Protokoll der Sitzung vom 13.12.2006

(Beifall bei der SPD)

Das werden wir auch vorher offen den Bürgerinnen und Bürgern sagen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wir werden es in unser Wahlprogramm hineinschreiben. Wir werden als Gesetzgeber, der bis zum 7. Juni 2007 heute hier zuständig ist, nicht an dem Gesetz, das wir heute beschließen, statt dass das Volk es in einem Volksentscheid beschließt, herumdoktern. Wir als SPD werden aber der nächsten Fraktion nahebringen, sich klar für eine Revision dieses Wegfalls der Fünfprozenthürde einzusetzen.

Im Übrigen darf man, glaube ich, mit Fug und Recht darauf hinweisen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in Bremerhaven die Augen reiben werden. Sie haben zwar viel über Panaschieren und Kumulieren geredet, aber dass über den Wegfall der Fünfprozenthürde öffentlich in Bremerhaven diskutiert worden ist, das kann wohl niemand ernsthaft behaupten. Das hat keine Rolle gespielt. Mit der Revision des Gesetzes in der nächsten Wahlperiode wollen wir die Vergleichbarkeit zwischen Bremerhaven und Bremen wieder herstellen.

In Bremen gibt es die Fünfprozenthürde und das aus gutem Grund, wie der Staatsgerichthof bei mehreren Überprüfungen betont hat. In Bremen wählen die Abgeordneten die Regierung direkt. Die Handlungsfähigkeit des Parlaments, das Herstellen parlamentarischer Mehrheiten für diesen Zweck, hat einen Wert an sich. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments soll an dieser Stelle nicht durch das ausdifferenzierte Berücksichtigen auch der abwegigsten Einzelinteressen gefährdet werden.

In Bremerhaven stellt sich die Situation völlig vergleichbar dar. Auch dort wird der Magistrat mit dem Oberbürgermeister an der Spitze nicht vom Volk, sondern von der Stadtverordnetenversammlung gewählt. Deshalb hat man in Bremerhaven auch an der Fünfprozenthürde festgehalten. Die Stadtverordnetenversammlung hat den gleichen Anspruch auf Schutz ihrer Funktionsfähigkeit wie die Stadtbürgerschaft in Bremen. Einen Anspruch, jeden noch so fürchterlichen Miniführer einer rechten Gruppierung in der Stadtverordnetenversammlung erleben zu dürfen, kann wohl niemand geltend machen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU – Zuruf des Abg. T i t t m a n n [DVU])

Meine Damen und Herren, aber nicht alle Sozialdemokraten quälen sich mit dem neuen Wahlrecht. Sie wissen selbst, dass prominente Sozialdemokraten, Genossinnen und Genossen, wie wir sagen, wie Hans Koschnick, Manfred Fluss oder Christoph Hoppensack mit ihrem Namen dafür geworben haben, Stimmen zu sammeln für das Volksbegehren. Auch

in der Fraktion gibt es Befürworter, sogar in der Parteiführung, weshalb die SPD das Volksbegehren zwar nicht unterstützt, aber es auch nicht bekämpft hat. Wir haben unseren Mitgliedern und unseren Parteigremien nicht anempfohlen: Kämpft gegen dieses Volksbegehren. In vielen Ortsvereinen sind Informationsveranstaltungen durchgeführt worden.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal sagen: Mich hat es schon ein bisschen geärgert, dass für dieses Volksbegehren geworben worden ist mit „gegen Parteienkungelei“ und so weiter. Demokratische, innerparteiliche Prozesse sind doch nicht dadurch zu denunzieren, dass von außen jemand eingreift. Das sind doch nicht diese Hinterzimmerkungeleien, wie es sich manch einer von außen vorstellt. Wenn der Landesvorstand der Grünen sich Gedanken darüber macht, wie eine Liste bis Platz 30 zusammengesetzt werden kann, die ersten 10 erfahrene Leute, dann 10 mit Leuten, die neu sind, und so weiter und dann 10, die sagen, ich will da nicht hinein, ich will aber dokumentieren, dass ich für die Grünen bin, dann ist es das gute Recht des Landesvorstands. Wenn die SPD sich die gleichen Vorstellungen macht, ist es das gute Recht der SPD. Wenn dann ein Parteitag kommt, wir sehen es anders, und ich kann ein Lied davon singen, dass Parteitage auch zu eigenen Entschlüssen kommen,

