Man muss den Bürgern auch deutlich sagen: Ihr bekommt zukünftig einen Stimmzettel, der diese Ausmaße haben wird. Er wird sehr groß sein, es werden alle Kandidaten, die kandidieren, auf diesem Stimmzettel aufgeführt werden mit Namen, Alter, Beruf und Adresse. Alles steht auf diesem Stimmzettel, und dann haben sie 500, 600 Kandidaten auf einem Stimmzettel und dürfen bei diesen 600 Kandidaten fünf Kreuze machen. Ob das jetzt wirklich so viel mehr Demokratie ist, mag ich einmal in Frage stellen!
Sie bekommen Probleme, die man natürlich auch lösen kann. Ich will nicht sagen, dass man das nicht alles lösen kann, aber Sie müssen es mit bedenken. Sie haben sehr umfangreiche Heilungsvorschriften. Was passiert, wenn jemand sich verzählt und statt fünf Kreuzen sechs macht? Ist der ganze Stimmzettel ungültig, oder werte ich fünf Kreuze und nur das sechste nicht? Ich sage Ihnen, wir haben da teilweise abenteuerliche Sachen aus anderen Bundesländern gehört, die für mein Verständnis sehr erstaunlich waren, wie ein Stimmzettel auf einmal gewertet wird, wobei ich mir denke: Dann möchte ich bitte auch derjenige sein, der auszählt, denn dann ist die Chance größer, dass die Stimmzettel auch so gewertet werden. Da muss man schon noch einmal das eine oder andere Fragezeichen daran setzen.
Das größte Problem, das ich darin allerdings sehe, ist, dass wir zukünftig in Bremen nicht mehr Programme und Inhalte wählen, sondern vielleicht stärker Personen, dass wir stärker danach schauen, wer denn sympathisch ist. Vielleicht kann ein Fußballspieler von Werder Bremen zukünftig mehr Stimmen als Frau Linnert bekommen. Ich weiß nicht, ob das jetzt dem Niveau des Parlaments nicht schaden wird.
Ich möchte es aber zumindest einmal sagen, dass man das hier einmal in Frage stellen möchte, da ich hier Frau Linnert ja auf keinen Fall vermissen möchte.
Ich glaube, es ist eben das eine, was mit Sympathie zu tun hat, und das andere, was vielleicht mit Kompetenz zu tun hat,
(Bürgermeister R ö w e k a m p: Solange Sie keinen Fußball spielen, ist das in Ord- nung! – Heiterkeit)
Ich schaue mir also an: Welche Chancen habe ich mit einem anderen Wahlrecht? Was kann ich den Wählern damit geben? Kann ich ihn stärker beteiligen? Kann ich die Hoffnungen, die ja geweckt werden, damit wirklich erfüllen? Das ist die eine Seite. Da kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Ich will nicht sagen, dass die Argumente von Herrn Dr. Güldner und von Herrn Wedler nichts wert sind. Ich finde, die Argumente sind auf jeden Fall zu beachten, und es gibt viele Chancen mit einem solchen Wahlrecht, das will ich auch nicht klein reden. Ich muss auf der anderen Seite aber auch die Risiken sehen, die ich damit hätte und durch dieses Wahlrecht einführe. Ich denke, Herr Dr. Güldner und Herr Wedler, die können Sie auch nicht einfach wegreden. Wir bekämen das Problem hier in der Stadt Bremen, dass wir ein Auseinanderbrechen zwischen Stadtbürgerschaft und Landtag haben würden. Das würde de facto so sein.
(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das haben wir jetzt auch schon! Was ist denn mit Frau Wargalla?)
Sie werden die Realunion, die schon jetzt durch die Einführung des Wahlrechts für ausländische Unionsbürger etwas tönern geworden ist, noch verstärken. Dann stellt sich die Frage: Wollen Sie wirklich hier in Bremen vertreten, dass wir in einem Bundesland, das vor enormen finanziellen Problemen steht, noch zusätzlich eine kommunale Ebene einführen, so dass wir hier nicht nur die Stadtbürgerschaft, sondern auch einen Magistrat mit den damit verbundenen Kosten wählen? Ich glaube, das können wir nicht vertreten. Deshalb muss man diese Risiken sehr deutlich sehen und sie auch sehr deutlich abwägen.
