Protokoll der Sitzung vom 12.10.2006

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Endgültige Absage an zwangsweisen Brechmitteleinsatz

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 16. August 2006 (Drucksache 16/1106)

Dazu als Vertreter des Senats Staatsrat Mäurer.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will angesichts der fortgeschrittenen Zeit und auch angesichts der sonstigen Umstände unserer heutigen Sitzung versuchen, das Thema, das wir nun beraten, möglichst kurz und kompakt abzuhandeln.

Auch im Januar 2005 ist in Bremen ein Mensch in staatlicher Obhut zu Tode gekommen, in staatlicher Obhut damals in der Form, dass er festgenommen und in den Polizeigewahrsam gebracht worden ist. Das ist in der Tat eine Form, bei der die staatliche Fürsorge bei jemandem, der sich in diesen Zustand befindet, uneingeschränkt gegeben ist. Weil man versucht hat, möglicherweise verschluckte Drogenpäckchen zu Beweissicherungszwecken aus seinem Körper hinauszubefördern, war er im Polizeigewahrsam gefesselt worden, und man hat mit Brechmittel, Wasser und verschiedenen Methoden versucht, diese mutmaßlichen Drogenpäckchen zutage zu fördern. Er ist durch diese Behandlung zunächst ins Koma gefallen, ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

war klinisch tot und ist einige Tage später dann verstorben.

Gewiss, dieser Mensch, Lai Alama Condé, war kein Sympathieträger, aber er war, meine Damen und Herren, ein Mensch, und dieser Mensch hätte im staatlichen Gewahrsam niemals zu Tode kommen dürfen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dennoch ist es passiert, und es hat dazu geführt, dass sich die Bremische Bürgerschaft und die zuständigen Senatsressorts, das Justizressort federführend – der Staatsrat ist heute da –, das Ressort für Inneres und die zuständigen Deputationen und Ausschüsse dazu entschlossen haben, zunächst vorübergehend den Einsatz der zwangsweisen Brechmittelvergabe auszusetzen.

Im Juli dieses Jahres hat sich nun, und das ist auch ein Fall, der kein Ruhmesblatt für Bremen ist, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die Große Kammer, mit dem Fall der zwangsweisen Brechmittelvergabe in Deutschland auseinandergesetzt, hat diese Praxis auf das Schärfste verurteilt und zurückgewiesen und hat uns eine ganz klare Botschaft aus Straßburg gesendet, dass es sich hier um eine Praxis handelt, die mit den europäischen Menschenrechtserklärungen nicht im Einklang steht, und dass diese Praxis in Deutschland endgültig zu beenden ist. Der Gerichtshof hat Bremen explizit in seinem Urteil genannt.

Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren: „Die Ermittlungen zur Todesursache zum Fall in Bremen 2005 sind noch nicht abgeschlossen. Dem Notarzt und einem ärztlichen Sachverständigen zufolge ist der Betroffene an Sauerstoffmangel bedingt durch das Eindringen von Wasser in die Lunge gestorben. Gegen den Arzt, der das Brechmittel und das Wasser in den Magen des Verdächtigen injiziert hatte, und gegen den assistierenden Notarzt wurde ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet.“

Heute wissen wir, was davon übrig geblieben ist: Gegen den ärztlichen Beweissicherungsdienst ist das Verfahren eröffnet worden, gegen den Notarzt ist es inzwischen eingestellt worden. Dann heißt es in diesem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiter: „Nach dem Todesfall in Bremen hat der Leitende Oberstaatsanwalt von Bremen den Zwangseinsatz von Brechmitteln bis auf Weiteres ausgesetzt.

(Vizepräsidentin D r. M a t h e s über- nimmt den Vorsitz.)

In Erwartung des Untersuchungsausgangs haben die Senatoren für Justiz und Inneres ein neues Verfah

ren eingeführt.“ Dann kommt die Beschreibung des Verfahrens mit der Drogentoilette, auf das wir uns hier geeinigt haben.

Diese Erwähnung in dem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist, wie gesagt, kein Ruhmesblatt für Bremen, und es ist auf der anderen Seite eine Verpflichtung. Hier setzt unser Antrag an, es ist eine Verpflichtung, dass in Bremen auch die Bremische Bürgerschaft, das zuständige Parlament für unser Land, noch einmal unmissverständlich erklärt, dass dieser Einsatz der zwangsweisen Vergabe von Brechmitteln nicht nur vorübergehend ausgesetzt ist, wie dies damals zunächst der Fall war, sondern dass dies ein für allemal im Land Bremen beendet ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Selbst wenn es einen Konsens der beiden Verwaltungen gibt – ich kenne den Schriftwechsel, der dem zugrunde liegt, und begrüße das sehr, dass sich die Ressorts für Justiz und Inneres darauf geeinigt haben, die bisherige Praxis als endgültig beendet anzusehen –, so ist das natürlich kein Ersatz dafür, dass die souveräne Vertretung des Volkes in Bremen, dieses Parlament, hier noch einmal erklärt, dass dieses Parlament davon ausgeht und beschließt, dass diese Praxis, die zum Tode dieses Menschen und die zu einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geführt hat, hier in Bremen ein für allemal beendet werden muss, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Glocke)

Letzter Satz, Frau Präsidentin!

