Protokoll der Sitzung vom 09.12.2004

Natürlich ist es schwieriger, in einem kleineren Zwei-Städte-Staat über Wahlbereichslisten zu reden, als es in Hamburg der Fall ist. Wir müssen darauf achten, dass das, was wir umsetzen, auch tatsächlich immer noch eine gewisse Form von Repräsentation hat und das Verhältnis von Bürger zu auswahlberechtigten Abgeordneten nicht zu klein wird.

Das Zweite, worauf wir achten müssen: Wir haben anders als Hamburg, wie ich finde, eine sehr bewährte und lebhafte Beirätestruktur. Wir sollten

bei allem auch darum bemüht sein, dass wir das, was wir in den Ortsämtern und in den Stadtteilen machen und wovon wir uns ja versprechen, dass wir tatsächlich auch dichter an den Bürger kommen wollen, mit reiner, auf Stadtteilmanagement ausgerichteter Tätigkeit der Ortsämter, solche Strukturen und solche Entwicklungen, die wir haben, jetzt nicht durch eine übergestülpte Wahlrechtsreform zerstören. Darauf würde ich aus meiner Sicht jetzt noch sehr viel Wert legen.

Wir leben in Bremen, sage ich einmal, demokratisch schon sehr kleinräumig und sind sehr dicht an den Entscheidungsprozessen, die vor Ort getroffen werden. Das ist eine große Stärke unseres ZweiStädte-Staates, und diese sollten wir jetzt nicht durch eine Strukturreform nachhaltig zerstören – das ist meine feste Überzeugung –, sondern wir sollten sie dort, wo wir Ansätze haben, entsprechend weiterentwickeln.

Es gibt die verfassungsrechtlichen Bedenken, das will ich an dieser Stelle auch noch einmal sagen. Wir haben uns damals in einem nichtständigen Ausschuss sehr intensiv mit der Frage der Umsetzung des Wahlrechts für EU-Bürger auseinander gesetzt. Schon damals gab es mindestens zwei juristische Meinungen. Der Staatsgerichtshof hat sich mehrheitlich der Auffassung angeschlossen, dass das, was wir umgesetzt haben, sinnvoll ist. Wer aber die Entscheidung liest, weiß auch, dass das so ziemlich schon an der Grenze dessen gewesen ist, was man in einem demokratischen Gemeinwesen machen kann. Wir müssen also sehr vorsichtig sein und dort auch sehr behutsam mit den verfassungsrechtlichen Bedenken umgehen, die eine solche Wahlrechtsreform insbesondere im Hinblick auf das EU-Wahlrecht haben kann.

Wir sollten darauf achten, auch diese Diskussion haben wir bei der Verkleinerung des Parlaments schon geführt, was eigentlich mit der Fünf-Prozent-Hürde und mit entsprechenden Ausgleichs- und Überhangmandaten passiert. Ich halte den Vorschlag der Wählerinitiative, zu sagen, wir machen Überhangmandate, aber keine Ausgleichsmandate, für einen außerordentlich gefährlichen Weg, was die Zusammensetzung dieses Hauses betrifft. Ich warne davor, da jetzt voreilig zu sagen, dass das meinetwegen verfassungsrechtlich möglich ist. Ob es aber politisch so gewollt ist und ob wir dann hier nicht zu einer sehr schwierigen Situation auch im Parlament kommen können, wo die Zusammensetzung des Parlaments nicht den tatsächlichen Bürgerwillen widerspiegelt, das bitte ich dann auch in die weiteren Überlegungen einzubeziehen.

Wir werden uns an dieser Diskussion aktiv beteiligen. Es gibt da selbstverständlich auch keine Denkverbote, und nur weil schon alles irgendwann einmal beurteilt worden ist, muss man an solchen Beurteilungen nicht festhalten. Es gibt aber schwere und gewichtige Gründe, die besagen, lasst uns das

ganz in Ruhe beraten, lasst uns die ganzen Bedenken, die sich aus der Historie und aus der Struktur und den Verhältnissen, die wir hier in Bremen und Bremerhaven vor Ort haben, in Ruhe miteinander abwägen und dann auch entsprechend dort beraten.

Ich freue mich, dass das Parlament diesen Weg geht und wir uns jetzt nicht in einem außerparlamentarischen Diskussionsprozess mit der Initiative bewegen, weil ich glaube, da gäbe es am Ende erstens wahrscheinlich keine sachgerechte Lösung und zweitens auch keine Gewinner. Wenn es uns gelingt, hier zu einem einvernehmlichen und abgestimmten Vorschlag für eine Wahlrechtsveränderung zu kommen, dann kann das unser Gemeinwesen voranbringen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Beratung geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie des Abgeordneten Wedler, FDP, mit der Drucksachen-Nummer 16/479 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

(Einstimmig)

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den Wahlvorschlägen. Die Wahlvorschläge liegen Ihnen schriftlich vor.

