Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat die Große Anfrage eingebracht, weil sich mit dem Rechtsanspruch auf die Leistungsform des persönlichen Budgets etwas sehr Grundsätzliches und sehr Positives für Menschen mit Behinderung in ganz Deutschland geändert hat. Zunächst bedanke ich mich für die Beantwortung und freue mich, dass wir nun heute auch die Debatte über die Einführung im Bundesland Bremen führen können.
Meine Damen und Herren, der 1. Januar 2008 ist ein guter Tag für behinderte Menschen in Deutschland und in unseren beiden Städten gewesen, denn an diesem Tag startete der Rechtsanspruch zur neuen Leistungsform des persönlichen Budgets. Mit dem persönlichen Budget können Leistungsempfänger und Leistungsempfängerinnen auf Antrag freiwillig an––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
stelle von Dienst- und Sachleistungen eine Geldleistung wählen. Hieraus bezahlen sie die Aufwendungen, die zur Deckung ihres persönlichen Hilfebedarfs erforderlich sind. Die Leistungsform des persönlichen Budgets wurde ja bereits im SGB IX zum 1. Juli 2001 eingeführt. Der Rechtsanspruch aber seit Anfang dieses Jahres ist nun geltendes Recht.
Wir wollen damit mehr Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein für Menschen mit Handicap.
Wir wollen die Lebensqualität von behinderten Bürgerinnen und Bürgern steigern. Das persönliche Budget ist ein wichtiger Schritt dazu. Es ermöglicht ein Leben nach eigenen Vorstellungen. Aus den Modellregionen zum persönlichen Budget wissen wir, dass diejenigen, die bereits ein solches Budget beantragt haben, ihre neue Lebenssituation als Verbesserung empfinden. Es sind häufig die jungen Menschen, die diese Anträge bereits gestellt haben.
Meine Damen und Herren, die Leistungsempfänger werden damit quasi zu Kunden, zu Käufern, aber auch zu Arbeitgebern. Das ist positiv. Bisher wurde in acht Modellregionen, unter anderem in den Kommunen in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, aber auch in zwei Bezirken in Berlin das persönliche Budget erprobt. Insgesamt erhielten aber nur 494 Menschen in den Modellregionen, 847 bundesweit ein persönliches Budget. Das ist noch ein sehr niedriger Stand. Das Vorhaben „persönliches Budget“ läuft recht schleppend an, besonders schleppend in Bremen und Bremerhaven.
Meine Damen und Herren, behinderte Menschen werden dadurch selbstständiger, und wir sollten auch hier in Bremen und Bremerhaven dieses Budget unterstützen!
Das persönliche Budget steht grundsätzlich für alle notwendigen Leistungen zur Verfügung. Es kann sich beispielsweise um Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmittel, Arbeitsassistenz oder auch Kraftfahrzeughilfe handeln. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, Frühförderung bei behinderten Kindern sowie Hilfen zum selbstbestimmten Wohnen in betreuten Wohnmöglichkeiten werden ebenfalls durch diesen neuen Rechtsanspruch abgedeckt. Außerdem können Pflegeleistungen der Pflegeversicherung und der Sozialhilfe sowie Krankenkassenleistungen mit dem persönlichen Budget bestritten werden. Jeder Mensch mit einer Behinderung kann ein persönliches Budget beantragen, unabhängig davon, wie schwer seine Behinderung ist. Die Mehrheit der bewilligten Budgets lag in der Regel zwischen 200 und 800 Euro im Monat.
Ich will ganz deutlich sagen: Dieses persönliche Budget ist kein Instrument zur Einsparung und zum Leistungsabbau! Es hat vielmehr die Chance, auch über transparenten Wettbewerb Leistungen und ihre Qualität zu befördern. Dennoch – das muss man auch deutlich zur Kenntnis nehmen – ist bei geistig und körperlich behinderten Menschen das persönliche Budget mit viel Angst und Unsicherheit verbunden, dass bisherige Leistungen durch ein persönliches Budget gekürzt werden könnten, weil die Erstellungsverfahren eines solchen Budgets relativ unüberschaubar sind und bislang unklar beantwortet ist, wie vor Missbrauch geschützt werden kann, wenn der Antrag auf ein solches persönliches Budget zum Beispiel im Namen von Menschen mit Behinderungen gestellt wird, weil diese ihn nicht selbst stellen können, die Geldleistung dann aber nicht umgesetzt wird in eine echte Hilfe für diese behinderten Menschen.
