Reformen durchzusetzen. Dabei braucht die Türkei unsere tatkräftige Unterstützung. Die wollen wir in jedem Fall gewähren.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Vor allem fi- nanziell!)

Die Europäische Kommission hat in ihrem Bericht an den Europäischen Rat vom 6. Oktober 2004, also vor gut einem Monat, über die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien trotz bemerkenswerter Zweifel empfohlen, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Aber die Kommission hat sehr eindeutige Bedenken geäußert, die wir auch nicht vom Tisch wischen sollten, weil wir uns damit keinen Gefallen tun.

Die EU-Kommission hat eindeutig eine weitere Festigung und Ausdehnung von Gesetzgebung und Umsetzungsmaßnahmen angemahnt vor allem bei der Bekämpfung von Folter und Misshandlung, bei den Menschen- und Minderheitenrechten und den Grundfreiheiten. Sie hat eine periodische Überprüfung der türkischen Reformanstrengungen vorgeschlagen und darauf hingewiesen, dass sich die Unumkehrbarkeit des Reformprozesses über einen längeren Zeitraum bestätigen müsse. Sie hat für einige Bereiche wie die Strukturpolitik und die Landwirtschaft Sonderregelungen, für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sogar unbefristete Schutzklauseln angelegt, und sie hat in ihrer Empfehlung explizit aufgenommen, dass dies ein Prozess mit offenem Ende ist, dessen Ausgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt.

Zuletzt erinnert die Kommission ausdrücklich daran, dass die möglichen Verhandlungen jederzeit ausgesetzt werden können, falls eine ernsthafte und andauernde Verletzung der Prinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Rechtsstaates festgestellt

werden sollten. Dies ist ein schwieriger Prozess, und wir sind in diesem Prozess auf dem Weg.

Meine Damen und Herren, als engagierter Europäer sage ich, wir haben jetzt gerade die EU um zehn weitere Länder erweitert. Damit ist die EU mit diesen zehn Ländern noch nicht automatisch verwachsen. Wir haben mit großen Geburtswehen eine europäische Verfassung, einen Konvent, gerade beschlossen. Sie befindet sich jetzt im Weg der Ratifizierung. Das wird ein schwieriger Prozess. Wir bemühen uns, die Handlungsfähigkeit der so vergrößerten EU sicherzustellen, indem wir versuchen, institutionelle Reformen auf den Weg zu bringen. Jeder, der diese neue Verfassung gelesen hat, weiß, dass sie sozusagen eine Verfassung im Prozess ist, dass das Ziel der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union bei weitem noch nicht erreicht ist, obgleich ich froh und deshalb auch für die Ratifizierung bin, dass wir überhaupt in diesem Jahr bei den institutionellen Reformen Fortschritte gemacht und damit die Handlungsfähigkeit der EU verbessert haben.

Es stehen jetzt weitere Länder an, die in die EU aufgenommen werden sollen. Meine Damen und Herren, bei aller Begeisterung für das gemeinsame Europa ist es schon zulässig zu fragen: Bewegen wir uns in der angemessenen Geschwindigkeit? Schaffen wir es, die Integration der Beitrittsländer, die jetzt beigetreten sind, in überschaubaren Zeiträumen so zu festigen, dass dieser Integrationsprozess in Europa nicht dazu führt, dass wir unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verlieren, weil unsere Handlungsfähigkeit in zu vielen Feldern noch nicht so hergestellt ist, dass wir zu angemessenen, zügigen Entscheidungen kommen und dass wir die Wettbewerbsfähigkeit zu den Vereinigten Staaten auch als Ganzes herstellen können? Dieser Prozess ist ein schwieriger.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch in aller Deutlichkeit sagen, wir haben bei unseren eigenen Bürgern, und das gilt nicht nur für Deutschland, das gilt auch für ganz viele unserer Mitgliedstaaten, eine große Mission zu leisten, um diesen wunderbaren Gedanken eines gemeinsamen Europas, einer Europäischen Union bei unseren Menschen tiefer einzupflanzen! Die Menschen neigen dazu, sich so zu verhalten, dass ihnen das Hemd näher ist als der Rock. Wir erleben natürlich auch reduzierte Wahlbeteiligungen bei den Europawahlen.

