Protokoll der Sitzung vom 03.07.2008

(Einstimmig)

Verurteilung des Systems der Laogai-Lager

Antrag der Fraktionen der FDP, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 1. Juli 2008 (Drucksache 17/478)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Bürgermeisterin Linnert.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den schlimmsten Unterdrückungsinstrumenten eines totalitären Staates gehören Zwangsarbeitslager. Dies war in der Vergangenheit so, und das gilt leider auch heute noch für einige Staaten auf dieser Erde, auch für die Volksrepublik China, die ein wichtiger Handelspartner Deutschlands ist und Austragungsort für die Olympischen Spiele sein wird.

Vor diesem Hintergrund erschien es uns sinnvoll, uns mit diesem Thema einmal etwas eingehender zu beschäftigen. Ich muss sagen, es ist wirklich erschütternd, wenn man sich einmal eine Dokumentation dazu anschaut, wie sie das Laogai-Handbook, herausgegeben von der Laogai Research Foundation in Washington, bietet: Dann merkt man, dass einerseits eine riesengroße Zahl an Zwangsarbeitslagern existiert, und andererseits erfährt man einiges über die ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

erschütternden Umstände, unter denen die Inhaftierten dort zu leiden haben.

Zum einen muss man wissen: Diejenigen, die dort inhaftiert sind, werden dort nicht etwa auf der Basis richterlicher Entscheidungen inhaftiert, sondern schlicht auf der Basis von Entscheidungen lokaler Behörden. Ich füge hinzu: Man darf vermuten, dass es oft sehr willkürlich zugeht.

(Beifall bei der FDP und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Zum anderen, das ist der zweite Punkt, der mich besonders betroffen macht, sind es die Arbeitsbedingungen, die dort herrschen. Dort wird Zwangsarbeit unter wirklich unmenschlichen Bedingungen geleistet. Die Inhaftierten werden dort teilweise gezwungen, bis zu 16 Stunden am Tag unter erbärmlichen Umständen zu arbeiten, und dies in unserer Zeit! Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass es das noch in dieser Zeit auf unserem Planeten gibt.

(Beifall bei der FDP)

Ein dritter wesentlicher Punkt ist die Tatsache, dass es sich bei diesem System von Gefängnissen nicht etwa um ein Element des normalen Rechtssystems handelt, sondern um ein Element des politischen Kampfes in China. So wird in den entsprechenden rechtlichen Grundlagen explizit darauf hingewiesen, dass sich das System der Laogai auch gegen sogenannte asoziale Elemente, wir würden sagen Regimekritiker, richtet. Dies finde ich absolut unerträglich, und dies muss auch von dieser Stelle aus verurteilt werden.

(Beifall bei der FDP, bei SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Einen weiteren Punkt darf ich hinzufügen, er ist in Bremen bereits in der Vergangenheit Thema in unseren Debatten auch hier in der Bürgerschaft gewesen: dass manche Produkte, die hier in Deutschland von privaten Nachfragern, aber auch von der öffentlichen Hand gekauft werden, aus China kommen und nicht immer sichergestellt ist, dass diese nicht Ergebnis von Zwangsarbeit sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als FDP-Fraktion sehen es als absolut wichtig an, an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen, dass derartige Produkte natürlich keinesfalls Elemente der öffentlichen Beschaffung des Landes oder der Stadtgemeinden sein dürfen. Ich darf mich an dieser Stelle sehr herzlich für die konstruktive Diskussion unserer Überlegungen, insbesondere bei den Kolleginnen Frau Hiller und Frau Dr. Schaefer von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, bedanken, die es ermöglicht haben, hier zu einem fraktionsübergreifenden

Antrag der drei Fraktionen zu kommen. Wir sind gemeinsam der Meinung, dass das eine gute Grundlage ist, um hier als Bremische Bürgerschaft ein politisches Signal zu setzen.

Ich will noch auf zwei Aspekte eingehen, die in dem gemeinsamen Antrag der drei Fraktionen besonders wichtig sind! Wir wollen zum einen hier noch einmal deutlich machen, dass es wesentlich ist, dass die Menschenrechte bei offiziellen Anlässen, bei denen politischer Austausch stattfindet, immer wieder eingefordert werden, aber auch bei Kontakten zwischen bremischen Institutionen und Unternehmen mit Institutionen aus China. Es ist uns weiterhin wichtig, dass hier wirklich noch einmal Wert darauf gelegt wird, dass wir Standards erarbeiten für den Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens, damit zukünftig ausgeschlossen werden kann, dass Produkte, die in Zwangsarbeitslagern wie den Laogai hergestellt werden, hier noch mit bremischem Geld importiert und bezahlt werden. Das kann nicht sein!

