Protokoll der Sitzung vom 24.04.2007

Diese Initiative hat ja aufgebaut, und von daher gab es eine gewisse Erwartung, denn einige Tage vorher hatte Senator Röwekamp ein Gespräch, wie wir jetzt alle in diesen Tagen haben, mit einer Reihe, ich glaube, von 40 Betriebsräten, und man liest hoffnungsfroh, am 14. März war das, ein Öffnungssignal. Man las

ein Öffnungssignal, muss ich sagen, denn ich rede hier über die Vergangenheit. In der CDU-Presseerklärung steht: Arbeit muss sich wieder lohnen, sagt Herr Röwekamp. Wer arbeitet, muss mehr erhalten als staatliche Transferleistungen. Es ist legitim, über einen gesetzlichen Mindestlohn zu diskutieren, und genau das machen wir, aber wir wollen ihn auch anstreben.

Dann kam die Stunde der Wahrheit, die Senatssitzung, und die war eher geprägt von Enttäuschung. Herr Röwekamp, Sie und Ihre CDU-Kollegen im Senat haben an der Stelle schlicht und einfach gekniffen! Weg war das soziale Mäntelchen, das Sie sich seit Monaten umlegen. Der Ladenhüter Kombilohn wurde präsentiert, dann gab es neue Etiketten für das Thema Mindestlohn, und stattdessen heißt es dann Mindesteinkommen. Meine Damen und Herren, wenn man Wohlstand und Gerechtigkeit will in Deutschland und wenn man das will auch für Bremen und Bremerhaven, dann ist dies der falsche Weg. Ich erwarte, dass Sie hier sich läutern und dem, was Sie an Worten sagen, auch Taten folgen lassen!

(Beifall bei der SPD)

Nun gibt es Gegenargumente, und ich will hier in dieser Aktuellen Stunde auf drei eingehen. Das erste ist, dass die CDU sagt, der Mindestlohn ist ein Eingriff in die Tarifautonomie. Richtig aber ist, es gelten natürlich weiter in erster Linie tarifliche Lösungen. Wo es aber keine Tarifverträge gibt, da haben wir doch Handlungsbedarf, und wo wir mittlerweile Tarifverträge haben, in denen geradezu sittenwidrige Abschlüsse getätigt wurden, da hat doch ein sozialer Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland Handlungsbedarf. Ich weise darauf hin, allein in Westdeutschland sind nur 68 Prozent der Beschäftigten in einem Tarifvertragsbereich tätig, in Ostdeutschland sind es nur 53 Prozent. Wer darauf pocht, dies sei ein Verstoß gegen oder ein Eingriff in die Tarifautonomie, der hat die soziale Wirklichkeit nicht erkannt, und der glaubt nicht, dass man hier anfassen muss. Wir sind der Auffassung, hier muss man aktiv werden.

(Beifall bei der SPD)

Das zweite Argument, das ich höre: Der Mindestlohn gefährdet Arbeitsplätze! Richtig ist doch, in 20 von 27 Mitgliedstaaten der EU haben wir einen gesetzlichen Mindestlohn, und richtig ist auch, dass dort sehr häufig die Arbeitslosigkeit niedriger ist als in Deutschland. Man kann also nicht sagen, dass Mindestlohn Arbeitsplätze gefährdet. Man könnte sagen, Mindestlohn sichert Arbeitsplätze, meine Damen und Herren!

Dann kommt das Argument wahrscheinlich mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Da will ich doch noch einmal darauf hinweisen, dass wir das

Problem der schlechten Entlohnung in vielen Dienstleistungsbereichen haben. Die sind nicht exportierbar. Vizekanzler Müntefering hat dieses wunderbare Beispiel am Sonntag in einer Veranstaltung gebracht, dass man wohl kaum, wenn der Friseur einen höheren Lohn zahlt, zum Friseur nach Krakau fährt. Oder, Herr Röwekamp, würden Sie dies tun? Nein! Das ist offensichtlich, viele Dienstleistungen sind nicht – –.

(Zurufe von der SPD)

Herr Röwekamp ist vielleicht das beste Beispiel, weil er ein geschätzter Reisesenator ist, der schon einmal in Kanada oder woanders auf NATO-Tagungen sehr regelmäßig ist, aber trotzdem, ich glaube, auch dort in Kanada gelten Mindestlöhne. Von daher kommen Sie dort nicht billiger weg, Herr Röwekamp! Dieses Argument der Arbeitsplatzvernichtung und der -gefährdung ist Unsinn.