In Bremen scheint Aufklärung besonders notzutun, da das Land weder an den Modellversuchen seit 2001 beteiligt war, noch wir den Eindruck haben, dass konkrete Vorbereitungen zur Einführung des Rechtsanspruchs zu erkennen waren. Der Beratungs- und Unterstützungsbedarf der Antragsteller aber ist hoch. Die Bewilligung eines persönlichen Budgets oder auch die Feststellung eines solchen Budgets ist sehr komplex. Nach unseren Informationen gab es und gibt es bisher noch keinen Antrag auf ein persönliches Budget im Land Bremen. An mangelndem Bedarf wird es wohl nicht liegen, eher an mangelndem Bewusstsein und am Mangel der nötigen Kenntnis von diesem neuen Rechtsanspruch.
Auch diese Debatte soll einen Beitrag dazu leisten, diese neue Leistungsmöglichkeit bekannter zu machen. Wir haben den Eindruck gewonnen, als ob sich die Leistungsträger auf gute Zusammenarbeit in dem Bereich geeinigt haben und sich entsprechend vorbereitet haben. Es ist jedoch unklar, wie gut die Behörde darauf vorbereitet ist. Die Einführung eines so komplexen Regelwerkes wie das des persönliches Budgets, meine Damen und Herren, bedarf vor allem einer klaren örtlichen Strategie, ansonsten entstehen Umsetzungsprobleme.
Der Landesbehindertenbeauftragte, Herr Dr. Steinbrück, schätzt laut „Weser-Kurier“ vom 7. September vergangenen Jahres die Lage wenig euphorisch ein. Er sagt, ich darf zitieren mit Genehmigung der Präsidentin: „Die zur Beratung verpflichteten Kostenträger, also hier das Amt für Soziale Dienst, sind schlecht vorbereitet.“ Er hat recht! Das Problem ist, dass es an dem grundsätzlichen Wissen über diese Komplexität und der möglichen Formen des persönlichen Budgets mangelt. Budget-Assistenten, die bei Inanspruchnahme des Budgets während des gesamten Prozesses auch während des Bezugs den Menschen unterstützen und auch Qualität sichern sollen, gibt es in dieser Form nicht und sind nicht geschult.
zahl von schwarz eingekauften Dienstleistungen zunehmen könnte. Wie will man davor schützen? Es bedarf einer konkreten Qualitätssicherung bei diesem Branchenwettbewerb, um die Kunden, also die Leistungsempfänger des persönlichen Budgets, zu schützen. Auf alle diese Fragen von uns gibt die Antwort des Senats nicht zufriedenstellend Auskunft.
Zur Beantwortung der ersten Frage unserer Großen Anfrage darf ich ausführen, dass wir die Information haben, dass sich die angeblich existierende Arbeitsgruppe, an der Vertreter des Jugendhilfeträgers, des Sozialhilfeträgers und des Integrationsamtes teilnehmen, wenig bis gar nicht getroffen hat. Vielleicht kann Frau Senatorin Rosenkötter, wenn sie denn dann kommt, dazu noch etwas Näheres ausführen.
Meine Damen und Herren, zur Frage zwei: Uns ist auch nach Beantwortung dieser Frage noch immer unklar, ob es besonders geschulte Mitarbeiter in den Sozialzentren gibt, die bei der Antragstellung helfen. Das Geld für entsprechende Fortbildungen fehlt. Es reicht nicht, jetzt mit den Schulungen anzufangen, dies hätte schon vor dem 1. Januar 2008 geschehen müssen.
Uns beruhigt, dass die von der Deputation am 6. Dezember vergangenen Jahres verabschiedete Rahmenrichtlinie die Träger völlig überrumpelt hat. Dort ist man enttäuscht, dass es keine Ansprache vor der Veröffentlichung der Rahmenrichtlinie gegeben hat. Die Vermutung drängt sich auf, dass die Rahmenrichtlinie schnell, schnell ins Leben gerufen wurde, weil das Thema hier debattiert ist beziehungsweise der Rechtsanspruch nun seit Anfang des Jahres eingeführt ist. Die Sozialsenatorin vermittelt mir in ihren Antworten den Eindruck, als sei die Umsetzung des persönlichen Budgets ein Experiment, obwohl der rechtliche Anspruch längst in Kraft getreten ist.
