Für die Aktuelle Stunde ist von den Abgeordneten Frau Troedel und Fraktion DIE LINKE folgendes Thema beantragt worden:
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel des Unternehmens Google besteht darin, die auf der Welt vorhandenen Informationen zu organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar machen zu können. Bei Google kann man sich Börsenkurse, Straßenpläne und Schlagzeilen ansehen, Telefonnummern herausfinden, Milliarden von Bildern durchsuchen und im weltweit größten Archiv von Usenet-Nachrichten stöbern. Über eine Milliarde Posts, die bis zum Jahr 1981 zurückgehen! Die Nutzer haben zudem verschiedene Möglichkeiten, um auf all diese Informationen zuzugreifen, ohne extra die Google-Startseite besuchen zu müssen, und wenn sie gerade keinen Zugriff auf ihren PC haben, können sie Google über eine Reihe von mobilen Plattformen nutzen, einschließlich WAP- und i-mode-Telefonen.
So weit, so nützlich, könnte man meinen. Heute ist man da deutlich weiter. Die Sammelwut von Google kennt kaum noch Grenzen. Erfolgten die Informationsfindung und -vernetzung in der Vergangenheit durch die Internetgemeinde selbst, wird Google nun im zunehmenden Maße selbst aktiv. Mit dem Projekt Google Earth wurde das zum ersten Mal wirklich öffentlich. In Google Earth findet man Satellitenbilder, Karten, Geländeinformationen und 3-D-Gebäude von der gesamten Welt sowie Ansichten von fernen Galaxien und Unterwassercanyons. Klingt eigentlich ganz nett und informativ, aber Google Street View geht nun einen Schritt weiter. Mit Kameras und ent
sprechenden weiteren technischen Ausstattungen werden ganze Städte, unter anderem auch Bremen, digitalisiert und nun auch bald ins Internet gestellt.
Bald werden also Herr Smith aus Ohio und Frau Ngoma aus Südafrika in der Lage sein, einmal schnell bei der Bremer Familie Meyer in den Vorgarten zu schauen. Mit viel Glück und vor allem, wenn Familie Meyer keinen Einspruch gegen die Veröffentlichung erhoben hat, kann man auch noch Familie Meyer im Vorgarten arbeiten sehen. Man kann absolut verstehen, dass Menschen das sogar toll finden, ihr Haus und ihre Straße im Internet zu sehen. Sie können anderen Menschen sagen: Schau ins Internet, so sieht es bei mir aus, da wohne ich! Aber ist das der tatsächliche Grund für ein Projekt von Google Street View?
Der Nutzen von Street View erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Bereits mit Google Earth, dem Blick von oben, konnten sich Zweige der Wirtschaft, die sich zum Beispiel mit Bedachungen, Gartenpflege und Ähnliches befassen, gezielte Kundenansprüche ermitteln. Eine offensichtlich beschädigte Bedachung – mit Google Earth identifiziert – löste gleich einen Werbebrief der Firma „Dach & Fach“ aus. Praktisch für die Firma „Dach & Fach“, besorgniserregend für den Briefkasten, läuft er doch bald über vor lauter Werbung, und das ist erst der Anfang!
Google geht aber noch weiter, denn nun wird man auch sehen können, ob die Fassade des Hauses, der Vorgarten und so weiter gepflegt ist, und mit etwas Glück den Kollegen, der angeblich krank zu Hause ist, wie er beim Nachbarn den Rasen pflegt, denn die Darstellung der Daten ist ausgesprochen genau, und das kann man auch gern weiterspinnen. Beim Umgang mit personenbezogenen Daten geht es immer darum, wie genau sie sind, und wenn diese detaillierten Informationen auch noch mit anderen Informationen verknüpft werden, ergibt sich ein unglaublich genaues Bild über Personen.
Wo soll es also hingehen, wo endet es? Wird es bald normal sein, dass bereits beim Anruf auf dem Handy per SMS angezeigt wird, wo sich der Anrufer befindet und dass er vor zwei Minuten einen Kaffee bei einem Discounter getrunken hat, der ein Sonderangebot hat? Bei dem Protest gegen Google Street View geht es aber nicht nur um Google Street View, es geht um „wehret den Anfängen“, wobei die Anfänge schon sehr weit fortgeschritten sind.