Meine Damen und Herren, bitte stimmen Sie diesem Antrag zu!

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, wollte ich Ihnen mitteilen, dass hinsichtlich der Tagesordnung jetzt vereinbart worden ist, die Punkte 31, Schule ohne Grenzen, und 33, Gesetz zur Änderung des Bremischen Bildungsurlaubsgesetzes, für diese Landtagssitzung auszusetzen.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hiller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kennen Sie den „Garten der Menschenrechte“ in unserer Stadt? Am 5. Juli, nächsten Samstag, findet im Rhododendronpark im „Garten der Menschenrechte“ ein Kulturspaziergang statt, zu dem Sie alle herzlich eingeladen sind. Auf diesem Kulturspaziergang soll es in diesem Jahr um 60 Jahre allgemeine Erklärung der Menschenrechte, also um die UN-Konvention, gehen.

Diese Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen hat 25 Artikel, die völkerrechtlich verbindliche Prinzipien über universelle Grundwerte formulieren. Der „Amnesty-International-Report 2008“ gibt Auskunft über die Menschenrechtssituation in der gesamten Welt. Einige Daten daraus: 2007 wurden in 81 Staaten Menschen gefoltert oder entwürdigt behandelt; 2007 wurden in 45 Staaten Menschen aus politischen Gründen inhaftiert; in 24 Staaten wurden 2007 über 1200 Menschen hingerichtet. Dies ist die Situation der Menschenrechtsverletzungen auf diesem Globus.

Nun zum vorliegenden Antrag! Wir unterstützen den Antrag der FDP, weil es natürlich, so wie auch

dort beschrieben, zutiefst inhuman und völlig inakzeptabel ist, dass dort Menschen in Arbeitslagern gefangen gehalten werden. Es verstößt gegen das Verbot der Zwangsarbeit, aber es verstößt auch gegen das Verbot der Kinderarbeit, weil auch viele Minderjährige, also Kinder, dort unter nicht akzeptablen Bedingungen arbeiten müssen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der FDP)

Schon im März 2007 hat der Deutsche Bundestag einen ähnlichen Antrag zur Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China beschlossen, und zwar mit den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und Bündnis 90/Die Grünen.

Ich will abschließend nur noch auf ein anderes Thema hinweisen, und zwar gibt es auch in Europa Menschenrechtsverletzungen, also auch vor unserer Tür. Am 10. Dezember diesen Jahres ist der Europäische Tag der Menschenrechte. Auch das ist ein Anlass, über Menschenrechtsverletzungen zu sprechen. Der Verein „Pro Asyl“ hat zu diesem Anlass einen Aufruf an das Europäische Parlament gestartet, auf die menschenunwürdige Situation in unseren europäischen Meeren, gerade in den südlichen Meeren, hinzuweisen. Dort sind zwischen 1988 und 2007 15 000 Menschen in Booten gestorben oder bei dem Versuch, nach Europa zu kommen. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Initiative unterstützen würden. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der FDP)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Schaefer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Laogai, viele wissen nicht, was sich hinter diesem Begriff verbirgt oder was dieser Begriff bedeutet, deswegen möchte ich ihn gern erläutern. Er bedeutet: Reform durch Arbeit. Das ist die höhnische Umschreibung für Zwangsarbeiterlager, für politische Umerziehungslager mit fürchterlichen Konsequenzen für die Insassen. Es sind Arbeitslager, in denen die Menschenrechte aufs Gröbste verletzt werden. Hiervor darf die Welt, aber auch wir, nicht die Augen verschließen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Es gibt circa 1200 dieser chinesischen Arbeitslager. Sie sind hier in diesem Handbuch der Laogai Research Foundation aus Washington alle aufgezählt. Offizielle chinesische Zahlen sprechen von 200 000

Inhaftierten, aber NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, sprechen von 3 bis 5 Millionen Insassen. Es gibt keine genauen Angaben, da westliche Besucher, aber auch UN-Sonderbotschafter, nicht in diese Lager hinein dürfen. Fachleute beziffern die Zahl der Inhaftierten seit der kommunistischen Machtübernahme von 1949 auf 50 Millionen Menschen. Ein Drittel von ihnen, also knapp 17 Millionen, starb in diesen Lagern, das ist eine unvorstellbar hohe Zahl.

Wer sind die Insassen dieser Arbeitslager? Herr Dr. Möllenstädt hat schon darauf hingewiesen, es sind Andersdenkende. Es sind politisch Gefangene, es sind Andersgläubige, nämlich die Gläubigen und Anhänger aller Religionen außer der chinesischen Staatsreligion, es sind Einwohner der besetzten Gebiete oder auch ethnische Minderheiten wie zum Beispiel Mongolen oder Tibeter.

