Protokoll der Sitzung vom 16.03.2005

Die Art und Weise, wie Sie Ihre Sparpolitik angegangen sind, schadet der demokratischen Kultur, ist chaotisch und unsozial und schadet so, wie Sie es anfangen, auch der Zukunft Bremens.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Linnert, Ihre Bemerkung von den einsamen Männern hat mich getroffen, aber sonst eigentlich nichts aus Ihrer Rede, allenfalls noch, dass Sie zur Verunsicherung beitragen wollen. Der Punkt mit der Investitionsförderung für Pflegeeinrichtungen ist völlig falsch, wie Sie das hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Wie sollen denn die 25 Millionen zustande kommen?)

Es gibt dazu keine Beschlussfassung, sondern eine Verabredung, die lautet, wir wollen uns anschauen, was andere Bundesländer, andere Städte machen, und dann werden wir entscheiden. Nichts anderes ist beschlossen worden, Frau Linnert! Frau Linnert, zum Koalitionsausschuss! Ich bin nicht dafür, dass er inflationär tagt. Koalitionsausschüsse gibt es in jeder Koalitionsregierung, übrigens auch bei der rotgrünen Bundesregierung in Berlin, und Koalitionsausschüsse hat es auch in der Ampelkoalition gegeben. Er hat damals übrigens wöchentlich getagt, und ich bin nicht dafür, dass die große Koalition sich das zum Vorbild nimmt, das sage ich Ihnen ganz offen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Frau Linnert, nächster Punkt: Sie haben in Ihrer Rede viel zu wenig von der dramatischen Lage gesprochen, in der sich Bremen befindet,

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das erzählen wir Ihnen doch seit Jahren!) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. um es einmal klar zu sagen. Ich glaube nicht, dass die große Koalition in Bremen ein Problem hat. Ich glaube, dass Bremen ein Problem hat, das wir gemeinsam lösen müssen. (Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Mit der großen Koalition!)

Ich sage Ihnen, jede denkbare andere Regierungskoalition müsste sich mit dieser Herausforderung auseinander setzen. Es ist nur das Privileg der Opposition, das es Ihnen möglich macht, hier eine solche Rede zu halten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der Rechnungshof hat es uns doch gestern noch einmal vorgestellt. Wir wussten es, aber es ist heute auch noch einmal schwarz auf weiß für alle zu lesen, wie dramatisch die bremische Haushaltslage ist.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Wurde doch immer bestritten!)

Ich wiederhole die Zahlen nicht noch einmal, ich sage nur, der bremische Haushalt droht von Schulden und von Zinsen erdrosselt zu werden. Bremen befindet sich in einer existenzbedrohenden Haushaltskrise. Das ist die bittere Wahrheit!

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Wer hat denn zehn Jahre re- giert!)

Die Wahrheit heißt auch, Frau Stahmann, aus dieser Haushaltsnotlage können wir uns nicht allein befreien. Man kann in einem Vier-Milliarden-Haushalt nicht 500 Millionen Euro oder eine Milliarde Euro einsparen. Wir wissen, wir brauchen Veränderungen in den Bund-Länder-Beziehungen über Verhandlungen, möglicherweise über eine Klage beim Bundesverfassungsgericht, damit Bremen das bekommt, was uns zusteht, nämlich einen gerechten Anteil an den Steuereinnahmen.

Unabhängig davon aber müssen wir das tun, was wir selbst tun können, um die Haushaltskrise zu überwinden, und das heißt vor allem, da wir die Einnahmeseite, das wissen Sie doch auch, nur sehr maßvoll bestimmen können, wir müssen unsere Ausgaben reduzieren, wo dies möglich ist und, das füge ich ausdrücklich hinzu, wo dies politisch und sozial verantwortbar ist. Das ist der Maßstab für Sparpolitik. Sparpolitik darf nicht technokratisch daherkommen, und der mittlerweile berühmte, früher kannte den Begriff niemand, ausgeglichene Primärsaldo oder Primärhaushalt darf kein Fetisch werden. Das ist kein Politikersatz, das sage ich Ihnen auch ganz deutlich.

Genausowenig ist Benchmarking mit anderen Großstädten kein Politikersatz. Sie haben ein gutes Beispiel dafür angeführt: Kloster Blankenburg. Wir sind stolz darauf, dass unsere Behinderten nicht mehr so untergebracht sind, wie es damals der Fall war, und das muss in ein Benchmarking immer einfließen, und es ist eine politische Entscheidung, ob man zu dieser damaligen Entscheidung steht oder nicht. Ich stehe dazu, um das einmal deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Wo wollen Sie die 45 Millionen hernehmen?)

Frau Linnert, auch unter ganz harten Sparbedingungen, unter denen wir uns befinden, muss klar sein, ich habe es beim letzten Mal gesagt, und ich wiederhole es, wir machen das Bundesland Bremen nicht zur grauen Maus, denn das wäre das Gegenteil von Zukunftssicherung in Deutschland. Bremen und Bremerhaven sollen lebendige, attraktive Städte sein, in denen man gern lebt, und wir wollen auf wichtigen Zukunftsfeldern wie Kinderbetreuung, Bildung, Ausbildung, Wissenschaft nicht unter Durchschnitt sein, da wollen wir vorn sein.

