Regelsätze transparent und fair berechnen, Bildung und Teilhabe auch von Kindern und Jugendlichen sichern! Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 30. November 2010 (Drucksache 17/1559)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte meinen Beitrag mit einem Zitat beginnen: „Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.“ So das Bundesverfassungsgericht im Tenor seines Urteil vom 9. Februar 2010! Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe erfüllt keine dieser Anforderungen. Die Berechnung ist weder transparent noch sachgerecht. Sie ist erst recht nicht realitätsgerecht und kann auf der Grundlage verlässlicher Zahlen nicht nachvollzogen werden. Die Berechnung ist schon gar nicht schlüssig.
Konkret: Es ist bei den Kinderregelsätzen nicht erkennbar, wie und in welcher Höhe die einzelnen Bedarfe für Verbrauchsausgaben, die bei der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von weniger als 25 Haushalten ermittelt wurden, eingerechnet wurden. Es ist nicht sachgerecht, dass bei der Einkommensund Verbrauchsstichprobe nicht mehr von 20 Prozent der unteren Einkommen, sondern nur noch von 15 Prozent ausgegangen wird. Es ist nicht realitätsgerecht, wenn Wein, Bier und Zigaretten aber auch Restaurantbesuche, Schnittblumen, Fahrzeugkosten und so weiter aus den Regelsätzen herausgerechnet werden. Es sind keine verlässlichen Zahlen, wenn die Ausgaben von weniger als 100 Haushalten und teilweise sogar von weniger als 25 Haushalten für die Berechnung zugrunde gelegt werden.
Die Berechnung ist das Gegenteil von schlüssig, wenn das Ergebnis – nämlich die Fünf-Euro-Erhöhung – vorgegeben und die Berechnung danach getrickst worden ist. Es ist ein Skandal, wenn mit dem Gesetz gleichzeitig die Höhe des Regelsatzes für alte und behinderte Menschen, die im Haushalt anderer leben, die sogenannte Regelsatzstufe drei, auf 80 Prozent abgesenkt wird. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 19. Mai 2009 festgestellt, dass eine solche Absenkung rechtswidrig ist, weil nicht erkennbar sei, worin das Haushaltsersparnis liegen soll, und hierfür keinerlei empirische Grundlage existiert. Es hat daher die Kürzung als rechtswidrig aufgehoben.
Die Bundesregierung führt sie nun per Gesetz ein. Das Bundesverfassungsgericht hat aber für die Bedarfsgemeinschaften einen empirischen Nachweis gefordert. Der kann zum Beispiel bei der Einkommensund Verbrauchsstichprobe durch den Vergleich von
Ein- und Mehrpersonenhaushalten erbracht werden. Ein solcher Vergleich wurde hier weder angestellt, noch ist er möglich. Außerdem wird selbst bei den Bedarfsgemeinschaften die Regelleistung nur um zehn Prozent, nicht aber um 20 Prozent, abgesenkt. Mit dieser verfassungswidrigen Regelung und der offensichtlich verfassungswidrigen Bemessung der Regelleistung ignoriert die Bundesregierung kaltschnäuzig alle Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Sie nimmt in Kauf, dass zum Beginn dieses Jahres, also in gut drei Wochen, keine gesetzliche Grundlage für die Leistungen existiert. Davon sind circa 100 000 Bremerinnen und Bremer betroffen. Ein solches Verhalten ist verantwortungslos.
Wenn nur zehn Prozent der Berechtigten klagen, denn ihre Erfolgschancen schätze ich auf 100 Prozent ein, und die Hälfte per einstweiligem Rechtsschutz ihren Anspruch durchsetzt, sind das 20 000 Gerichtsverfahren, also das Fünffache des heutigen Klageeingangs bei den Sozialgerichten. Wenn jedes Verfahren mit mindestens 500 Euro beziffert wird, entstehen – noch knapp geschätzt – Bremen Gerichtskosten von zehn Millionen Euro. Damit könnten allen Berechtigten 100 Euro ausgezahlt werden, die diese besser gebrauchen könnten als die Rechtsanwälte, die bereits Massenklagen vorbereiten.
Es ist unverantwortlich, dass eine Bundesregierung unser Grundgesetz und die Auslegung unseres höchsten Gerichts so eindeutig verletzt.
