Protokoll der Sitzung vom 22.03.2006

Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung der Sitzung 12.55 Uhr)

Vizepräsident Ravens eröffnet die Sitzung wieder um 14.30 Uhr.

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Land- tag) ist wieder eröffnet.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Gruppe türkischer Rentnerinnen und Rentner sowie eine Schülergruppe eines Arbeitslehreprojektes der zehnten Klassen des Schulzentrums Johann Heinrich Pestalozzi aus Gröpelingen. Herzlich willkommen in unserem Hause!

(Beifall)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Karl Uwe Oppermann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich hoffe, unsere Kolleginnen und Kollegen sind nicht im Schnee stecken geblieben! Der Saal füllt sich noch.

Wir haben heute das Thema „Demographischer Wandel“. Das ist nichts Neues, meine Damen und Herren, demographischen Wandel hat es gegeben, seit es Menschen gibt. Wir haben nur einen ganz besonderen demographischen Wandel zurzeit, nämlich dass wir glücklicherweise, und ich hoffe, Sie alle, gesund und viel älter werden als unsere Vorfahren und dass der Stamm der Bevölkerung an seinen Wurzeln etwas kleiner wird, weniger Kinder. Im Moment wird über das Thema demographischer Wandel in allen Medien ausgiebig berichtet, und dazu gibt es von einem Berliner Institut eine Karte mit der Geburtenrate der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland und der Zukunftsfähigkeit von Regionen. Das hängt natürlich miteinander zusammen, das haben ja meine Vorredner zum Teil auch schon gesagt. Wenn man die Karte betrachtet, dann muss einem das Sorgen machen. Demographischer Wandel und Wirtschaftswachstum sind natürlich etwas anderes, hängen aber auch irgendwie miteinander zusammen.

Auch die Politiker in Berlin haben den demographischen Wandel als Thema erkannt. Der Bundespräsident hat in einer Sonntagsrede die Bundesre

gierung gelobt für ihre familienpolitischen Ansätze, die Bundeskanzlerin fordert beitragsfreie Kindergartenjahre, und der Finanzminister Steinbrück hat auch gleich einen Finanzierungsvorschlag gemacht. Ob solche Vorschläge aber ausreichen, um die Geburtenrate wieder in die Höhe zu treiben, das wage ich zu bezweifeln.

Wir haben in der Geburtenrate den niedrigsten Stand seit 1946, und einige Städte, auch das konnte man im „Weser-Kurier“ lesen, haben einen Wandel bekommen, sie haben die Geburtenrate erhöht. Bremen gehört leider nicht dazu. Wir haben zwar einen Bevölkerungsgewinn, aber nicht durch Geburten, sondern durch Fernzuzug. Ich glaube, es ist gestern gesagt worden, es ziehen mehr Menschen von Bayern nach Bremen als umgekehrt, das muss uns eigentlich stolz machen.

Sorgen machen muss man sich natürlich, wenn man auf dieser Karte bei den Zukunftschancen sieht, dass Bremerhaven von acht möglichen Plätzen den vorletzten hat. Ich hoffe nur, das ist an die Bremerhavener gerichtet, dass diese wunderbaren Sachen, die wir jetzt in Bremerhaven gemeinsam anpacken, bei den Befragungen noch nicht da waren und dass der Trend eigentlich schon umgekehrt ist, dass Bremerhaven da auch zukunftsfähig nach vorn kommt.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Möglicherweise müssen wir uns damit abfinden, das mag für einige schwierig sein, dass wir den Bevölkerungsschwund mit Zuwanderung abfedern müssen. Dazu gehört aber eine beherzte Integrationspolitik, damit die Kinder der Zuwanderer bessere Chancen auf eine Karriere in Bremerhaven im Berufsleben haben. Wir brauchen sie künftig als Leistungsträger, nicht als Leistungsempfänger. Mit der Sprachkompetenzprüfung in den KiTas haben wir einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan, denn für uns alle ist klar: Die richtige Integration geht nur über die Sprachkompetenz, über das Verstehen. Unser jährlicher Integrationsbericht für Bremen und Bremerhaven zeigt, dass wir diesen Weg beherzt angegangen sind. Das ist noch nicht überall richtig angekommen, aber ich denke, wir sind da auf einem guten Weg, und dieser Bericht zeigt, dass wir da von Jahr zu Jahr weiter nach vorn kommen.

