Protokoll der Sitzung vom 09.12.2010

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Herr Frehe hat es soeben gesagt, am 9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zur Neubemessung der Regelsätze gesprochen. Den Auftrag hat er auch beschrieben. Aus Bremen kam dann sofort das Signal unserer Senatorin an die Ministerin, eine Expertenkommission einzurichten, um hier zu einer wirklich guten Lösung zu kommen. Es wurde jedoch niemand bei der Neuermittlung der Regelsätze einbezogen, weder Experten noch die Fraktionen des Bundestags.

Im Oktober hat die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, und es ist ihm anzusehen, dass er alles andere als fair, transparent oder zukunftsorientiert ist. Acht Monate hat die Regierung gebraucht, um dieses Werk vorzulegen, und ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren, es ist auf ganzer Linie wirklich enttäuschend. Es geht nämlich nicht nur um die Regelsätze oder die Neuberechnung, sondern es geht um eine gesamtgesellschaftliche sozialpolitische Herausforderung, und die haben Sie nicht angenommen.

Die Berechnung der Regelsätze ist kaum nachvollziehbar, Herr Frehe hat es soeben berichtet, und das Bildungsteilhabepaket für Kinder und Jugendliche ist ein bürokratisches Monster ohne Wirkung. Frau von der Leyen faltet die Hände und verspricht ein warmes Mittagsessen für arme Kinder an den Schulen, wohl wissend, dass nur 20 Prozent der Schulen überhaupt die Möglichkeit haben, ein solches Mittagsessen anzubieten. Hier werden zehn Euro monatlich für Kinder versprochen, die Teilhabe an Nachhilfe, Sport, Musik und so weiter brauchen. Mit zehn Euro kann man noch nicht einmal eine Musikstunde bestreiten, geschweige denn irgendwie eine Nachhilfestunde. Hier wird ein Paket ohne Inhalt angeboten.

Die wirklichen Anforderungen sind – und dabei geht es nicht nur um Bildungsteilhabe, sondern es geht auch um Fragen von Integration, und es geht auch um Fragen von Inklusion – alles wichtige sozi––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

alpolitische Fragen, die die Bundesregierung ganz offensichtlich nicht wirklich ernst nimmt. Es geht auch um die Zukunft. Es geht auch darum, dass der Arbeitsmarkt in der Zukunft Anforderungen an Fachkräfte hat. Die Universitäten müssen irgendwie Menschen ausbilden, die dazu in der Lage sind, alle Arbeitsbereiche abzudecken, und daher sind die Fragen von Bildung ganz besonders wichtig. Wir brauchen wirklich jeden einzelnen Jugendlichen, der gut ausgebildet werden muss. Schade, hier wurde eine Chance vertan, Menschen gerecht zu werden.

Nun hat der Bundestag dieses Gesetz nach einer hitzigen Debatte in der letzten Woche beschlossen, und es muss jetzt noch die Zustimmung im Bundesrat geben. Der Bundesrat tagt in der nächsten Woche am Freitag, das ist nur noch eine Woche, und ich wäre sehr froh, wenn es bis dahin noch Vermittlungsgespräche geben würde, die das Gesetz wirklich noch einmal in die richtige Richtung lenken können.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Deswegen haben wir, wie Herr Frehe soeben schon gesagt hat, jetzt auch noch diesen Antrag gestellt. Die SPD hat diesem Gesetz im Bundestag nicht zugestimmt, und sie wird es auch im Bundesrat nicht tun, ohne dass bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Dazu gibt es für die SPD vier wichtige Ziele. Das ist zum einen das Paket für bessere Teilhabechancen für Kinder, das geht, wie gesagt, vom Mittagessen über den Sportverein bis zur Musikschule. Dieses Paket muss auch Geringverdienern zugute kommen.

Zweitens, es muss Investitionen in die Infrastruktur geben, und zwar flächendeckend, sowie einen flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen. Es braucht nach unserer Auffassung, für die SPD ist das ganz wichtig, auch flächendeckend Schulsozialarbeit, damit die Kinder, die wirklich Schwierigkeiten haben, auch bis in die Familien hinein unterstützt werden können. Wir brauchen einen weiteren flächendeckenden Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung für Kinder von eins bis sechs Jahren. Wir brauchen, das hat Herr Frehe soeben auch schon gesagt, die Schaffung eines inklusiven Bildungssystems, und dazu kann man sehr gut – wir werden das ja gleich in einem der nächsten Tagesordnungspunkte auch berichten – dieses Betreuungsgeld nutzen, um dies hier wirklich zu finanzieren. Es würde dann auch allen Kindern zugute kommen.