Wir kommen zur Wahl.

Wer entsprechend den Wahlvorschlägen wählen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen und Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Abg. T i t t m a n n [DVU])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) wählt entsprechend.

Ich bitte die Abgeordnete Frau Hannken, zur konstituierenden Sitzung einzuladen.

Erste-Hilfe-Ausbildung in Schulen des Landes Bremen

Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 6. Dezember 2004 (Drucksache 16/481)

Dazu als Vertreter des Senats Senator Eckhoff.

Die Beratung ist eröffnet.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Mohr-Lüllmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir stellen hier heute einen interfraktionellen Antrag. Alle Fraktionen gemeinsam fordern den Senat auf, ein Konzept zur Erste-Hilfe-Ausbildung in den Schulen im Land Bremen vorzulegen, und zwar geht es hier in erster Linie um die Erste-Hilfe-Ausbildung für die Schüler, nicht für die Lehrer.

Es gibt immer gute Gründe, über bestimmte Themen nachzudenken. Zunächst ist es natürlich die Tatsache, dass viele Menschen gerettet werden könnten, wenn Wiederbelebungsmaßnahmen zeitund fachgerecht angewendet würden. Zum anderen geht es um Gefahrenprävention im Allgemeinen, und es geht um die Förderung sozialer Tugenden, um Nachbarschaftshilfe, um Mitverantwortung, und es geht darum, dass Hessen, Bayern, Saarland, Berlin und einige Schulen in Hamburg diese Art von Projekten bereits erfolgreich durchführen und wir nicht, und nicht zuletzt geht es darum, ein Projekt des Bundesinnenministeriums aufzugreifen, das von 2005 an Projekte dieser Art finanziell fördert.

(Vizepräsidentin D r. M a t h e s übernimmt den Vorsitz.)

Jährlich, meine Damen und Herren, verunglücken in Deutschland nahezu neun Millionen Menschen, 4,6 Millionen davon im Heim- und Freizeitbereich, 2,3 Millionen im Beruf, 1,3 Millionen in der Schule, 500 000 im Straßenverkehr. Erste-HilfeKenntnisse sind in der Bevölkerung erschreckend niedrig. Viele sind nicht in der Lage, erste Hilfe zu leisten.

Einmal ehrlich, meine Damen und Herren, da liegt jetzt die Frage nahe, liege Kollegen, wann haben Sie denn den letzten Erste-Hilfe-Kursus gemacht? Wahrscheinlich zur Führerscheinprüfung! Das ist in den allermeisten Fällen schon einige Jahre her, aber in jedem Fall wahrscheinlich zu lange, denn möglicherweise gehört der eine oder andere in Notsituationen eher zu denen, die mit Unsicherheit und Angst reagieren, etwas falsch zu machen.

Meine Damen und Herren, erste Hilfe ist keine Hexerei, es ist eine erlernbare Fähigkeit. Im Notfall

können wir mit bloßen Händen Sofortmaßnahmen durchführen, und es kommt eigentlich nur darauf an, im entscheidenden Moment eben einen ganz klaren Kopf zu behalten. Eine immer wiederholende Laienausbildung auch an Schulen für Schüler wäre hilfreich, um ein flächendeckendes Erste-Hilfe-Netz entstehen zu lassen. Erste-Hilfe-Ausbildung muss unseres Erachtens in den Schulen verpflichtend angeboten werden, sie sollte ein fester Bestandteil sein. Sie könnte wie beispielsweise im Saarland Bestandteil eines Sachunterrichtes sein. Man kann die Unterrichtseinheiten an den Erwerb des Fahrradführerscheins koppeln, man kann sie in den Schwimmunterricht integrieren. Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten, und wir hätten gern gewusst, welches Konzept Bremen hier vorzeigen kann.

Recherchiert man ein wenig, kann man feststellen, dass sich zahlreiche Bundesländer hier schon Gedanken gemacht haben, in Berlin und Bayern gibt es beispielsweise das Jugendrotkreuz, in Erfurt die Aktion Schulsanitäter. Vom Eintreten der Notfallsituation bis zu den ersten therapeutischen Maßnahmen muss die Zeit kurz gehalten werden. Frühzeitig beginnende, wiederholte, dem Alter angepasste Unterrichtseinheiten für Kinder und Jugendliche können hier wesentliche Fortschritte bringen, damit die Verunsicherung in der Umsetzung der erlernten Maßnahmen nicht so groß ist.

Mehr als 100 000 Menschen sterben im Jahr unter den Zeichen des plötzlichen Herztodes. Viele der Betroffenen, nicht alle, aber viele, könnten gerettet werden, wenn die Wiederbelebungsmaßnahmen zeitund fachgerecht angewendet würden. In Deutschland führen übrigens nur sieben bis elf Prozent der Reanimationen nach Kreislaufstillstand zum Erfolg, in den USA sind es immerhin 30 bis 40 Prozent. Ausreichende erste Hilfe bis zum Eintreffen des Notarztes rettet Leben.