Meine Damen und Herren, wir alle kennen den rasanten Anstieg der Lebenserwartung in unserem Lande. Ein Kind, das heute geboren wird, hat gute Chancen, 100 Jahre alt zu werden, vorausgesetzt, es lebt gesund in allen Facetten. Wir hatten hier ja auch die Debatte über die dicken, bewegungslosen Kinder, die Frau Mohr-Lüllmann beschrieben hat, das ist sicherlich auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Wer sich nicht bewegt und wer sich falsch ernährt, der hat keine Chancen, 100 Jahre alt zu werden, das muss man denen dann immer wieder einbläuen.

Alter bedeutet nicht zwangsläufig Pflegebedürftigkeit, aber mit jedem Lebensjahr, das man zulegt, steigt die Gefahr, dass man ein Pflegefall wird, insbesondere dass man dementiell erkrankt. Darauf sind wir, glaube ich, noch nicht gut genug vorbereitet, dass das auf uns zukommen wird. Wir werden stationäre Pflegeheime auch in der Zukunft brauchen. Vielleicht wird die Belegungszeit kürzer, wenn es uns gelingt, wirklich mit den Mitteln, die wir anstreben, in Bremen und Bremerhaven ambulante, teilstationäre und dann zum Schluss, wenn es nicht mehr anders geht, stationäre Betreuung anzubieten. Dazu brauchen wir ein vielseitiges Programm, und wir müssen Hebel in Bewegung setzen, um stationäre Unterbringung und Pflege auf ein Minimum zu begrenzen. Wir haben in Bremen und Bremerhaven gute Ansätze in der offenen Altenhilfe, aber wir müssen noch mehr machen, Dienstleistungszentren, Begegnungsstätten und Tagesstätten allein reichen da nicht aus. Das Ehrenamt ist hier in der Zukunft auch sehr gefragt.

In der Frage 15 wird der Senat nach seiner Einschätzung des Bielefelder Modells gefragt. Da kann ich nur fragen: Warum denn in die Ferne schweifen? Wir haben ebenso gute Modelle in Bremen. Die Gewosie in Bremen-Nord arbeitet mit einem privaten Krankenpflegeinstitut zusammen, das dafür sorgt, dass die Menschen die restlichen Tage ihres Lebens in ihren Wohnungen verbringen können. Die Gewosie macht Umbauarbeiten und hat festgestellt, das zahlt sich aus, meine Kolleginnen und Kollegen. Wenn die Menschen länger in ihren Wohnungen bleiben können, gibt es keine Leerstände, und eine Wohnung, die behindertengerecht und barrierefrei umgebaut ist, ist auf dem Markt auch viel besser zu vermieten als eine Wohnung, die Barrieren enthält.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Diese Ansätze gibt es überall in Bremen, und andere Wohnungsbaugesellschaften ziehen da auch nach.

Problematischer ist es im Altbaubestand. Ich sage jetzt einmal, die vordere Neustadt, der Bremer Westen. Bei mir würde das Problem schon bestehen, weil meine Haustür fünf Stufen hoch liegt. Das gibt meiner Bewegungsfähigkeit im Alter schon eine schwere Hürde, und möglicherweise werden wir dazu kommen, dass auch immer mehr Ältere umziehen müssen, weil ihnen ihre eigene Wohnung Grenzen setzt, obwohl sie noch rüstig sind, aber ihre eigene Wohnung ihnen Barrieren aufbaut, die sie nicht überwinden können. Ich erinnere nur an diese fünf Stufen und die steilen Treppen, die es in diesen Häusern gibt.

Die Musterwohnung Komfort am Haferkamp sollten Sie sich einmal anschauen. Sie zeigt Ihnen ganz deutlich, wie Sie sich das Leben im Alter bequemer machen können. Dort werden viele verschiedene Beispiele aufgeführt, wie man im Alter in seiner Wohnung, auch mit leichten Einschränkungen, immer noch gut zurecht kommt, und der Akzent Wohnen, der in

der Antwort aufgeführt wird, ist, glaube ich, gerade im Bereich der behinderten Mitbürgerinnen und Mitbürger eine ganz tolle Geschichte, die wir hier in Bremen haben, die auch dazu führt, dass die Menschen in Gruppen zusammenleben können, aber Heimunterbringung weitgehend vermieden werden kann. Ich weiß, dass auch die Wohlfahrtsverbände die Zeichen der Zeit erkannt haben und dort umstrukturieren, und sie wollen ja ihre Dienste dort auch in Zukunft anbieten können.