Drittens, wir brauchen eine saubere Berechnungsgrundlage, das hat Herr Frehe auch ausgeführt. Als Berechnungsgrundlage müssen die unteren 20 Prozent herangezogen werden und nicht die unteren 15 Prozent. Beschäftigte, die ergänzend zu ihrem Einkommen ALG II beziehen, sollen nicht in die Berechnung mit einbezogen werden, also die sogenannten Aufstocker. Alle Konsumausgaben, also auch Schnittblumen und Tabak, müssen in die Berechnung ein

bezogen werden. Für die Bremer SPD spielt auch der Bereich der Mobilität eine große Rolle, das hat Herr Frehe soeben auch schon gesagt. Mobilität muss auf ganzer Linie mit einberechnet werden, das würde uns hier in Bremen dann auch die Möglichkeit geben, unser Stadtticket noch attraktiver und besser zu gestalten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Viertens, es ist für uns unerlässlich, dass ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt wird. Für die SPD sind das die 8,50 Euro. Das ist im Übrigen auch die Forderung des DGB.

(Abg. Frau N i t z [DIE LINKE]: Ja, und? Reicht trotzdem nicht!)

Wir würden uns wirklich wünschen, dass Sie diesen Antrag mit unterstützen, damit es ein gutes Ende nehmen kann, da wir alle die Befürchtung haben und die sollten Sie – –. Mir hört aus der Opposition im Moment gar keiner mehr zu, aber gut.

(Abg. B e n s c h [CDU]: Wir schreien auch nicht immer dazwischen!)

Wir würden uns sehr wünschen, dass Sie diesen Antrag mit unterstützen, denn ich glaube, ansonsten wird genau das eintreten, was Herr Frehe soeben schon beschrieben hat, dass es eine Flut von Klagen geben wird, denn so ist dieses Gesetz wirklich nicht vernünftig im Sinne der Menschen, die es brauchen, umzusetzen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bensch.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bisher haben wir im Parlament nur Fraktionen gehört, die sich gegen die beschlossene Hartz-IV-Reform aussprechen. Wir als CDU-Fraktion sagen ganz deutlich, wir stehen zu der letzte Woche im Deutschen Bundestag mit deutlicher Mehrheit beschlossenen Hartz-IV-Reform.

(Beifall bei der CDU – Vizepräsident R a - v e n s übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, Sie alle haben mit Prozentzahlen gearbeitet. Die erste Prozentzahl, die ich Ihnen zuwerfe, ist: 75 Prozent der deutschen Bundesbürger sind auf unserer Seite und begrüßen diese so verabschiedete Hartz-IV-Reform.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch bei der SPD) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Ihre Zwischenrufe kann ich verstehen. Falls ich nachher noch Zeit habe, gehe ich darauf ein, denn Ihr Verhalten ist erklärbar und sehr durchschaubar. Wir machen einmal wie folgt weiter. Am Anfang, das haben alle Redner gesagt, gab es eine Vorgabe durch das Bundesverfassungsgericht, völlig klar. Wenn wir uns einmal die Reform anschauen – Erhöhung Regelsätze Erwachsene, Bildungspaket, davor schon Verdreifachung des Schonvermögens für Arbeitnehmer, Kinder von Hartz-IV-Familien dürfen, ohne dass man ihnen das Geld wegnimmt, im Ferienjob Geld erarbeiten und behalten nach dem Motto: Leistung muss sich wieder lohnen –, dann sind das Fortschritte zur Verbesserung der Hartz-IV-Bezieher. (Beifall bei der CDU)

Zwischen dem Urteil des Bundesfassungsgerichts im Februar und der Gesetzgebung gab es Umfragen, Herr Frehe. Sie sind ja ein Freund von Zahlen, Sie haben ja eine regelrechte Zahlenflut hier geliefert. Dann sage ich Ihnen einmal, was die Bevölkerung im September und Oktober diesen Jahres, kurz vor der Gesetzgebung, gesagt hat, da schlackern Ihnen die Ohren. Erstens, 77 Prozent der Bundesbürger haben sich dafür ausgesprochen, dass Hartz-IV-Empfänger zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden. (Beifall bei der CDU)

Zweitens, 56 Prozent der Bundesbürger haben bei Umfragen gesagt – wohlgemerkt 56 Prozent! –, sie sind gegen jegliche Hartz-IV-Regelsatzerhöhung, und 14 Prozent waren sogar für eine Kürzung von Hartz IV. Nur ganze 36 Prozent wollen überhaupt eine Hartz-IV-Regelsatzerhöhung.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Von wie viel denn? Wie viele haben Sie denn befragt?)

