Protokoll der Sitzung vom 28.10.2009

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Brumma.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über den Bericht des Senats vom 23. Juni über den Einsatz von jugendlichen Testkäuferinnen und -käufern zur Überwachung des Jugendschutzgesetzes. Wir haben es schon häufiger diskutiert, immer mehr Jugendliche fallen durch exzessives Trinken auf, das Einstiegsalter hat sich reduziert. Neben vielen Präventionsangeboten und Maßnahmen werden von uns auch seit Februar Testkäufer in Bremen und Bremerhaven eingesetzt. Wir folgen hier nur dem Beispiel von Niedersachsen oder dem im Ausland, wie in Großbritannien, Dänemark und Schweden.

Für uns zählt diese Maßnahme zu den vier Elementen Ursachenforschung, Prävention, Hilfe und Repression. Wenn man die Ursachenforschung ansieht, gibt es inzwischen ganz neue Untersuchungen, unter anderem von der Gmünder Ersatzkasse. Sie stellt fest, dass dieses Phänomen nicht nur in sozialen Randrisikogruppen anzutreffen ist, sondern der Alkoholkonsum an sich das Problem und die Ursache ist. Das heißt, inzwischen sind alle – mehr Jungen als Mädchen – einem höheren Risiko ausgesetzt, und auch, wenn das Hobby Partybesuche vorwiegend als Freizeitbeschäftigung vorherrscht oder wenn die Cliquen entsprechend einwirken, auch die Familie ist ein ganz wichtiger Ort, der solche Jugendlichen gefährdet.

Man hat herausgefunden, dass Freizeitaktivitäten wie Sport nur zum Trinken verführen, aber nicht zum Komasaufen, also zum exzessiven Trinken. Kritische Lebensereignisse oder auch Stress in der Schule sind ebenfalls Ursachen, wie die Gmünder Ersatzkasse festgestellt hat. Auch hat es eine Bedeutung, wie viel Taschengeld die Jugendlichen bekommen. Wie gesagt, die Ursachenforschung ist hier um einiges weiter. Die von der Verwaltung durchgeführten Testkäufe dienen uns als Präventionsinstrument und sollen unter Umständen auch gegenüber den Händlern, die verkaufen, als repressive Elemente durchgeführt werden.

In unserem beschlossenen Antrag vom Februar forderten wir einen Bericht vom Senat, wie diese Testkäufe organisiert werden, wir haben auch gefordert, dass die Jugendämter dabei sind, und es sollte auf freiwilliger Basis geschehen und/oder eine Einwilligung der Erziehungsberechtigten vorhanden sein. Mindestens 17 Lebensjahre sollte das Alter dieser Test

käuferinnen und -käufer betragen. Inzwischen gibt es Ergebnisse. In dem Bericht wurde festgestellt: 70 Prozent der Einzelhändler oder Tankstellen gaben Alkohol heraus, in Bremerhaven lag der Anteil sogar bei 80 Prozent. Leider macht dies deutlich, dass solche Testkäufe ein wichtiges Instrument bei der Alkoholprävention sind. Wir haben auch Wert darauf gelegt, dass der Alkohol von den Jugendlichen gleich nach dem Kauf bei einem Behördenvertreter abgeliefert wird,

(Heiterkeit bei der FDP)

Sie sollen ihn nicht mit nach Hause nehmen. Das wurde auch eingehalten. Wir befürworten diese Testkäufe, und es soll nicht so sein, wie es geschehen ist, dass eine Monopolzeitung in Bremen diese auf eigene Faust durchführt, sondern wir sind der Meinung, dass die Käufe unter staatlicher Aufsicht erfolgen müssen. Bei der Innenministerkonferenz in Bremerhaven wurden Prüfaufträge für Testkäufe erteilt. Ablehnend gegenüber Testkäufen haben sich Berlin und SachsenAnhalt verhalten, während die Länder Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, NordrheinWestfalen und Sachsen-Anhalt Prüfaufträge durchführen und über eine professionelle Begleitung bei Testkäufen Beschlüsse fassen wollen. Bayern will, dass in erster Linie bei Testkäufen Angehörige der zuständigen Vollzugsbehörden dabei sind. Insgesamt gibt es hier also große Übereinstimmungen, wenn man die Innenministerkonferenz an ihren Ergebnissen misst. Wir als SPD-Fraktion können nur sagen, dass sich die Testkäufe bewährt haben. Die Erfolge bestätigen – leider, muss ich sagen – unsere Haltung, aber wir sagen auch, dass sie nur ein Instrument der gesamten Präventionspalette sind. Wir müssen sehen, dass das elterliche Verhalten sich ändert, denn es stand vor kurzem erst im „Weser-Kurier“ zu lesen, dass in Bremen durch Alkoholmissbrauch die Erkrankungsquote um elf Prozent gestiegen ist. In Deutschland gelten inzwischen 1,3 Millionen Menschen als abhängig, das ist die Einwohnerzahl von München. Die Ärztekammer schätzt, dass 9,5 Millionen Menschen über 18 Jahre Alkohol in gesundheitlich riskanter Form verbrauchen. Man kann dazu natürlich sagen, dass die Leber mit ihren Aufgaben wächst, aber ich glaube, ein derart riskanter Versuch scheitert in der Realität.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der FDP)