(Heiterkeit)

dann ist es etwas, das man hinnehmen muss. Das ist Parteidemokratie, und zwar von außen ganz klar einsehbar, jedenfalls bei uns und bei den Grünen, glaube ich, auch.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, in Zukunft werden Wählerinnen und Wähler die Reihenfolge der Parteivorschläge neu mischen können. Ich sage ganz deutlich, die SPD fürchtet es überhaupt nicht. Wir sind in allen Stadtteilen vertreten, wir haben qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten, die sich schon heute und in Zukunft noch sehr viel deutlicher als Wahlkreisabgeordnete betrachten werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn es dann tatsächlich einmal jemandem gelingt, durch Kumulieren und Panaschieren von Platz 10 auf Platz 2 oder von Platz 15 auf Platz 1 vorzustoßen, dann sage ich: Wunderbar, dann wissen wir jedenfalls, wer die Wahlparty bezahlt!

Wir nehmen das neue Wahlrecht aktiv an und nicht nur, weil 65 000 Bürgerinnen und Bürger das Volksbegehren unterschrieben haben. Wenn es um etwas gegangen wäre, was wir mit aller Kraft bekämpfen

wollen, dann hätten wir es bekämpft, und dann würden wir es heute hier auch nicht annehmen, sondern dann würden wir mit aller Kraft kämpfen, dass dieser Volksentscheid keine Mehrheit bekommt. Wir nehmen es an. Die Bürgerinnen und Bürger wollen mehr Einfluss, und wir werden uns dem stellen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Lassen Sie mich das vielleicht etwas sperrige Thema mit dem Versuch eines versöhnlichen Zitates beenden: Am 18. Mai dieses Jahres wurde Gerald Häfner zitiert, früheres Grünen-MdB, ich hoffe, er ist nicht durch Kungeleien aus dem Bundestag herausgeflogen und heute Bundesvorsitzender des „Mehr Demokratie e. V.“. Herr Häfner sagt, ich zitiere: „Bremen ist beim Wahlrecht noch im Neandertal, hat aber die Chance, jetzt an die Spitze zu kommen. Dann fahren in einigen Jahren womöglich Besucher aus Bayern nach Bremen, um sich moderne Demokratie beibringen zu lassen.“ Lassen Sie uns also schon aus Tourismusförderungsgründen dieses neue Wahlrecht installieren! – Vielen Dank!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Winther.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürgerschaft ist heute aufgefordert, über die Annahme des Volksbegehrens zu entscheiden und damit über die grundsätzliche Frage, wie ein größerer Einfluss der Wähler auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments gewährleistet werden kann. Dahinter steht die uns alle betreffende Frage, wie kann Politik transparenter, verständlicher werden und wie kann es uns gelingen, die zunehmende Wahlmüdigkeit aufzuhalten. In diesem Sinne steht die CDU-Fraktion dem Volksbegehren aufgeschlossen gegenüber.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Gegen oder gegenüber?)

Nicht gegen, sondern gegenüber!

Lassen Sie mich ganz kurz zur besseren Verständlichkeit für alle diejenigen, die uns hier zuhören, sagen, um was es bei „Mehr Demokratie e. V.“ geht! Vielleicht muss man auch ganz kurz erklären, was eigentlich Kumulieren und Panaschieren ist. Das ursprüngliche Ziel war, durch Einführung von Wahlkreisen und Kumulieren und Panaschieren den eingangs genannten Konflikt zu lösen. Kumulieren heißt, man kann bis zu 5 Stimmen für eine Person und bis zu 5 Stimmen für Bewerber aus unterschiedlichen Listen ankreuzen.