Es ist also nicht nur eine verfassungsrechtlich richtige Entscheidung, es ist vor allem auch eine politisch richtige Entscheidung gewesen, die Hartz-IVReform im Bundestag so durchzusetzen, wie es letzte Woche geschehen ist.

(Beifall bei der CDU)

Drittens, Sie haben völlig richtig gesagt, am 17. Dezember 2010 – das Datum hatte ich Ihnen im September in der Debatte schon gesagt – tagt der Bundesrat. Die Politik, die Demokratie lebt auch von Kompromissen, völlig klar, und vielleicht kommt im Bundesrat etwas heraus, womit auch die ganze Bandbreite der Bevölkerung besser leben kann als mit zerstrittenen Parteien, wo man sich gegenseitig Stimmungen und sonst etwas vorwirft.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Reden Sie von sich?)

Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue und vor allen Dingen den Einleitungstext, wo Sie mit Lügen und Unterstellungen arbeiten,

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Jetzt wird es spannend!)

dann spreche ich Ihnen die wirklich sachpolitische Orientierung zu diesem Thema völlig ab.

(Beifall bei der CDU)

Nehmen Sie den Antrag, und lesen Sie ihn durch, ich weiß ja nicht, wer ihn Ihnen diktiert hat! Ich zitiere nur, und das macht nachdenklich, wenn nicht sogar traurig. Sie schreiben hier: „Die vorgelegte Berechnung, die zu einer Erhöhung des Regelsatzes für Erwachsene um fünf Euro“ – und jetzt kommt es – „und zu einer rechnerischen, aber vorerst ausgesetzten Absenkung der Kinderregelsätze kommt – –.“ Mit dieser Unterstellung behaupten Sie, dass die derzeitige Bundesregierung die Kinderregelsätze herunterfahren will. Das ist nicht der Fall!

(Beifall bei der CDU – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das ist ein Skandal!)

Wer mit solchen Lügen arbeitet, macht sich unglaubwürdig, und eine solche Politik haben die Bürgerinnen und Bürger nicht verdient.

(Beifall bei der CDU – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Eine Lügerei ist das!)

Aus diesem Grund allein schon ist es völlig unredlich, sich überhaupt noch zu wagen, ernsthaft Politik machen zu wollen, Herr Frehe. Unglaublich, dass Sie dies mitmachen!

(Beifall bei der CDU – Abg. F r e h e mel- det sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage anzunehmen?

Nein, wir haben drei Mal fünf Minuten Redezeit, nachher vielleicht! Im letzten Drittel möchte ich Ihnen sagen, was Sie lieber tun sollten, als Show-Anträge, die nur wahlorientiert und auf den 22. Mai orientiert sind, zu stellen. Wenn Sie wirklich wollen, dass es den Menschen hier in unserem Land besser geht, dann machen Sie eine bessere Wirtschaftspolitik, eine bessere Verkehrspolitik und eine bessere Bildungspolitik.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie nur die Hälfte dieser Kraft aufwenden würden wie bei Hartz IV und anderen sozialpoliti

schen Fragestellungen, dann hätten wir in Bremen und Bremerhaven nicht, Herr Dr. Güldner, bei Vergleichstest immer den letzten Tabellenplatz, wir sind immer noch Letzter der PISA-Studie.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Das merkt man an Ihrer Rede!)

Dann würden Betriebe und Arbeitsplätze aus Bremen nicht abziehen, wie wir gestern lesen konnten. Meine Damen und Herren, Herr Bürgermeister, dann würde es auch, wie es heute in der Zeitung stand, keine Bürgermeisterkrisengespräche im Güterverkehrszentrum geben müssen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Frau G a r l i n g [SPD])

Das hat schon damit zu tun. Sie von der SPD, die Sie seit 65 Jahren hier regieren –

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Was Sie über- haupt nicht ertragen können!)