Sie dürfen auch nicht vergessen: Wenn die ausländischen Unionsbürger auf dem Wahlzettel für den Landtag stehen und nur für die Stadtbürgerschaft wählbar sind, aber jetzt als Person und nicht als Partei, dass Sie das Problem bekommen werden, dass europäische Unionsbürger zukünftig vor dem Europäischen Gerichtshof klagen werden, dass sie diskriminiert werden. Die Gefahr ist de facto vorhanden, und das können Sie nicht ausschließen. Das könnte das gesamte Wahlrecht, wie es hier in Bremen besteht, auf den Kopf stellen und damit auch die Realunion zwischen Stadt und Land, die ein wesentlicher Bestandteil auch im Kampf um die Selbständigkeit Bremens ist.
Diese Risiken können Sie nicht wegreden. Sie sind vorhanden, und dann muss man eine Abwägung treffen: Will man diese Risiken eingehen, weil man so viel Nutzen davon hat, oder will man diese Risiken nicht eingehen? Wir haben das als große Koalition abgewogen und entschieden, dass uns die
Risiken im Vergleich zu den politischen Nutzen für die Wählerinnen und Wähler zu gering sind, und auf dieser Basis haben wir diese Entscheidung getroffen.
Ich möchte auch noch einmal ganz deutlich sagen: Worüber wir hier debattieren, ist ein Wahlrechtsverfahren. Es ist ein formales Verfahren, das wir diskutieren, und auch wenn Sie sagen – ich glaube, Herr Dr. Güldner war es –, mehr Auswahl, mehr Demokratie, aber wenn Sie die Wahl zwischen Pest und Cholera haben, führt das nicht automatisch zu mehr Demokratie! Deshalb sollten Sie schon genau schauen, dass wir hier über ein Wahlsystem und nicht über Inhalte reden. Ich glaube, es führt dazu, dass wir einfach versuchen, den Bürgern etwas darzubieten und zu sagen, ihr habt dann mehr Chancen und alles wird besser, obwohl es de facto sicherlich nicht durch ein verändertes Wahlsystem zu erreichen sein wird. Wir sollten uns vielleicht die eine oder andere Zeit dafür nehmen, mehr über Inhalte, Programme und Veränderungen und nicht nur über die formalen Punkte zu diskutieren, die meines Erachtens für den Bürger nichts an Mehrgewinn bringen werden.
Ich glaube auch, und ich meine, das haben Sie ja gesagt, und das war ja auch die Initiative von „Mehr Demokratie e. V.“, es sollte der Parteieinfluss geschmälert werden. Jetzt müssen Sie sich in Ihrer Partei profilieren, um auf einen guten Listenplatz zu kommen, um zukünftig in die Bürgerschaft kommen zu können. Die Initiative „Mehr Demokratie e. V.“ wollte, dass Sie sich zukünftig gegenüber dem Wähler besser profilieren und direkt in die Bürgerschaft einziehen können. Das Auszählverfahren, Herr Wedler und Herr Dr. Güldner, das Sie vorgesehen haben, stärkt aber genauso den Einfluss der Parteien wie vorher, denn die ersten Listenplätze werden wieder reinweg von den Parteien vergeben, und je mehr eben die Liste ankreuzen, desto mehr gehen direkt hin. Wenn Frau Linnert also keine einzige Stimme bekäme, würde sie trotzdem in der nächsten Bürgerschaft sitzen, weil sie wahrscheinlich von ihrer Partei auf Listenplatz eins gewählt wird. Daher ist das mit „Mehr Demokratie e. V.“ in diesem Bereich vielleicht auch noch einmal zu hinterfragen.
