Protokoll der Sitzung vom 26.08.2009

Frau Bürgermeisterin, wenn eine generelle Zurückweisung von diesen Ersatzpapieren erfolgt, wäre das nicht ein Indiz, ohne sich definitiv auf die ethnische Zugehörigkeit zu stützen, für eine solche Diskriminierung?

Bitte, Frau Bürgermeisterin!

Die Begründungen, die ich gehört habe, sind rechtsirrtümlich. Ich glaube, dass es insgesamt eine Praxis gibt, die Menschen mit wenig Einkommen diskriminiert, was die Kontoeröffnung angeht. Das andere kann ich nicht sagen. Uns sind, wenn überhaupt, immer nur Einzelfälle bekannt gewesen, die man dann vielleicht auch lösen konnte. Man kann Menschen nur auffordern, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Eine letzte! Wenn Sie die Banken noch einmal informieren wollen, was Sie schon angekündigt haben, dann würde der Rechtsirrtum ausgeräumt werden, und dem, der dann noch das Einrichten von Girokonten ablehnt und nicht bereit ist, solche Ersatzpapiere zur Kenntnis zu nehmen, müsste man dann wohl eine andere Motivation unterstellen.

Bitte, Frau Bürgermeisterin!

Ich wäre da vorsichtig, weil ganz vielen Menschen ein Girokonto auf Guthabenbasis verweigert wird. Wenn ein Schaltermitarbeiter bei der Bank oder Sparkasse sagt, wir nehmen hier keine Farbigen, dann ist das ein klarer Sachverhalt. Ich denke aber, die Praxis läuft anders; sie

läuft schleichend und dergestalt, dass eben ganz viele Menschen, die über kein hohes Einkommen verfügen, da mehr oder weniger auch verprellt werden oder man sie mit Ausflüchten vertreibt. Ich glaube, das ist eher die Wirklichkeit. Das andere mag schleichend eine Rolle spielen. Inwieweit es dann in einem Einzelfall so weit geht, dass eine Person dagegen klagen kann, kann ich nicht beurteilen, aber wenn jemand kommt und Hilfe braucht, wie gesagt, haben wir eine Stelle, die diesbezüglich auch Unterstützung leisten würde. Ich würde mich freuen, wenn Menschen sich dagegen zur Wehr setzen, das ist ganz sicher!

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Die vierte Anfrage betrifft die Schließung der Familienkasse Bremerhaven durch die Bundesagentur für Arbeit. Die Anfrage ist unterschrieben von den Abgeordneten Dr. Buhlert, Woltemath und Fraktion der FDP.

Bitte, Herr Kollege Dr. Buhlert!

Wir fragen den Senat:

Erstens: Wie beurteilt der Senat die von der Bundesagentur für Arbeit vorgebrachten Gründe für die endgültige Einstellung des Beratungsangebots der Familienkasse Bremen in Bremerhaven?

Zweitens: Wie beurteilt der Senat die zunehmende Zentralisierung der Familienkassen durch die Bundesagentur für Arbeit, die mit einer Umstellung auf telefonisch und onlinegestützte Beratung der Bürgerinnen und Bürger einhergeht?

Diese Anfrage wird beantwortet von Frau Senatorin Rosenkötter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Der Vorstand Grundsicherung der Bundesagentur für Arbeit hat dem Senat mit Schreiben vom 15. Juli über die endgültige Einstellung des Beratungsangebots und deren Gründe informiert. Demnach hat die Auswertung des fünfmonatigen Modellversuchs folgende Ergebnisse gezeigt: Insgesamt hat es 786 Vorsprachen von Kundinnen und Kunden gegeben. Pro Sprechtag waren dies im Durchschnitt 66 Vorsprachen. Nach Ermittlungen der Agentur für Arbeit erforderten 88 Prozent der Kundenvorsprachen keine persönliche Präsenz in Bremerhaven, weil die Anliegen ohne Hilfsmittel beziehungsweise mit Einsicht in die EDV-Programme hätten geklärt werden können. Die Agentur für Arbeit sieht sich mit diesen Ergebnissen insofern in ihrer Geschäftspolitik bestätigt, als dass nach einer aktuellen Kundenbefragung nur 11 bis 12 Prozent der Kunden den persönlichen Kontakt suchen.

