Protokoll der Sitzung vom 28.10.2009

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu den Fragen 1 und 2: Der Senat bewertet die Umwandlung von eigenbetriebenen Postfilialen in Partnerfilialen als baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung, wenn diese in Gebäuden betrieben werden, die nicht als Poststelle, sondern zum Beispiel als Einzelhandelsgeschäft genehmigt sind. In einem solchen Fall ist in dem Baugenehmigungsverfahren neben der planungsrechtlichen Zulässigkeit insbesondere die in Paragraf 53 Bremische Landesbauordnung geforderte Barrierefreiheit zu prüfen.

Die in der Bremischen Landesbauordnung ausdrücklich für Schalter und Abfertigungsräume der Deutschen Post AG vorgeschriebene barrierefreie Nutzbarkeit ist gleichermaßen für partnerbetriebene Poststellen verbindlich, weil diese ebenso zur postalischen Grundversorgung beitragen wie herkömmliche Postfilialen der Deutschen Post AG. Ist der Betrieb einer partnerbetriebenen Poststelle ohne die erforderliche Baugenehmigung aufgenommen worden, kann die Bauordnungsbehörde gegebenenfalls die Herstellung der Barrierefreiheit oder die Aufgabe der Nutzung fordern.

Zu Frage 3: Ausgehend von der vorstehend zu den Fragen 1 und 2 vertretenen Rechtsauffassung sieht der Senat keine Notwendigkeit, auf eine Zielverein

barung nach Paragraf 5 des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes hinzuwirken. Sie wäre mit Auswirkung auf das Land Bremen nur bei Poststellen sinnvoll, die baugenehmigt sind und deshalb aufgrund des Bestandschutzes betrieben werden dürfen, obwohl sie nicht barrierefrei zugänglich und nutzbar sind. – Soweit die Antwort des Senats!

Herr Kollege, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, wie beurteilen Sie die Situation, dass in der Neustadt mehrere Postfilialen in solchen Geschäften eingerichtet worden sind? Ist Ihnen bekannt, dass die Deutsche Post AG die Abgeordneten über einen Brief an den Senator für Wirtschaft, Herrn Nagel, informiert hat, dass am 9. Oktober 2009 im Tabak- und Schreibwarengeschäft in der Friedrich-Ebert-Straße eine weitere Postfiliale eingerichtet worden ist? Wie wollen Sie damit umgehen?

Bitte, Herr Senator!

Der Brief ist mir nicht bekannt, zu dem Punkt generell kann ich aber Folgendes sagen: Es gibt bei der Deutschen Post AG die Notwendigkeit, bundesweit mindestens 12 000 Poststellen vorzuhalten, davon müssen 5 000 mit unternehmenseigenem Personal als Postfiliale geführt werden, die übrigen Poststellen können von Partnern betrieben werden, in der Regel von sogenannten Postagenturen. Diese Postagenturen werden häufig ohne vorherige Baugenehmigung in genehmigten Einzelhandelsgeschäften betrieben, dies offenbar – bislang jedenfalls – in der Annahme, dass das zusätzliche Angebot an postalischen Universaldienstleistungen innerhalb der Variationsbreite eines genehmigten Einzelhandelsbetriebs liegt und deshalb baurechtlich keine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung, sondern lediglich eine Ergänzung des für ein Einzelhandelsgeschäft typischen Warenangebots darstellt.

In der Konsequenz dieser Sichtweise dürften aus Gründen des Bestandsschutzes auch nicht barrierefreie Postagenturen betrieben werden, wenn auch der genehmigte Laden nicht barrierefrei zugänglich ist. Das ist – so möchte ich ausdrücklich bekräftigen – nicht die Rechtsauffassung der Freien Hansestadt Bremen. Wir sehen das anders, wir sind der Meinung, dass sie – wie bereits in der Antwort selbst gesagt – den exakt gleichen Anforderungen genügen müssen wie die von der Post selbst betriebenen Filialen.