Wenn ich mir überlege, was in Deutschland am 1. Mai geschehen ist, als ich in Riga sein durfte, um dort den Beitritt Lettlands zu erleben, dann habe ich in den alten Ländern der Union nicht sehr viel Euphorie gespürt. Ich denke, dass wir ganz viele Schularbeiten machen müssen, um die Begeisterung bei unseren eigenen Bürgern für Europa viel tiefer einzupflanzen und den Zusammenhalt zu stärken. Deshalb hat die Union bundesweit große Bedenken,

auch weil die Türkei zurzeit – es geht ja im Moment um die Frage, ob wir jetzt sofort Beitrittsverhandlungen aufnehmen oder nicht – natürlich völkerrechtswidrig Nordzypern besetzt hat. Die Türkei hat bislang Zypern nicht anerkannt. Das ist natürlich für ein Beitrittsland in die EU ein ganz ungewöhnlicher Sachverhalt.

Die Türkei ist ein Brückenland zwischen Europa und Vorderasien, dem Nahost-Bereich und natürlich ein Brückenland zwischen Christentum und Islam. Die Frage, ob dieses Brückenland, mit dem wir eine ganz enge Kooperation brauchen, durch Integration oder zu schnelle Integration in Europa wirklich diese Brückenfunktion leisten kann, ist eine sehr offene Frage. Sollte die Europäische Kommission im Dezember offiziell die Beitrittsverhandlungen eröffnen, so scheint es mir in der Tat wichtig, darauf hinzuweisen, dass, auch wenn im Dezember die EU dies beschließt, das offene Ende dieses Verhandlungsprozesses mit in der Beschlusslage aufgenommen sein muss. Ich denke, dass das zwingend ist. Uns als Union wäre eine privilegierte Partnerschaft zum jetzigen Zeitpunkt lieber gewesen, um aus dieser Partnerschaft möglicherweise später einen Beitrittsprozess zu entwickeln. Die EU scheint einen anderen Weg zu gehen.

Ich bedauere sehr, dass wir diese sehr komplizierte, notwendige und schwierige Debatte darüber, wie wir es schaffen, dieses Europa zusammenzuführen und zusammenzuhalten, wie wir es schaffen, dabei parallel im Wettbewerb nicht zurückzufallen, sondern unsere Entscheidungsfähigkeit zu sichern – es ist ein komplizierter Prozess, es ist fast skandalös –, in Begleitung von Herr Tittmann führen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, dass es auch für dieses Haus ein großes Problem ist, das hier in dieser Debatte insbesondere sichtbar geworden ist. Ich wünsche uns bei der weiteren Debatte über den schwierigen Beitritt der Türkei in die EU Augenmaß, Vernunft und große Besonnenheit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Entschließungsantrag des Abgeordneten Tittmann, DVU, mit der Drucksachen-Nummer 16/436 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und Abg. W e d l e r [FDP])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Entschließungsantrag ab.

Gesetz zu dem Staatsvertrag zwischen dem Land Niedersachsen und der Freien Hansestadt Bremen über die Prüfung von Anwärterinnen und Anwärtern des gehobenen Justizdienstes – Rechtspflegerlaufbahn – bei dem Prüfungsamt für die Rechtspflegerprüfung bei der Niedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege

Mitteilung des Senats vom 26. Oktober 2004 (Drucksache 16/438) 1. Lesung

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Dr. Scherf, ihm beigeordnet Staatsrat Mäurer.

Wir kommen zur ersten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Grotheer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Senat schlägt uns vor, ein Gesetz zum Staatsvertrag zwischen dem Land Niedersachsen und der Freien Hansestadt Bremen über die Prüfung von Anwärterinnen und Anwärtern des gehobenen Justizdienstes – Rechtspflegerlaufbahn – beim Prüfungsamt für die Rechtspflegerprüfung bei der Niedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege zu beschließen. Der eine oder andere wird sich vielleicht fragen, welchen Hintergrund dieser Vorschlag des Senats hat, und ich habe die Gelegenheit, in Absprache mit den Fraktionen der CDU und der Grünen einige Ausführungen zur Bedeutung dieses Gesetzes zu machen.

Rechtspfleger stehen ja, wenn wir über die Gerichte reden – und ich finde, wir reden hier eigentlich viel zu selten darüber –, selten im Rampenlicht, sondern wir reden über die Richter und deren Aufgaben. In Wirklichkeit ist es aber so, dass die Rechtspfleger eigentlich das Rückgrat des Alltagsgeschäftes in den Gerichten bilden. Sie sind für die Funktionsfähigkeit unabdingbar. Wenn wir sie nicht hätten, dann könnten die bremischen und die bundesdeutschen Gerichte ihre Aufgaben nicht erledigen.