Wie will man aber eine alternde Stadt – und jetzt meine ich nicht, dass Bremen eine alte Stadt ist, das ist sehr schön, sondern dass die Mitbürger, die Einwohner immer älter werden – auch für junge Menschen attraktiv erhalten? Das ist ein Problem. Die Kolleginnen und Kollegen, die über Wohnungsbau gesprochen haben, haben schon das eine oder andere angesprochen. Wir beobachten heute, dass Familien sich auch austauschen. Das Haus auf dem Land wird irgendwann von den Kindern bewohnt, und die Eltern ziehen wieder in die Stadt zurück. Als ich vor einigen Jahren hier zum ersten Mal in der Debatte dazu gesprochen habe, bin ich noch belächelt worden, als ich den Satz sagte: „Pflegen Sie Ihr Rheuma an der Schlachte!“ Mittlerweile ist dieser Trend aber eingekehrt, und die Leute ziehen wieder in die Stadt zurück, weil sie die Annehmlichkeiten und den Komfort der Stadt zu schätzen wissen.

Solange aber der Satz „Kinder bringen Freude und Wärme ins Leben, aber materielle Nachteile bis ins hohe Alter“ Gültigkeit hat, sehe ich nicht, dass die Geburtenrate wieder steigt. Ganze Gesellschaftsgruppen verweigern sich heute, Kinder aufzuziehen. Insbesondere bei der Bildungsschicht ist es nicht schick, Kinder zu haben, neuerdings auch verstärkt bei den Männern, die sich verweigern, Kinder in die Welt zu setzen oder zu zeugen. Es gibt da den Spruch: Männer leben zunehmend in einem Teilzölibat. Den habe ich auf einer Veranstaltung gehört.

(Abg. G r o t h e e r [SPD]: Das ist aber etwas anderes! – Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, wir haben über viele Punkte, die in dieser Debatte angesprochen worden sind, schon einzeln debattiert, wir werden über viele Dinge noch weiter debattieren müssen. Herr Focke hat völlig Recht: Es ist eine Zukunftsaufgabe. Diese Debattenpunkte werden uns immer wieder einholen und erreichen, und wir werden immer wieder neue Möglichkeiten und Anwendungen finden müssen. Wir sind im demographischen Wandel, wir hätten uns vor ein paar Jahren, als wir wie verrückt neue Kindergärten gebaut haben, nicht träumen lassen, dass wir jetzt schon wieder Kindergärten schließen oder umstrukturieren müssen, weil es keine Kinder mehr gibt.

Der demographische Wandel hat uns mit einer großen Deutlichkeit eingeholt. Es wird immer neue

Gebiete der Nachfrage geben, also auch neue Angebote, und die ältere Generation wird zunehmend die Politik bestimmen. Darauf müssen sich die Jüngeren einstellen. Das haben Sie schon heute in Florida. Wenn ich ein Angebot mache, mehr Polizei auf die Straße zu stellen, bekomme ich mehr Stimmen, als wenn ich das Angebot mache, mehr Kindergärten zu bauen. Das ist so bei einer älteren Gesellschaft. Ich empfehle Ihnen da das Buch „Der MethusalemKomplott“. Es wäre schöner, wenn eine Generation nachwachsen würde, die groß genug ist, dafür zu sorgen, dass für uns im Alter nicht nur materiell gesorgt wird, sondern dass Freude und Wärme uns auch bis ins hohe Alter erreichen können.

Ich will noch einmal auf die Karte zurückkommen! Das Paradies in Deutschland liegt nicht im Süden. Im gestrigen „Weser-Kurier“ konnten Sie von einem Professor von Laer aus Vechta lesen, der sagt: „In diesem Gebiet müssen sich spätestens Anfang 30 die Frauen die Frage gefallen lassen, wann denn ihr Nachwuchs kommt.“ Das mag auch mit der Religion dort in der Gegend etwas zu tun haben, aber Vechta und Umgebung haben das höchste Realeinkommen in der Bundesrepublik, sagt der Professor für Wirtschaftspolitik. Der muss es wissen! „Die Menschen haben ein abbezahltes Haus und einen sicheren Job.“ Wenn wir das erreichen, dann bin ich mir bei der Meisterung des demographischen Wandels sicher, dass wir das auch schaffen werden. – Danke schön!

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Bürgermeister Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Oppermann, ich ziehe dennoch nicht nach Vechta!

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Müssen Sie auch nicht!)

Ich bleibe hier!

Der demographische Wandel hat ja in den letzten Tagen und Wochen ziemlich reißerische Überschriften produziert. Ich habe einmal eine mitgebracht: „Es droht Einwanderer-Kannibalismus“ hat hier eine große deutsche Tageszeitung getitelt. Ich halte es da eher mit dem Vizekanzler Franz Müntefering, der einmal gesagt hat: „Demographie ist keine Krankheit.“ Es ist hier schon mehrfach gesagt worden: Es ist ja nicht schlecht, dass wir eine Chance haben, wesentlich älter zu werden als die Generationen vor uns, und weil das nicht schlecht ist, wollen wir auch in Bremen so damit umgehen, dass wir auch eine Stadt der Alten sein werden.