Die Länder Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen haben zusammen mit Bremen einen gemeinsamen Antrag in den Bundesrat eingebracht, um dieses unverantwortliche Vorgehen zu stoppen. Eine Entscheidung im Vermittlungsausschuss ist aber nicht mehr vor Jahresende zu erwarten. Damit hat die Bundesregierung ein Chaos angerichtet, dass ohne Vorläufer ist. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat ausgerechnet, dass bei einer Berücksichtigung der unteren 20 Prozent der Einkommensbeziehenden statt 15 Prozent ein Regelsatz von über 380 Euro und bei einer Einbeziehung der willkürlich herausgerechneten Verbrauchsausgaben ein Regelsatz von über 420 Euro herauskommt.
Wir wollen, dass der Senat mit diesen Verhandlungspositionen in den Bundesrat geht und versucht, die Bundesregierung wenigstens teilweise zum Einlenken zu bewegen. Dabei soll sie auch versuchen, die Streichung der Zuschläge beim Übergang vom Arbeitslosengeld auf die Grundsicherung für Arbeitslose, also Arbeitslosengeld II, zu verhindern. Wenn die Bundesregierung die Kosten für ein Auto oder ein Motorrad aus dem Regelsatz herausrechnet, müss
ten wenigstens die Kosten für den öffentlichen Personennahverkehr in tatsächlicher Höhe berücksichtigt werden. Für Bremen würde das bedeuten, dass die Kosten für das Stadtticket als einmalige Leistung in der tatsächlichen Höhe getragen werden müssten. Auch diese Position soll wie ein transparentes und unbürokratisches Bildungspaket und die Verankerung eines gesetzlichen Mindestlohns in die Verhandlungen eingehen.
Mit unserem Antrag wollen wir dem Senat für die Verhandlungen im Bundesrat Schützenhilfe geben und deutlich machen, dass das Parlament hinter diesen Forderungen steht. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag möglichst geschlossen zuzustimmen! – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat Neuregelungen zu Hartz IV beschlossen, die wir allgemein nur als sozial ungerecht und nicht nachvollziehbar bezeichnen können, und vor allem sind diese Neuregelungen unserer Ansicht nach verfassungswidrig!
Werte Kolleginnen und Kollegen in den Reihen von CDU und FDP, ich finde, Sie sollten es nicht einmal im Ansatz wagen zu bestreiten, dass die Neuberechnung der Regelsätze und vor allem auch das geplante Teilhabepaket für arme Kinder nicht ausschließlich nach Haushaltslage erfolgte. Andernfalls müssten nämlich Ihre Kolleginnen und Kollegen im Bund nicht so herumzicken und würden einfach die Berechnungsgrundlage veröffentlichen, und dazu weigern sie sich ja nach wie vor. Das trauen sie sich nicht!
Warum nicht? Diese Regelsätze sind willkürlich, und diese Regelsätze entsprechen in keiner Weise den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Armselige fünf Euro mehr werden Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfängern zugebilligt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wird nicht einmal der Kaufkraftverlust der letzten Jahre ausgeglichen.
Das Teilhabepaket für arme Kinder erweist sich als Tropfen auf den heißen Stein, und auch bis heute kann niemand nicht so recht sagen, wie es überhaupt umgesetzt werden soll. Wir sind auf die vielen angekündigten Klagen gespannt. Viele Unterstützungen erfahren Sie ja bereits durch Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte, und wir gehen davon aus, dass diese vielen Klagen, die eingereicht werden, auch Erfolg haben.
Unserer Meinung nach ist es dringend erforderlich, eine grundgesetzkonforme Ermittlung der HartzIV-Regelsätze, die sich vor allem an den tatsächlichen Bedarfen der Erwachsenen, der Kinder und der Jugendlichen orientiert, zu ermitteln.
Die Landesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die Vorgaben des höchsten Gerichts eingehalten werden.
Nun liegt uns heute ein Antrag der rot-grünen Koalition vor. Wir sollen damit den Senat auffordern, sich vor allem im Bundesrat für diverse Ziele starkzumachen. Hier wird beispielsweise benannt, dass bei der Einkommensverbrauchsstichprobe nicht von den Verbrauchsausgaben der unteren 15 Prozent ausgegangen werden soll, sondern von den unteren 20 Prozent – Herr Frehe hat das gerade ausgeführt. Das finden wir erst einmal vernünftig. Wichtig ist aber, dass vor allem auch die verdeckt Armen, also die Menschen, die mit ihrem Einkommen noch unter dem Hartz-IV-Regelsatz liegen, überhaupt erst einmal aus dieser Berechnung herausgenommen werden.
