Protokoll der Sitzung vom 28.10.2009

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Beantwortung dieser Frage ist der Tagesordnungspunkt eins erledigt.

Aktuelle Stunde

Meine Damen und Herren, für die Aktuelle Stunde liegen zwei Themen vor, und zwar erstens auf Antrag des Abgeordneten Dr. Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Abgeordneten Tschöpe und Fraktion der SPD das Thema

Bremer Sanierungskurs durch schwarzgelben Koalitionsvertrag gefährdet

und zweitens auf Antrag der Abgeordneten Kastendiek, Frau Dr. Mohr-Lüllmann, Röwekamp und Fraktion der CDU das Thema

Wachstum, Bildung, Zusammenhalt der Gesellschaft, Chancen der neuen Bundesregierung für Bremen und Bremerhaven nutzen.

Interfraktionell wurde vereinbart, diese beiden Themen im Rahmen einer Debatte zu erörtern. Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister Böhrnsen und Frau Senatorin Jürgens-Pieper. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung hat mit ihrem Koalitionsvertrag eine Reihe von entscheidenden Weichen gestellt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Reingefallen! Nach dieser Weichenstellung fährt der D-Zug, der Deutschland-Zug, in eine total verkehrte Richtung,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN – Abg. I m h o f f [CDU]: Reingefallen!)

nur scheinbar sollen die Menschen entlastet werden. Bei denen, die schon viel haben, bleibt in der Tat ein bisschen übrig, bei den anderen steckt man in die eine Hosentasche etwas hinein, was der Staat in Zukunft aus der anderen Hosentasche wieder herausholen möchte. Das ist das Prinzip dieses Koalitionsvertrags im Hinblick auf die Kassen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)

Bremen hat eine in der Tat schwierige Haushaltslage, und das schon seit Jahren. An dieser sollten wir alle gemeinsam in dieser Bremischen Bürgerschaft arbeiten. Durch die Schuldenbremse, durch die Föderalismuskommission II müssen wir unsere jährliche Neuverschuldung bis zum Jahr 2020 auf null stellen. Nun hat die schwarz-gelbe Bundesregierung zusätzliche Steuerausfälle für Bremen in Höhe von etwa 163 Millionen Euro organisiert. Mit dieser zusätzlichen Steuermindereinnahme wird es sehr, sehr schwer werden, den Konsolidierungskurs für Bremen weiter durchzuhalten! Wer hat etwas davon, dass man dies tut? Unternehmen haben etwas davon durch die Änderung der Unternehmenssteuerreform, beim Mantelkauf und der Grunderwerbssteuer. Erben haben etwas davon, Gutverdiener mit Kindern mit einem sehr hohen Kinderfreibetrag in Zukunft. Hotelbesitzer haben etwas davon mit der verringerten Mehrwertsteuer. Durch diese Erleichterungen in den genannten Gruppen werden aber gleichzeitig Haushaltslöcher aufgerissen, die allein im Bund im nächsten Jahr 2010 zu einer abenteuerlichen jährlichen Neuverschuldung von 90 Milliarden Euro führen. Das konterkariert die von allen gemeinsam ausgearbeitete Schuldenbremse, und es wird die Menschen in ihrem Alltag ganz besonders treffen. Hier sind Staat und die Bürger, die von diesem Staat abhängen, gleichermaßen betroffen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Dies ist kein langweiliges Rechenspiel zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften, Bund, Land und Gemeinden, das ist ganz konkreter Alltag für viele Menschen. Es bedeutet nämlich, dass wir in den Ländern, die zum Beispiel für Bildung, für viele Sozialausgaben und für die Kitas zuständig sind, Hunderte Lehrer weniger haben werden in Bremen, weniger Kitaplätze, weniger Studienplätze und Streichungen bei Jugend- und Sozialprojekten, wenn wir diese Mindereinnahmen, die hier auf Bundesebene organisiert werden, hier in Bremen umsetzen würden.

(Abg. W o l t e m a t h [FDP]: Der Wahl- kampf ist vorbei!)