Dazu gehört auch der Protest gegen die Datensammelwut der öffentlichen Verwaltung; ELENA, SWIFT, Volkszählung 2011 sind nur Beispiele. So wenig, wie wir Google wollen, so wenig wollen wir die Datensammlungen des Staates. Das SWIFT-Abkommen ist das Ergebnis einer weltweit geschürten Angst. Dass der US-Geheimdienst die Daten europäischer Bankkunden auch rückwirkend abfragen darf, ist schon schlimm genug, dass dies aber auf unbestimmte Zeit,
ohne die vereinbarte Prüfung durch einen EU-Beamten geschieht, ist ein erneuter datenschutzrechtlicher Skandal.
Davon wurde den Abgeordneten des EU-Parlaments und der nationalen Parlamente vor der überhasteten Beschlussfassung nichts gesagt. Das Projekt war den europäischen Regierungen so wichtig, dass sie nahezu alle Mitwirkungs- und Unterrichtungsrechte der nationalen Parlamente faktisch unterlaufen haben. Sogar eine ausstehende Beurteilung des Abkommens durch den juristischen Dienst des EU-Parlaments zur Kontrolle durch Europol wollte man nicht abwarten. Von den datenschutzrechtlichen Bedenken im Europaparlament war nichts mehr übrig geblieben. SWIFT ist ein einziges Bürgerrechtstrauerspiel, aber auch ein Lehrstück, wie Datensammlung und ungezügelte Überwachung von Bürgern weitgehend geräusch- und widerspruchslos durchgesetzt werden kann.
ELENA ist eines der weiteren Beispiele. Nach dem am 28. März 2009 im Bundesrat verabschiedeten Gesetz muss seit dem 1. Januar 2010 jeder Arbeitgeber für jeden seiner Beschäftigten – Angestellte, Arbeiter/Arbeiterinnen, Beamte, Richter, Soldaten – einmal pro Monat einen Datensatz übermitteln. In diesem Datensatz ist eine große Anzahl persönlicher Angaben über die erfasste Person enthalten. Unter anderem findet man bei diesen Angaben solche wie das Bruttoentgelt, die Steuerklasse, Kinderfreibetrag, Renten-, Sozial-, Arbeitslosen-, Pflegeversicherung, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer; alles Daten, die zur Erfassung durchaus sinnvoll sind, auch aus Sicht der LINKEN. Der Sinn der nachfolgenden Informationen, die der Staat mit ELENA ebenfalls sammelt, erschließt sich nicht unmittelbar. So werden unter anderem der Grund von Arbeitszeitänderungen, Arbeitsstunden aufgeführt, täglich, wöchentlich, monatlich der Urlaubsanspruch, tatsächlich genommene Urlaubstage, Angaben zu befristeten Arbeitsverhältnissen, Angaben zu Entlassungen und Kündigungen, Angaben über bereits erfolgte Abmahnungen im Vorfeld einer Kündigung sowie Schilderungen von vertragswidrigem Verhalten, womit Arbeitskämpfe/ Streiks gemeint sind, erfasst. Was man mit diesen Informationen alles machen kann, überlasse ich erst einmal Ihrer Fantasie.
Eines der Ziele von ELENA war, Bürokratie abzubauen. Tatsächlich wird das aber nicht erreicht. Kleine und mittelständische Betriebe werden mit der Bewältigung der gestellten Anforderungen überfordert. Es entstehen hohe Kosten für Anschaffung und Pflege neuer Software, elektronische Zusatzgeräte, von der Überlastung der bearbeitenden Kolleginnen und Kollegen ganz zu schweigen! Die vom Bundesministerium angegebenen Einsparungen von jährlich 85 Mil
lionen Euro wirken wie das Ergebnis einer fadenscheinigen Berechnung mit vielen Unbekannten. Der Schaden durch verloren gegangene beziehungsweise in falsche Hände geratene persönliche Daten lässt sich darüber hinaus nicht in Geld beziffern.