(Beifall bei der SPD)

Frau Linnert, ich behaupte, dem Koalitionsausschuss ist es gelungen, auch solche Schwerpunkte zu setzen. In dem Beschluss des Koalitionsausschusses steht der Satz, ich zitiere: „Die gegenwärtigen Qualitäts- und Versorgungsstandards im KTH-Bereich werden sichergestellt.“ Dieser Satz ist uns ganz wichtig, für uns Sozialdemokraten vielleicht der wichtigste Satz in diesem Koalitionsausschussbeschluss. Seien Sie ganz sicher, wir werden darauf achten, dass dieses gemeinsame Ziel der Koalition auch eingehalten wird, und zwar ohne jeden Abstrich, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Die Koalition hat sich zum Ausbau der Betreuungsangebote für die Null- bis Dreijährigen bekannt. Bremen ist trotz seiner Haushaltsnotlage bei der großen gesellschaftspolitischen Herausforderung dabei, in dem Bereich Kinderbetreuung das Angebot zu verbessern. Das ist doch ein gutes und ein wichtiges Signal.

Wir werden im Bildungsbereich trotz unausweichlicher Sparanstrengungen sicherstellen, dass die Entwicklung der Ganztagsschulen vorangeht. Wir haben die Lernmittelfreiheit nicht abgeschafft, weil es hier nicht ums Einsparen geht, sondern um Verbesserungen bei der Qualität der Schulbücher, denn das verlangt die unbestreitbare Priorität von Bildung. Wir haben unseren Koalitionspartner davon überzeugt, dass allgemeine Studiengebühren der falsche

Weg sind. Wir wollen nicht weniger, sondern mehr Studenten. Vor allem wollen wir, dass das Studieren nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir tauchen auch nicht vor der Tatsache ab, dass viele Menschen in Bremen und Bremerhaven Arbeit suchen und keine finden. Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, uns auf ein neues Arbeitsmarktförderungsprogramm zu verständigen mit industriell-gewerblicher Ausrichtung. Das zeigt und unterstreicht, wir werden uns mit der Massenarbeitslosigkeit eben nicht abfinden, meine Damen und Herren.

Es gibt keinen Zweifel, es gibt Bereiche, in denen müssen wir richtig schmerzhaft sparen. Die Einschnitte, die wir beim Personal vornehmen, sind beträchtlich. Wir muten dem Personal individuell einiges zu. Das tut weh, aber auch dazu gibt es leider keine Alternativen. Die Personalkosten sind nun einmal der größte Ausgabenblock in unserem Haushalt, den wir nicht ausnehmen können. Das ist eine weitere bittere Wahrheit. Die Proteste gegen die Kürzungen sind legitim und verständlich. Wenn überhaupt, dann können wir bei den Betroffenen nur dann ein Fünkchen Verständnis für derartige Maßnahmen wecken, wenn wir in unserer Politik der Haushaltskonsolidierung transparent, gerecht und fair vorgehen und wenn wir keinen Bereich privilegieren.

Der Beschluss des Koalitionsausschusses zum Bereich der Sozialleistungen ist uns Sozialdemokraten besonders schwer gefallen und das aus zwei Gründen: Erstens, die Höhe des Sozialhaushalts hat in erster Linie mit der sozialen Lage in Bremen und Bremerhaven zu tun, also mit Massenarbeitslosigkeit, mit Armut, auch mit Pflegebedürftigkeit, und genau das muss man jedem sagen, der mit Blick auf den Sozialhaushalt hier von Geldverschwendung faselt. Das muss man deutlich sagen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Zweitens: Wir sehen, dass Karin Röpke schon gewaltige Sparanstrengungen unternommen hat und immer noch unternimmt, und ich sage hier ganz ausdrücklich, das ist eine große Leistung, die unser aller Respekt verdient, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Gleichwohl kann man angesichts der dramatischen Haushaltslage eben nicht darauf verzichten, auch im Sozialbereich nach weiteren Einsparpotentialen zu suchen. Das ist der Auftrag des Koalitionsausschusses. Ob die Größenordnung von 25 Millionen Euro, die genannt worden ist, tatsächlich bis 2009 eingespart werden kann, muss sich in den nächsten Jah

ren erweisen, und zwar nach genauester Prüfung, wie sie übrigens schon in den Senatsbeschlüssen von Ende November 2004 vereinbart ist.

Karin Röpke will sich dieser Herausforderung stellen. Die SPD-Fraktion wird dabei an der Seite von Karin Röpke stehen, und zwar auch das in zweierlei Weise, nämlich sowohl dann, wenn es darum geht, verantwortbare Einsparungen zu realisieren, als auch dann, wenn es darum geht, nicht zu verantwortende Einsparungen abzuwenden und abzuwehren. Auch das muss man deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, aus der bitteren Notwendigkeit, vielen Menschen in unseren Städten Bremen und Bremerhaven Sparleistungen zuzumuten, folgt auch die Verpflichtung, überall genau hinzusehen und keinen Bereich für sakrosankt zu erklären. Es gab doch etliche, von der Handelskammer bis zu einzelnen Journalisten, die gesagt und geschrieben haben, da darf nichts gemacht werden, die Investitionen müssten in voller Höhe erhalten bleiben.