Ich glaube, dass dieser Tote zu denjenigen Fällen gehört, die heute an anderer Stelle immer wieder benannt worden sind. Man muss aus ihm die Konsequenz ziehen, dass die Vorgänge, die dazu geführt haben, dass dieser Mensch gestorben ist, so in Bremen nie wieder vorkommen. Damit sie in Bremen nie wieder vorkommen, müssen wir ein für allemal auf diese inhumane Praxis verzichten, zumal wir im Interesse der polizeilichen Beweissicherung ein Verfahren haben, das adäquat ist, Ergebnisse bringt und seitdem auch laut Eigenbericht des Senats ohne Probleme funktioniert und angewendet wird.

Es gibt also Alternativen dazu, und da es diese Alternativen gibt, darf dieses Verfahren nicht wieder eingesetzt werden. Deswegen dieser Antrag, deswegen ist dieser Antrag auch sinnvoll. Ich bitte Sie, ihm zuzustimmen! – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort hat der Abgeordnete Herderhorst.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es war durchaus in Ordnung, wenn Dr. Güldner hier noch einmal die Historie dieser Angelegenheit geschildert hat. Gleichwohl sage ich, dieser Antrag ist am heutigen Tag und überhaupt überflüssig gewesen, weil er die Dinge, die sich mittlerweile entwickelt haben, konterkariert und den Versuch startet, hier das Thema noch einmal hochzuziehen, obwohl, wie Herr Dr. Güldner eben selbst ausgeführt hat, er weiß, welche Dinge zwischenzeitlich zwischen den zuständigen Ressorts auch schriftlich vereinbart worden sind.

(Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen])

Dazu komme ich gleich noch!

Richtig ist, wir hatten in der Vergangenheit einen Erlass des Senators für Justiz und Verfassung sowie des Senators für Inneres und damit verbunden die ausführenden Organe wie Polizei, Beweissicherung et cetera. Ich betone am Anfang auch ausdrücklich – wie Herr Dr. Güldner –, dass jeder Tote und jeder gesundheitlich Geschädigte in staatlicher Obhut einer zuviel ist und dass sich so etwas eigentlich nicht zutragen darf, in diesen Fällen auch nicht wiederholen darf, auch wenn es sich hier um Straftäter handelt.

Die Untersuchungen über die Ursache des Todes waren sehr langwierig und im Ergebnis auch sehr unterschiedlich. Verschiedene Gutachter haben unterschiedliche Gutachten abgegeben. Unter dem Strich scheint es so, dass hier irgendwo ein Versagen doch stattgefunden hat. Dies ist zu bedauern, es ist aber nicht die Sache des Parlaments, das aufzuklären, sondern gegebenenfalls Sache der Staatsanwaltschaft.

Seit März 2005 haben wir das bisherige Verfahren nicht mehr. Es wurde nach diesem Vorfall schon damals unverzüglich ein Erlass herausgegeben, der nun unter dem Gesichtspunkt dieses Vorfalles die Dienstanweisung beziehungsweise den Erlass neu geregelt hat und zunächst eine Aussetzung des zwangsweisen Brechmitteleinsatzes vorsah. Dieser Erlass des Senators für Justiz und Verfassung, damit auch der Staatsanwaltschaft im Einvernehmen mit dem Senator für Inneres, wurde damals richtigerweise so gefasst, wobei ich aber auch ausdrücklich betonen will, dass vorher durch das Oberlandesgericht und durch das Bundesverfassungsgericht diese Verfahren abgedeckt waren und von daher durchaus als rechtsstaatlich anzusehen waren, und zwar bis zu dem Zeitpunkt im Juli diesen Jahres, als der Europäische Gerichtshof etwas anderes gesagt hat.

Daraufhin musste zwangsläufig gehandelt werden. Es musste wiederum der Erlass zwischen dem Senator für Justiz und Verfassung und dem Senator für In––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

neres geändert werden. Endgültig wurde darin festgelegt, dass es den zwangsweisen Brechmitteleinsatz nicht mehr gibt. Dem ist also so nachgekommen worden, und im Dezember 2005 ist dieser neue Erlass in Kraft getreten, der eine Reihe von Anlagen enthält. In deutscher Gründlichkeit ist dort bis ins letzte Detail geregelt, wie sich die ausführenden Organe jeweils zu verhalten haben und welche Möglichkeiten sie haben oder nicht haben.

Um es kurz zu fassen – ich darf aus den von Herrn Dr. Güldner angesprochenen Schreiben kurz zitieren –, damit noch einmal deutlich wird, wie die Lage im Moment aussieht und wie sie auch voraussichtlich für lange Zeit erst einmal bleiben wird: „Aus meiner Sicht“ – schreibt hier der Senator für Justiz und Verfassung – „kann es keinen Zweifel daran geben, dass die Exkooperation unter Zwang endgültig und nicht nur vorübergehend ausgesetzt ist. Deshalb geht der Antrag der Fraktion der Grünen nach meiner Überzeugung ins Leere. Bereits am 5. Januar 2005 hat der Leitende Oberstaatsanwalt auf Anordnung des Senators für Justiz und Verfassung die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln bis auf Weiteres ausgesetzt.“ Dies ist dann umgesetzt worden in eine endgültige Fassung, die sagt, es findet nicht mehr statt.