Der Gesetzgeber hat aus unterschiedlichen Gründen in den vergangenen Jahrzehnten den Rechtspflegern mehr und mehr Aufgaben übertragen, die bis dahin von Richtern wahrgenommen worden sind. Das Bundesgesetz, das Rechtspflegergesetz, sieht

vor, dass Mitarbeiter aus dem gehobenen Dienst Rechtspfleger werden können, die eine zusätzliche Ausbildung machen, an deren Ende eine staatliche Prüfung steht. Die Rechtspfleger üben innerhalb der Justiz eine weisungsungebundene Tätigkeit aus und stehen damit praktisch bei der Erledigung ihrer Geschäfte den Richtern gleich. Sie sind also nur dem Gesetz verantwortlich, müssen nur dann, wenn sie von einer ihnen bekannten Rechtsauffassung ihres Richters abweichen wollen, die Sache dem Richter vorlegen, damit der das dann entscheidet. Damit ist gewährleistet, dass es eine Einheitlichkeit in der Rechtsanwendung in diesen Fällen gibt.

Nur um ein paar Beispiele zu nennen, möchte ich darauf verweisen, dass Rechtspfleger tätig sind im Bereich Vormundschaft. Bei der Betreuung gibt es einige Geschäfte, die den Richtern vorbehalten sind, das meiste wird von den Rechtspflegern bearbeitet. Wenn Sie zum Amtsgericht gehen und einen Erbschein beantragen, dann wird darüber nicht durch den Richter, sondern durch den Rechtspfleger entschieden, soweit es sich um die gesetzliche Erbfolge handelt. Der Richter muss dann entscheiden, wenn ein Testament vorliegt. Rechtspfleger sind tätig in Handelsregistersachen. Sie spielen eine ganz wichtige Rolle bei den Insolvenzverfahren. Rechtspfleger entscheiden über Kostenfestsetzungsanträge von Rechtsanwälten. Einige Rechtsanwälte sind ja hier im Raum, die wissen also, wie wichtig es ist, dass diese Anträge auch zügig bearbeitet werden. Sie sind tätig in der zivilrechtlichen Zwangsvollstreckung immer dann, wenn es darum geht, dass Ansprüche gepfändet werden sollen. Da gibt es ja ganz komplizierte Regelungen in der Zivilprozessordnung. Dann sind die Rechtspfleger gefragt, die darüber entscheiden. Sie sind tätig in Hinterlegungssachen, und schließlich – ganz wichtig – sind sie zuständig im Bereich der strafrechtlichen Vollstreckung, wenn es um die Geldstrafen oder um Freiheitsstrafen geht. Das macht deutlich, dass es hier also um wichtige Aufgaben geht.

Wir brauchen, das ist selbstverständlich, gut ausgebildete Rechtspfleger. Da das Bundesrecht vorsieht, dass eine Ausbildung und an deren Ende eine staatliche Prüfung stattfinden muss, liegt auch auf der Hand, dass wir das angesichts der kleinen Zahlen in Bremen nicht allein bewältigen können. Deshalb gibt es seit vielen Jahren eine bewährte Zusammenarbeit mit dem Bundesland Niedersachsen. Völlig unabhängig von der Frage, welche Partei in Niedersachsen oder Bremen regiert, ist das über die vielen Jahre hinweg eine ganz stabile Partnerschaft gewesen. Es hat sich nun aufgrund erhöhter Anforderungen an die Ausbildung ergeben, dass es klug ist, wenn nicht nur Bremen und Niedersachsen, sondern Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein zusammenarbeiten. Hamburg und Schleswig-Holstein hatten bisher einen anderen Weg.

Die gesetzlichen Regelungen sind, was die Prüfungsordnungen angeht, angeglichen. Es gibt eine zusätzliche Zwischenprüfung, es gibt die Notwendigkeit, dass bei der Abschlussprüfung eine Diplomarbeit geschrieben werden muss. Das uns jetzt vorliegende Gesetz sieht vor, dass wir dem Staatsvertrag, der zwischen den Bundesländern ausgehandelt worden ist, zustimmen, und ich meine, wir sollten das tun, denn dies ist eine gute Regelung, die unser Justizressort dort ausgehandelt hat. Wir sind, auch das darf ich ausdrücklich für die CDU und für die SPD erklären, mit dem, was das Ressort hier ausgehandelt hat, zufrieden. Ich bitte Sie also demgemäß, dem Entwurf zuzustimmen. – Schönen Dank!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Gesetz zu dem Staatsvertrag zwischen dem Land Niedersachsen und der Freien Hansestadt Bremen über die Prüfung von Anwärterinnen und Anwärtern des gehobenen Justizdienstes – Rechtspflegerlaufbahn – bei dem Prüfungsamt für die Rechtspflegerprüfung bei der Niedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Drucksache 16/438, in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?