Wir haben in diesem Ausschuss die verschiedenen Punkte richtig und gut diskutiert, die Argumente ausgetauscht und sehr viel auch dazu beigetragen, dass man sich noch einmal deutlich vor Augen geführt hat, wie der verfassungsrechtliche Rahmen hier in Bremen ist und welche Verfassungstradition auch in Bremen dahintersteht, dass es sowohl Pro- als auch Kontraargumente zu einer Wahl
rechtsnovellierung gibt, wie man eine Abwägung treffen kann. Diese Abwägung haben wir in der Opposition und in der Koalition unterschiedlich getroffen, und ich finde es ehrlich gesagt völlig richtig: Wir haben die Argumente ausgetauscht, letztendlich soll jetzt der Wähler darüber entscheiden.
Dann geben wir das Ganze in einen Volksentscheid, ich finde es richtig. Der Wähler kann die Argumente, die wir in diesem Ausschussbericht alle dargelegt haben, abwägen und dann entscheiden, was er möchte, und selbstverständlich werden wir als CDU-Fraktion uns danach richten, wie der Wähler entschieden hat. Das halte ich für ein gutes Verfahren.
Wir haben uns hier ausgetauscht, und deshalb bin ich gespannt und freue mich auch auf eine Auseinandersetzung, die wir auch mit „Mehr Demokratie e. V.“ und anderen Initiativen in diesem Bereich haben werden. Es gilt wie immer: Das letzte Wort hat der Wähler. – Danke!
Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man hat als Vertreter der Opposition nicht selten die Möglichkeit, aber ich will es mir auf keinen Fall verkneifen, hier an dieser Stelle zu sagen: Ich finde es schon bemerkenswert, wie die beiden Regierungsfraktionen hier wirklich nur die Risiken, Probleme, die Schwierigkeiten, die Bedenkenträgerei nach vorn schieben, statt einfach einmal nach vorn zu gehen und die Chancen zu sehen, die so eine Möglichkeit bietet, nämlich einmal konstruktiv zu sein und zu sagen: Wir probieren es einfach einmal aus und stellen unsere Schwierigkeiten, Risiken und Bedenken gegen diesen Vorschlag, diese Reform in Bremen einfach einmal zurück. Das könnten Sie an dieser Stelle ruhig einmal tun!
Ich möchte gern auf die konkreten Punkte eingehen, und zwar möchte ich nicht die Position der Grünen zitieren, die Sie vorhin gehört haben, sondern Sie beide noch einmal daran erinnern, was in diesem Abschlussbericht des Wahlrechtsausschusses steht. Schließlich haben Sie ihn selbst mit abgestimmt. Nehmen wir nur einmal den Punkt mit der Wahlbeteiligung, den Sie beide angeführt haben! Zu der Frage der Wahlbeteiligung steht in un––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
serem gemeinsamen Abschlussbericht, dem Sie zugestimmt haben, Folgendes, ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren: „Die Referenten waren sich einig, dass die Wahlbeteiligung nicht vom Wahlrecht abhängig ist. Aus der Wahlbeteiligung lasse sich nicht schließen, ob das Wahlrecht angenommen werde. Vielmehr sei die Wertigkeit der Wahl in den Augen der Wählerinnen und Wähler maßgeblich für die Wahlbeteiligung.“
Das spricht natürlich dagegen, so wie es hier in dem Bericht abgefasst worden ist, dass wir hierher gehen und sagen, wenn wir dieses Wahlrecht einführen, sinkt die Wahlbeteiligung. Das Gegenteil haben wir festgestellt: Wir haben festgestellt, dass es keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Dingen gibt. Sie wissen auch, dass in Bundesländern, wo das Kommunalwahlrecht traditionell ein sehr viel komplizierteres als das ist, was die Grünen und die FDP hier vorgeschlagen haben, wie in Bayern und Baden-Württemberg, die Wahlbeteiligung sehr hoch ist. Auch das haben wir im Ausschuss gemeinsam festgestellt.
Zum zweiten Punkt, den Sie angeführt haben, den ungültigen Stimmen! Dazu steht in diesem gemeinsamen Abschlussbericht des Ausschusses Folgendes, ich zitiere wieder mit Genehmigung des Präsidenten: „Überwiegend wurde jedoch die Auffassung vertreten, dass der Anteil der ungültigen Stimmen nicht im Zusammenhang mit dem Wahlsystem beziehungsweise mit dessen Kompliziertheit gesehen werden konnte.“ Da möchte ich dann doch bitte auch die Vorsitzende des Ausschusses bitten, diesen Abschlussbericht, den sie selbst unterschrieben hat, insoweit ernst zu nehmen, als dass die Argumentation, die darin steht, hier auch wiedergegeben wird, meine Damen und Herren.