Das wird auch deutlich in der Beantwortung, wie groß der potenzielle Personenkreis ist – danach haben wir gefragt –, der so ein Budget nutzen möchte. Eine Prüfung, Recherche, wie viele Menschen also Anspruch haben, ist Aufgabe der Länder. Dies ist nicht erfolgt, obwohl andere Länder dies auch getan haben. Nur so kann man einschätzen, was auf die Kommune und das Land zukommt, wie viele Berater denn tatsächlich dort notwendig sind.
Wir fordern die Senatorin auf, dass sie einen Impuls gibt, damit es auch zu Anträgen für ein persönliches Budget kommt. In anderen Ländern und Städten geht solch ein Impuls von den Sozialämtern aus. Orientieren Sie sich nicht allein an der Informationsarbeit der Bundesregierung! Die Antragsteller können derzeit zum Verfahren beraten werden, ist die Antwort des Senats, aber – und das ist zu wenig im Fokus – der Antragsteller hat zusätzlich das Recht darauf, eine unabhängige Budgetassistenz zu erhalten, die zum Beispiel von Verbänden angeboten werden kann und damit unabhängig vom Träger ist.
Wir fragen uns ferner, welche Kontrollmechanismen hierfür geplant sind. Das Land Niedersachsen hat übrigens seit Anfang 2007 solche gut geschulten Berater. Solche sind auch in Bremen und Bremerhaven dringend notwendig. Wir fordern also die Senatorin für Soziales, die immer noch nicht da ist, auf, den nötigen Impuls zu setzen.
Meine Damen und Herren, für viele Menschen mit Behinderung muss selbstbestimmtes Leben vielerorts erst ermöglicht werden. Das persönliche Budget ist eine Chance und ein erster Schritt dazu. Wir hoffen, dass das auch in Bremerhaven und in Bremen möglich ist. Wir wollen, dass das persönliche Budget ein Erfolg wird. Es ist ein Teil des Paradigmenwechsels. Wir wollen weg vom reinen Fürsorgegedanken hin zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe behinderter Menschen. Die CDU-Bürgerschaftsfraktion wird sich auch weiter in dieser Frage der Umsetzung engagieren. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, ich schlage vor, dass wir die Debatte aussetzen, bis die zuständige Senatorin eintrifft, und bis dahin die Tagesordnungspunkte ohne Debatte aufrufen. Ich glaube, es macht Sinn, die Debatte in Gegenwart der Senatorin zu führen. Ich beantrage also formal die Unterbrechung der Debatte.
Ich bin dagegen, weil der Senat vertreten ist. Mehr sagt unsere Geschäftsordnung nicht. Es ist Sache des Senats, das zu vertreten, aber für uns ist der Senat vertreten.
Ich möchte mir aber hierzu noch eine Bemerkung erlauben. Ich glaube, dass, wenn man in der Interfraktionellen Besprechung wirkliche Fünf-MinutenDebatten von vornherein als Fünf-Minuten-Debatten auch deklariert und nicht als Debatten mit einer Redezeit nach der Geschäftsordnung, solche zeitlichen Brüche nicht auftreten werden. Dies wäre einfach einmal der Appell, und dann könnten wir den
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Bartels, Sie haben sehr hervorgehoben, dass es der CDU-Fraktion darum geht, die Selbstbestimmung Behinderter zu fördern und insbesondere auch das persönliche Budget jetzt anzuschieben, und bemängeln, dass es nicht angeschoben worden ist, obwohl es seit 2001 im Sozialgesetzbuch IX steht.
Ich erinnere daran, dass Sie an der Regierung beteiligt waren und dass Sie mit daran beteiligt waren, dass dies in der Tat in Bremen etwas verschlafen wurde. Mit der Schaffung des Sozialgesetzbuches IX 2001 ist diese Möglichkeit geschaffen worden. Das persönliche Budget bedeutet, dass ein Anspruch behinderter Menschen auf Rehabilitationsleistung – nicht jeglicher Leistung, das muss man auch noch einmal sagen, das sind Leistungen des Sozialgesetzbuches IX – besteht, selbst zu entscheiden, wo und wie die Leistung erbracht wird, also statt der Sachleistung wird ihnen, das haben Sie gesagt, ein Geldbetrag gezahlt.
