Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

(Beifall bei der FDP – Abg. Frau T r o e - d e l [DIE LINKE]: Aber dieses Mal waren wir nicht schuld!)

Wenn Sie einmal schauen, was Sie vorschlagen, dann bin ich doch in der Tat dabei festzustellen, dass Sie eine Expertokratie statt einer Demokratie wollen. Wir als FDP wollen eine demokratische Auseinandersetzung. Wenn Sie die hier suchen, können Sie sie gern auch mit uns führen, denn dann müssen wir hier auch diskutieren: Was soll pauschaliert werden? Wofür soll es einzelne Bezahlungen geben? Ist es einfach so – Herr Frehe hat es angesprochen –, sollen die Experten einfach entscheiden, ob ein Großgerät, ein Küchengerät mit in den Bedarfssatz kommt oder ob es dafür Einzelbewilligungen gibt? Das muss doch demokratisch entschieden werden, und das Verfassungsgericht sagt auch, dass das Aufgabe der Gesetzgeber ist, dafür kann man Anhörungsverfahren durchführen.

(Beifall bei der FDP)

Man braucht doch nicht eine Expertokratie dafür einzurichten, wir haben in unserer Demokratie Gesetzgebung und andere Verfahren, Beteiligungsverfahren, das reicht vollkommen aus.

Die nächste Frage, die wir diskutieren müssen, ist, wir haben hier in der Tat viel über Gesundheitsschutz geredet, dann müssen wir uns auch die Frage stellen: Gehört Tabak in so einen Regelsatz oder nicht? Die Frage muss man dann politisch beantworten, oder

man sagt, wir wollen einen Teil, den wir gar nicht anschauen, und geben den für persönliche Lebensführung frei und sagen, jeder Mensch hat die Freiheit, damit zu tun, was er will. Auch solche Fragen müssen diskutiert werden, wo wir schon bei Elektrogroßgeräten sind, ob irgendwo eine Beschränkung der Bildschirmdiagonalen bei Fernsehern gemacht wird. Wenn ich mir da so einige Berichte anschaue, habe ich bei einigen doch den Eindruck, dass sehr große Bildschirmdiagonalen nicht durch geringe Regelsätze verhindert werden. Auch das muss einmal gesehen werden.

(Beifall bei der FDP – Abg. F e c k e r [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Das ist jetzt Möllenstädt light!)

Dann muss auf der anderen Seite einmal geschaut werden, dass wir wollen, dass Theater und Museen von Kindern besucht werden. Da müssen wir doch die Frage stellen: Wollen wir es vielleicht bundesweit hinbekommen, dass Theaterbesuche und Museumsbesuche für Schulen kostenlos sind? Vielleicht gelingt das ja, dann brauchen wir so etwas aber auch nicht mehr im Bedarfssatz. Auch das müssen wir uns überlegen.

Am Ende müssen wir politisch entscheiden, wie wir es mit dem Lohnabstandsgebot halten, wie es gelingt, mehr Menschen zu motivieren, Arbeit aufzunehmen. Wir haben dazu ein Konzept vorgelegt – die FDP wird das auf ihrem Bundesparteitag jetzt am Wochenende in Köln sicherlich bestätigen, das heißt Bürgergeld, – denn es geht doch darum, es ist schon angedeutet worden, Arbeit ist am besten, wenn man Armut verhindern will.

(Beifall bei der FDP)

Dann muss man darüber diskutieren, wie man das garantiert. Wir wollen keinen Mindestlohn, wir wollen ein Mindesteinkommen.

Ich sage auch noch: Wir sind keine Freunde von sittenwidrigen Löhnen. Schauen Sie doch einmal Zahlungsströme an, dann werden Sie wissen, wer es am Ende zahlt! Auch Ihre Sache wird am Ende vom Konsumenten gezahlt werden müssen oder von denen, die die Arbeitslosigkeit weiter finanzieren müssen. Der Bundeszuschuss an die Bundesagentur für Arbeit ist mir schon heute zu hoch.