Vielleicht ist es vielmehr ein ganz kleiner Absatz in diesem Abschlussbericht – die allerwenigsten werden ihn so gründlich gelesen haben, nämlich der zweite Absatz auf Seite 15, mit nur drei Zeilen –, der letztendlich den Ausschlag für das Stimmverhalten oder das Verhalten im Ausschuss gegeben hat. Ich darf auch diesen kleinen Absatz aus dem Abschlussbericht des Ausschusses zitieren. Er heißt: „Weiter waren sich die Referenten darin einig, dass die großen Parteien durch die Möglichkeit des Panaschierens mehr Stimmen verlieren als sie hinzugewinnen. Gewinner des Panaschierens sind die kleinen Parteien und Wählervereinigungen.“
Vielleicht, mit diesem kleinen Absatz und diesen drei Zeilen, ist der Grund für die Ablehnung auf den Punkt gebracht, meine Damen und Herren. Vielleicht hätten Sie es auch einmal so sagen können, dass Sie hier Bedenken haben, anstatt so viele Girlanden zu drehen! Letztendlich ist das ein Grund, man kann es verstehen, und ich finde, wir
haben uns ja darauf geeinigt: Die Wählerinnen und Wähler entscheiden darüber, ob sie diesen Grund akzeptieren oder nicht. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will Sie nicht aufklären, ich hoffe, Sie sind aufgeklärt. Woher die Stimmen kommen, haben Sie ja eben gehört, das Zitat war zutreffend. Insofern kann ich das hier nur noch einmal wiederholen.
Ich möchte noch einen Punkt hier erwähnen, den Herr Dr. Güldner eben so nicht betont hat, nämlich die Mandatsrelevanz. Darüber haben wir ja auch gesprochen. Die Mandatsrelevanz des Kumulierens und Panaschierens war so, dass das bei den kleineren und mittleren Gemeinden durchaus relevant war, während es bei den größeren und bei den Städten nicht ganz so relevant war. Da sind zwar die hinteren Plätze nach vorn gewählt worden, aber ganz vorn bei den Mandaten sind nicht so viele gelandet. Da sind die Aussagen heterogen, das wollte ich hier noch einmal betonen, nicht dass Sie hier meinen, das hätte überhaupt keine Relevanz. Deswegen haben wir ja versucht, durch das Auszählverfahren das so zu verändern, dass es eine größere Relevanz hat.
Jetzt noch ein weiterer Punkt, und damit will ich auch schon schließen: Sie haben auf die besonderen Risiken des Kumulierens und Panaschierens im Zusammenhang mit dem EU-Wahlrecht hier aufmerksam gemacht. Das jetzige System, das wir in Bremen haben – Bremerhaven nicht, Bremerhaven ist außen vor, weil da sauber getrennt werden kann –, hier in Bremen ist es jetzt schon hochproblematisch, das haben wir im Ausschuss auch gelernt und gehört, das haben die Gutachter uns vorgeführt, das wird, denke ich, durch ein Kumulieren und Panaschieren nicht noch zusätzlich komplizierter, als es jetzt schon ist. Wenn irgendjemand einmal dagegen klagen sollte, das ist die Befürchtung, die ich aus dem Ausschuss mitgenommen habe, dann kann es sehr wohl so sein, dass das von der EU her, von der europäischen Gerichtsbarkeit her, in Frage gestellt wird. Da sollten wir sehr vorsichtig sein. Ich glaube, es ist so, wie Dr. Güldner gesagt hat. Wir sollten nicht die Risiken in den Vordergrund stellen, sondern eher die positiven Aspekte sehen. – Vielen Dank!
Wer das Gesetz zur Änderung des Bremischen Wahlgesetzes aufgrund des Vorschlags der Initiative „Mehr Demokratie e. V.“, Drucksache 16/863, in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!