Heute Mittag hat Senatorin Röpke in einer Pressekonferenz eine wunderbare Veranstaltung ange

kündigt, die am Sonntag, 2. April 2006, im Rathaus stattfinden wird: „Bremen alt erleben – ein Nachmittag im alten Bremer Rathaus, für alle, die in Bremen alt werden wollen“. Wir wollen nicht nur zeigen, dass das Bremer Rathaus ein offenes Haus ist – nicht nur für die Nacht der Jugend, sondern auch für den Nachmittag der Alten, wir haben ja nicht gesagt, für die Nacht der Alten –, sondern wir wollen auch zeigen, Bremen ist ein Zuhause für Alt und Jung.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn man sich den Fakten nähert, kann man das, was uns gesagt wird, ja in wenigen Worten zusammenfassen: Wir werden älter, wir werden weniger, und wir werden aufgrund der Migrationsbewegung bunter. Das sind die grundlegenden Tendenzen des demographischen Wandels, und diesen Tendenzen kann sich im Grundsatz keine Kommune entziehen. Wir brauchen also keine Diskussionen darüber, ob wir in der Gesellschaft älter werden, sondern wie wir älter werden und wie wir damit umgehen wollen, dass weniger Kinder geboren werden. Mir ist noch etwas anderes wichtig. Ich glaube, dieser Aspekt ist heute noch nicht angesprochen worden, dass der demographische Wandel eng mit einem gesellschaftlichen, umfassenderen Wandel, gerade in den Ballungszentren, verknüpft ist, und zu denen gehören wir ja. Am augenscheinlichsten ist der gesellschaftliche Wandel an den heute aktuellen Familienstrukturen abzulesen. Die klassische Familie, wenn man sie einmal so bezeichnen will, gerät immer mehr in den Hintergrund. Ein Drittel der in Bremen geborenen Kinder werden in – auch die nenne ich einmal so – ehelose Familien hineingeboren. Losere Formen von Lebensgemeinschaften, Alleinerziehende und Patchworkfamilien gewinnen insbesondere in den urbanen Zentren an Bedeutung. Meine Damen und Herren, die Folgen des demographischen Wandels sind ja gerade für Bremen und Bremerhaven existenziell, zumal in unserem heutigen Finanzverteilungssystem zwischen Bund und Ländern die Einwohnerzahl von überragender Bedeutung ist – wir wissen das –, zum Beispiel bei der Steuerverteilung, bei der Umsatzsteuer. Stadtstaaten wie Bremen reagieren auf dieses System besonders empfindlich, da sich die Konkurrenz mit dem Umland um Einwohner und Arbeitsplätze für uns sofort in finanziellen Folgen niederschlägt. Deshalb, weil das so ist, haben wir zur Bewältigung der Finanz- und Strukturkrise Bremens und zur Gestaltung der Sanierungspolitik ja auch auf eine positive Einwohner- und Arbeitsplatzentwicklung gesetzt und das zu den Hauptzielen der bremischen Sanierungspolitik erklärt. Wir haben damit in den letzten Jahren Erfolge gehabt, und wir wollen das auch so fortsetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Beantwortung der Großen Anfrage ist nicht das Ende der Debatte, sondern stellt einen Zwischenstand dar. In dieser Großen Anfrage ist eine Menge und viel Detailreiches enthalten. Das liegt nicht nur daran, dass der Senat gern viel schreiben wollte, es liegt natürlich auch an den Fragen. In Frage vier ist abgefragt worden, was der demographische Wandel denn für jeden einzelnen Politikbereich bedeuten kann. Da hat natürlich jedes Ressort aufgeschrieben, was unter seinem Blickwinkel wichtig ist. Wenn ich Ihnen erzähle, wie viel Mühe es gemacht hat, die einzelnen Ressortzuarbeiten auf einen Text zu begrenzen, der hier dem Parlament auch wirklich noch mit dem Anspruch vorgelegt wird, dass er auch gelesen werden kann, dann können Sie sich vielleicht auch ausmalen, dass die Fragestellung demographischer Wandel in den Ressorts jedenfalls eine große Rolle spielt und auch angenommen worden ist. Wie gesagt, es ist ein Zwischenstand.