Insofern werden wir auch da weiter diskutieren müssen, aber wir können uns der politischen Diskussion und Entscheidungsfindung nicht dadurch entziehen, dass wir das an ein Expertengremium verweisen. Deswegen sage ich hier noch einmal, wir wollen ein geregeltes demokratisches Verfahren mit Beteiligung entsprechender Stellen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und haben, um uns nicht dem Vorwurf auszusetzen, wir würden nichts Kon

kretes sagen, unseren Antrag geschrieben und hier eingebracht, denn wir wollen durchaus dokumentieren, welche Meinung wir haben. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Frehe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das passt ja wunderbar, jetzt hier nach Herrn Dr. Buhlert zu reden! Mit dem FDP-Antrag haben wir wieder einmal ein Beispiel, wie man ungetrübt von jeglicher Sachkenntnis eine populistische Diskussion über den Sozialstaat anzetteln kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die FDP – und Herr Dr. Buhlert, Sie haben es eben noch einmal gesagt – möchte gern darüber nachdenken, ob Genussmittel wie Alkohol der Tabak sowie große Elektrogeräte, wahrscheinlich die Waschmaschine und der Fernseher – Sie haben eben auch noch die Bildschirmdiagonale angegeben, die Sie meinen, die noch zu berücksichtigen sei –, zu dem notwendigen Bedarf für Arbeitslosengeld-II-Bezieher gehören und ob sie zulassen will, ob das eingerechnet wird oder ob man eine willkürliche Abkopplung der Arbeitslosengeld-II-Bezieher und Sozialhilfeempfänger von den Lebensmöglichkeiten der übrigen Gesellschaft ermöglichen will. Das, denke ich, ist ein Verstoß gegen das, was das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir haben nicht das Recht, einfach zu sagen, wir wollen eine ganz andere Lebenssituation für die Sozialleistungsempfänger erzeugen, sondern das Recht auf Teilhabe schließt ein, dass sie auch ein Stückchen von der Gesellschaft so leben können wie andere auch, und wenn es üblich ist, zum Beispiel Zigaretten zu rauchen, dann kann man nicht sagen, ihr müsst aber abstinent sein.

Die FDP möchte die gesellschaftliche Teilhabe von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern auf ein geringeres Maß beschränken, das habe ich Ihren Äußerungen entnommen. Allein der Verlust der Arbeit stellt aber schon einen derartigen Nachteil dar, den diese Menschen aushalten müssen, das reicht aber offensichtlich nicht, Sie wollen das auch noch am Regelsatz begrenzen.

Ich will das noch einmal ein bisschen deutlicher machen an dem, was Sie dann tatsächlich eben noch einmal geäußert haben! Das Erste ist, Sie sagen, die

Kinderregelsätze hätten die Grünen oder die rot-grüne Koalition eingeführt.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Ich habe gesagt, Hartz IV haben sie eingeführt!)

Diese Pauschale! Seit 1961, seitdem es das Bundessozialhilfegesetz gibt, gibt es diese proportionale Ableitung. Dass sie sich jetzt als falsch erweist, finde ich gut und richtig. Es ist immer deutlicher geworden, dass der Bedarf von Kindern in der Tat teilweise höher ist als der von Erwachsenen und nicht einfach abgeleitet werden kann, und wir freuen uns, dass das Bundesverfassungsgericht das jetzt festgestellt hat. Das kann man Rot-Grün jedenfalls nicht in die Schuhe schieben.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Aber Hartz IV)

Das Zweite, es ist richtig, dass Rot-Grün die Gesetzgebung unter dem Namen Hartz IV zu verantworten hat, das finde ich richtig. Ich finde, es steht uns auch gut an, Fehler, die gemacht worden sind, auch als solche zu sehen. Aber wie war die Situation vorher? Vorher – und deswegen noch einmal auch ein Wort an Frau Nitz – war die Situation, dass wir viele Leute hatten, die Arbeitslosenhilfe beanspruchen mussten und von dieser Arbeitslosenhilfe nicht leben konnten. Sie mussten zusätzlich Sozialhilfe beanspruchen. Zudem war der ganze Bereich „Hilfe zur Arbeit“ im Bundessozialhilfegesetz deutlich unterentwickelt. Dies zu verbessern war richtig. Wie es gemacht wurde, war nicht gut, darauf können wir uns ja vielleicht einigen, und wenn man jetzt erkannt hat, dass dort Fehler gemacht wurden, ist es richtig, diese Fehler auch zu korrigieren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Zu Herrn Bensch möchte ich sagen: Ich finde es schon ein bisschen abenteuerlich, wenn Sie sich hinstellen und sagen, Rot-Grün hat das gemacht, wir haben damit nichts zu tun. Wer war es denn, der die Verschlechterungen im Gesetz noch bewirkt hat im Bundesrat, im Vermittlungsausschuss? Waren es nicht die CDU-geführten Länder, die sich da engagiert haben und damit das, was wir jetzt an problematischen Bestimmungen im SGB II haben, mitzuverantworten haben?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

War es nicht die CDU, die darauf gedrängt hat, dass wir auf keinen Fall den Regelsatz über die 345 Euro anheben? Daran kann ich mich sehr gut erinnern, dass es diese Länder waren!