Die Einführung von Wahlkreisen ist verfassungsrechtlich in Bremen nicht möglich. So blieb dann unter dem Strich das Ziel der Wahlrechtsinitiative das Einführen von Kumulieren und Panaschieren. Diesem Wunsch der 65 000 Bürgerinnen und Bürger nach einem größeren Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Parlamente wollen wir heute zustimmen. Wir tun dies in der Hoffnung, dass damit demokratische Wahlen direkter, offener und verständlicher werden. Herr Kleen hat bereits eine ganze Reihe von Problemen angesprochen. Ich kann nicht umhin, auch von unserer Seite noch einmal auf die Fragen einzugehen, die sich stellen, wenn man dann ein solches Wahlsystem einführt, wie wir es dann heute beschließen.

Der neue Wahlmodus wird deutlich komplizierter werden. Die Wahlzettel werden extrem groß werden, und es besteht die Gefahr der Unübersichtlichkeit. Diese Unübersichtlichkeit kann auch einen abschreckenden Effekt haben. Es ist auch zweifelhaft, ob mit diesem Verfahren ein Zurückgewinn politikmüder oder misstrauischer Wähler erreicht werden kann. Dies zeigen uns zum Beispiel Erfahrungen in Hessen und Baden-Württemberg, in denen das System teilweise auf Kommunalebene eingeführt worden ist, was aber keine besonderen Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung hatte.

Herr Kleen hat auch schon dargelegt, dass der Einstieg für Neulinge nicht unbedingt erleichtert wird, denn dieses neue Wahlsystem setzt Popularität des Kandidaten voraus. Was das heißen kann, wurde auch schon geschildert, zum Beispiel, wie mit der Presse umgegangen wird, um sich darzustellen. Ich denke also, es gibt eine ganze Reihe von Problemen, wenn jüngere Kandidatinnen, Kandidaten und Seiteneinsteiger sich präsentieren wollen und wie sie ihre Chancen denen der Alteingesessenen anpassen können.

Zudem fehlt den meisten Wählern die erforderliche persönliche Kenntnis der Kandidaten, um deren politische Qualifikation wirklich beurteilen zu können. Diese Kenntnis ist gerade im System Bremen, wo es eben keine Wahlkreise gibt, auch sehr schwer zu erlangen, denn wie soll ein Wähler aus BremenNord einen Kandidaten aus Huchtingen kennen und umgekehrt und wie soll er so seine politische Kompetenz beurteilen können!

Durch Kumulieren und Panaschieren ist theoretisch ein größerer Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Parlamente möglich. Im Mittelpunkt aber sollten Parteien, ihre Inhalte und Programme stehen und nicht der einzelne Kandidat. Wir Abgeordneten sind gefordert, unsere Politik verständlich zu machen und zu vermitteln, den Kontakt zu den Bürgern zu halten und ihre Probleme im politischen Alltagsgeschäft nicht aus den Augen zu verlieren.

Es gibt aber auch ganz praktische Hürden. Inhaltlich muss die Umsetzung dieser Änderung sehr gründlich vorbereitet werden, und zwar rechtlich als auch

rein praktisch, damit das neue Wahlrecht auch wirklich zu mehr Demokratie führen kann. Das heißt zum Beispiel, dass organisiert werden muss, wie die riesigen neuen Wahlbögen aussehen und konzipiert werden. Dazu bedarf es einer umfassenden Vorbereitung, und dazu bedarf es auch Zeit.

Das Problem der Fünfprozentklausel wurde hier bereits angesprochen, und ich darf noch einige Aspekte aus Sicht der CDU-Fraktion hinzufügen! Es ist richtig, es ist noch nicht abschließend geklärt, wie wir mit der Fünfprozentklausel für die Wahl der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung umgehen. Wir werden heute das Volksbegehren annehmen, aber wir werden uns Gedanken machen müssen, wie dieses Problem zu behandeln ist. Grundsätzlich ist beides möglich: Streichen plus Beibehalten der Fünfprozentklausel.

Es gibt aber neben den genannten Problemen auch sicherlich noch andere Gefahren. Ich erinnere an die historischen Erfahrungen, die wir zum Beispiel in der Weimarer Zeit gemacht haben, und ich erinnere damit an die Gefahr der Zersplitterung, mit der sinnvolle und wichtige Mehrheitsbildungen nachhaltig erschwert werden können. Gruppierungen wie die DVU hätten wesentlich einfachere Chancen, in die Parlamente einzuziehen.