Ob darüber hinaus das gewählte Konzept der Erfassung, Übertragung und Verschlüsselung der Daten sicher sein wird, bleibt abzuwarten. Die Risiken und Gefahren fehlerhaft verarbeiteter oder manipulierter Daten in der ELENA-Datenbank sind unübersehbar. Wir sind gespannt auf den ersten Datenskandal bei der Deutschen Rentenversicherung. In Verbindung mit der neu eingeführten Steuer-ID-Nummer, die jedem deutschen Bürger eine eindeutige und einmalige Nummer zuordnet, wird mit ELENA eine äußerst umfangreiche Datenbank geschaffen, die die Menschen gläsern werden lässt. Es gibt keine Wahlmöglichkeit. Ob man an diesem System teilnehmen will oder nicht, man wird gezwungen und muss auch die Kosten für die Karte selbst zahlen.
Ein weiterer Punkt der Verpflichtung: In Europa erwartet uns 2011 der sogenannte Zensus 2011, die Älteren von uns werden es noch als Volkszählung kennen. Die letzte war im Westen der Republik 1987. Für den Zensus 1987 musste infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts die Befragung teilweise neu konzipiert werden, indem personenbezogene Angaben von den Fragebögen getrennt wurden, und die Fragebögen selbst mussten überarbeitet werden. Bereits ein Dreivierteljahr vor dem Stichtag wurde eine Akzeptanzkampagne „10 Minuten, die allen helfen sollen“ gestartet, die 46 Millionen DM kostete, aber so wenig überzeugte wie der Gesetzentwurf selbst. So wurde behauptet, dass aufgrund der Volkszählung unter anderem gezielte Maßnahmen zum Abbau der Benachteiligung der Frau am Arbeitsplatz und zur Verbesserung ihrer Berufschancen getroffen werden könnten. Das war die zweitgrößte politische Lüge, die ich im Zusammenhang mit dieser Volkszählung gehört habe.
Die Aussage, die Volkszählung trage zur Sicherung der Renten und Schaffung von Arbeitsplätzen bei – –.
Sie hätten zuhören müssen! Es ist ein Teil vom Ganzen, es ist nicht alles! Ein Synonym von Datensammlung und Überwachung!
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Google-Fans und -Geschädigte! Ich will wieder ein bisschen auf Big Google & Co. zurückkommen und eigentlich sagen, das Thema für die Aktuelle Stunde ist gut!
Es ist ja auch wirklich ein aktuelles Thema, das wir in den letzten Wochen auch immer wieder aus der Presse entnehmen konnten. Ich hätte mir aber gewünscht, wenn es auch eine deutsche Überschrift gehabt hätte. Wir wollen hier ja Platt schnacken, aber man hätte ja auch die Überschrift deutsch wählen können.
Aber nun zum Thema! Gegendert ist es übrigens auch nicht! Der Medienausschuss der Bremischen Bürgerschaft hat sich ja schon vor der Sommerpause mit dem Thema Google beschäftigt. Die einhellige Meinung der Landesdatenschutzbeauftragten, Frau Dr. Sommer, war, na ja, in diesem Jahr wird Street View möglicherweise noch nicht kommen. Es gibt eine unendliche Zahl von Widersprüchen, die erst freiwillig von Google abgearbeitet werden, und dann wird es wohl irgendwann einmal losgehen. Nur, jetzt ist die Sommerpause zu Ende, und schon hat Google verkündet, es wird noch in diesem Jahr so sein, dass 20 große Städte – darunter auch Bremen – ins Netz gehen, und wir haben ja auch in der Juni-Sitzung über die Notwendigkeit des Datenschutzes bei der Erhebung von Geodaten debattiert, dass dieser möglichst bald sicherzustellen ist.
Freiwillig will Google, bevor das Portal eröffnet wird, alle Widersprüche abarbeiten und freiwillig pixeln und löschen. Man räumt jetzt großzügig eine Widerspruchsfrist von vier Wochen ein, und nachdem man gemerkt hat, dass allmählich richtiger Widerstand aufkommt, verlängert man sie auf acht Wochen, aber na ja! Völlige Unklarheiten bleiben zum Beispiel, wenn in einem Mehrfamilienhaus oder auch bei Wohnungseigentumsanlagen der eine Eigentümer und die andere Mieterin sagen, ich will, und der zweite Eigentümer oder die zweite Mieterin in diesem Objekt, ich will nicht. Ich bin gespannt, wie Google mit diesen Widersprüchen umgehen wird, wir lassen uns überraschen!