Diese Problematik ist uns erstmals durch eine Anfrage von Herrn Dr. Steinbrück im April dieses Jahres bekannt geworden, mit der er bauordnungsrechtlich hinterfragt hat, ob es richtig ist, dass in einer Videothek im Buntentorsteinweg in der Neustadt – wir wollen jetzt nicht zu präzise werden – eine Postagentur betrieben wird, die nicht barrierefrei erreich

bar ist. Wir haben – das kennen Sie wahrscheinlich auch – Herrn Dr. Steinbrück mitgeteilt, dass eine in einem genehmigten Einzelhandelsgeschäft betriebene Postagentur nicht bestandsgeschützt ist, sondern in einem Baugenehmigungsverfahren auf die Einhaltung aller öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu prüfen ist, insbesondere auch hinsichtlich der vorgeschriebenen Barrierefreiheit. Unsere Rechtsposition ist da klar, aber nicht endgültig höchstrichterlich geklärt. Wir haben das im Vorfeld noch einmal prüfen lassen: Hinsichtlich der baurechtlichen Bewertungen der von den Einzelhandelsgeschäften eingerichteten Postagenturen liegt bisher mangels einschlägiger Urteile keine gefestigte Rechtsmeinung vor. Es gibt Urteilssprüche in dieser und in jener Richtung, aber die Auffassung von uns hier in Bremen – das habe ich Ihnen beschrieben – ist, dass es eine absolute Gleichheit geben muss, und deswegen gehen wir gegen diese Fälle auch vor. Dieser neue Fall in der Friedrich-Ebert-Straße, den Sie eben angesprochen haben, ist mir noch nicht bekannt. In meiner Vorlage handelt es sich nur um diese Videothek in der Neustadt, und da sind wir in Gesprächen. Wenn das nicht geändert wird, bekommen die Probleme, um es einmal allgemein zu sagen.

Herr Kollege, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Ich teile diese Rechtsauffassung, die Sie für Bremen vertreten, und freue mich darüber. Welche konkreten Schritte unternehmen Sie, um diese Rechtsauffassung auch durchzusetzen?

Bitte, Herr Senator!

Wir sind im Gespräch mit dem Betreiber der Videothek im Buntentorsteinweg und haben ihm auch die rechtlichen Konsequenzen in vollem Umfang vor Augen geführt, sodass wir davon ausgehen, dass es Anpassungen gibt oder der schlechtere Fall realisiert wird, dass sie dann eben keine Postagentur mehr sein kann.

Herr Kollege, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Halten Sie es nicht auch für sinnvoll, mit der Deutschen Post AG schon vor der Vergabe solcher Agenturen an bestimmte Betriebe, die nicht barrierefrei sind, zu sprechen, damit sie ihre Auffassung ändert, und dass Sie darauf einwirken, dass die Deutsche Post AG sich dieser Auffassung anschließt?

Bitte, Herr Senator!

Die Deutsche Post AG fragt uns ja nicht, bevor sie mit Einzelhändlern in Kontakt tritt,

das wäre ja auch ein bisschen viel verlangt. Es gibt, wie gesagt, 12 000 dieser Poststellen, von denen 5 000 selbst als Postfiliale betrieben werden. Das heißt, 7 000 dürfen auch als Postagentur betrieben werden, und da sind die potenziellen Ansprechpartner eben solche Einzelhandelsgeschäfte wie Kioske, Videotheken, alles Mögliche. Der Post muss klar sein – ich bin aber auch gern bereit, dies noch einmal in einem Brief an den Vorstand der Post zu schreiben –, dass wir erwarten, dass sie hier bei uns im Lande Bremen nur solche Einzelhandelsgeschäfte als Partner auswählt, die barrierefrei sind und unserer rechtlichen Auffassung entsprechen, das kann ich gern zusagen.