Wir Sozialdemokraten haben von Anfang an gesagt, wir werden diesen Bereich unserer Ausgaben nicht ausklammern. Wir werden auch da genau hinschauen, und wir haben genau hingeschaut, und nicht nur das, die Koalition hat auch hier gehandelt und gekürzt. Darf ich noch einmal auszugsweise erwähnen: Der Gewerbepark Hansalinie wird auf den ersten Bauabschnitt begrenzt, die Überdachung der Breiten Straße in Vegesack ist gestrichen, Luneort wird später erschlossen, die Westerweiterung des Technologieparks wird es nicht geben, das Innenstadtprogramm Bremen wird reduziert, bei der Wohnraumförderung werden die spezifischen kommunalen Programme eingestellt und so weiter. Die Investitionsausgaben werden damit deutlich abgesenkt. Das ist vertretbar, und das ist politisch richtig.

Ich sage es einmal ganz einfach und zusammenfassend und zum Schluss und nicht nur auf die Investitionen bezogen, sondern zum Beispiel auch mit Blick auf unsere Gesellschaften: Man kann Einsparungen im Sozialbereich, man kann die Streichung des Weihnachtsgeldes bei den Beamten oder anderes, was wir den Menschen zumuten müssen, nur dann politisch rechtfertigen und nur dann politisch verantworten, wenn wir an jeder Stelle des bremischen Haushalts mit aller Sorgfalt mit dem Geld umgehen, und genau das müssen wir beweisen, und genau das werden wir beweisen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Kastendiek.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Linnert, ich war ein bisschen überrascht über die Aktuelle Stunde, weil wir uns eigentlich, so hatte ich die interfraktionelle Verabredung aus der vergangenen Woche verstanden, im Rahmen der Nachtragshaushaltsberatungen auch über dieses ganze Paket der Einsparungen für die zukünftigen Haushalt unterhalten wollen. Vielleicht war das alles nur ein Missverständnis, aber durch Ihre Rede wurde offensichtlich, dass Sie hier ein ziemlich durchsichtiges Manöver fahren. Ihre Vorwürfe zu dem Verfahren Koalitionsausschuss kann ich vielleicht aus Ihrer eigenen Erfahrung, die Sie mit Koalitionsausschusssitzungen in Ihrer Ampelzeit hatten, nachvollziehen. Ich erinnere an einen berühmten Beschluss von vielen, die der Koalitionsausschuss in der Ampelzeit getroffen hat, zum Beispiel im Januar 1995 den Beschluss über den Space-Park. Daher kann ich nachvollziehen, dass Sie Probleme haben mit Koalitionsausschusssitzungen.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch völliger Quatsch! Der Koalitionsausschuss hat sich nie damit be- schäftigt! Das ist die Unwahrheit!)

Ich kann Ihnen aber auch sagen, wie die Wirklichkeit in der Ampelkoalition war. Ich war damals Mitglied der Kulturdeputation. Sie können das nachlesen, im „taz“-Archiv ist alles dokumentiert. Sie haben auch in der Debatte letztes Jahr, als wir über den Misstrauensantrag von Hartmut Perschau gesprochen haben, nicht widersprochen. Also, tun Sie nicht so, als wäre es unwahr! Es ist wahr, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist unwahr! Denken Sie sich nicht solch ein Zeug aus!)

Die Realität, Frau Linnert, sah zum Beispiel in der Kulturdeputation so aus, dass wir – ich weiß nicht, wer von uns von der Kulturdeputation noch dabei ist, einige Langjährige sind noch dabei – wirklich zu Beginn fast jeder Sitzung der Kulturdeputation mit den Beschlüssen der damaligen Koalition konfrontiert worden sind. Die Vertreter der Koalitionsfraktionen haben damals gesagt, das haben wir so beschlossen, damit aus. Das war die Realität der Ampelkoalition von 1991 bis 1995. Tun Sie jetzt nicht so, als wären Sie hier der Gutpolitiker, der hier in der Vergangenheit andere Ansätze gehabt hätte!

(Beifall bei der CDU)

Frau Linnert, wenn Sie über Parlamentarismus sprechen und Sie einmal genau zugehört hätten, dann würden Sie begreifen, dass das, was der Koalitions

ausschuss beschlossen hat an Rahmen – wir haben hier keine Ersatzhaushaltsberatungen gemacht, das war auch überhaupt nicht der Anspruch, das hat auch überhaupt keiner erklärt –, so sind das die Rahmenbedingungen für die Eckwerteaufstellung des Senats für den Doppelhaushalt 2006/2007. Das ist erst einmal eine Angelegenheit des Senats. Da hat das Parlament formal noch keine Betroffenheit.

(Abg. Frau L i n n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber der Koalitionsausschuss tagt seit Tagen!)