Dann komme ich zu der Empfehlung der CDU, die heißt Mindesteinkommen! Mindesteinkommen soll dann bedeuten, dass der Staat die Lohndifferenz bis hoch zu einem gewissen Niveau subventioniert. Das, meine Damen und Herren, ist abenteuerlich! Sie wollen, das muss man so deutlich sagen, offensichtlich in Deutschland Lohnzahlung sozialisieren. Das ist ja völlig neu! Ich bin der Auffassung, wir brauchen das knappe öffentliche Geld für Arbeit, Bildung, Infrastruktur und Schuldenabbau. Wir haben keine Zeit, Geschenke zu verteilen, und wir haben keine Zeit und kein Geld dafür, weil am Ende – das kennen wir aus der Steuerpolitik – dann die Arbeitnehmer wieder die Zeche zahlen. Deshalb ist dies der falsche Weg, wir werden ihn nicht mitgehen. Mindesteinkommen ist eine Etikette, die nicht tragfähig ist. Ringen Sie sich durch zum Mindestlohn! Machen Sie an der Stelle eine Bewegung!

(Beifall bei der SPD)

Aber vielleicht komme ich mit meinem Appell ja gar nicht weiter, denn ich habe gewagt, einen Blick in den Wahl-O-Mat zu werfen und in die Antworten, die im Wahl-O-Mat gegeben werden, und da kommt es ja dann – –.

(Zuruf von der CDU)

Der Wahl-O-Mat ist dieses schöne internetgestützte, Herr Kollege, Angebot der Landeszentrale für politische Bildung und anderer. Dort kann man ja nachlesen, was die Parteien zu gewissen Aufgaben sagen, und ich finde, da kommen Gesellschaftsbilder heraus. Unser Modell mit dem Mindestlohn ist ein solidarisches Gesellschaftsmodell, und das gilt auch für andere Bereiche. Ich habe dort gelesen, dass zu der These oder zu der Fragestellung, ob sich Bremen für die Lockerung des Kündigungsschutzes einsetzen soll, Herr Röwekamp und Herr Perschau, die CDU Ja

gesagt haben. Sie plädieren dafür, dass Bremen und Bremerhaven sich einsetzen für die Lockerung des Kündigungsschutzes. Sie sind in Gemeinschaft mit der FDP. Das ist ein anderes Gesellschaftsmodell, das wollen wir nicht! Da wird dann sichtbar, dass Sie den Mindestlohn offensichtlich aus ideologischen Gründen ablehnen, weil Sie einen solchen Kahlschlag wollen. Wir gehen diesen Weg nicht mit. Wer den Kündigungsschutz abbaut, das haben wir, glaube ich, schon bei der Bundestagswahl 2005 mit den Vorschlägen des Professors aus Heidelberg austragen müssen, das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren,

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

den werden wir nicht mitgehen!

Ich fordere Sie auf: Bleiben Sie dabei, was Bremen und Bremerhaven ausmacht: eine soziale Architektur! Machen Sie mit bei dem, was wir wollen, ein AlleMann- und Alle-Frau-Manöver für soziale Gerechtigkeit in diesem Lande! Ich sage Ihnen: Das gilt erst recht ab dem 14. Mai. Dann wird eine Regierung in die Richtung arbeiten müssen. Dann wird auch das Thema Mindestlohn nach wie vor auf der Tagesordnung stehen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Perschau.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Sieling, Sie haben ja die ganz strammen Gewerkschaftshosen heute angezogen. Das kann ich ja verstehen, und ich kann auch eine gewisse Unruhe und Nervosität verstehen. Dafür habe ich also wirklich jedes Verständnis. So zweieinhalb Wochen vor der Wahl kann es einem schon einmal so ein bisschen auf dem Rücken schauern. Trotzdem spricht vieles dafür, dass wir unseren Wählern – Ihren wie unseren – die Wahrheit sagen vor der Wahl und dass wir das nicht verbergen hinter einem Gestrüpp von Parteipolemik.