Der Senat kann die von der Bundesagentur für Arbeit vorgetragenen Befunde nicht überprüfen und nimmt sie insofern zur Kenntnis. Auch wenn laut Bundesagentur mit 88 Prozent eine hohe Quote von Kundenvorsprachen erzielt wurde, die keine persönliche Präsenz erfordern, stellt der Senat fest, dass beim verbliebenen Anteil von circa 90 Kunden eine persönliche Vorsprache nötig ist. Den davon betroffenen Bürgerinnen und Bürgern – mehrheitlich dürfte es sich dabei um Frauen handeln – wird zugemutet, bei der Familienkasse in der Agentur für Arbeit in Bremen vorstellig zu werden. Der Senat hält diese Größenordnung für nicht vernachlässigbar und den den Bürgerinnen und Bürgern auferlegten Reise-, Zeit- und Kostenaufwand für nicht bürgerfreundlich.

(Beifall bei der SPD)

Dem Senat ist bekannt, dass dieser Aufwand einer großen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zugemutet wird und es sich insoweit um keine spezifische Nachteilssituation Bremerhavens handelt. Als Besonderheit Bremerhavens macht der Senat allerdings darauf aufmerksam, dass die Stadt eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosen- und SGB-II- sowie Alleinerziehendenquote hat. Der Senat kommt daher zu dem Schluss, dass die bedürftigen Bürgerinnen und Bürger Bremerhavens sowie deren Kinder – etwa im Bereich des SGB-II-nahen Kinderzuschlags – besonders negativ von der Strukturreform der Familienkassen betroffen sein dürften.

Zu Frage 2: Die Neuorganisation der Familienkasse als „besondere Dienststelle“ bei der Bundesagentur für Arbeit erfolgte Anfang 2005. Sie unterliegt nicht der Selbstverwaltung, und eine Zuständigkeit der Länder besteht nicht. Die aus dem Umbau resultierende Zusammenlegung von bis dahin 179 auf 102 Dienststellen folgte dem Primat der Kostenreduzierung mit dem Nachteil größerer Bürgerferne. Nach Auffassung des Senats hat sich trotz Verbesserung der telefonischen Erreichbarkeit und der online-gestützten Beratung gezeigt, dass durch die Umstrukturierung im Land Bremen mit nur noch einer Dienststelle in der Agentur für Arbeit in Bremen die Nachteile der Zentralisierung überwiegen.

(Beifall bei der SPD)

Der Senat hat unter anderem in Schreiben an den Vorstand Grundsicherung der Bundesagentur für Arbeit, den Staatssekretär beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie zuletzt gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit und dem Bundesminister der Finanzen seine Position deutlich gemacht. Zum Bedauern des Senats hat sich über die modellhafte und befristete Sprechstunde in Bremerhaven und deren Einstellung hinaus keine Bereitschaft zu einem Entgegenkommen bei den Verantwortlichen gezeigt. – Soweit die Antwort des Senats!

Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Ich habe zur Kenntnis genommen, dass wir zumindest darin übereinstimmen, dass 90 Prozent keine persönliche Vorsprache brauchen, 90 Menschen eine Vorsprache brauchen und laut Auskunft der Agentur 90 Prozent online und per Telefon beraten werden könnten. Ist denn überhaupt gesichert, dass sie sich alle online einschalten könnten? Ich will damit zum Ausdruck bringen: Ich denke, dieser Anteil ist noch viel höher, und wie beurteilt der Senat diesen Zustand von Menschen, die in dieser Angelegenheit wirklich persönlich vorsprechen müssen?

Bitte, Frau Senatorin!

Sie haben die Zahlen noch einmal genannt, etwa zehn Prozent brauchen eine persönliche Vorsprache. 90 Prozent können ihre Anliegen auch über das Internet oder telefonisch vorbringen. Ich habe dies auch ausgeführt, und insofern haben wir keine Möglichkeit, diese Angaben von uns aus zu überprüfen. Ich habe natürlich auch keinen Anlass, diese von uns gemachten Angaben an der Stelle zu bezweifeln. Selbstverständlich bleibt hier, und das habe ich zum Ausdruck gebracht, ein Bedauern, dass hier keine andere Möglichkeit geschaffen werden kann.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Also teilen Sie die Vermutung, dass es sogar noch mehr als zehn Prozent sein könnten, die vorsprechen müssen, weil es kein Internet bei ihnen zu Hause gibt?