Ich möchte gern noch einmal in fünf knappen Punkten herausstellen, was eigentlich die wesentlichen Herausforderungen für Bremen und Bremerhaven sind. Der erste Punkt: In der Stadt Bremen können wir langfristig mit einer stabilen Einwohnerentwicklung rechnen. Dies ist ohne Zweifel ein großer Erfolg, wenn man sich vor Augen führt, dass bundesweit – darauf ist von Herrn Focke schon hingewiesen worden – nur wenige Großstädte wie Hamburg oder München mit weiter steigenden Einwohnerzahlen rechnen können. Die meisten Großstädte im Westen und vor allem im Osten müssen sich jedoch mit weiter sinkenden Einwohnerzahlen arrangieren. Das bedeutet aber auch, dass wir hier in der Stadt Bremen keine Schrumpfungsdebatte zu führen haben, und es bedeutet, dass wir vor dem Hintergrund der schrumpfenden Gesamtbevölkerung in Deutschland als Stadt Bremen sogar relativ an Gewicht gewinnen.

Der zweite Punkt: Die Stadt Bremerhaven dagegen droht in den nächsten Jahren deutlich weiter an Einwohnern, vor allem im arbeitsfähigen Alter, zu verlieren. Aber auch das ist kein Naturgesetz, und deshalb wollen, müssen und werden wir uns gerade in Bremerhaven einer solchen dramatischen Entwicklung durch eine aktive Politik für Beschäftigung und für mehr Einwohner entgegenstellen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Der dritte Punkt: Das Durchschnittsalter der Bevölkerung wird sich weiter erhöhen. Insbesondere der Anteil der Alten und der sehr Alten wird deutlich steigen und erhebliche Konsequenzen, besonders für den Gesundheitssektor und den Wohnungsmarkt, nach sich ziehen.

Der vierte Punkt: Das Erwerbstätigenpotential im Land Bremen bleibt in etwa stabil, wobei in Bremerhaven eine deutliche Abnahme zu erwarten ist. Innerhalb der Gruppe der Erwerbstätigen ist insgesamt aber eine deutliche Alterung zu erwarten.

Der fünfte Punkt: Die Geburtenzahl stabilisiert sich auf niedrigem Niveau, und der Anteil der Kinder und Jugendlichen wird tendenziell abnehmen, wobei unter dieser Gruppe der Anteil mit Migrantenhintergrund weiter zunehmen wird. Ich glaube, das sind die fünf wesentlichen Punkte, wenn wir, auf den demographischen Wandel bezogen, auf Bremen und Bremerhaven schauen. Das erfordert, meine Damen und Herren, umfassende Konsequenzen für private und öffentliche Angebotsstrukturen, aber auch im Hinblick auf die sich wandelnden Bedarfslagen der Bevölkerung insgesamt.

In der Debatte ist schon einmal gesagt worden, dass der demographische Wandel nichts ist, was wir nur zu erdulden oder zu erleiden hätten, sondern er ist auch eine Chance auf Gestaltung. Diesem Feld muss man sich widmen, wie wir diese Gestaltung betreiben können, und dazu will ich ein paar Punkte nennen.

Der Wohnungsmarkt wird in qualitativer Hinsicht einen ganz erheblichen Anpassungsbedarf haben. Die Wohnangebote der Zukunft müssen noch flexibler und vor allem mobilitäts- und altengerechter werden. Auch müssen sich die Wohnangebote den weiter sinkenden Haushaltsgrößen bei tendenziell weiter steigendem Wohnflächenbedarf pro Person und im Übrigen auch den wachsenden Dienstleistungsansprüchen anpassen. Der Bedarf an seniorenbezogenen Einrichtungen und Infrastrukturen wird steigen, wobei sich die Art der Angebote aufgrund des Umstandes, dass sich die Zielgruppen nicht nur quantitativ vergrößern, sondern sich auch qualitativ erheblich verändern, auch strukturell und inhaltlich weiterentwickeln muss. Um das in einem Satz zusammenzufassen: Die Fünfundsiebzigjährigen von heute haben andere Ansprüche, Bedarfe und Potentiale als die Fünfundsiebzigjährigen vor 30 Jahren.

Im Gesundheitsbereich entsteht ein wachsender Markt und auch ein Bedarf an privaten, unterstützenden Dienstleistungen, und dieser Markt kann sich ja durchaus positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Numerisch sinkende Bedarfe an öffentlichen Angeboten wie beispielsweise im KTH- und Schulbereich müssen nach Überzeugung des Senats dringend genutzt werden, um dort die notwendigen qualitativen Verbesserungen der Angebotsstruktur umzusetzen.