Neben der gesundheitlichen Problematik ist der Schaden auch volkswirtschaftlich beträchtlich. Es wird berechnet, dass dieser Alkoholkonsum allein die Gesellschaft 22 Milliarden Euro kostet. Hier sind die Kosten für die Komasäufer von 500 Euro pro Person mit einbezogen.

(Glocke)

Ich meine, das ist der richtige Weg. Wir müssen natürlich andere Instrumente mit einbeziehen, wir hoffen allerdings, dass Testkäufe am Ende überflüssig werden und wir dieses Instrument dann wieder beerdigen können. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Alkoholmissbrauch von Kindern und Jugendlichen hat in Deutschland in den letzten Jahren erheblich zugenommen, Herr Brumma hat soeben schon darauf hingewiesen. Das unter einigen Kindern und Jugendlichen offensichtlich so beliebte sogenannte Komasaufen führte allein im Jahr 2007 in circa 20 000 Fällen zu Krankenhausaufenthalten und sogar in einigen Fällen zu Todesfällen. Aus einem Bericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung für das Jahr 2008 geht hervor, dass 17,4 Prozent der Zwölf- bis Siebzehnjährigen regelmäßig Alkohol konsumieren. Ich finde, das ist eine erschreckende Bilanz. Die CDU-Fraktion hat diese Vorfälle zum Anlass genommen, den Senat zu mehr Aufklärung über die Gefahren des Alkoholkonsums sowie zum Einsatz von jugendlichen Testkäufern auf-zufordern. Ziel sollte die bessere Einhaltung des Ju-gendschutzgesetzes sein.

Der Mitteilung des Senats vom 23. Juni 2009 zur Überwachung des Jugendschutzgesetzes durch den Einsatz jugendlicher Testkäufer und Testkäuferinnen lässt sich entnehmen, dass in Bremen bisher bei zwei durchgeführten Kontrollen 15 Einzelhandelsgeschäfte überprüft worden sind und dabei die Jugendlichen in elf Fällen, was 73,3 Prozent ausmacht, Alkohol erwerben konnten.

(Abg. W o l t e m a t h [FDP]: Skandalös!)

Das finde ich auch, Herr Woltemath!

In Bremerhaven wurde eine Kontrollaktion durchgeführt, bei der in 25 von 31 überprüften Objekten – das sind 80,6 Prozent, Sie haben auch schon darauf hingewiesen, Herr Brumma – den Jugendlichen Alkohol verkauft worden ist. Diese Zahlen belegen nach Ansicht der CDU-Fraktion eindeutig, dass die Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes offensichtlich in vielen Geschäften kaum Beachtung finden und Kinder und Jugendliche viel zu leicht an Alkohol gelangen können. Allerdings hat diese Aktion offensichtlich auch dazu geführt – und insofern, glaube ich, hat diese Aktion sich damit schon als berechtigt dargestellt –, dass in vielen Geschäften mittlerweile auf das Jugendschutzgesetz hingewiesen wird. Wir begrüßen

) Vom Redner nicht überprüft.