Wichtiger ist darüber hinaus, dass wir die tatsächlichen Bedarfe ermitteln und uns nicht ausschließlich an den Ausgaben orientieren. Das ist ja auch ganz logisch. Ich kann nur das Geld ausgeben, das ich tatsächlich in der Tasche habe.
Gerade bei den einkommensärmeren Haushalten richten sich die Ausgaben nach den Möglichkeiten, die das geringe Einkommen überhaupt zulässt. Sie brauchen gar nicht zu lachen! Sie wissen ganz genau, dass arme Haushalte, und da müssen wir nicht unbedingt nur vom Landeshaushalt sprechen, sondern vor allem von den Privathaushalten, am meisten überschuldet sind, und zwar aufgrund ihrer Einkommenssituation. Ich finde es hämisch, wenn Sie sich hier einfach so hinsetzen und lachen!
Des Weiteren fordern Sie, dass alle Konsumausgaben, die die Referenzgruppe tätigt, in die Bestimmung der Regelleistungen eingehen sollen, sofern sie nicht anderweitig berücksichtigt werden. Um das hier auch noch einmal klarzustellen: Es geht nicht nur um Tabak oder um Alkohol, es geht auch um ganz banale Sachen. Warum sollen Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfänger beispielsweise keine Haftpflichtversicherung haben dürfen? Das kann doch
nicht wahr sein! Warum sollen diese Personen sich keine Blumen kaufen dürfen? Das alles muss realistisch in die Regelsatzberechnung einfließen.
Über das sogenannte Bildungspaket hinaus sollen notwendige Bildungsausgaben in der Regelleistung der Kinder berücksichtigt werden. Auch das klingt erst einmal plausibel. Die Fraktion DIE LINKE erwartet aber darüber hinaus, dass das ganze Gutscheinsystem, das jetzt von der Bundesregierung eingeführt wurde, hinterfragt wird und dass tatsächlich auch hier der eigenständige Bedarf von Kindern ermittelt wird. Unserer Auffassung nach ist es nämlich nicht legitim, auch bei den Kindern pauschal das Warenkorbprinzip anzuwenden.
Sie fordern zudem die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, der weitere Armut verhindern soll. Ja, sehr schön, das ist seit Jahren unsere Forderung, nur bei Ihnen stellt sich mir die Frage: Wie hoch ist der Mindestlohn denn mittlerweile in Ihren Forderungskatalog? Angefangen haben Sie einmal mit 7,50 Euro, sind mittlerweile bei 8,50 Euro oder vielleicht auch schon wieder darüber hinaus, das weiß ich nicht. Mir wäre es ganz lieb, wenn Sie endlich die Augen öffnen, den Taschenrechner zücken und feststellen, dass wir einen Mindestlohn von mindestens 9,62 Euro brauchen, um in der Zukunft überhaupt eine halbwegs armutsfeste Rente zu erhalten.
Insgesamt ist festzustellen, dass der Antrag für rotgrüne Verhältnisse in Ordnung ist, mehr aber auch nicht. Sie waren immerhin die Parteien, die Hartz IV eingeführt haben. Sie hätten bereits im Jahr 2004 einen eigenständigen Kinderregelsatz ermitteln können. Das haben Sie, Ihre Kolleginnen und Kollegen auf Bundesebene, aber nicht gemacht!
Darüber hinaus stellen wir fest, dass Sie die Anträge der LINKEN in der Bürgerschaft, die die Situation der Menschen verbessern sollten, fast ausschließlich mit Häme bedacht haben. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hochmut kommt auch hier vor dem Fall! Wenn es Ihnen um die Menschen ginge, hätten Sie sich als Regierungsfraktionen zumindest in den letzten dreieinhalb Jahren wesentlich kooperativer zeigen können, das haben Sie auch nicht gemacht! Vielleicht liegt es am näher rückenden Wahlkampf, dass bei Ihnen jetzt der Aktionismus ausbricht.
Wir werden Ihrem Antrag unsere Zustimmung geben, nur, im Gegensatz zu Ihnen betreiben wir damit nicht nur Augenwischerei! – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wundere mich ein bisschen über die Heiterkeit in der Opposition. Mein Eindruck ist, bei Ihnen ist der Ernst der Lage noch nicht wirklich angekommen.