Ich will jetzt gar nicht auf die Details eingehen, wo fängt Privatsphäre an und wo hört sie auf. Sicherlich noch nicht beim Blick aus der Froschperspektive, das heißt, wenn ich durch die Straßen gehe und Fotos mache! Spätestens dann aber, wenn der Blick über den Gartenzaun hinweggeht, kann ich nicht mehr von der Froschperspektive reden, sondern da fängt es an, dass man in der Tat überlegen muss, ob das nicht schon Privatsphäre ist.
Wir reden aber nicht das erste Mal über entsprechende Angebote. Vielleicht erinnern Sie sich, dass wir schon vor fünf bis sechs Jahren von anderen Anbietern ähnliche Angebote hatten, die natürlich mit vollmundigen positiven Argumenten verkauft werden sollten. Es ist also nicht ein Google-Problem allein. Ich will nur ein paar Beispiele nennen, bei denen wir schon gigantische Datensammlungen haben, Frau Troedel hat einige davon auch genannt. GeoInformation verfügt über Luftbildaufnahmen unserer ganzen Stadt, gleichzeitig können die Luftbildaufnahmen mit Flurkarten überlegt werden. Das SunArea-Projekt in Bremerhaven finde ich persönlich super, und im ersten Moment habe ich gesagt, ausgezeichnet, das muss sofort für Bremen auch kommen. Wenn man sich dann aber überlegt, dass in der Tat dann jeder, ohne letztendlich ein berechtigtes Interesse nachzuweisen, schauen kann, welche Kapazitäten eine Photovoltaikanlage auf dem Dach der Nachbarn hat, dann geht es möglicherweise zu weit. Das sind Überlegungen, die man anstreben muss, wo die Privatsphäre anfängt und wo sie aufhört.
Das Zensus-Gesetz ist schon erwähnt worden. Ich weiß gar nicht, ob Sie alle schon einmal Telefonbuch.de genutzt haben und dann nicht nur die Telefonnummer gefunden haben von denen, die Sie gesucht haben. Dann steht da auch „Karte“, und wenn Sie dann auf „Karte“ klicken, dann steht da „Satellitenaufnahme“. Dann sind Sie bei Google Maps. Wenn Sie dann „Vogelperspektive“ anklicken,
dann sind Sie nicht mehr bei Google Maps, dann sehen Sie Ihr wunderbares Haus, Ihre wunderbare Wohnung und können es dann über einen Kompass aus allen Richtungen anschauen, und zwar aus der Vogelperspektive. Da ist Google Street View aus meiner Sicht schon fast harmlos, denn all das, was in Google Street View demnächst veröffentlicht wird, gibt es schon über Telefonbuch.de, und der Anbieter ist die Map and Route GmbH & Co. KG in Nürnberg.
Also, alles toll, darüber kann man streiten: Urlaubsorte erkunden, Immobiliensuche per Google Street View, barrierefreie Wege finden. Ich persönlich nutze Google Maps auch schon sehr häufig und sehr intensiv, denn wenn ich Gutachten zu schreiben habe, kann ich mir die Häuser vorher gut anschauen. Das sind die Vorteile. Es sind aber ja nicht allein die Bilder, und Frau Troedel hat auch darauf hingewiesen: Schon jetzt werden immer mehr Daten miteinander verknüpft, Telefonnummer mit Wohnung, ich habe es eben genannt, demnächst vielleicht auch mit einem Personenfoto von dem, der in dieser Wohnung wohnt. Google Maps, zumindest bei Gewerbetreibenden, weist jetzt schon den Namen und die Telefonnummer zu dem jeweiligen Bild auf und letztendlich auch, wer in der Nachbarschaft entsprechende Geschäfte betreibt.
George Orwell kommt einem da in Erinnerung, der 1948 bereits 1984 vorausgesehen hat und den totalen Überwachungsstaat beschreibt, da würde ich vielleicht nicht ganz so weit gehen mit meinen Äußerungen wie Frau Troedel, aber wir sind am Rande eines Überwachungsstaats. Von der Überwachung durch Google & Co. sind wir aber wirklich nicht mehr weit entfernt. Die heutige Technik macht Dinge möglich, von denen wir vor wenigen Jahren noch gar nicht geträumt haben. Aber nicht allein die Technik ist es, auch unsere eigenen Verhaltensmuster führen letztendlich zu der momentan von vielen gespürten Ohnmacht gegenüber den schon realisierten Internetdiensten nicht nur von Google.