deshalb ausdrücklich das Vorhaben des Senats, auch in Zukunft jugendliche Testkäufer einzusetzen und dabei zur Sensibilisierung des Verkaufspersonals beizutragen. Wir fordern den Senat weiter auf – Herr Brumma hat es soeben auch schon gemacht –, seine Aufklärungsarbeit hinsichtlich der Gefahren des Alkoholkonsums sowie entsprechende Präventionskonzepte weiter zu verstärken. Aus unserer Sicht ist der Senat sehr verantwortungsbewusst mit dem Instrument des Einsatzes von jugendlichen Testkäuferinnen und Testkäufern umgegangen. Neben der Einwilligung der Eltern und der umfangreichen Einweisung der Testkäufer und Testkäuferinnen wurde vom Senat gewährleistet, dass alle Kontrollen von Mitarbeitern des Stadtamtes beziehungsweise Ordnungsamtes in Bremerhaven sowie von Polizeibeamten begleitet wurden. Eine Gefährdung der jugendlichen Testkäufer, wie von einigen Kritikern befürchtet, sehen wir nicht. Auch der Vorwurf, es handle sich dabei um eine Agent-Provocateur-Aktion, ist aus unserer Sicht nicht haltbar.

(Abg. Frau T r o e d e l [DIE LINKE]: End- lich einmal etwas Französisches!)

Jetzt komme ich zu Ihnen, Frau Troedel! Anschließend sei mir noch ein Hinweis in Richtung der Fraktion DIE LINKE gestattet, die unseren damaligen Antrag abgelehnt hatte. Einer Ihrer politischen Urväter hat den Grundsatz geprägt „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“.

(Heiterkeit – Zuruf der Abg. Frau T r o e - d e l [DIE LINKE])

Dem ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen! – Danke schön! (Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Cakici.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir dieses Thema natürlich etwas anders sehen, wurde ja schon angedeutet. Durch die Kleine Anfrage war eigentlich schon klar, dass wir das Thema weder rechtlich noch ethisch als geklärt betrachten. Testkäufe durch Jugendliche konterkarieren den Jugendschutz, sie stiften Jugendliche zum Rechtsbruch von staatlicher Seite aus an, sie stellen ein Denunziationsprinzip in den Vordergrund, bei dem Testkäuferinnen und -käufer zum Agent Provocateur werden und Polizeiaufgaben übernehmen. Die Testkäufe dienen nicht, wie der Senat es darstellt, der Sensibilisierung. In der Vorlage wird nämlich explizit darauf verzichtet, Verwarnungen gegen die Verkaufs––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

stellen auszusprechen, sondern die direkte Ahndung anvisiert.

Wir befürworten, dass die Bußgeldbescheide nicht nur gegen das Verkaufspersonal, sondern auch gegen die Geschäftsführungen ausgesprochen werden. Das Verkaufspersonal ist häufig gestresst, überarbeitet und zu schlechten Konditionen angestellt.

(Zurufe von der CDU)

Doch, so ist es! Zudem existieren auch interne Anweisungen, Alkohol zu verkaufen, um den Umsatz zu steigern. Dafür dürfen Verkäuferinnen und Verkäufer nicht verantwortlich gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Geschäftsführungen haben eine besondere Verantwortung zur Einhaltung des Jugendschutzes und sollten deshalb auch hauptsächlich dafür eintreten.

Die Probleme mit den Testkäufen sind nicht nur die ethischen Fragen und die Verlagerung ordnungspolizeilicher Aufgaben, sondern auch die Tatsache, dass dadurch Tür und Tor geöffnet wird, denn erstens sind sie auch auf alle möglichen anderen Gebiete übertragbar – es wurde ja auch schon berichtet, dass bei Lottoannahmestellen auch Tests durch Jugendliche durchgeführt werden sollen –, und zweitens müssen Testkäufe, um die Effektivität aufrechtzuerhalten, ständig wiederholt werden. So werden Polizeiaufgaben auf jugendliche Azubis übertragen.

Zwar schreibt der Senat in seiner Antwort, dass die Auszubildenden freiwillig an den Testkäufen teilnahmen. Im Kontext einer Ausbildung ist es aber unwahrscheinlich, dass Jugendliche die Teilnahme verweigern würden, wenn sie Ihnen nahegelegt wird.

Mit der Durchführung der Testkäufe wird die ablehnende Haltung vieler Organisationen und Fachgremien ignoriert, das muss an dieser Stelle auch einmal erwähnt werden. Der Deutsche Kinderschutzbund, die Kinderkommission des Bundestages und auch die niedersächsische SPD-Fraktion haben Testkäufe von Jugendlichen abgelehnt,

(Beifall bei der LINKEN)

denn sie untergraben den Schutz und den Erziehungsauftrag. Jugendliche werden zu Misstrauen erzogen, sie sollen mit den Testkäufen gezielt andere in die Falle locken. Ihnen wird signalisiert, dass sie das Gesetz brechen dürfen, wenn die Politik es will. Gesetze werden so zu einem dehnbaren Gegenstand, und auch uneingeschränkt, das ist ein völlig falsches Signal.