Gleichzeitig setzen Sie darauf, und das, finde ich, ist eine Sache, die ganz schwierig ist, dass zum ersten Mal in dem Sozialversicherungssystem eine Endsolidarisierung organisiert werden soll. In Zukunft sollen Mehrkosten bei der Krankenversicherung allein von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und nicht mehr solidarisch zur Hälfte auch von den Arbeitgebern getragen werden. Das gesamte Programm dieser rot-grünen Regierung in Bremen ist hier so aufgestellt, so etwas zu!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Auch das Betreuungsgeld für zu Hause erziehende Eltern und die weitere Erhöhung des Kindergelds sind alles Mittel, die zum Fenster hinausgeworfen und uns fehlen werden, wenn wir den Kindergartenbereich, den Unter-Dreijährigen-Bereich, die Ganztagsschulen und vor allen Dingen eine bessere Qualität in der Bildung organisieren. Dafür sind die Länder zuständig. Sie entziehen mit diesen Entscheidungen den Ländern die Mittel, um den Kindern eine bessere Bildung gewähren zu können, das ist absolut nicht in Ordnung!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Die Ministerpräsidenten der CDU sind nahezu einhellig einer anderen Auffassung als Sie, und das, finde ich, ist schon ein sehr bemerkenswerter Vorgang. Ganz offensichtlich haben die zumindest den Wählerauftrag, dass sie sich um ihr jeweiliges Bundesland zu kümmern haben, ernst genommen. Die Herren Müller, von Beust, Wulff, Koch, Oettinger, Böhmer und die designierte Ministerpräsidentin Lieberknecht haben sich alle unisono geäußert, dass im Bundesrat mit ihrer Zustimmung nicht zu rechnen ist, weil das ein Nachteil der jeweiligen Länder wäre, für die sie stehen.

Nun frage ich Sie hier als Opposition in Bremen, werte Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP: Haben Sie einen Wählerauftrag, sich im Sinne Bremens zu verhalten? Haben Sie einen Wählerauftrag, sich für die Interessen der Menschen in Bremen und Bremerhaven einzusetzen? Dann müssten Sie an der Seite Ihrer Ministerpräsidentenkollegen stehen! Oder haben Sie hier nur die Nibelungentreue mit der Kanzlerin Merkel, um diesen Koalitionsvertrag schönzureden,

(Zurufe von der CDU und der FDP)

und ist das Ihre einzige Funktion, die Sie hier in diesem Haus ausüben wollen?

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Die böse, böse Frau Merkel!)

Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesen Ministerpräsidenten, die wollen in Niedersachsen, in Sachsen-Anhalt, in Hamburg und in Thüringen etwas für die Menschen in diesen Ländern tun! Die gleiche Rolle sollten Sie hier auch in Bremen einnehmen, das wäre auch ein Oppositionsauftrag für Sie!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Westerwelle hat auf dem FDP-Krönungsparteitag am letzten Wochenende gefeixt, dass die FDP alle 20 Kernforderungen ihres Wahlprogramms durchgesetzt hätte. Ich habe noch selten eine bedrücken

dere Nachricht aus dem politischen Raum gehört als diese!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

In Wirklichkeit, wenn man den Koalitionsvertrag liest, hat sich die Lobbymaschine der FDP an ganz vielen Stellen durchgesetzt. Wenn, wie es offensichtlich der Fall ist, Ärzteverbände, Pharmaindustrie und andere bei Ihnen Passagen des Koalitionsvertrags schreiben, dann ist hier zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Schleuse geöffnet worden, dass Lobbyinteressen, einseitige Lobbyinteressen, bedeutend vor das Allgemeinwohl gestellt werden.

Sie von der FDP – wir können dazu jeden einzelnen Punkt des Koalitionsvertrags einmal diskutieren – müssen einmal sagen, wieso hier in diesem Koalitionsvertrag diese Einzelinteressen von sowieso schon relativ gut gestellten Kreisen in der Bevölkerung vor das Allgemeinwohl, vor das Wohl der allgemeinen Gesellschaft und vor jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger gestellt worden sind. Herr Brüderle, der neue Wirtschaftsminister, hat auch noch ein Kapitel zum Branntweinmonopol und zur deutschen Weinbaukultur bekommen, bis dahin geht Ihr Lobbyismus, und bis dahin geht Ihre Hörigkeit für Einzelinteressen! Das Große und Ganze fehlt allerdings völlig in diesem Koalitionsvertrag.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Sie werden sagen, und das haben Sie auch schon in den Medien getan, dass der rot-grüne Senat in Bremen nur von seinen eigenen Haushaltsproblemen ablenken will.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Allerdings!)