Er schreibt weiter: „Da der gemeinsame Erlass zeitlich unbefristet ist, kann von einer vorübergehenden Regelung nicht die Rede sein. Ebenso wenig kann ein Zweifel daran bestehen, dass der Erlass die unseren Ressorts nachgeordneten Bereiche, also Polizei und Staatsanwaltschaft, unmittelbar dergestalt bindet, dass diese gehindert sind, entgegenstehende Regelungen zu erlassen oder eine abweichende Praxis zu betreiben in dieser Angelegenheit.“

Daraufhin hat dann der Senator für Inneres am 12. September 2006 geantwortet, ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren: „Sie führen in Ihrem Brief aus, dass der Antrag nach Ihrer Auffassung ins Leere geht, und begründen dies damit, dass der von unseren Ressorts unter Beteiligung von sachverständigen Fachleuten erarbeitete gültige gemeinsame Erlass vom 1. Dezember 2005 die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln oder Abführmitteln ausdrücklich untersagt. Der Erlass ist zeitlich unbefristet und bindet die unseren Ressorts nachgeordneten Behörden, Polizei und Staatsanwaltschaft dergestalt, dass diese gehindert sind, entgegenstehende Regelungen zu erlassen beziehungsweise eine abweichende Praxis zu betreiben.“

Ich glaube, das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, von daher, denke ich auch, ist damit die Angelegenheit soweit erledigt. Alles andere muss sich auf anderen Ebenen zutragen. Herr Dr. Güldner, wir sind hier im Parlament nicht die Handelnden, sondern wir sind allenfalls die Überwachenden, so auch in dieser Angelegenheit, und wenn wir Unregelmäßigkeiten oder Ähnliches feststellen, dann sind wir natürlich gehalten, auch einzugreifen, und das ha

ben wir auch getan. Wir haben in 2005 Debatten geführt, die ausführlich waren, und von daher erübrigt es sich heute, das alles zu wiederholen.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss und stelle noch einmal fest: Meine Damen und Herren, die Aussetzung der Beweissicherung durch Brechmittel gegen den Willen von Tatverdächtigen war im Jahr 2005 zwar angemessen, muss jetzt aber ein Ende haben. Dies habe ich eben vorgetragen, von daher gehe ich davon aus, dass unter Berücksichtigung aller anderen Umstände nunmehr auch dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes Rechnung getragen worden ist.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Tittmann.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vom Bündnis 90/ Die Grünen eingebrachte Antrag „Endgültige Absage an zwangsweisen Brechmitteleinsatz“ ist bei der steigenden Drogenkriminalität und dem ansteigenden Drogenkonsum überflüssiger als ein Kropf. Diesen Antrag werde ich im Namen der Deutschen Volksunion zum Schutz unserer Kinder und Jugendlichen selbstverständlich ablehnen.

Sie beklagen in Ihrem Antrag den Tod zweier nachweisbar schwarzafrikanischen Drogendealer, das ist ja richtig rührend und sehr gefühlvoll, hat aber mit einer realistischen Bekämpfung der ansteigenden Drogenkriminalität im Lande Bremen und in Deutschland überhaupt nichts zu tun.

(Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen])

Ganz im Gegenteil, Sie erwähnen in Ihrem Antrag mit keiner Zeile die unzähligen unschuldigen Kinder und jugendlichen Drogentoten, die durch solche, in der Mehrzahl schwarzafrikanische Drogendealer rücksichtslos, gewissenlos, skrupellos und brutal ermordet worden sind. Nicht mit einer Zeile!

Nun frage ich Sie: Wie ist denn diese grausame Tatsache mit humanitären Grundsätzen und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit vereinbar? Hatten diese unzähligen grausam ermordeten unschuldigen Kinder und Jugendlichen etwa kein Recht auf körperliche Unversehrtheit? Wie sieht es denn mit deren Menschenrecht aus? Wie viele Kinder und Jugendliche könnten heute noch leben, wenn Sie, meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen, endlich einmal eine effektive, konsequente, rigorose Bekämpfung der Drogenkriminalität umsetzen würden, anstatt sich wahrscheinlich vorrangig mehr Sorgen um

in der Mehrzahl schwarzafrikanische Drogendealer zu machen, Sie sollten sich lieber Sorgen um die in der Mehrzahl ermordeten deutschen Kinder durch solche Drogendealer machen.

Es ist doch eine nachweisbare Tatsache, dass die in der Mehrzahl schwarzafrikanischen Drogendealer die verpackten Drogenpäckchen im Mund transportieren, um diese Beweismittel bei einer drohenden polizeilichen Durchsuchung herunterzuschlucken. Das war vor der Abschaffung des zwangsweisen Brechmitteleinsatzes schon so und hat sich bei der steigenden Drogenkriminalität und der Abschaffung des zwangsweisen Brechmitteleinsatzes sogar noch dramatisch erhöht.