Der Senat betrachtet die rechtlichen, pädagogischen und ethischen Fragen als geklärt, wir nicht! Der Bruch des Jugendschutzes wird damit gerechtfertigt, dass die Spirituosen direkt nach dem Erwerb abgenom

men werden. Ein entsprechendes Rechtsgutachten liegt uns auch nicht vor. Die Vermutung liegt einfach nahe, dass diese Testkäufe einfach durch den Spardruck vorgenommen werden, denn die Polizei hat 100 Stellen zu wenig. Da verwundert es nicht, dass die ordnungspolizeiliche Kontrolle von Alkohol und Testkäufen etwas zu kurz kommt. Wenn man sich einmal anschaut, wer alles dabei ist, das Jugendamt ist dabei, und was man dann noch an Personal und Verwaltungskosten hat, dann würde ich sagen, das Geld ist definitiv in der Prävention besser angelegt, und darüber sollte man zukünftig nachdenken. – Danke schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Woltemath.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Hinners, wir haben das damals auch abgelehnt, weil wir nämlich genau in diesem Punkt Bedenken hatten, dass wir hier Jugendliche zu etwas anstiften und animieren, was sie normalerweise eventuell gar nicht tun würden, und wir hier auch das Vertrauen und das Verständnis in den Rechtsstaat untergraben. Deshalb haben wir es abgelehnt, mit diesen Testkäufern zu operieren. Wir haben aber damals ausdrücklich gesagt, dass man es bei ausuferndem Alkoholmissbrauch und Alkoholkonsum, den wir ja teilweise beobachten können – und wir haben jetzt gerade wieder die Debatte mit den Schaustellern auf dem Freimarkt gehabt, dass es da wieder Problemlagen im Vorfeld der Bürgerweide gegeben hat –, in den Griff bekommen muss. Da haben wir, glaube ich, parteiübergreifend die dringende Bitte, dass wir hier ein nachhaltiges Präventionsprogramm auflegen.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Der Senat hat zwar hier alles sehr schön beschrieben, auch, welche Kontrollen er durchgeführt hat. Nun haben wir die Erkenntnis, aber das hätten wir vielleicht auch vorher so sagen können, die Jugendlichen müssen ja irgendwie sowieso an den Alkohol kommen. Entweder können sie ihn selbst kaufen – die Wahrscheinlichkeit war relativ groß, dass sie es können, dass es irgendwo immer wieder Leute gibt, die ihnen Alkohol verkaufen –, oder sie beschaffen sich Alkohol durch andere Erwachsene.

Mir kommt aber in dieser Mitteilung des Senats viel zu kurz, welche Maßnahmen des Jugendschutzes denn jetzt eingeleitet werden. Was sind denn die weiteren Konsequenzen aus der Erkenntnis, dass wir hier Alkoholmissbrauch haben, und welche Programme werden denn da aufgelegt? Da müssen wir den Finger in die Wunde legen und sagen, dass wir hier mit großem Nachdruck eine viel stärkere Aufklärungskampagne bei Kindern und Jugendlichen brauchen,

dass man vom Alkohol und vom Alkoholkonsum wegkommt und dass vor allem diese überforderten Ereignisse, die wir jetzt auch im Zusammenhang mit dem Freimarkt sehen, eingedämmt werden. – In diesem Sinne vielen Dank!

(Beifall bei der FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Öztürk.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist Alkohol das am weitesten verbreitete Suchtmittel unter Jugendlichen. Nach einer Anfrage unserer grünen Fraktion hier in der Fragestunde wurden im Zeitraum von Juli 2008 bis Juni 2009 in einer Altersgruppe der Elf- bis Fünfzehnjährigen, Frau Cakici, jeweils 91 Jungen und 97 Mädchen sowie in der Altersgruppe der Sechzehnbis Siebzehnjährigen weitere 66 Jungen und 43 Mädchen wegen einer Alkoholvergiftung behandelt. Das sind nur die Extremfälle, die dokumentiert werden können, die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Dieser Bedarf ist durchaus gegeben, dass man hier – und so hatten wir uns hier in der Bürgerschaft im Februar eingesetzt – den Dringlichkeitsantrag zusammen mit uns, der SPD und der CDU verabschiedet.