Diese Haushaltsprobleme sind nicht 2007 entstanden, als Rot-Grün die Regierung hier übernommen hat. Sie sind sehr viel älter. Sie waren auch die ganze Zeit, zwölf Jahre, als Sie mitregiert haben, genauso virulent wie heute.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Aber es gibt sie!)

Wenn Sie behaupten, dass es keine Sparanstrengungen gäbe – natürlich gibt es massive Haushaltsprobleme –, dann ist das verkehrt, Sie können sich die Haushalte anschauen. Wir sind inzwischen nicht durch das Schlachtfest, dass sie gern bei den Sparanstrengungen hätten, sondern durch kontinuierliche, stetige Sparbemühungen in den konsumtiven

Bereichen, beim Personal und bei den Investitionen weit unter dem Stadtstaatenniveau.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: 400 Millio- nen Euro mehr als 2006!)

Das hat diese Regierung vor allen Dingen nach vorn getrieben, sodass wir weiter den Haushalt in Bremen konsolidieren wollen.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Wo sparen Sie denn eigentlich?)

Wenn Sie nun einen solchen Koalitionsvertrag in Berlin schließen, dann konterkarieren Sie die Bemühungen dieser Regierung, genau das zu erreichen, sehr geehrter Herr Röwekamp. Ihr Schlachtfest wird es mit Sicherheit nicht geben!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen, an dem Bremen und Bremerhaven direkt betroffen sind! Sie planen, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Das ist nicht nur ein Anschlag auf die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung, weil das alte, längst überholte Schrottreaktoren sind, die hier länger laufen sollen. Das ist natürlich auch ein Anschlag auf eine wirklich zentrale, zukunftsfähige, aufstrebende Industrie in Bremen und Bremerhaven, vor allen Dingen in Bremerhaven bezüglich der Produktion, Forschung und Entwicklung, Wartung und Dienstleistungseinrichtungen. Diese aufstrebende Industrie im Land Bremen, die viele Menschen in Brot und Arbeit bringt und sehr viel für das Klima tut.

Da kommen ganz viele Seiten im Koalitionsvertrag, in dem Sie das auch sagen, die regenerativen Energien nach vorn bringen wollen, Durch das weitere Einspeisen der Atomkraft machen Sie aber einen Flaschenhals in den Netzen und blockieren den Ausbau und die Investitionen in die regenerativen Energien. Das wissen Sie ganz genau! Das ist im Interesse von genau vier Stromkonzernen in dieser Republik. Es wird in Bremen und Bremerhaven ganz schwierig sein, sich gegen die Tendenz aus diesem Koalitionsvertrag durchzusetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Lassen Sich mich zum Schluss an diesem Punkt noch einmal sagen, wenn man auf die Fakten schaut, kann man es ganz leicht erklären, allein nur die Atomkraftwerke in unserer Region: Wann sollten sie abgeschaltet werden? Krümmel im Jahr 2017, Brunsbüttel im Jahr 2010, das ist schon nächstes Jahr, und Esenshamm/Unterweser, hier gleich um die Ecke, im Jahr

2012! Lassen Sie uns einmal für diese drei Kernkraftwerke die Anzahl der Störfälle auflisten: Krümmel 311, Esenshamm/Unterweser 315 und Brunsbüttel ganze 451 Störfälle! Mit diesen Reaktoren wollen Sie noch länger als in den Laufzeiten bisher vorgesehen Strom produzieren? Sie nehmen damit die Sicherheit einer ganzen Region als Geisel für die Gewinne dieser Stromkonzerne in Kauf.

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Was ist denn ein Störfall?)