(Abg. F r e h e [Bündnis 90/Die Grünen]: Danke!)

Herr Senator, eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Richter!

Es betrifft nicht nur die Postagenturen und Postfilialen, sondern das Thema Barrierefreiheit ist im Grunde genommen für jeden Laden, für jedes Dienstleistungsunternehmen von Wichtigkeit. Wie handhabt Ihr Ressort Anträge auf Herstellung barrierefreier Eingangssituationen für Geschäfte und Dienstleistungsunternehmen, wenn hierfür öffentlicher Grund erforderlich ist? Ich unterstelle natürlich, dass dann der öffentliche Grund auch die entsprechende Breite hat, um das zu realisieren, sodass die Verkehrssicherungspflicht nicht eingeschränkt wird.

Bitte, Herr Senator!

Das ist eine praktische Vollzugsfrage, die ich Ihnen so aus dem Stand nicht beantworten kann. Ich müsste erst mit den Fachleuten reden, aber grundsätzlich ist natürlich klar, Barrierefreiheit ist gefordert, entspricht unserer Rechtsauffassung, und deshalb wird auch dann, wenn öffentlicher Raum in Anspruch genommen wird, nach kooperativen Lösungen gesucht, wenn die Verkehrssicherungspflichten dadurch nicht gefährdet werden. Das kann ich so sagen, aber über Detailfragen müssten wir vielleicht noch einmal in der Deputation sprechen, wie es im praktischen Vollzug im Einzelfall aussieht. Falls Sie einen konkreten Fall im Hinterkopf haben, was ja sein könnte, dann können wir das selbstverständlich gern besprechen.

Herr Kollege, eine weitere Zusatzfrage?

(Abg. R i c h t e r [FDP]: Das machen wir gern in der Deputation, danke!)

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Senator, von der Abgeordneten Frau Busch!

Herr Senator, ich möchte bei der Post bleiben. Sie haben zwei Aussagen getroffen, die eine war, dass die Zielvereinbarung hinsichtlich der Barrierefreiheit für die Partneragenturen genauso gilt wie für die Filialen, und die andere Aussage war, dass von den 12 000 Filialen 5 000 bleiben und der Rest umgewandelt wird. Mir ist ein Beschluss der Deutschen Post bekannt, wonach alle Filialen in Partnerfilialen umgewandelt werden. Im Land Bremen wird das derzeit durchgeführt. Ich bekomme wöchentlich die Mitteilung darüber, welche Filiale betroffen ist. Das geht also wöchentlich hier ein, und bis 2011 werden alle Postfilialen nach Aussage von Herrn Siekmann, das ist der Politikbeauftragte der Deutschen Post, im Lande Bremen umgewandelt sein. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Was wird der Senat unternehmen, um diese Zielvereinbarung, die für die Agenturen dann gilt, auch einzuhalten?

Bitte, Herr Senator!

Die Frage habe ich schon zu beantworten versucht, indem wir selbstverständlich darauf achten, dass bei solchen Postagenturen die Ebenerdigkeit, die Barrierefreiheit hergestellt wird, weil wir die klare Rechtsauffassung haben, weil unsere rechtlichen Grundlagen das so vorsehen, vor allem die Bremische Landesbauordnung. Insofern ist die Rechtslage klar. Wir werden noch einmal, das hatte ich soeben in der Antwort auf Herrn Frehes Anfrage schon einmal gesagt, der Post als Ergebnis Ihrer Intervention mitteilen, dass wir davon ausgehen, wenn es zu der zunehmenden Einrichtung solcher Postagenturen kommt, dass dann eben auch das Kriterium der Barrierefreiheit eingehalten wird. Das sage ich hier zu.

Frau Kollegin, eine weitere Zusatzfrage?

Herr Senator, weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Bevor ich die zweite Anfrage aufrufe, möchte ich noch auf der Besuchertribüne zehnte Realschulklassen der Schulen Im Ellener Feld und Graubündener Straße ganz herzlich begrüßen.