Unter welchen Bedingungen leben sie dort? Auch das wurde schon gesagt: Es gibt dort den 16-Stunden-Tag, 7 Tage die Woche, das ganze Jahr hindurch, maximal drei freie Tage, und das natürlich unentgeltlich. Aber wir sprechen hier vor allem von Einzelhaft, von Schlafentzug, von Prügel, Prügel auch von Mithäftlingen, von Entzug von Essen und Wasser, Entzug der Menschenwürde, zum Beispiel durch erzwungene Nacktheit, aber auch von Folter, von Gehirnwäschen bis hin zur Todesstrafe.

Laut NGOs werden bis zu 10 000 Todesstrafen pro Jahr in diesen Lagern vollzogen. Das heißt, in diesen Lagern wird gegen das Verbot der Zwangsarbeit, gegen das Verbot der Kinderarbeit und gegen Menschenrechte eklatant verstoßen. Das sind menschenunwürdige grausame Bedingungen, und das im 21. Jahrhundert! Das sind Methoden, die wir nur aus dem dunklen Mittelalter kennen, das können wir nicht einfach hinnehmen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt zu der Frage: Was hat Bremen damit zu tun? Warum stellen wir hier in Bremen diesen Antrag, der die Laogai-Lager zum Thema hat? Zum einen, das ist ja das, was uns monatlich erfreut, steigen in den deutschen Häfen, in Hamburg, aber auch in Bremerhaven, die Containerumschlagszahlen, und das auch basierend auf den steigenden Importen aus China. Ich will jetzt bestimmt nicht chinesische Produkte generell verteufeln. Ja, wir sind ja sogar durchaus an konstruktiven Wirtschaftsbeziehungen zu China interessiert. Gleichwohl dürfen wir deswegen aber nicht zu den Laogai-Lagern schweigen. Der Import der Waren, die in diesen Lagern unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt worden sind, ist ethisch nicht vertretbar.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der FDP)

Prominentestes Beispiel sind bestimmt die Granitpflastersteine, auch hier in der Bremer Fußgängerzone. Es kann nicht angehen, dass wir billige Pflastersteine, die in chinesischen Arbeitslagern produziert worden sind, hier in Bremen einbauen. Aus diesem Grund haben wir vor einigen Monaten den Antrag für faire, soziale und ökologische öffentliche Beschaffung hier in der Bürgerschaft beschlossen.

Ja, wir sind auch alle Konsumenten, die Konsumgüter, zum Beispiel auch Kleider aus Asienimporten, kaufen. Aber auch hier heißt es: Augen auf! Der Konsum solcher Produkte ist eine indirekte Billigung, eine indirekte Tolerierung und Unterstützung dieser menschenverachtenden Arbeitslager. Es ist eine Billigung von Folter, von Kinderarbeit, von Qual und Tod. Daher wollen wir mit diesem Antrag, unserer eigenen Verantwortung bewusst, die Laogai-Lager verurteilen. Wir wollen China zur Schließung der Lager auffordern und den Dialog über Menschenrechte mit China fortsetzen. Wir wollen Bremer Unternehmen sensibilisieren, ihre chinesischen Geschäftspartner auf diese Problematik anzusprechen.

Warum ist das wichtig? Das macht dieses Handbuch klar, dort sind die verharmlosenden Namen dieser Gefängnisse, dieser Arbeitslager beschrieben. Oftmals findet man als Geschäftspartner ein Beispiel, nämlich die Hersteller von Wegwerfessstäbchen, von Textilfabriken, von Maschinenfabriken, die Traktoren bauen. Es ist gar nicht immer klar, was sich hinter diesen verharmlosenden Begriffen verbirgt, dass Arbeitslager dahinterstecken.

Wir wollen vor allem auch bei der öffentlichen Beschaffung darauf achten, dafür sind auch Gütesiegel wichtig, dass keine Produkte aus den Arbeitslagern gekauft oder verwendet werden. Meine Damen und Herren, China ist nicht irgendwer – es ist das bevölkerungsreichste Land der Erde. Es ist eine Wirtschaftsmacht, es ist der Austräger der Olympischen Spiele dieses Jahres, und es ist ein Global Player im 21. Jahrhundert.

(Präsident W e b e r übernimmt den Vorsitz.)

Das bedeutet aber auch, dass China endlich die Menschenrechte anerkennen muss! Wir dürfen bei allen Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturinteressen, mit allen Kooperationen mit China den Dialog und damit auch das Thema Menschenrechte nicht vergessen. Wir müssen darauf hinwirken, dass diese Lager abgeschafft werden und dass Menschenrechte zukünftig in China gewahrt werden. Daher bitte ich Sie: Unterstützen Sie diesen Antrag! – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.