Ich möchte es noch einmal für andere deutlich machen. Wir haben in der Regel bei den Sachleistungen ein Dreiecksverhältnis: Wir haben ein Vertragsverhältnis zwischen dem Träger, der die Leistung erbringt, und dem Leistungsträger, also dem Finanzierungsträger, zum Beispiel der Sozialhilfebehörde, und wir haben einen öffentlich-rechtlichen Anspruch des Einzelnen an den Sozialhilfeträger zum Beispiel, und wir haben noch ein weiteres Vertragsverhältnis des Einzelnen zu seinem Leistungserbringer. Das verkürzen wir jetzt hier auf ein Vertragsverhältnis zwischen dem Leistungserbringer und demjenigen, der diesen Anspruch hat, natürlich auf der Grundlage des öffentlich-rechtlichen Anspruchs, den der Einzelne gegen das Sozialamt hat.
Das heißt, der Betroffene selbst wird aktiv und schließt einen Vertrag mit seinem Leistungserbringer, und über ihn wird nicht ein Vertrag zulasten oder zugunsten Dritter geschlossen. Manchmal ist es eben ein Vertrag zulasten Dritter. Damit wird nicht nur eine andere Technik der Leistungsgewährung gewählt, die bevormundende Fürsorge wird durch eine selbstbestimmte Wahlentscheidung behinderter Menschen und ihre Möglichkeit, auch die Leistungsgewährung gestalten zu können, ersetzt. Nur wenige haben, wie die Mitteilung des Senats darstellt, bisher davon Gebrauch gemacht.
Woran liegt das? Um das persönliche Budget insbesondere als trägerübergreifendes Budget in Anspruch zu nehmen, muss man mit den Rehabilitationsträgern über eine Zielvereinbarung verhandeln –
das ist bei Ihnen etwas zu kurz gekommen –, die Leistungsanbieter finden und mit ihnen Bedingungen ihrer Leistungserbringung aushandeln. Ein solcher Prozess erfordert auch von dem beziehungsweise der Leistungsberechtigten eine Menge Engagement, Kenntnisse und Verhandlungsgeschick.
Die Rehabilitationsträger, insbesondere die Sozialämter, haben die Betroffenen hierbei bisher nicht in dem Umfang unterstützt und sogar teilweise mangels Kenntnissen oder weil es zusätzliche Arbeit macht, diesen Anspruch unterlaufen. Das war in der Vergangenheit so, und das wird sich künftig ändern. Die wenigen Modellprojekte waren zudem sehr bescheiden konzipiert. Ich weiß nicht, ob Sie die Modellberichte gelesen haben. Die Modelle waren im Wesentlichen nicht auf ein trägerübergreifendes Budget ausgerichtet, sondern nur auf kleine Bereiche des Leistungsspektrums.
Die meisten Träger beschäftigen sich daher erst jetzt mit dem persönlichen Budget, da es nun zum Rechtsanspruch geworden ist und jeder das durchsetzen kann, obwohl man auch bei Ermessensentscheidungen natürlich erwarten kann, dass die Behörde in dem Rahmen in die Ermessensprüfung eintritt und überlegt, ob sie nicht ein solches persönliches Budget dem Betroffenen gegenüber leisten kann.
Für ein persönliches Budget braucht man unabhängige Beratung. Sie haben das so auf die Budgetassistenten konzentriert, das ist ja nur eine bestimmte Form für Menschen, die ihre Rechte nicht selbst in Anspruch nehmen können, insbesondere Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen. Aber es braucht eine unabhängige Beratung. Sie haben von 847 Budgets in Deutschland gesprochen. Das ist nicht ganz richtig, das sind die Budgets in den Modellregionen. Es gibt aber eine ganze Reihe von Budgets, insbesondere in Rheinland-Pfalz. Man geht davon aus, dass es allein in Rheinland-Pfalz ungefähr 2000 Budgetnehmer gibt. Diese Budgetnehmer sind deshalb dort so stark vertreten, weil Rheinland-Pfalz die unabhängige Beratung insbesondere mit den Behindertenverbänden frühzeitig aufgebaut und das sehr stark unterstützt hat.