(Abg. D r. G ü l d n e r (Bündnis 90/Die Grünen): Das sind sie ja jetzt schon!)

Damit ist die Gefahr der Radikalisierung der Parlamente durch Gruppen, die nicht den demokratischen Willen des Volkes widerspiegeln, nicht auszuschließen. Das, sehr geehrter Herr Dr. Güldner, kann nicht das Ziel von mehr Demokratie sein! Daher muss im Zeitraum bis zur erstmaligen Anwendung des neuen Wahlrechts sorgfältig überprüft werden, wie mit diesem Element des Gesetzentwurfs umzugehen ist.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal zusammenfassen! Wir stimmen heute dem Gesetzentwurf zu, weil wir uns dem Wunsch nach mehr Demokratie nicht verschließen wollen. Die genaue inhaltliche und praktische Ausgestaltung muss sorgfältig vorbereitet werden, und auch der Wähler muss Zeit haben, sich über sämtliche Konsequenzen des neuen Wahlrechts umfassend zu informieren, um die damit verbundenen und erhofften Effekte und Möglichkeiten, nämlich mehr Demokratie, auch wirklich ausschöpfen zu können. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Das kann einfach gar nicht gut gehen, und es ist auch nicht gut gegangen. Wenn man jemanden hier hinausschickt zu begründen, warum man ein dreiviertel Jahr in dem Parlamentsausschuss „Wahlrechtsreform“ die Argumente sammelt und die Munition gegen diese Wahlrechtsreform, dann hierher kommt und die Argumente vorträgt, die im Wesentlichen gegen diese Wahlrechtsreform passen, dann erklärt, dass man dieser Wahlrechtsreform hier zustimmen wird, aber dann erklärt, dass man froh ist, dass sie nicht in Kraft tritt, und in der nächsten Legislaturperiode werde man sie wieder ändern, das kann als politische Strategie nicht gut gehen, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD und der CDU!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf des Abg. F o c k e [CDU])

Das ist nämlich das, was Sie heute hier machen. Sie haben diese Wahlrechtsreform nie gewollt,

(Abg. F o c k e [CDU]: Das ist völlig falsch dargestellt! – Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Können Sie das noch einmal wiederholen?)

und wenn Sie die nicht wollen, dann lehnen Sie sie ab, stellen Sie sich dem Volksentscheid am 13. Mai und prüfen Sie noch einmal nach, ob die Bremer und Bremerhavener diese Wahlrechtsreform wollen oder nicht! Ich glaube, 65 000 Menschen haben jetzt schon die Antwort gegeben, und noch wesentlich mehr würden Ihnen am 13. Mai die Antwort geben. Sie wollen sie nicht, aber die Leute in Bremen und Bremerhaven wollen diese Wahlrechtsreform, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie haben es gesehen, es hat noch kein Volksbegehren gegeben im Lande Bremen, das erfolgreich war. Das liegt zum einen daran, und das kann ich hier in Klammern auch schon sagen, das ist ein weiteres politisches Ziel, dass die Hürden natürlich viel zu hoch sind. Es ist ein kleines politisches Wunder, dass in diesem Fall zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ein Volksbegehren tatsächlich erfolgreich war. Normalerweise sind die Hürden für eine Initiative viel zu hoch, um übersprungen zu werden. Wir müssen sie schleunigst ändern, um der Bevölkerung insgesamt – nicht nur in dieser Frage – mehr Möglichkeit zu geben mitzubestimmen, und zwar nicht nur alle 4 Jahre und in den dafür vorgesehenen Gremien, sondern auch in ganz vielen Fragen. Die Bevölkerung ist bereit dazu, und diese 65 000 Menschen haben Ihnen gezeigt, dass sie daran Interesse haben.

Sie haben hier in der Debatte beim letzten Mal noch gesagt: Wissen wir denn überhaupt, ob irgendjemand Interesse hat, auf diese Art das Wahlrecht weiterzuentwickeln? Die Antwort haben Ihnen 65 000 Men

schen gegeben, und Sie hätten, wenn es noch länger gegangen wäre, auch gern noch mehr Unterschriften haben können. Die Antwort war eindeutig: Ja, die Menschen in Bremen und Bremerhaven haben ein Interesse daran, dies umzusetzen!