Ein Weiteres möchte ich noch einmal zu dem Vorwurf von Herrn Dr. Buhlert sagen, dass die Einsetzung einer solchen Kommission ein vordemokratisches Verfahren wäre! Ich habe dazu das SGB XII mitgebracht, das ist der Teil, worauf sich auch die Regelsätze beziehen. Rechtslage ist Folgendes, ich zitiere Paragraf 5 Absatz 2: „Die Träger der Sozialhilfe sollen bei der Durchführung dieses Buches mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts sowie den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege zusammenarbeiten. Sie achten dabei die Selbstständigkeit in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben.“ An zig anderen Stellen steht, dass auch mit den kommunalen Trägern der Sozialhilfe zusammengearbeitet wird und dass auch mit den Verbänden der Betroffenen zusammengearbeitet werden soll. Diese Experten sollen bei der Bestimmung des Regelsatzes mit herangezogen werden, dieses Expertenwissen ist wichtig und notwendig, und es ist keine Art und Weise, wie es jetzt teilweise wohl passieren soll, dass der Regelsatz hier nach Gutsherrenart bestimmt wird.

Ein Letztes zu dem Antrag der LINKEN, sonst muss ich dafür noch einmal kommen!

(Glocke)

Ich werde hier gerade gebeten, meine Rede zu beenden, dann komme ich noch einmal und werde noch etwas zu dem Antrag der LINKEN sagen. Den Antrag der FDP lehnen wir ab, weil er populistisch ist und in keiner Weise der Rechtslage entspricht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Garling.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kurz zum Antrag der FDP: Sie als soziale Brandstifter tun jetzt so – Herr Dr. Buhlert, würden Sie mir jetzt vielleicht auch einmal zuhören! –, als sei nichts gewesen, und jetzt versuchen Sie, sich mit der Uniform der Feuerwehr zu schmücken. Das nenne ich scheinheilig!

(Beifall bei der SPD)

Ihr Außenminister hat in übler Form diskriminiert und ausgegrenzt, und jetzt tun Sie so, als hätten Sie eine seriöse Sozialstaatsdebatte anregen wollen. Dreister geht es wohl nicht! Lassen Sie sich eines gesagt sein: Ziel der Arbeitsmarktpolitik ist es selbstverständlich, dass erwerbsfähige Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Was uns von Ihnen aber unterscheidet, ist, dass wir die Menschen in eine exis––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

tenzsichernde und menschenwürdige Arbeit vermitteln wollen. Sie hingegen zielen auf eine Verstetigung prekärer Arbeitsverhältnisse. Nichts anderes steht hinter Ihrem Kombilohn-Modell. Sie wollen prekäre Lebensverhältnisse zum Dauerzustand machen, und das auf Kosten des Steuerzahlers. Das machen wir nicht mit, und das entspricht auch nicht unserem Menschenbild! Ihren Antrag werden wir mit Nachdruck ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Zum Änderungsantrag der LINKEN! Für uns gibt es zunächst das Ziel, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Sinne eines menschenwürdigen Existenzminimums umgesetzt wird. Dafür haben wir bis zum Ende des Jahres Zeit. Wir sind durchaus der Meinung, dass es Änderungsbedarfe bei der Hartz-IV-Gesetzgebung gibt, wollen dies aber nicht mit der Frage der Regelsätze vermischen.

Ich kann verstehen, dass DIE LINKE unseren koalitionären Antrag zum Anlass nimmt, um das ganz große Rad zu drehen.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Wir drehen immer am Rad!)

Aber, liebe LINKE, uns geht es erst einmal um Sorgfalt vor Eile. Wir haben erst einmal einen verfassungsrechtlichen Auftrag zu erfüllen. Deshalb werden wir den Änderungsantrag der LINKEN ablehnen, und ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen! – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Garling, ich will das in aller Form zurückweisen, was Sie hier geäußert haben! Es ist doch klar, und das würde ich mir doch auch wünschen, dass wir miteinander über die Zukunft unseres Sozialstaates und der Transfersysteme sprechen. Im Übrigen finde ich es dann schon sehr bemerkenswert, wenn Sie hier meiner Partei und dem Kollegen Dr. Buhlert vorwerfen, sie würden Brandstifterei betreiben. Wo kommen wir denn da hin? Wo sehen Sie das denn belegt?

(Unruhe bei der SPD)