Es ist ja zu diesem Thema auch viel gesagt worden in der Presse. „Der Spiegel“ titelt: „Propaganda statt Sachpolitik“. Herr Schmoldt äußert sich sehr massiv über die Eingriffe in die Tarifautonomie, beklagt natürlich auch das Risiko, dass durch die Mindestlohnlösung erheblich Arbeitsplätze verloren gehen. All dies wird ja dargestellt.

Ich glaube, es gibt einen erheblichen Streit. Eines ist dabei sicher: Ich glaube, seit gestern, vorgestern Morgen wird in Berlin über das Thema Mindestlohn und Alternativen diskutiert. Dahin gehört es zunächst einmal, und dort muss es gelöst werden, wenn ich an diese Lösungsfragen herangehe. Ich finde es im

mer gut, wenn wir sagen, wir sind mutig, und wir Bremer lösen unsere Dinge auf eigene Art und Weise. Wir werden in diesem Bereich sicherlich darauf angewiesen sein, dass der Bund diese Dinge rechtlich löst und Bund und Länder sich auf einen Kompromiss verständigen. Deshalb, wissen Sie, man kann da jetzt so viel Strammes sagen, wir werden am Ende genau das machen, was in dieser Auseinandersetzung zwischen SPD und CDU herauskommt, das ist doch völlig klar!

Ich habe gar nichts dagegen, dass man im Vorfeld dafür kämpft, und deshalb wird das Thema ja auch geschoben und verzögert, zunächst einmal über den 1. Mai und dann über den 13. Mai, damit man sozusagen auch dieses Kriegsgeschrei über eine Weile auch tatsächlich tragen kann. Ich habe dafür Verständnis. Deshalb möchte ich gern, Herr Dr. Sieling, in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit unsere Position dazu vortragen!

Erstens: Für die CDU ist klar: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die 40 Stunden in der Woche arbeiten, müssen ein Einkommen erzielen, von dem sie auskömmlich leben können.

(Beifall bei der CDU)

Jemand, der arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als derjenige, der nicht arbeitet.

(Beifall bei der CDU)

Weil das so ist, wollen auch wir ein Mindesteinkommen von 7,50 Euro pro Stunde für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auch wir wollen gerechte Löhne für gute Arbeit!

(Beifall bei der CDU)

Durch Mindesteinkommen dürfen aber keine Arbeitsplätze gefährdet werden und vor allen Dingen nicht verloren gehen, denn es geht dabei zumeist um Arbeitsplätze für gering qualifizierte und ungelernte Arbeitskräfte. Sie wissen, dass über 50 Prozent der Betroffenen keine Berufsausbildung haben und dass wir deshalb in diesem Bereich natürlich auch große Vermittlungsprobleme haben. Deshalb ist es so, dass die Unternehmen, die ja die Löhne nach Ihrem Modell geschlossen bezahlen sollen – teilweise Verdopplung der Löhne –, natürlich in ihren Branchen ganz unterschiedliche Chancen haben.

Herr Schmoldt, der Chef der IG Chemie, verweist zu Recht auf das Problem, dass die Gewerkschaften ja über 60 Tarifverträge geschlossen haben in diesem Niedriglohnbereich unter 7,50 Euro und dass man dies natürlich auch unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit und der Ertragskraft der unterschiedlichen Branchen gemacht hat. Die Gewerkschaften haben diese Modelle diskutiert und diese Tarifbe

schlüsse gefasst, und deshalb gibt es auch innerhalb der Gewerkschaften natürlich eine ordnungspolitische Auseinandersetzung, nicht nur über den Erhalt der Tarifautonomie, sondern auch über die Frage, wie es denn gehen soll, wenn im Grunde genommen die einzelne Leistungsfähigkeit der jeweiligen Branche nicht mehr berücksichtigt wird.

Nächster Punkt: Mindesteinkommen müssen auch so ausgestaltet werden, dass sie weder zu Preissteigerungen bei Dienstleistungen führen, zum Beispiel bei Handwerkerrechnungen, noch dass sie Anreize zum Missbrauch durch Arbeitgeber bieten. Sie wissen, dass es darum geht, dass wir Eingriffe in die Tarifautonomie nicht wollen.