Anonymes Nebeneinander und untätiges Zusehen sind weit verbreitet, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft sind leider eher in den Hintergrund getreten. Beispiele dafür gibt es reichlich, erschütternde Ertrinkungstode, zunehmende Brutalität an Schulen und hilflose Mitschüler, wenn etwas passiert. Traurige Beobachtungen zeigen einfach liegen lassen beziehungsweise wegsehen!

Gegenseitige Hilfe ist notwendig. Soziale Tugenden sind nicht abfragbar, sie müssen gelebt und gelernt werden. Da ist die Hilfsbereitschaft als eine der Tugenden zu erwähnen, die gelebt werden muss, aber dann muss man auch wissen, wie man richtig hilft, denn oftmals ist es auch so, dass die Hilfsbereitschaft da ist und bei Erwachsenen sogar der Erste-HilfeKurs, aber es besteht die Angst, etwas falsch zu machen. Das ist verständlich, denn eine Hilfeleistung erfolgt immer in Stresssituationen, die schnelle und richtige Hilfe erfordern. Erlernen, üben und wiederholen!

Es darf nicht einmalig sein, dass wir zur Führerscheinprüfung in einigen Stunden lernen, wie man erste Hilfe leistet. Das Projekt des Jugendrotkreuzes in Bayern und Berlin ist erfolgreich und beeindruckend, und, meine Damen und Herren, es ist eingegliedert in ein Gesamtkonzept des Themenbereichs Kind und Gesundheit. Da kann ich nur sagen, da wird man als gesundheitspolitische Sprecherin im Grunde neidisch, denn das Konzept ließe ja, meine ich, wie wir kürzlich schon einmal gefordert haben, Gesundheitserziehung in eine Unterrichtseinheit einbringen. Ich erinnere an gesunde Lebensweise, das haben wir hier kürzlich erst diskutiert, vielleicht kombiniert mit Unfallverhütung. Damals haben wir das in dem Zusammenhang mit den zu dicken Kindern erwähnt.

Belehrungen, Gefahrenhinweise und Unfallverhütungsmaßnahmen erweisen sich nicht als ausreichend. Das richtige Helfen muss eben erlernt und vor allem geübt werden. Der Juniorhelfer übt an konkreten Situationen soziale Tugenden ein, Hinwendung in der Notsituation, trösten. Das Kind soll befähigt werden, im Rahmen seiner Möglichkeiten und in Situationen seines Erfahrungsbereiches angemessen Hilfe zu leisten. Ein Juniorhelfer, der im Schulalter das richtige Helfen gelernt hat, wird im Laufe seines Lebens beherzter helfen, als wir es heute bei vielen Erwachsenen erleben.

Betrachten wir allein das Umfeld der Kinder! Kinder sind risikobereit, abenteuerlustig und spontan und daher in einem hohen Maße unfallgefährdet. In Notsituationen sind häufig Freunde und Freundinnen zuerst zur Stelle. Es kann entscheidend sein, wie schnell und sicher hier geholfen wird. Wie bereits erwähnt, 1,3 Millionen Unfälle gibt es jährlich an den Schulen. Die Erste-Hilfe-Handlung an sich ist wichtig, aber natürlich vielleicht schon die Tatsache, wie professionelle Hilfe herbeigeholt werden muss. Aktion Jugendrotkreuz oder Aktion Schulsanitäter sind gute Beispiele für bürgerschaftliches Engagement. Das ist übrigens O-Ton unseres Bundesinnenministers Schily in Erfurt im Mai 2003. Bei Kindern lässt sich besonders gut eine große Akzeptanz bei der Vermittlung von Selbsthilfeinhalten erreichen. Das muss genutzt werden.

Ein gutes Beispiel noch zum Schluss ist die Hilfe bei Schocksituationen. Es ist doch oft so, dass der Verletzte durch eine Schocksituation in einen sehr schlechten Allgemeinzustand gerät, der sich mit zunehmender Dauer in der Regel auch noch verschlechtern kann. Oft wird das Leben des Unfallverletzten nicht durch die Verletzung selbst wie zum Beispiel bei Knochenbruch, sondern durch den ausgelösten Schock gefährdet. Frühzeitige und richtige Hilfe am Notfallort kann dem Schock wirksam entgegnen.

Meine Damen und Herren, erste Hilfe an Schulen für Kinder und Jugendliche umfasst mehr Themen als nur Hilfe in Notsituationen. Sie berührt soziale

Tugenden, Nachbarschaftshilfe, Mitverantwortung und vieles mehr. Wir bitten den Senat, entsprechende Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel einer möglichst breiten Akzeptanz in der Bevölkerung, bei Lehrern, Eltern und Schülern einzuleiten. – Danke!

(Beifall bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Brumma.