(Beifall)

Die zweite Anfrage bezieht sich auf das Gebetsraum-Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin. Die Anfrage ist unterzeichnet von den Abgeordneten Dr. Buhlert, Woltemath und Fraktion der FDP.

Bitte, Herr Kollege Dr. Buhlert!

Wir fragen den Senat:

Erstens: Welche Konsequenzen zieht der Senat aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom

29. September 2009, wonach muslimischen Schülern die Möglichkeit eingeräumt werden muss, in den Unterrichtspausen die religiös vorgeschriebenen Gebete zu verrichten?

Zweitens: Gibt es in einigen Schulen im Land Bremen bereits die Möglichkeit für die Schülerinnen und Schüler verschiedener Religionen, in Ruhe ihrem Gebet nachzugehen?

Drittens: Inwieweit wird bereits durch Rechtsverordnungen oder Anweisungen der Umgang mit der Ausübung religiöser Handlungen durch Schülerinnen und Schülern während der Schulzeit geregelt, welche Handlungsspielräume werden den Schulen in dieser Frage gelassen, und wie wird hierbei der Neutralitätspflicht des Staates Rechnung getragen?

Die Anfrage wird beantwortet von Frau Senatorin Jürgens-Pieper.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Der Senat hält es für verfrüht, in Bremen und Bremerhaven Konsequenzen aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin zu ziehen. Es handelt sich zunächst um eine Einzelfallentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin im Fall eines 16-jährigen muslimischen Schülers. Nur für diesen Schüler würde die Entscheidung Bindungswirkung entfalten. Da das Verwaltungsgericht die Berufung zugelassen hat, ist sie zudem auch noch nicht rechtskräftig.

Das erstinstanzliche Urteil liegt dem Senat seit wenigen Tagen vor. Es bedarf noch der sorgfältigen Analyse. Nach einer ersten Bewertung lässt sich aber bereits heute darauf verweisen, dass das Verwaltungsgericht Berlin entgegen der öffentlichen Darstellung die Schule ausdrücklich nicht verpflichtet hat, einen Gebetsraum einzurichten. Es hat lediglich festgestellt, dass der Kläger berechtigt ist, während des Besuches des Gymnasiums – der Name wird nicht genannt – außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein islamisches Gebet zu verrichten. Ein solches Recht wird Schülerinnen und Schülern in Bremen und Bremerhaven nicht bestritten.

Zu Frage 2: Dem Senat ist bekannt, dass in den wenigen bislang aufgetretenen Einzelfällen positive individuelle Lösungen gefunden wurden. Dies ist auch dadurch erleichtert, dass in Schulen oftmals pädagogisch-funktionale Räume, Ruheräume, Schulbüchereien zur Verfügung stehen, die für die erbetene Ungestörtheit Voraussetzungen bieten.

Zu Frage 3: Die Bremer und Bremerhavener Schulen sind bezogen auf das Anliegen, in der Schule ungestört beten zu können, nicht verbindlichen Regelungen unterworfen. Der Senat geht davon aus, dass bremische Schulleitungen mit der gebotenen Sensibilität und Offenheit damit umgehen. Die staatliche

Neutralitätspflicht verbietet vor allem eigene Aktivitäten der schulischen Organisation wie des handelnden Personals in Bezug auf religiöse Bekundungen. Sie gebietet nicht, solche insbesondere durch Schülerinnen und Schüler zu unterbinden. Solange der Schulfrieden durch die Art der Glaubensbekundung insgesamt nicht gefährdet wird, sieht sich der Senat im Gegenteil auch aufgrund des Toleranzgebotes aus Artikel 33 der Landesverfassung verpflichtet, Zitat, „auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schüler Rücksicht zu nehmen“. – Soweit die Antwort des Senats!

Herr Kollege, haben Sie eine Zusatzfrage?