Meine Damen und Herren, worum geht es? Es geht ganz schlicht darum, dass wir im Ergebnis denselben Betrag für dieselbe Arbeit wollen als Mindesteinkommen, dass wir aber nicht glauben, dass wir alle Branchen in dieser Form, wie Sie es tun wollen – und Herr Bsirske hat lange gebraucht, um überhaupt eine Mehrheit in den Gewerkschaften zustande zu bekommen –, sozusagen über ein Maß oder über einen Kamm scheren können. Ich glaube, das wird zu einem massiven Arbeitsplatzverlust gerade in den Bereichen führen, wo wir die Arbeitsplätze am allernötigsten brauchen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb treten wir engagiert dafür ein und kämpfen auch in unserer eigenen Partei dafür, dass hier nicht die Branchen besonders – doppelt zum Teil – belastet werden, die am wenigsten leistungsfähig sind, und deshalb, glaube ich, ist unser Modell eines Mindesteinkommens das sozialere, das bessere. Dass Sie es nicht gut finden, dass unsere Idee besser ist, dafür habe ich menschliches Verständnis, aber es ist trotzdem so!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese angeblich neue Debatte ist aus grüner Sicht überhaupt nicht neu. Grüne fordern seit vielen Jahren vor allen Dingen im Zusammenhang mit sozialpolitischen Erwägungen, dass in Deutschland gesetzliche Mindestlöhne aus unserer Sicht branchen- und regionenspezifisch eingeführt werden sollen. Ich freue mich allerdings, dass man jetzt im Moment breiter darüber diskutiert, die Vor- und Nachteile abwägt, und ich freue mich auch, dass Bremen – diese SPD – sich vorgenommen hat, dass Bremen sich über den Bundesrat so präsentiert, dass wir als Bundesland gern Vorreiter bei diesem Thema sein wollen, weil wir einfach besonders viel Erfahrung damit haben, wie

es ist, wenn Menschen dauerhaft oder lange in Armutslagen leben.

Jetzt ist die Zeit dafür, darüber zu diskutieren, weil im Gegensatz zu den letzten Jahren Armutslagen stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit geraten, das kann man nur begrüßen. Wir alle müssen ein großes Interesse daran haben, dass nicht weiterhin große Gruppen der Bevölkerung sich von uns im Stich gelassen fühlen, weil wir keine politische Antwort für ihre Lebenslagen vorhalten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

In Deutschland leben 1,5 Millionen Haushalte, in denen Menschen in Vollzeit arbeiten, in Armut. 1,5 Millionen Haushalte, das sind sehr viele! In diesen Haushalten gibt es Kinder, die erleben, dass man 40 Stunden arbeiten kann und trotzdem unter oder auf Hartz-IV-Niveau leben muss. Das muss man unbedingt ändern! Es ist für die Kultur einer Gesellschaft nicht gut, wenn eine so große Gruppe so deklassiert wird. Heute spricht man in diesem Zusammenhang vom Prekariat. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Bevölkerungsgruppe, und das hat auch etwas mit Menschenwürde zu tun, sich von uns besser unterstützt und aufgehoben fühlt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn man weiß, dass zum Beispiel bei der Citipost 40 Stunden gearbeitet wird – Briefe austragen –, und die Leute kommen dann auf einen Lohn von 1000 Euro brutto, dann sage ich nur: Ich will das nicht! Ich möchte es nicht, dass in Deutschland solche Dienstleistungen so schlecht bezahlt werden, dass man nicht richtig davon leben kann. Wir sind ein reiches Land, wir können es uns leisten, das zu ändern und zu verbessern. Nachdem es die Tarifparteien ja ganz offensichtlich nicht lösen konnten – aus welchen Gründen auch immer, das kann ich in dieser kurzen Zeit nicht erörtern –, ist es jetzt an der Zeit, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, die das regeln und sagen: Unter diese Schwelle, also 7,50 Euro, gehen wir hier nicht. Arbeit ist auf jeden Fall – wenn sie nicht von jemandem gemacht wird, der behindert ist, hier gelten andere Spielregeln – so viel wert, dass man davon menschenwürdig leben kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Grünen sagen, dass es branchen- und regionenspezifische Mindestlöhne geben soll. Ich möchte nur kurz etwas zum Kombilohnmodell der CDU sagen! Das ist bei den Grünen auch lange diskutiert worden, und ich sage Ihnen eines: Je mehr man sich damit beschäftigt, desto klarer wird einem, dass es folgenden Effekt haben wird. Sie werden dann in eine Situation hineinkommen, in der Sie massenweise untere Einkommen aus staatlichen Transfers finanzie