Bitte, Frau Senatorin!

Das ist jetzt Ihre Interpretation. Ich kann das nicht an harten Zahlen nachvollziehen.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

In der Fragestunde im Januar habe ich deutlich gemacht, dass es auch Vorschläge gibt, Familienkassen bei Finanzämtern anzusiedeln. Haben Sie dort Vorstöße unternommen, so etwas modellhaft beispielsweise in Bremen umzusetzen, beispielsweise Vorstöße im Bundesrat, damit hier eine andere Organisation stattfinden kann, die mehr vor Ort und bürgerfreundlicher ist?

Bitte, Frau Senatorin!

Zunächst einmal habe ich, glaube ich, sehr deutlich gemacht, dass wir durch alle

unsere Möglichkeiten der unterschiedlichen Aufsichten auf der Bundesebene hier in Gesprächen und auch in Anschreiben versucht haben, etwas anderes zu erreichen. Die Finanzämter sind ganz schlicht und einfach an der Stelle nicht zuständig, um dies machen zu können. Das ist eine eigenständige Einheit der Bundesagentur für Arbeit für den Bereich der Grundsicherung und insofern auch nicht in der Zuständigkeit von Finanzämtern. Von daher verbietet sich diese Möglichkeit, das Verfahren an Finanzämter anzudocken.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Frau Senatorin Rosenkötter, ich hatte gefragt, ob Sie entsprechende Vorstöße im Bundesrat unternommen haben, weil ich weiß, dass die Zuständigkeit heute nicht so ist, aber man kann sie natürlich verändern, und was sich heute verbietet, wird sich dann morgen vielleicht erlauben. Haben Sie solche Vorstöße unternommen?

Bitte, Frau Senatorin!

Zunächst einmal ist dieser Modellversuch am 15. Juli 2009 beendet worden. Mit Schreiben vom 15. Juli 2009 haben wir darüber Kenntnis gehabt. Sie wissen, dass auch Berlin sich in einer parlamentarischen Sommerpause befunden hat und dieses Thema in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, die im Oktober tagen wird, erneut aufgegriffen werden kann. Das ist sicher einer der richtigen Wege, um sich auch der Beteiligung der anderen Länder zu versichern. Es macht, glaube ich, wenig Sinn, hier von Bremen allein einen Vorstoß zu unternehmen.

Ich will Ihnen auch einmal sagen, München zum Beispiel – was mich nicht für Bremen und Bremerhaven tröstet – hat selbst keine Familienkasse, die Menschen müssen nach Passau; Würzburg hat keine Familienkasse, die Menschen müssen nach Aschaffenburg. Daran mögen Sie sehen, dass es nicht nur ein Problem ist, das uns hier trifft, sondern deswegen macht es, glaube ich, auch Sinn, das auf der Ebene der zuständigen Ministerinnen und Minister erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Ich bin gespannt, wie wir dann darüber diskutieren. Insofern ist der Vorschlag, den Sie gemacht haben, aus meiner Sicht jetzt vom Verfahren her der richtige, nämlich an die zuständigen Fachministerien zu gehen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Also rechnen Sie sich Unterstützung für diesen Vorschlag aus, der unter ande

rem von der FDP kommt, so etwas an die Finanzminister zu geben, weil die Missstände beispielsweise an anderen Stellen auch groß sind?

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Sie haben es aber nötig!)

Bitte, Frau Senatorin!

Herr Abgeordneter Dr. Buhlert, ich will noch einmal sagen, dass wir nicht froh darüber sind, dass die Familienkasse in Bremerhaven geschlossen worden ist. Ich glaube, da sind wir uns alle einig, und das müssen wir hier nicht noch einmal ganz besonders betonen. Ich sage Ihnen, dafür gibt es zuständige Ministerkonferenzen, die sich erneut mit diesem Thema beschäftigen und dann, wenn sie das so einschätzen, auch entsprechende Vorstöße vorbereiten werden.

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Frehe!

Frau Senatorin, ich möchte mich erst einmal für das Engagement, das der Senat in dieser Sache gezeigt hat, bedanken.